Aufbruch angesagt: In Richtung Irland!
Der Empfang an Bord der Oscar Wilde ist freundlich: Musikanten empfangen die Passagiere nach dem Verlassen des Autodecks und auch sonst scheint es sich um ein recht angenehmes Schiff zu handeln. Nachdem wir unsere Kabine wieder verlassen haben, um beim Auslaufen das übliche "sail away"-Bier zu nehmen, müssen wir allerdings feststellen, dass es wieder mal keine Decksbar gibt, die uns den Abschied erleichtert: Stattdessen sorgt ein musikalischer Alleinunterhalter auf dem Restaurantdeck für Unterhaltung - insbesondere aber für die zahlreichen Kids, die heute an Bord sind und und damit bereits deutlich auf unser äußerst kinderfreundliches Reiseziel vorbereiten ...
Der Aufenthalt im Schiffsinnern und auf dem Restaurantdeck gibt uns die Möglichkeit, schon einmal für den Abend vorzusorgen. Da entgegen üblichen Gewohnheiten die Uhr noch nicht auf die Bordzeit GMT/UTC umgestellt wurde, wird die eine Stunde Differenz erst bei den Restaurant-Öffnungszeiten bemerkt: Das nicht besonders einladend wirkende Buffet-Restaurant soll es nicht undingt werden und so entscheiden wir uns für einen Tisch im Steakhouse, wo auch noch eine ordentliche Flasche Wein den Übergang auf die nächsten Tage begleiten kann - von nun an werden wir uns wohl schließlich überwiegend mit Bier befassen ...
Wir legen ab in Frankreich und nehmen Kurs Richtung Südengland, das wir gern und großzügig zu umrunden gedenken, um kurz vor Mittag des Folgetags am 16. August in Rosslare anzukommen.
Ein kurzer Schiffsrundgang muss jedoch vor dem Abendessen noch sein: Sehr beeindruckend an Bord natürlich nicht nur die Alkoholvorräte im Shop, sondern vor allem auch das Angebot zur lokalen Weiterbildung. Die Schlagzeilen der an Bord angebotenen Zeitschriften enthüllen offensichtliche Abgründe, die man derart konzentriert kaum erwarten würde: Titel wie "MY HORROR AT COOKE´S SCHOOLGIRL LOVER (14)", "DRUGGED & RAPED BY MY DAD", "WHY SHOULDN´T I WEAR A BIKINI" oder "STRANGER RAPING ME" lassen denjenigen regelrecht erschaudern, der heute Abend noch an ein friedliches und harmloses Reiseziel Irland geglaubt hätte ...
Das Steakhouse erweist sich später tatsächlich als lohnenswertes Ziel und auch die Stunden danach lassen für die nächsten Tage nur Gutes erwarten - wenn da nur nicht ab und zu ungute Erinnerungen an bereits Jahrzehnte zurückliegende Linksfahrerlebnisse auf der britischen Insel wären ...
Was wir vorhaben, steht allerdings laut Roadbook bereits weitgehend fest: Eine Rundfahrt auf der Insel, die uns aufgrund der nur begrenzten Zeit, die wir zur Verfügung haben, durch das "Kernland" der Republik führen soll, bis wir uns in einigen Tagen wieder von Rosslare aus auf den Rückweg machen. Wie uns die alte Karte zeigt, die wir bereits seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts (!) besitzen, führt uns die Route aber wieder mal durch wirklich fantastische Gegenden, die auch heute noch wohl unverändert ihre Magie ausüben werden ...
Das Frühstück am nächsten Morgen wird ein letztes Mal schlicht: Noch ist nicht wieder wirklich klar geworden an diesem Tag der irischen Annäherung, was "Five of Full" wirklich bedeutet - aber man(n) kann beruhigt sein: Es wird in den nächsten Tagen wieder umso klarer und häufiger die Regel werden!
Der Mittag naht und die Oscar Wilde erreicht Rosslare: Von einer angeblichen "Speedy Exit" Option für eine bestimmte Anzahl von Fahrzeugen bei zusätzlicher Zahlung von 10 EUR, vorheriger Buchung und vorzeitigem Einchecken erfahren wir erst später und bemerken auch nichts davon: Bei maximaler Fahrzeughöhe von 2,30 m für diesen Service wäre wohl kaum noch viel Luft nach oben gewesen ...
Doch auch das "normale" Ausschiffen verläuft problemlos: Bereits nach kurzer Zeit rollen wir von Bord, warten an der Hafenausfahrt auf die Akklimatisierung unseres Navis und fahren schon bald eine ansteigende kurvige Strecke hinauf aus dem Hafengelände: Von nun an heißt es ganz konzentriert "Keep left" und besser nicht daran denken, dass man nach jahrzehntelanger Fahrpraxis zunehmend durch ganz tief sitzende Reflexe gesteuert wird ...
Sowohl Navi als auch Fahrer gewöhnen sich jedoch erstaunlich schnell wieder an die "neue" Umgebung, die man bereits so oft in der Vergangenheit bereist hat und wir freuen uns auf das erste Ziel der heutigen Etappe. Schon bald kommt allerdings unsere Autoschlange, die sich nach Verlassen der Fähre gebildet hat, zu einem ersten Halt: Eine schöne neue und recht umfangreiche Straßenbaustelle erwartet uns, die von Bauarbeitern mit STOP- und GO-Schildern über Funk organisiert wird ...
Wir sind natürlich das erste Fahrzeug für eine ganz neue STOP-Phase und erhalten so die Gelegenheit, den uns "betreuenden" Bauarbeiter längere Zeit näher zu besichtigen: Da ihm das ewig lang währende STOP direkt hinter dem 100 km/h-Schild wohl irgendwann peinlich zu werden beginnt, verschwindet er nahezu unsichtbar in der Hocke hinter seinen Schildern, aus der er erst wieder auftaucht, als nach einer gefühlten halben Stunde das "GO" mit grünem Schild kommt. Anerkennend kann man dem Mann da nur den Daumen entgegen recken und sich wieder auf den Weg machen: Welcome to Ireland!
Das heutige Ziel, das wir bei unserer ersten Tagesetappe in Irland ansteuern wollen, ist ein wirklich großartiges Monument der irischen Geschichte, dem Fahrer noch bestens bekannt seit dem ersten Besuch dort im Jahr 1977: Rock of Cashel - geschichtlich bedeutende Festung, Königssitz, Bischofssitz und Kathedrale bei der gleichnamigen Stadt in der Grafschaft Tipperary.
O´Brians Cashel Lodge and Camping Park direkt neben dem gewaltigen Bauwerk soll unser Standort für zwei Nächte werden, denn der erste Tag nach der Ankunft auf der Insel wird selbstverständlich auch schon der erste Ruhetag. Doch bis dahin sind noch rund 150 km von Rosslare aus zurückzulegen ...
Schon bald sind wir recht zügig auf den N-Schnellstraßen Richtung Westen unterwegs, wo eines deutlich wird: Hier handelt es noch nicht um die "neuen" Autobahnen der Insel, auf denen 120 km/h zulässig ist, sondern eben "nur" um Schnellstraßen mit offiziellen 100 km/h, auf die wir in Irland an allen Ecken treffen werden. Die vor Jahrzehnten noch bedächtig fahrenden Iren sind in der Zwischenzeit auch Schnellfahrer geworden, die möglichst auch auf der Schnellstraße eigentlich gern Autobahn hätten. In der Konsequenz nutzen wir sehr häufig den vorhandenen Seitenstreifen der Schnellstraße, um Überholern auch bei Gegenverkehr die Möglichkeit zu bieten, an uns vorbei zu ziehen - zumeist deutlich über der zulässigen "Höchstgeschwindigkeit".
Dies erweist sich zwar als Entgegenkommen, das offensichtlich auch positiv registriert wird, ist aber auch nicht ganz ungefährlich: Bei rund 100 km/h muss dieser Seitenstreifen schon auf ganzer Strecke beobachtet werden, um Hindernisse darauf frühzeitig zu erkennen: Ein fast stehender Traktor oder ein fehlendes Asphaltstück könnte sich andernfalls als übles Hindernis für den rücksichtsvollen "Platzmacher" erweisen, das dessen Vorankommen nachhaltig und langfristig stoppen kann ...
© 2017 J. de Haas