Island, 28.08.03: Wieder da - Ochsentour zum Öxi ...
Das Wetter ist schlecht in der Nacht - in der Norröna spürt man den Seegang mehr als deutlich, entsprechend leer sind die Gänge im Schiff. Auf dem großen Navigationsbildschirm der Brücke wird schon seit langem eine Speed von 25 kts eingeblendet: Wie passt das zusammen mit der angeblichen Höchstgeschwindigkeit des Schiffes von 22 kts?
Kurz vor 8:00 UTC (wieder müssen die Uhren eine Stunde zurückgestellt werden) ist zwar die isländische Küste in Sicht, aber kein Näherkommen mehr festzustellen, vielmehr scheinen wir ständig im Kreise zu fahren. Das GPS wird später in der Trackaufzeichnung einen wunderbaren Vollkreis mit 2,5 km Durchmesser zeigen, den wir fahren, als über Bordlautsprecher die Durchsage mit der Problemmeldung kommt: Die Ankunft in Island wird verspätet sein, das Schiff kreist mit einem Maschinenschaden. Wieder ein Trick der Faringer, die Touris noch länger auf faringischem Hoheitsgebiet zu halten? Aber das kann eigentlich kaum sein, denn ausgerechnet um diese Zeit gibt es auch noch einen Stromausfall und der Kaffeeautomat funktioniert auch nicht ...
Es fällt allerdings nicht schwer, einen Zusammenhang zu konstruieren zwischen unserem Maschinenschaden und der lange Zeit angezeigten gefahrenen Speed, die deutlich über der angegebenen Höchstgeschwindigkeit liegt - auf der Rückfahrt werden wir erleben, wie Vertreter der deutschen Werft vom Bordpersonal offenbar mit diversen Mängeln der Norröna konfrontiert werden - Garantie noch nicht abgelaufen!?
Mehr als eine Stunde später scheint der Schaden behoben zu sein, das Schiff nimmt wieder Geradeausfahrt auf - Island, wir kommen!
Ein wolkenloser Himmel erwartet uns über der Insel, als wir in Seyðisfjörður von Bord rollen (Karte/1). Wie von unsichtbarer Hand geleitet, die sich in den durchaus sichtbaren Händen des Bordpersonals zeigt, sind wir wieder einmal mit die Ersten, die das Schiff verlassen können. Eine freundliche Dame reicht uns einen "Bensin"-Aufkleber, der das Redaktionsfahrzeug als "Benziner" ausweist und stellt uns frei, wo wir ihn hin kleben: Der von der letzten Tour soll schließlich auch als Souvenir erhalten bleiben ...
Der sympathische Einreisebeamte, dem wir freudig erklären, dass wir nicht zum ersten Mal hier sind, winkt uns nach wenigen Worten durch - wir sind angekommen!
Es ist fast wieder so wie damals, nur dauert das Verlassen von Seyðisfjörður etwas länger: Es lässt sich nicht verhindern, dass wir irgendwie kurz anschließen an der Schlange derer, die auf das Schiff wollen, bevor wir abbiegen und den Ort verlassen können. Was hatten wir anlässlich unserer Tour Island 97 geschrieben:
"Die ersten Kilometer auf isländischem Boden sind der wahre Traum. Zwischen Morgennebeln, strahlendem Sonnenschein, Unmengen an Wasserfällen und Serpentinen hat der Explorer erstmals isländischen Boden unter den Rädern entlang der Straße 93 in westlicher Richtung nach Egilsstaðir. Entgegen kommen uns viele, die unterwegs sind zur Norröna zu einer der letzten Rückfahrten - wir werden keine glücklichen Ankommenden im Gegenverkehr mehr haben!
Die letzte steile Abfahrt nach Egilsstaðir verschafft einen atemberaubenden Blick nach Westen - wir sind wirklich da! Bei strahlendem Sonnenschein fahren wir ein in Egilsstaðir, tanken, Bank und Einkaufen stehen zuerst auf dem Plan."
Auch diesmal ist die erste Aktion, in Egilsstaðir einzukaufen - mit einem Unterschied: Aufgrund der heftigen Vormittagssonne suchen wir vor dem Supermarkt fast wie gewohnt während der letzten Monate einen Parkplatz im Schatten - sollte uns etwa die Dauersonne bis hierhin verfolgen?
Auch im vertrauten Supermarkt von Egilsstaðir ist mittlerweile das Angebot weitaus reichhaltiger als früher, was sich nicht nur bei den vielen Brotsorten zeigt, die inzwischen zu haben sind. Als wir den Supermarkt verlassen, kommt die Gruppe um Rainer Seefried gerade herein: Die einen reisen mit einem "Steinbeisser", wir essen ihn: Den hervorragenden Fisch, auch einen echter "Steinbeißer", von der Kühltheke des Supermarktes konnten wir uns nicht entgehen lassen - wir werden ihn heute Abend verspeisen! Die Gruppe von OFF-ROAD-Adventure Tours wird nach ihrem Einkauf nun ebenfalls auf die Piste gehen - wir werden sie erst am Tag vor unserer Abreise auf dem hiesigen Campingplatz wiedersehen ...
Wir haben uns viel vorgenommen für den heutigen ersten Tag in Island: Zunächst wollen wir uns die geplante Alcoa-Baustelle bei Reyðarfjörður (Karte/2) anschauen, das dortige "War Museum" besuchen und dann über die Piste F936 in Richtung auf den "Öxi" vorstoßen, wo wir die erste Nacht in Island verbringen wollen - "volles" Programm also!
Wie schon 1997 erreichen wir Reyðarfjörður: Wir fahren an dem kostenlosen Campground des Ortes vorbei, auf dem wir seinerzeit eine sturmdurchtoste Nacht verbracht hatten. Nicht weit hinter dem Ort liegt der künftige Bauplatz von Alcoa (N65.036981° W014.101971°).
Friedlich liegt sie noch da, die Bucht, vor der schon ab 2005 die Aluminiumhütte errichtet werden soll, deren Produktionsbeginn für 2007 geplant ist. Wie hatten wir in unserem Editorial Neu 09/03 geschrieben:
... "Und dann noch ein Staudamm in der Nähe von Europas größtem Gletscher, dem Vatnajökull, ein Wasserkraftwerk, das eine riesige Aluminiumhütte versorgen soll, die im Osten des Landes bei Reyðarfjörður geplant ist ... Umweltschützer protestierten wie so oft vergeblich, denn am Vatnajökull liegt eines der letzten Wildnisgebiete Europas mit seltenen Vögel- und Pflanzenarten: Das isländische Parlament ignorierte die Einwände und im März 2003 wurden die Verträge unterschrieben. Danach soll Alcoa, der größte Aluminiumhersteller der Welt, Island ab 2007 zum größten Aluminium-Exporteur Europas machen und dessen Abhängigkeit vom Fisch reduzieren."...
Wir sind froh, diese Stelle jetzt noch einmal gesehen zu haben, denn der Frieden wird hier ab 2005 sicherlich ein Ende haben ...
Das Stichwort "Frieden" passt wie kein anderes zu "Krieg": Und mit dem wollen wir uns nach diesem Besuch nun befassen. Nicht mit dem gegen die Umwelt, aber dem zweiten "Großen": Das nahe "War Museum" lädt ein - wieder ein Thema für einen Schwerpunkt: Hinterlassenschaften (2) - Island und der Zweite Weltkrieg ...
Nach so viel wenig Erfreulichem zum thematischen Auftakt unserer Islandreise, sei es in der Vergangenheit oder der nahen Zukunft, wollen wir uns angenehmeren Dingen zuwenden: Nun wollen wir Islands Naturschönheiten in vollen Zügen genießen, die Piste F936 soll uns zu unserem guten alten "Öxi" führen, den wir unbedingt wiedersehen wollen nach all den Jahren und von dem wir gespannt sind, wie er heutzutage wohl aussehen mag.
Die Einfahrt auf die Piste dicht bei Reyðarfjörður ist schnell gefunden - wir erwarten eine problemlose Befahrung aufgrund der Darstellung in der Karte. Die Piste scheint dabei nur wenige Höhenlinien zu kreuzen und sich durch verschiedene Täler zu schlängeln, um dann weiter östlich auf die Ringstraße 1 zu treffen, die um ganz Island herum führt. Etwas weiter im Süden würde dann schließlich der Öxi wieder die nächste Abkürzung Richtung Süden sein, wo wir zunächst hin wollen.
Als wir am 4x4-Schild vorbei fahren, sind wir guten Mutes: Es soll ein schöner Auftakt werden für den ersten Tag!
Die Piste verschlechtert sich bald doch deutlich, auch die Höhenlinien scheinen die Karte nicht gelesen zu haben: Es gibt erhebliche Steilpassagen, an einer Stelle kommt es trotz "4L"-Untersetzung kurz zu durchdrehenden Rädern beim Pickup - ein banger Gedanke gilt der Kabine hinten und den 3 Schrauben, die sie nach all den Jahren immer problemlos auf der Ladefläche gehalten haben ...
Was besonders nervt während der nicht enden wollenden Schleichfahrt, die immer höher und höher führt: Es ist derart heiß geworden, dass der Fahrer nur noch mit T-Shirt und offenem Seitenfenster fahren kann - geblendet von der Sonne, die unbarmherzig seitlich hinein brennt. Verkappter Sahara-Fahrer hin oder her - diesmal ist es wieder wie immer: Fluchend wird der Dauer-Glutsonne gedacht, die uns auf allen möglichen Touren der letzten Zeit begleitet hatte - sollte das jetzt etwa auch in Island so weiter gehen??
An einer Geröllstrecke mit gut 40° Steigung (45° = 100%!) dann der Fahrfehler: Weil hinter der Kuppe, nach der es genau so steil wieder bergab geht, die Piste unter der Motorhaube nicht mehr sichtbar ist, bremst der Fahrer unwillkürlich. Es folgt zwar kein Hindernis und auch nicht gerade eine extreme Kurve, aber ein Wiederanfahren ist hier dennoch unmöglich: Trotz 4L-Untersetzung keine Chance! Wieder fluchend und geblendet von der Sonne wird die gesamte Strecke rückwärts zurück gerollt, um es dann bei einem zweiten Versuch mit Anlauf endlich zu schaffen ...
Wir kommen an einem "Pass" an: Ein Steinhaufen markiert die höchste Stelle der F936. Ein Blick auf das GPS zeigt an, dass wir von den wenigen Kilometern Luftlinie, die diese Piste eigentlich nur bietet, lediglich eine geringe Strecke zurückgelegt haben - nun geht´s also noch eine ganze Weile so weiter, allerdings nun weitgehend in der Ebene oder zum Teil recht steil bergab. An einer Gefällstrecke ist nochmals Luftanhalten angesagt: Am Ende des beeindruckenden Gefälles geht es vor einem Abhang in einer recht engen Kurve nach rechts - gerade noch ausreichend bei einem Wendekreis von 13 Metern, um am Hang nicht zurücksetzen zu müssen - ein flaues Gefühl beschleicht einen doch ganz unwillkürlich bei dem Gedanken, wie es wohl ausgehen würde, wenn man hier trotz Untersetzung mit dem Fahrzeug auf dem Gerölluntergrund ins Rutschen geriete ...
Irgendwann haben wir die F936 passiert, in der Entfernung vor uns wird die Ringstraße 1 sichtbar, Zeit für eine Bestandsaufnahme des Kabineninneren. Und dort sieht es entsprechend aus: Aufgrund der erheblichen Steigung haben sich einige Dinge in Bewegung gesetzt: Die Schlafsäcke sind mit Isomatten vom arretierten Bett nach hinten zum Eingang gerutscht und auch der Inhalt.
Ein Schreck durchfährt uns, als uns schlagartig einfällt, dass wir den 5-Liter-Weinschlauch ganz und gar vergessen haben, der sorgsam in den Schlafsäcken versteckt war: Wieder einmal hatte der Alkoholvorrat nicht ganz den Einreisebestimmungen entsprochen und wo hätte man ihn sonst besser unterbringen sollen?
So lag also der sehr stabile Weinschlauch mit schönstem "Côtes du Rhône" vor unseren Füßen: Zum Glück unbeschädigt! Man mag nicht zu Ende denken, wie es wohl in der Kabine ausgesehen hätte, wenn sich der hervorragende Rotwein dort gleichmäßig verteilt hätte - hätte es auf lange Zeit etwa den Weinkeller verleidet ..?
Wir fahren auf die Ringstraße 1 und steuern nach Süden: Nach nur wenigen Kilometern erreichen wir den uns bereits bekannten nördlichen Abzweig der 939, des so genannten "Öxi" (N64.901884 W014.635431°). Dass wir nach der F936 nun gerade sehr unglücklich sind, als wir feststellen, wie der Öxi nun aussieht, kann man nicht unbedingt sagen: Die 939, die früher streckenweise der F936 sehr ähnlich war, präsentiert sich heute auf einer Strecke von ca. 19 km als aufgeschütteter Damm mit z.T. immer noch recht ansehnlichen Steigungen, der aber bei diesem Wetter auch von normalen Pkw bequem gefahren werden kann - eigentlich verständlich, dass man diese wichtige Abkürzung der Ringstraße 1 inzwischen derart umgestaltet hat.
Immer wieder sehen wir rechts neben der Straße den alten Verlauf der 939 - Erinnerungen werden wach. Als unmöglich erweist es sich jedoch an verschiedenen interessanten Stellen, den neuen Damm zu verlassen: Zu hoch aufgeschüttet ist er, um herunter zu fahren - Absicht der Erbauer?
Doch dann erreichen wir eine Stelle, wo es möglich erscheint: Wir verlassen das Fahrzeug, nachdem wir von der neuen Strecke herunter sind und erkunden die Umgebung zu Fuß. Es erscheint wie ein Wunder: Es ist nahezu genau dieselbe Stelle, wo wir vor 6 Jahren gehalten haben und ausgestiegen sind, weil uns die Landschaft an dieser Stelle besonders gut gefiel und wir nach Calciten gesucht haben.
Wir markieren einige wichtige Positionen: Man muss zunächst durch einen kleinen Wasserlauf, dann einen Wiesenhang hinauf, dort entlang, dann durch einige Steinbarrieren und dann ist es geschafft: Man hat die alte Piste erreicht.
Mit Hilfe der Markierungen ist es kein Problem: Mit 4L-Untersetzung geht es im Schritttempo durch den Parcours und bereits kurz danach stehen wir an "unserem" wilden Camp (N64.811745° W014.640870°): Genau auf dem alten Öxi und in deutlicher Entfernung vom neuen Streckenverlauf, von dem aus man diese Stelle nicht einsehen kann ...
Es wird ein wunderbarer Abend: Der erste in Island, genau an unserer Wunschposition, an einer Stelle des alten Öxis, wo wir auch vor Jahren bereits Halt gemacht haben. Und heute können wir - im Gegensatz zu damals - an dieser Stelle mitten am Weg sogar unser Camp aufschlagen - was will man mehr?
Im Bach direkt neben dem Fahrzeug kühlen wir unser Bier, das wir heute Abend als Ankunftsbier trinken - wir haben noch 8°C in einer Höhe von mehr als 450 m, als uns ein ganzer Schwarm von Wildgänsen in geringer Höhe vor der malerischen Kulisse der nahe gelegenen Bergkette im prächtigen Abendrot mehrfach überfliegt - mein Gott, Island - womit haben wir das verdient ..?
© 2004 Text/Bilder J. de Haas