8.Tag: Freitag, 22.08.97, 08:30 Uhr UTC

... durch die Wüste?

Der Morgen ist kühl. Mehr als 6°C werden auch heute beim besten Willen nicht am Außenthermometer unter den Sandblechen abzulesen sein. Es ist schon spät, als wir uns noch im Explorer wälzen. Gegen 7:30 Uhr noch nicht aufgestanden zu sein, könnte sich als Problem erweisen, geht mir im Schlafsack durch den Kopf. Schließlich haben wir am Vorabend unseren Nachbarn angekündigt, heute noch bis zum Kverkfjöll zu fahren und das könnte ein Wettrennen gegen den Sonnenuntergang werden.

Wie richtig diese Befürchtung ist, wird sich später noch herausstellen ...

Unsere Nachbarn im gemieteten Scamper, dessen Eigenschaften wir seit Island 95 gut kennen, machen sich deutlich vor uns auf den Weg, gefrühstückt haben wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Als wir uns viel später wieder auf der F909 Richtung Norden bewegen, sehen wir rechts neben uns eine Rentierherde. Unser Kompass zeigt wieder Abweichungen von 50-60° im Vergleich zum GPS-Kurs, langsam gewöhnen wir uns an díesen Sachverhalt.

Als wir einem isländischen Fahrzeug begegnen, wiederholt sich erneut ein schon bekanntes Phänomen: Als Gast weicht man an den rechten Pistenrand aus, wird jedoch von den freundlichen Einheimischen bei weitem übertroffen. Der Bigfoot weicht ebenfalls so weit aus, dass er mit zwei Rädern neben der Piste fährt und in der Mitte fast noch ein drittes Fahrzeug hindurchpassen würde. Zusätzlich wird freundlich gegrüßt und offensichtlich wieder einmal der Explorer bestaunt: ein Fahrzeug mit dieser Ausstattung, diesen Rädern - erneut wird an Bord des "winzigen" Pickups geunkt, dass man, wenn man nach links aus dem Fenster schaut, um den anderen Fahrer zu grüßen, doch nur auf dessen Räder blickt ...

Am Scheideweg zur F910 ...Irgendwann sind wir wieder am gestrigen Abzweig, auch in Richtung F910 nach Norden werden uns wieder Furten an den Wegweisern angekündigt.

In der Tat müssen wir etliche Furten passieren auf unserem Weg nach Bru, wo wir unsere maximalen 120 Liter Sprit an Bord nehmen wollen. Die F910 ist vergleichsweise angenehm zu befahren und auch für Überraschungen gut: In voller Militärkluft kommt uns ein Mensch zu Fuß mit Gesichtsschutz und 2 Gewehren mitten in der Wildnis auf der Piste entgegen - der Fuß auf dem Gaspedal ist in Alarmbereitschaft, als wir den Kerl angrinsen und an ihm vorbeifahren! Möglicherweise Jäger, sagen wir uns, zumal wir noch zwei Fahrzeuge am Wegesrand gesehen haben, aber in dem Outfit?!

Wir passieren die letzte Furt vor Bru, die schon beachtliche Ausmaße annimmt und wohl jeden Pkw von der Fahrt Richtung Süden abhalten soll ... 

Nach dem Auftanken in Bru brechen wir sofort auf, denn es ist mittlerweile schon nach Mittag und wir haben noch viel vor uns. Wir folgen weiterhin der F910, oft nur mit Schrittgeschwindigkeit geht es voran, die Piste erweist sich nun echt als übel. Explorer und Pickup halten aber meisterhaft durch, nur plötzlich gibt es einen Knall an der linken Scheibe: die Garmin GPS-Aktivantenne hat sich vom Dach gerüttelt - der Magnet reichte wohl nicht! Das Teil ist zum Glück nicht beschädigt und wird von nun an mit reichlich rotem Gewebeband befestigt.

Wir erreichen am Nachmittag die Brücke über die Kreppa (N 65°05,98469´ W016°10,38461´), die uns das Furten abnimmt - weit wären wir da nicht gekommen!

Die große Furt vor Bru ... Auf der Brücke über die Kreppa  ...

Wir werden auf die F903 Richtung Kverkfjöll geleitet, anders als unser GPS-Kurs über die F902 das vorsieht. Aber egal, wir werden die vorgesehene Strecke auf der Rückfahrt nehmen und bewegen uns jetzt auf der (älteren?) östlichen Piste Richtung Gletscher. 

Die Piste wird jetzt teilweise so übel, dass der Pickup nur noch zentimeterweise über die scharfkantigen Steine bewegt wird. Die Zeit vergeht und der Waypoint, der uns wieder mit der F903 zusammenführen soll, scheint nicht näherzukommen ...

Wir passieren das Naturschutzgebiet von Hvannalindir, auch hier soll selbstverständlich Islands berühmtester Ausgestoßener und Einsiedler Eyvindar wieder gelebt haben - eigentlich begegnet er uns überall und muss so gut wie die ganze Insel bewohnt haben, wenn man den Aussagen Glauben schenkt.

Wieder eine Furt und noch eine, die Zeit schreitet voran, der Sonnenuntergang wird nicht mehr lange auf sich warten lassen und das wilde Campen ist hier (wie in der gesamten Umgebung) erneut untersagt. Da jetzt auch der Untergrund der Furten z.T. unangenehm wird und man über größere Brocken unter Wasser rollen muss, kommen wir noch langsamer voran durch eine traumhafte Landschaft, die wie schon den ganzen Tag über hinter jeder Ecke wieder ein neues Gesicht zu zeigen scheint: eigentlich müsste man allein für die heutige Tagestour eine Woche einplanen!

Der CB-Funk erweist wie auch später als vollständige Enttäuschung, kein Mensch ist hier auf irgendeinem Kanal zu hören oder antwortet auf heftige CQ CQ CQ ...

Wir erreichen nach einem großen südlichen Bogen die F902. Das GPS erweist sich im Gegensatz zum Funk nicht als Enttäuschung, sondern als extrem hilfreich: Die ETE (Estimated Time Enroute) von Waypoint zu Waypoint ist eine hervorragende Hilfe - auch sagt uns die Streckenplanung, dass wir voraussichtlich gegen Sunset (ca. 21:15 Uhr UTC) am Camp Kverkfjöll ankommen werden - es wird ein knappes Rennen, da wir auch hier höchstens noch 30 Minuten nach Sunset bis zum Dämmerungseinbruch haben und auf keinen Fall diese Piste im Dunkeln befahren wollen.

Camp am Kverkfjöll: Explorer Suchbild 1 ...Nach insgesamt stundenlanger Fahrt erreichen wir ca. 15 Minuten vor Sunset den Campingplatz (N 64°44,85039´ W016°37,90343´), wie immer sind die letzten Meter davor in Island eine echte Herausforderung! Da es hier keine große Furt vor dem Platz gibt, musste es wohl die Piste sein und in der Tat sind die letzten Meter äußerst übel.

Ein neues Geräusch am Explorer lässt den Fahrer erschaudern, zwar gab es ganztags Quietschen und Rumpeln, aber jetzt?! Das Geräusch lässt nichts Gutes ahnen und auch scheint der Explorer mehr als bisher auf jeder Pistenverwerfung zu schwanken - im Außenspiegel sieht man, wie sich die Ladefläche mit der Kabine gegen die Fahrerkabine verwindet: Nichts für schwache Nerven!

Am Campingplatz angekommen stehen wir schon bald in der Dämmerung. Am Explorer oder am Pickup ist kein Schaden feststellbar, scheinbar hat sich nur der Außenkanister mit neuer Geräuschkulisse bemerkbar gemacht, Erleichterung!

Draußen wird es schnell kalt, nur wenige Geländewagen und auch der Scamper des deutschen Paares, die offensichtlich schon lange da sind, verlieren sich im Rund der bergigen Umgebung bei der Hütte Sigurdarskali - ein Ausläufer des Vatnajökull scheint in greifbarer Nähe im Dunstkreis zu liegen. Die Musik kommt auch heute nacht von der Kassette, an Radioempfang auf FM ist hier nicht zu denken.

Wir rechnen mit einer kalten Nacht und befestigen unseren Thermoschutz. Der Temperaturwächter der Heizung wird auf 5°C eingestellt. Gegen 0:15 Uhr klopfen noch Spätankömmlinge an den Explorer: Es sind Einheimische, die zum Wochenende mit einem professionell ausgestatteten Bigfoot einer Art Bergwacht noch im Dunkeln angekommen sind. Ihre Frage zum Housewarden der Hütte, den sie suchen, können wir nicht beantworten - wir brauchen auch heute Nacht keinen!


© Text/Bilder 1997 J. de Haas