6.Tag: Mittwoch, 20.08.97, 07:30 Uhr MEZ
Der Morgen in Tórshavn empfängt alle so garstig wie nur möglich: Strömender Regen trommelt schon lange vor dem Aufstehen auf das Explorer-Dach ...
Trotz des Regens schlägt sich ein Explorer-Besatzungsmitglied durch bis zum Bäcker - unerwartet schmackhafte Brötchen sind der Lohn des nassen Tuns. Auch heute morgen gibt es wieder Sagen auf Kurzwelle 531 kHz in Englisch und auch den einen oder anderen "traditional song": "Keep the song in your heart" ist die Aufforderung des sagenhaften Sprechers, der die Sendung zwischen 8:00 und 9:00 Uhr in Englisch moderiert.
Der Wetterbericht ist auffallend: Nahezu jeder Ort auf den Faröer Inseln ist für heute mit "foggy and rain" gemeldet. Und dann: Wasser im Explorer. Die Nähte an den Seitentaschen werden undicht, Wasser steht nach einiger Zeit in den Taschen. Herunterlaufende Wasserspuren zeigen: Ohne den Wandteppich hätten wir glatt eine nasse Wand an der Wetterseite. Etwas nachlässige Arbeit eines Sattlers kommt auch nach "Jahren" noch zum Vorschein - wir beschließen, dass wir vor der nächsten Fahrt nochmal kräftig mit Nahtdicht an den richtigen Stellen zulangen müssen ...
Lachmöwen scheinen unser Wettererlebnis auf dem regenüberfluteten Campingplatz zu kommentieren, der inzwischen fast nur noch mit Gummistiefeln betreten werden kann, das Nebelhorn der immer wieder regelmäßig vorbeidröhnenden örtlichen Fähre ist dennoch nicht zu überhören. Die Tschechen in ihrem Bus tun uns leid, mehr als dreißig Leute packen bei strömendem Regen ihre Zelte in den triefenden Bus: Trotz "Wetterseite" im Explorer - mit denen würden wir nicht tauschen!
Vor der Abfahrt der Fähre ist noch ein kleiner Stadtrundgang am Hafen angesagt, die Norröna hat bereits frühzeitig wieder angelegt und dominiert den Hafen und die nahe gelegenen touristisch interessanten Geschäfte an der Mole ...
Bei der Abfahrt der Norröna zeigt sich kein Offizieller der Faröer. Der ach so gestrenge Zoll ist nicht einmal zu erahnen, als die mehr als tausend Fahrgäste den Hafen verlassen. Angestanden haben wir vorher in mehreren Parallelspuren, die Abfertigung in Tórshavn ist erstaunlich angenehm und fast schon routiniert: Diesmal klappt es wieder mit einem Fahrzeug und einem Fahrer.
Die Abfahrt erfolgt bei dichtestem Nebel im Hafen gegen 15:00 Uhr. Schon bald sind wir draußen und sehen nicht mehr das geringste. Wieder ist das die Stunde der Schaunavigation: Das GPS verrät den Interessierten, dass wir nach einiger Zeit die Südspitze von Bordoy passiert haben und uns nach Nordwesten bewegen. Nach der Behauptung, wir müssten direkt neben einer sehr hohen Wand an der südwestlichen Halbinsel von Bordoy sein, schauen einige an Steuerbord über die Reeling: Nichts. Doch dann, wenige Minuten später reißt der Nebel auf und - eine gigantische Wand direkt rechts neben dem Schiff, der "Blindschiffer" hatte Recht!
Die Fahrt geht westlich an Kalsoy vorbei, so dass wir die Seehundsfrau von Mikladalur leider nicht zu Gesicht bekommen, dafür aber eine traumhafte Passage nach plötzlichem Verschwinden der Nebelwand.
Noch einmal sehen wir Risin und Kéllingin, als wir nordwestlich aus dem Windschatten der Inseln in den "echten" Nordatlantik auslaufen. Sie schauen tatsächlich in die richtige Richtung, Island liegt genau vor ihnen, und hoffentlich auch bald vor uns! Mit dem Verschwinden der Faröer-Felsen begeben wir uns wieder ins Schiffsinnere ...
Die Norröna und ihre Bordatmosphäre haben uns wieder - fast schon vertraut ist es, wenn man endlich wieder an der Bar bei Thurid und ihrer Kollegin sitzt: Noch häufig während dieser Reise wird der Berichterstatter auf das (für alle Beteiligten) unmerkliche Lächeln warten, mit der eine echte faringische Barfrau ihre "Stammgäste" begrüßt!
Um 21:00 Uhr Bordzeit ist Brückenbesichtigung angesagt: Von Stabilisatoren bis zum GPS-Radar wird alles intensiv erkundet. Überraschend ist nur, dass der Manager offensichtlich nicht die Funktion einer Maus unter Windows kennt: Als die "Informatiker-Crew" des Explorers hieran rüttelt und die Aufforderung zu einer Paßworteingabe erscheint, glaubt der gute Mann doch tatsächlich, die Schiffsführung sei ernsthaft gefährdet - Spaß muß sein!
Der Abend sieht uns wieder an der Bar. Wenn man sich erst mal an die Bierpreise gewöhnt hat und alles nur noch als Spielgeld ansieht, was einem hier abgeknöpft wird, hat man auch an Bord der Norröna keine Probleme mehr!
7.Tag: Donnerstag, 21.08.97, 06:00 Uhr UTC
(Siehe auch Übersicht "Hochlandtour")
Bereits in in der Nacht war erneut die Uhr bemüht worden: Wieder gehts 1 Stunde zurück, diesmal ist Isländische Zeit (= UTC oder Weltzeit) angesagt, gegen 7:00 Uhr soll die Fähre in Seyðisfjördur ankommen.
Wieder wird vorher noch an Bord gefrühstückt, der Zeitplan der Ankunft lässt es zu. Kaum sind die letzten Bissen eilig verschlungen, tauchen draußen (erneut aus dem Nebel) die charakteristischen Felswände des Seyðisfjördur-Fjords auf: Unsere Ankunft steht dicht bevor.
Wie schon vorher quälen sich auch diesmal unter Deck ganze Familien zu den Autos, auch die vollständige Explorer-Besatzung steht heute am Autodeck bereit, als sich die Tore öffnen. Unproblematisch aufgrund unserer Parkposition gestaltet sich diesmal nicht nur das Einsteigen, sondern auch die Ausfahrt. Beim Rausfahren klärt sich ein weiteres Geheimnis der Norröna: Die als letzte eingefahrenen müssen tatsächlich diesmal auch rückwärts wieder heraus, andere, so der Explorer, können aufgrund einer unter Deck gefahrenene 180°-Kurve wieder vorwärts heraus: Bequemer gehts nicht!
Der Zoll in Seyðisfjördur ist im Gegensatz zu den Faröern tatsächlich wie angekündigt erbarmungslos. In den in mehreren Spuren parallel zum Schiff stehenden Warteschlangen geht es nur kaum bis schleppend voran. Eine Frau vom Zollpersonal händigt uns bereits in der Warteschlange den Aufkleber für einen "Benziner" aus, der uns bis Anfang September auf der Insel freie Fahrt erlaubt ...
Etliche Einreisende werden genauestens überprüft, unter anderem auch ein Motorradfahrer, der scheinbar viel auseinandernehmen muss. Erneut geht es durch eine Halle, ein Zöllner will den Explorer noch stoppen, kann kaum glauben, dass der KingCab ein Benziner ist, sieht dann den Aufkleber und will sich wohl nicht blamieren - wir können passieren.
Kein Mensch will meine "temporary licence", die CB-Funk-Genehmigung sehen und vorschriftsmäßig abzeichnen, die ich erst vor wenigen Tagen gegen umgerechnet fast 40,- DM (für 1 Funkgerät) vom "National Telecom Inspectorate" aus Reykjavik per Fax übermittelt bekommen habe: meine Erlaubnis, auf 40 Kanälen in Island funken zu dürfen, wird sich auch im weiteren Verlauf der Reise als vollkommen überflüssig erweisen ...
Die ersten Kilometer auf isländischem Boden sind der wahre Traum. Zwischen Morgennebeln, strahlendem Sonnenschein, Unmengen an Wasserfällen und Serpentinen hat der Explorer erstmals isländischen Boden unter den Rädern entlang der Straße 93 in westlicher Richtung nach Egilsstaðir. Entgegen kommen uns viele, die unterwegs sind zur Norröna zu einer der letzten Rückfahrten - wir werden keine glücklichen Ankommenden im Gegenverkehr mehr haben!
Die letzte steile Abfahrt nach Egilsstaðir verschafft einen atemberaubenden Blick nach Westen - wir sind wirklich da! Bei strahlendem Sonnenschein fahren wir ein in Egilsstaðir, tanken, Bank und Einkaufen stehen zuerst auf dem Plan.
Erneut stiftet der KingCab Benziner offenbar Verwirrung bei der Betankung: aufgelöst kommt ein anderer Tankkunde herbeigelaufen und ruft "Bensin Bensin". Auch er glaubt offensichtlich, hier wird ein Diesel-Fahrzeug falsch betankt. Ein netter Auftakt, ihm wird erklärt, das Fahrzeug tankt schon immer Benzin ...
Beim anschließenden Besuch bei der Bank wird klar: Unser DM-Spielgeld ist im Vorfeld des Euros schon jetzt nichts mehr wert - was wollen eigentlich alle Kritiker? Viel weniger als beim letzten Besuch tauschen wir uns für unsere Fastschonweichwährung vor unserem Einkauf im gegenüberliegenden Supermarkt von Egilsstaðir (N 65°15,59526´ W014°24,36772´). In immer noch strahlendem Sonnenschein packen wir bei 18°C im Schatten unsere Einkäufe ein und fangen an zu schwitzen - wo sind wir hier eigentlich?
Nur wenig später, noch immer am Vormittag, geht es endlich los. Kurz hinter Egilsstaðir beim Abzweig von Fellabaer erreichen wir die Straße 931, die schon nach kurzer Fahrt in eine unasphaltierte Piste mit geringfügigen ersten Steinschlägen übergeht: Der Explorer ist da, wo er hinsollte!
Auf der südwestlichen Fahrt entlang des langgestreckten Lagarfljót-Sees machen wir zum ersten Mal Bekanntschaft mit einem Phänomen, das uns noch während des gesamten Island-Trips begleiten wird: unser Bordkompass, der sonst sehr zuverlässige Airguide, spinnt vollkommen. Abweichungen von mehr als 90° werden wir von nun an häufiger erleben, zum Glück behält das GPS die Nerven und zeigt die Differenz.
Für den ersten Tag haben wir uns viel vorgenommen. Nach einem Besuch am Hengifoss, dem dritthöchsten Wasserfall Islands, wollen wir wild campen im Bereich der Gilsárvötn-Seen an der neuen Hochlandpiste F910.
Der Besuch am Hengifoss (N 65°04,49703´ W014°52,781´) lohnt sich. Vom Parkplatz aus ist man noch ca. 1 Std. zu Fuß unterwegs, vorbei an einem weiteren "Vor-Wasserfall", der von beeindruckenden Basaltformationen eingerahmt wird. Die nachfolgende "Wasserfallanlage", die man noch vor Erreichen des 118m hohen Hengifoss sieht, gehört zu den Eindrücken, die man nur schwer vergessen wird. Den Fuß des Hengifoss selbst, der sich in greifbarer Nähe senkrecht in einen schmalen Talkessel mit rot gefärbten Gesteinsschichten stürzt, erreichen wir nicht. Das Bachbett ist für uns ohne nasse Füsse nicht durchquerbar, so dass wir wieder umkehren ...
Nicht weit weg vom Hengifoss in südwestlicher Richtung verlassen wir die Straße 931 und schrauben uns über etliche Serpentinen in die Höhe der neuen Hochlandpiste F910.
Schon kurz nach Einfahrt auf die Piste wird uns klar, warum diese Strecke als neue Hochlandpiste aufgeführt wird: Ein übel aufgeschütteter "Bahndamm" mit typischen Waschbrettmustern erwartet den Explorer - ein erster Vorgeschmack zwar nicht auf typisch isländische Piste, aber doch auf unangenehmen Untergrund.
Während der Explorer-Fahrer auf der Piste immer nervöser wird, naht auch bald das Hochplateau der Gilsárvötn-Seen. Ähnlich wie bei der Tour Island 95 auf dem mittleren Sprengisandur handelt es sich hier nicht gerade um eine einladende Ebene, sie ist ohne jeden Sicht- und Windschutz, auch noch ohne Abfahrt vom "Bahndamm". Es gibt keinen Anlass und keine Stelle hier zu halten, der Wind weht heftig über die deckungslose Hochebene ...
Es bleibt keine Alternative, wir fahren weiter und kommen irgendwann zum Abzweig Richtung Snaefell, wo der nächste Campingplatz angekündigt wird. Wir entschließen uns, dorthin zu fahren und wechseln auf die F909.
Etliche erste Furten erwarten uns und der Explorer samt Pickup macht am späten Nachmittag zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem Wasser - er fährt durch wie ein Profi.
Es wird früher Abend, als wir endlich die letzte Furt zum Campingplatz durchqueren - das Wetter ist nicht berauschend, bei starkem Wind, Regen und knapp 10°C (ohne Berücksichtigung vom Windchill) erreichen wir den Campingplatz nördlich vom Vatnajökull auf einer Höhe von ca. 800m (N 64°48,22289´ W015°38,55955´).
Ein einsamer Scamper-Pickup und zwei bis drei verstreute Fahrzeuge bilden den "Campingplatz" neben der Hütte, dahinter nur der verhüllte Snaefell mit pitoreskem Panorama, der nur wenige Kilometer entfernte nördliche Gletscherrand des Vatnajökull ist nur am kalten Windhauch zu erkennen ...
Die Hüttenwirtin reagiert mit ungläubigem Staunen, als auf die übliche Frage nach dem Woher und Wohin mitgeteilt wird, wir kämen heute von der Fähre. Am ersten Tag schon hier? Sie verliert sich im Wochentag. Heute ist Donnerstag?
Ähnlich reagiert der deutsche Mieter des benachbarten Scampers. Er entpuppt sich als langjähriger Island-Fahrer und staunt nicht schlecht über den deutschen Explorer, der bereits am ersten Tag hier ankommt. Dass wir noch stundenlang am Hengifoss waren, erzählen wir ihm gar nicht erst.
Die phantastische Abendatmosphäre stellt sich ein, als nach kurzer Zeit der Regen aufhört, der Snaefell sich kurz enthüllt und wir in einer endlosen Weite nahezu allein stehen. Das benachbarte deutsche Ehepaar erscheint punktförmig vor dem nahegelegenen Berg bei seinem Spaziergang, während wir uns dem Abendessen zuwenden ...
Vor dem verhüllten Bergrücken in der weiten Ebene wird die Erinnerung an einen alten MERIAN mit einem Beitrag von Karl-Heinz Kramberg zu Island wach an diesem Abend: "... Ich wechsle den Zeltplatz. Ich kampiere auf dem Stern ohne Blattgrün. Ich bewohne eine silberne Wüste aus Asche und Staub. Hier kann man nicht leben. Hier will ich bleiben."
© Text/Bilder 1997 J. de Haas