Island 2003:
Schwerpunkt: Hinterlassenschaften - Island und der Zweite Weltkrieg ...
Auch in Island und rund um Island stößt man auf sie: Die Hinterlassenschaften aus dem Zweiten Weltkrieg.
Während Island selbst eher amerikanische und britische Spuren aufweist, sind Überreste deutscher Aktivitäten aus dieser Zeit ausnahmsweise einmal nicht vertreten. Dennoch aber war Island durchaus interessant für die deutsche Seekriegsführung: Die strategisch wichtige Stellung zwischen Großbritannien und Grönland legte eine Besetzung Islands nahe, zumal auch die so genannte Dänemarkstraße, also das Seegebiet zwischen Island und Grönland, wesentlich leichter zu sichern gewesen wäre. Im Jahr 1940 wurden mit dem "Unternehmen Ikarus" konkrete Pläne einer Besetzung Islands geschmiedet, die man jedoch später wieder fallen ließ, da dieses Unternehmen logistisch nicht zu bewältigen gewesen wäre.
So beschränkten sich die deutschen Aktivitäten letztlich auf viele Überflüge isländischen Gebiets, die Bombardierung eines isländischen Fischerbootes im Juli 1940 sowie insbesondere etliche "Schiffstouren" in isländischen Gewässern: Eines dieser Schiffe war die Scharnhorst ...
Deutsche in isländischen Gewässern
Eine recht pathetische Schilderung der Geschehnisse an Bord des Schlachtschiffs Scharnhorst bei einer Fahrt in isländischen Gewässer im November 1939 findet sich in dem gleichnamigen Buch, aus dem wir im folgenden zitieren. Die Scharnhorst wurde Jahre später, an Weihnachten 1943, im Eismeer versenkt und erst im Jahr 2000 wieder entdeckt.
Was zu jener Zeit noch dem "Wachsen der Seebeine" dienlich zu sein schien, nämlich das Fahren in schwerer See, kann man heutzutage wesentlich ziviler und unpathetischer und in deutlich abgemilderter Form vielleicht auch an Bord einer Fähre wie der Norröna erahnen, die allerdings hier im November nicht mehr kreuzt ...
Aus: "Schlachtschiff Scharnhorst" v. Heinrich Bredemeier, Herford 1962, Kapitel "Vorstoß in die Island-Enge":
"In der Nacht zum 22. Nov. passierten wir den Westeingang des Skagerraks. Nun wurden die Zerstörer entlassen und der Verband ging mit 27 sm auf nordwestlichen Kurs. Die Nacht war dunkel, aber klar. Das Passieren der Shetland-Bergen- Enge, der gefährlichsten Stelle des ganzen Marsches, mußte mit besonderer Vorsicht geschehen. ...
Von Nordwesten her setzte allmählich eine immer höher werdende Dünung ein und versetzte das Schiff in ständig stärkeres Rollen. Die ersten grünlich-weißen Gesichter von Seekranken tauchten an Oberdeck auf, die ersten Brecher rollten über die Back und die Seitendecks. Nun lernten unsere jungen Seeleute auch die Vorzüge der Leeseite eines Schiffes persönlich kennen. Das war nun doch ein anderes Straßenpflaster als in der Ostsee! - Für das Wachsen der Seebeine unserer jüngsten Männer war dieses Wetter wie geschaffen.
In der folgenden Nacht zum 23. Nov. stand der Verband schon weit nördlich der Färöer. Nach mehrstündigem Westkurs drehte er um 7.00 Uhr wieder auf Nordwest. ...
Wider Erwarten, aber wie bestellt, verschlechterte sich die Wetterlage urplötzlich. Unser Bordmeteorologe, Herr Schnebel, hatte uns schon am Tage zuvor in der Messe auf dieses Ereignis vorbereitet. ... Und dann kam es doch: das schlechte Wetter. Die Prognosen unseres Bordmeteorologen wurden späterhin nie mehr bezweifelt, selbst wenn sie noch so unwahrscheinlich klangen. Unter ständigem Auffrischen drehte der Wind auf Süd. Er heulte durch die Takelage und schob schon in wenigen Stunden mächtige Seen vor sich her.
Da unser Kurs gegenan führte und wir der Lage entsprechend auch eine möglichst hohe Geschwindigkeit laufen mußten, glich unsere Sturmfahrt am 26. November parallel zur norwegischen Küste mehr einer Unterwasserfahrt. Pausenlos krachte das Vorschiff in die von vorn anrollenden Wellenberge und schoben sich die grünen Seen über das Vorschiff. Über die Seitendecks bis achteraus zur Schanze jagten die Sturzseen und donnerten die Brecher. Pfeifend zog der Sturm mit den Gischtwolken ab.
Wie Hammerschläge knallten die Spritzer gegen die Aufbauten. Niemand hätte es wagen können, das Oberdeck zu betreten. Selbst der Aufenthalt auf der Brücke war lebensgefährlich. Immer wieder rauschten die Seen über die vorderen Türme und die Brückenschanzung wie über Treppenstufen bis hinauf auf die Brücke.
Schon zu Beginn dieser Sturmfahrt fand sich die Schiffsführung da oben plötzlich bis zur Brust im Wasser stehend vor, so daß sie spontan in den vorderen Kommandostand überwechselte und anschließend das Schiff nur noch von dort aus fuhr. Da später jeder Verkehr dorthin über die Brücke unmöglich war, mußte der Umweg über die unter Panzerdeck liegende Kommandozentrale und durch den von dort nach oben führenden Schacht genommen werden.
Die Elektrik der vorderen Türme Anton und Bruno war schon mittags restlos ausgefallen. Diesen schweren Brechern, die ständig gegen die Stirnwände und die Schartendichtungen krachten, und den Wassermassen, die anschließend die Türme bis über die Pfeilfernrohre überfluteten, war einfach keine Gummidichtung gewachsen. Die beiden vorderen 15-cm-Türme und die vier 15-cm-Geschütze in Einzellafetten waren gleichfalls durch Seewasserschäden ausgefallen.
Diese Schäden konnten später behoben werden. Man mußte sie zunächst als unabwendbar in Kauf nehmen. Wichtiger war es, daß der Verband unter Ausnutzung der Wetterlage und seiner Geschwindigkeit den Durchbruch durch die Enge erzielte. Es war auch wohl ziemlich zweifelhaft, ob leichtere Bewachungsfahrzeuge - und mit solchen war ja wohl vorwiegend zu rechnen - bei diesem tobenden Orkan zu einer Gefechtshandlung überhaupt fähig waren. Der Durchbruch gelang aber, ohne daß es zu einer Feindberührung kam. Das Zerstörergeleit erwartete uns in der Nacht zum 27. Nov. wieder am Westausgang des Skagerraks und begleitete uns nun weiter nach Süden zur Jade, wo wir am 28. Nov. um 11.00 Uhr auf Wilhelmshaven-Reede zu Anker gingen."
Briten und Amerikaner auf der Insel
Ein kleiner Treppenwitz am Rande der Geschichte: Kaum dass im April 1940 Dänemark von deutschen Truppen besetzt worden war, erklärte Island seine Unabhängigkeit von Dänemark - die Gelegenheit war offensichtlich günstig.
Bereits einen Monat danach wurde die Insel von britischen Truppen besetzt, die jedoch ein Jahr später von den Amerikanern abgelöst wurden.
Die Alliierten überschätzten offenbar die deutsche Marine erheblich, die trotz des geplanten Unternehmens "Ikarus" (siehe oben) kaum in der Lage gewesen wären, Island zu besetzen und danach auch zu verteidigen. Aber auch ohne eine derartige Besetzung war Island eine wichtige Bastion der Verteidigung gegen Deutschlands U-Boot-Waffe.
Isländische Stellen befürchteten allerdings, nur ungenügend verteidigt zu werden. Im Juli 1940 erwartete man einen deutschen Angriff in Anbetracht der in Norwegen zusammen gezogenen deutschen Divisionen und der schwachen britischen Verteidigung, in diesem Monat hatte auch ein deutscher Bomber ein isländisches Fischerboot versenkt (siehe oben).
Im Juni 1941 schließlich ordnete der US-Präsident Roosevelt an, einen Teil der Pazifikflotte in den Atlantik zu überführen und gab den Befehl, mit der Operation "Indigo" zu beginnen, den Vorbereitungen zur Besetzung Islands.
Von der Basis in Hvalfjordur aus übernahmen die Amerikaner auch den zwischen Island und Grönland gelegenen Abschnitt der Blockadekette der Dänemarkstraße von den Briten, durch den die schweren deutschen Schiffe bisher in den Atlantik vorgestoßen waren.
Im Juli 1941 schließlich liefen Schiffe mit Einheiten der US-Army in Reykjavik ein. Deren Anwesenheit auf der Insel blieb nicht ohne Probleme: Ein Jahr nach der Stationierung wurde eine zwanzig Punkte umfassende Liste mit Beschwerden über die Amerikaner zusammengetragen. Das Verhalten der amerikanischen Soldaten in der Öffentlichkeit wurde von den Isländern als störend und unmoralisch empfunden, die Zerstörung öffentlichen Eigentums wurde beklagt und die mangelnde Bereitschaft von Militärstellen, zivile isländische Behörden zu respektieren.
Der Zweite Weltkrieg hatte für Island erhebliche Folgen: Während der Jahre 1940-1945 war eine Zahl von Streitkräften im Lande, die zeitweise die Anzahl der gesamten isländischen männlichen Bevölkerung erreichte. So waren etwa im Sommer 1943 rund 39.000 Mann hier stationiert. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft und Kultur des Landes, auf die Einstellung der Bevölkerung und das politische Leben waren erheblich. War Island vor dem Krieg noch ein armes Land, das ständig befasst war mit dem Kampf um Absatzmärkte für seinen Fisch, brachte der Krieg selbst plötzlich erheblichen Wohlstand, vor allem verursacht durch alliierten Bedarf an Arbeitskräften.
Erst 1947 wurden die amerikanischen Truppen wieder abgezogen, lediglich die Besatzung des Militärflughafens von Keflavik blieb auf der Insel ...
Wir sind zurück auf dem Weg von der Alcoa-Baustelle (N65.036981° W014.101971°), als wir auf der rechten Seite der Straße nach Reyðarfjörður kurz auf eine Anhöhe fahren, von wo aus man einen wunderbaren Blick auf die Bucht hat (Bild oben, Karte/2).
Eine Tafel weist darauf hin, was man hier vor sich hat: Die Überreste einer alliierten Unterkunft, übrig ist davon im Wesentlichen nur noch die alte Feuerstelle.
Die Unterkunft wurde von Isländern gebaut, die für die Alliierten arbeiteten, für die Offiziere, die in dieser Baracke untergebracht waren. Man sieht noch die Reste des Fundaments, das aus Gasolin-Behältern hergestellt wurde, die mit Beton gefüllt waren und aus denen die Armierungseisen herausgeführt wurden.
Darauf wurde dann die Baracke aufgebaut: Derartige Offiziersunterkünfte waren in der Regel komfortabler und besser isoliert als die der Mannschaftsdienstgrade ...
Von hier aus ist es nur noch ein kurzer Weg zum "Wartime Museum" von Reyðarfjörður (N65.038306° W014.208766°), das seit 1995 hier besteht: Während der Öffnungszeiten sitzt hier ein einsamer Mann, der den Besucher nicht stört, wenn er sich umschaut in den Räumlichkeiten voller Modelle und Tafeln sowie Rekonstruktionen. Nicht gerade billig der Eintritt, aber wann kommt man schon mal in ein "Wartime Museum", dazu noch eines in Island?
Das Wartime Museum ist auch Standort des Hospital Camps: Ursprünglich rund 35 Wellblechbauten, von denen heute noch 3 für das Museum erhalten sind und die 1943 von Isländern im Auftrag der US Army errichtet wurden, verbunden durch eine Vielzahl von Tunneln. Kein Isländer glaubte zu dieser Zeit an Angriffe durch Deutschland, weshalb der Sinn dieses Bauvorhabens für die meisten hier im Dunkeln lag. Man reimte sich schließlich zusammen, dass es sich hier in Wirklichkeit um ein Hospital handelte, das für den Fall eines Angriffs in Norwegen gebaut wurde.
Ist das nun tatsächlich eine weniger absurde Geschichte als etwa die der Hinterlassenschaften vom dänischen Hanstholm oder vom norwegischen Gamvik ..?
Britische Hinterlassenschaften: Minen an Islands Südküsten
Immer wieder werden Seeminen des Zweiten Weltkriegs an Islands Südküste angespült, wie die Berichte der Küstenwache zeigen.
Wie wir oben schon dargestellt haben, fürchteten die Alliierten Anfang der 40er Jahre eine deutsche Invasion Islands. Vorsorglich wurden deshalb von der Royal Navy in den Fjorden und dem Seegebiet vor Island große Mengen von Seeminen ausgelegt, um mögliche Bewegungen der deutschen Schiffe zu stören.
Die Aktionen erwiesen sich jedoch als weitgehend erfolglos, da selbst deutsche U-Boote relativ ungestört ihrerseits Minen legen konnten, um alliierte Konvois damit zu treffen.
Heute also trifft man noch recht häufig auf diese "Hinterlassenschaften", so dass selbst Durchreisende wie wir auf derartige Relikte stoßen können: Auf dem Weg nach Höfn fahren wir ab von der Ringstraße 1, um an einem landschaftlich sehr schön gelegenen Küstenabschnitt eine Pause einzulegen (N64.491302° W014.476343°, Karte/4).
Bereits nach kurzer Zeit finden wir eine im Sand eingegrabene, bereits detonierte Mine, die vermutlich zur britischen MARK X-Familie von Kontaktminen gehört (Die MARK XVII war beispielsweise die britische Standardmine des Zweiten Weltkriegs).
Wir graben sie weitgehend aus und nehmen ein Teil aus dem Inneren mit, an dem noch Drähte befestigt sind: Wir sind heute bereits gespannt auf die ersten Diskussionen mit Experten, die die Mine näher bestimmen können ..!
© 2004 J. de Haas; Textauszüge, Bild "Scharnhorst"
sowie Karte oben aus
Heinrich Bredemeier, "Schlachtschiff
Scharnhorst", Herford 1962
Nachtrag, November ´06: Island sucht neuen militärischen Schutz
Unter dieser Überschrift konnte man Jahre später in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 30.11.06 folgendes lesen:
"Nach dem Abzug aller US-Einheiten aus Island will die Regierung in Reykjavik über militärischen Schutz durch die NATO-Länder Norwegen und Dänemark verhandeln. ... Island verfügt über keine eigene Armee. Die US-Regierung hatte im September wegen der nach Ende des Kalten Krieges stark gesunkenen strategischen Bedeutung Islands seine Einheiten vom Militärstützpunkt Keflavik komplett abgezogen."
So ändern sich die Zeiten!
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