Auf den Spuren Riquets: Zur "L´Océan" und zum Kanalzufluss Naurouze
Am Montag, den 19.09.16, geht es nach einem echt französischen "Continental"-Frühstück los: Wichtige Utensilien für unsere heutige Erkundungstour zu Fuß sind die beiden Kanalführer "Canal du Midi" der Éditions Du Breil und die "fluviacarte" Canal du Midi der Éditions De L´Écluse, die uns bereits bei unserer Bootstour gute Dienste erwiesen hatten.
Unser Ausschnitt aus der "fluviacarte" für den heutigen Trip zeigt (im grünen Bereich ) bereits eines: Es wird ein längerer Fußmarsch! Unser Hotel liegt etwa in der Gegend der Kilometermarke PK50 des Kanals auf dessen südlicher Seite. Von hier aus heißt es erst einmal mehr als einen halben Kilometer zurück zu gehen, um über die Kanalbrücke nach Avignonet, die wir bereits gestern passiert haben, wieder auf die nördliche Seite des Kanals zu wechseln. Nur hier gibt es nämlich den durchgehenden alten Treidelpfad, dem wir nun zunächst bis zur Schleuse L´Océan folgen wollen.
Dieser erste Abschnitt und der Besuch des Obelisken wird somit einen rund 4 km langen Fußweg bedeuten. Von da an wollen wir uns gemütlich und mit "gastronomischen" Unterbrechungen bis zur Schleuse La Mediterranée durchschlagen und später irgendwie wieder zurück fahren. Wir ahnen zu diesem Zeitpunkt zum Glück noch nicht, dass unsere "Expedition" letztlich in einem weit mehr als 20 km langen Gewaltmarsch enden wird - und zwar ganz ohne "gastronomische" Unterbrechungen ...
Der Weg erweist sich als sehr angenehm und auch idyllisch: Viel Natur und wunderbare Aussicht am Rande eines der "schönsten Wasserwege der Welt". Bereits kurz nach dem Start fällt auf der linken Seite der malerische Ort Montferrand auf, nach dem die Schleuse, zu der wir jetzt gehen, ursprünglich einmal benannt war. Es fällt auch heute auf, welchen Umfang der drohende "Platanenkrebs" am Kanal hat, jeder der Bäume trägt zur besseren Kartografierung eine unübersehbare Registriernummer.
Gut zwei Kilometer folgen wir dem Treidelpfad, vorbei an diversen touristischen Ausflugsbooten, die wohl wegen der Nachsaison bereits nicht mehr in Betrieb sind, aber dem einsamen Kanalufer eine ganz spezielle Atmosphäre verleihen. Nur ab und zu überholen uns vereinzelte Radfahrer, von Touristenbooten sehen wir kein einziges auf diesem Kanalabschnitt.
Die Schleuse L´Océan naht: Die bestens vertraute rote Ampel zeigt uns bereits von Weitem, dass wir als Bootsfahrer nun wieder einmal anlegen und festmachen müssten - und ein Besatzungsmitglied hätte dann hier zu tun, was uns während des ganzen eigenen Bootstrips auf der ersten Kanalhälfte nicht hätte passieren können: Die "Selbstbedienung" an einer sogenannten "Automatikschleuse".
Solche gibt es ab Toulouse bis ungefähr zu unserem aktuellen Kanalabschnitt, auf die Angaben in beiden Führern kann man sich in diesem Bereich allerdings nicht mehr unbedingt verlassen: Offensichtlich erfolgten mittlerweile noch nicht eingetragene Umrüstungen bei etlichen der dort als "mechanisch" bezeichneten Schleusen, die von Schleusenwärtern bedient würden. Sowohl die L´Océan als auch die Mediterranée wird in den Kanalführern als "mechanisch" bezeichnet, obwohl hier eindeutig bereits Bedienungssäulen für den Automatikbetrieb vorhanden sind.
Einer der Kanalführer weist daraufhin, dass bei Automatikschleusen, die man selbst per Knopfdruck öffnen und schließen muss, mindestens eine Besatzung von zwei Personen erforderlich ist - eine Größenordnung, die uns nach den Erfahrungen des Vorjahres schmunzeln lässt. Nachdem man das Boot also vor der Schleuse angelegt hat, muss ein Besatzungsmitglied aussteigen, um die Leinen entgegenzunehmen und auch die Schleuse zu bedienen.
Wir erreichen das vertraut wirkende Schleusenbecken: Es ist gerade gefüllt für Boote, die aus Richtung der Mediterranée kommen und hat die typische ovale Form. Diese soll Riquet angeblich gewählt haben, um einen gleichmäßigeren Wasserabfluss in den Kanal und einen besseren Druckausgleich zum umgebenden Gelände zu gewährleisten. Kehrseite dieser Konstruktion sind für die Bootsfahrer eine vermehrte Wirbelbildung bei der Kammerfüllung und vor allem wesentlich ungünstigere Bedingungen für ein problemloses Ablegen und Verlassen der Kammer. Vor allem Letzteres kann man feststellen etwa im Vergleich zu einfacheren Schleusungen in Irland auf dem Shannon.
Nach wie vor ist weit und breit kein Touristenboot zu sehen, lediglich das vereinsamte Boot vermutlich eines Anwohners ist hier festgemacht für die wohl baldige Überwinterung.
Wir stehen also an der Schleuse L´Océan und sind uns der besonderen Lage bewusst: Die Höhe der Schleusung hier ist mit 2,60 m zwar harmlos im Vergleich zu anderen, aber sie ist heutzutage eben die erste in Richtung Atlantik hinter der Wasserscheide und dem Kanalzufluss und somit schon etwas besonderes für uns "Hobby-Kanalforscher". Das übliche Namensschild am Schleusengebäude weist in vertrauter Weise auf die Schleusen-Nachbarn hin: 4.157 m bis zur Emborel als zweite Schleuse Richtung Atlantik und auf der anderen Seite 5.190 m zur Mediterranée, die wir heute auch noch erreichen wollen - auf dem Weg zum Mittelmeer!
Weitere Infos fehlen ebenfalls nicht: Das Becken vor uns ist 30 m lang und 5,60 m breit und für Boote mit einem Gewicht bis zu 180 Tonnen zugelassen. Interessant auch, dass sie ursprünglich Schleuse von Montferrand hieß und bereits die zweite in Richtung Atlantik war. Die ursprünglich erste hieß zu der Zeit bereits L´Océan und wurde im Zuge der Bauarbeiten des Beckens von Naurouze wieder beseitigt. Die Umbenennung der somit nun ersten von Montferrand in L´Océan war deshalb nur konsequent.
Die Schleuse vor uns gehörte zum ersten Bauabschnitt, der den Kanal von Toulouse bis Trèbes umfasste, im Jahr 1667 begann und innerhalb von fünf Jahren fertiggestellt wurde. An der L´Océan befindet sich auch ein Hinweisschild auf den einstigen US-Präsidenten Thomas Jefferson, der im Jahr 1789 noch als amerikanischer Botschafter hier den Kanal besuchte. Dabei wollte er Erkenntnisse für den seinerzeit in den USA geplanten Kanalbau zwischen dem Potomac River und dem Erie See gewinnen. Was natürlich einleuchtet: Kein Wunder, dass sich Jefferson seinerzeit genau "unseren" aktuellen Kanalabschnitt nach rund einem Jahrhundert erfolgreichem Betrieb genauer anschaute!
Wir verlassen nun die L´Océan in Richtung Kanalzufluss, wobei wir uns vom rechts abbiegenden Kanal entfernen und geradeaus zum ehemaligen Speisebecken vorgehen. Da der Treidelweg von dieser Schleuse an weiter auf der anderen Kanalseite verläuft und man nur über die hiesige Brücke dorthin kommt, ist klar, dass wir nach Erkundung des Zuflusses wieder hierher zurückkehren müssen, um auf die andere Seite zu gelangen.
Wir erreichen das ehemalige Sammelbecken von Naurouze und den nun bepflanzten Park: Geradeaus durch die Mitte des achteckigen Geländes, das rund 400 m lang und 300 m breit ist und heute von einem Wassergraben eingefasst wird, führt die prächtige "Allee der Platanen". Die läuft direkt auf ein Pumpenwerk zu, welches heutzutage das einstige Konzept abgelöst hat.
Bevor der Kanalbau im Jahr 1666 durch Erlass des "Sonnenkönigs" Ludwig XIV in Angriff genommen wurde, hatte Riquet durch einen Zulaufkanal den Nachweis erbracht, wie die Wasserversorgung des künftigen Kanals funktionieren würde. Der Zufluss von mehreren Flüsschen aus den Schwarzen Bergen sollte über eine künstliche Rinne bis hierher zum Scheitelpunkt geführt werden. Dabei waren ursprünglich nur zwei Wasserspeicher vorgesehen: zum einen der Stausee von Saint Ferréol in der Nähe des Ortes Revel und zum anderen das damit verbundene Sammelbecken Naurouze am Kanalzufluss. Als großes Problem entpuppte sich später allerdings Schlick, der durch die Versorgungskanäle in das Becken transportiert wurde und schließlich so zu dessen Versandung führte, weshalb in der Folgezeit ein neuer Umgehungskanal ausgehoben werden musste.
Viele der alten Anlagen sind hier und heute teils in Resten noch zu besichtigen, für begeisterte Wasserwirtschaftler muss das gesamte weitläufige Areal wohl ein wahrer Hochgenuss sein!
Wir schauen uns die diversen Erläuterungstafeln zur Kanalversorgung an, die überall im Gelände aushängen: Außer den ursprünglichen Zuflüssen aus den Schwarzen Bergen werden heute auch südlicher gelegene Seen bei der Wasserversorgung angezapft. Dies wird jahreszeitlich unterschiedlich geregelt, um den abweichenden Zufluss im Sommer und Winter auszugleichen.
Eingesetzt werden heute natürlich Pumpen, die neben der Wasserversorgung des Kanals nun auch für die benachbarte Landwirtschaft zuständig sind, was früher nicht der Fall war. Wir sehen deshalb einen zweiteiligen Zufluss: Der eine läuft wie ein Nebenarm direkt in den Kanal, ein Schild mit Hinweis auf die Wasserscheide "Partage des Eaux" / "Parting of the Waters" markiert die Stelle. Ebenfalls hier angebracht ist eine Tafel, die Auskunft gibt zu den Entfernungen der liefernden Reservoirs wie z.B. Lampy (ca. 52 km), Saint Ferréol (ca. 34 km) und andere. Außerdem ehrt eine Gedenktafel Pierre-Paul Riquet und eine spezielle Markierung zeigt die Meereshöhe des "Passes", der Wasserscheide und des Kanalzuflusses an dieser Stelle: Es sind genau 190,61 m ...
Der andere Zufluss erfolgt durch Rohre unterhalb vom Kanal auf dessen andere Seite, von wo aus sowohl die dahinter liegende Landwirtschaft versorgt wird als auch ein weiterer nahezu unbemerkter Zufluss in den Kanal selbst. Lediglich eine sprudelnde Stelle ist hiervon am Kanalrand sichtbar und wie zur Markierung sitzt heute auch ein Angler genau an dieser Stelle, die für sein Vorhaben offensichtlich günstig ist.
Ab hier erscheint der Kanal in einem geradezu unnatürlichen Grünton, der darauf hinweist, dass es sich hier sicherlich um die sauberste Stelle des ganzen Verlaufs handelt - ein Vergnügen dort entlang zu spazieren auf unserem nun folgenden Weg in Richtung Mittelmeer ..!
© 2017 J. de Haas