Deutschland   Spreewald 2022 (1): Im Wasserlabyrinth ...

 Wieder unterwegs in "heimischen" Gefilden


Neue Ziele ...

Wieder zurück in Deutschland erfahre ich, dass mein inzwischen fertiggestelltes Buch über die Reisen mit dem "Mini-Womo", von denen einige auch hier im Explorer Magazin veröffentlicht wurden, offenbar bei Lesern recht gut angekommen ist. Von Lesern kam sogar die Nachfrage, wann mit einem weiteren Buch über die späteren Reisen mit Womo "LERRY" zu rechnen wäre. Nun, begonnen hatte ich dieses Buch bereits. Ich entschließe mich deshalb, vor dem geplanten Besuch eines sehr bekannten Biosphärenreservats bei Berlin die Reise bei einem befreundeten Leserpaar im östlichen Niedersachsen für ein paar Tage zum Schreiben zu unterbrechen ...

So bleibe ich also ein paar Tage in Gifhorn: Im letzten Jahr wollte ich hier den Glockenpalast besuchen, wegen Corona war jedoch der ebenfalls geschlossen. Auch sonst lief es für diesen Palast eigentlich gar nicht gut: Das in den 1980er Jahren aufgrund von Bestrebungen und der Vision des deutschen Museumsgründers und Designers Horst Wrobel entstandene Bauwerk sollte ein "Europäisches Kunsthandwerker-Institut" sein, hauptsächlich für den sakralen Bereich. Schirmherr war seinerzeit der bekannte russische Politiker Michail Gorbatschow. Leider hatte Horst Wrobel von Beginn an wohl einen größeren Anteil an Steuergeldern für den Bau des Palastes erwartet. Die Stadt Gifhorn zeigte jedoch kein Interesse, für die Vision eines Einzelnen und nur für einen so speziellen Bereich erhebliche Steuermittel einzusetzen. Statt der geplanten Bauzeit von zwei Jahren wurden so rund 15 Jahre daraus.

Der Glockenpalast ... ... ähnliches Schicksal wie ein ehemaliges portugiesisches Kloster?

Das Gebäude selbst sieht interessant aus und macht neugierig, doch es gibt kein tragfähiges Konzept, um es zu betreiben. So finde ich den Glockenpalast bei meinem aktuellen Besuch unverändert verschlossen vor. Wie es mit diesem Bauwerk weitergehen soll, ist völlig offen: Es wurden bereits Überlegungen bekannt, die hier Realität gewordene Vision von Horst Wrobel zumindest teilweise wieder abzureißen ...

Das Schicksal des Glockenpalastes erinnert mich deutlich an ein Kloster in Portugal: Im letzten Jahr hatte ich es in der Nähe der Costa de Lavos bei dem kleinen Ort Seica entdeckt. Auch dieses Kloster war aus der Vision eines Einzelnen entstanden und hatte wohl, mal ganz ehrlich, viele Menschen vom wirklichen Leben, der Familie und der Liebe abgehalten ... Über das Abreißen macht man sich in Portugal allerdings keine Gedanken: Das Kloster ist mittlerweile so sehr heruntergekommen, dass es sich inzwischen selbst abreißt ... 

Nun möchte ich also ein etwa 475 qkm großes Biosphärenreservat besuchen, das sich etwa 100 km südlich der Hauptstadt Berlin befindet - den Spreewald: Hier warten 1.575 km Wasserstraßen des Flusses Spree auf mich, die sogenannten Fließe. 

Wegen der Auswirkungen von Corona haben sich auch viele Menschen ein Wohnmobil zugelegt, die sonst eher mit dem Flugzeug auf Urlaubstour waren. Doch ich habe Glück: Im kleinen Ort Lübbenau finde ich einen Platz für LERRY und mich für zwei Nächte. Das heißt aber für mich: Volles Programm. Auf meinem Platz will bereits in zwei Tagen schon wieder jemand mit einem anderen Wohnmobil stehen. Also Einparken und schon muss ich los!

LERRY Stellplatz für zwei Nächte ...

Lübbenau-Impressionen (1) ... Lübbenau-Impressionen (2) ... Lübbenau-Impressionen (3) ... Lübbenau-Impressionen (4) ...

Spreewald, das bedeutet Boot fahren. Ich mache mich zu Fuß auf den Weg durch Lübbenau: Irgendwo werde ich bestimmt einen Anbieter für Boote finden. Dieser Ort entstand vor fast eintausend Jahren durch Besiedlung des Spreewaldgebietes durch drei Völkerstämme. Seit dem 6. Jhdt. gab es hier bereits Siedlungen: Damals war das Gelände der vielen Fließen jedoch noch eher unwegsam. Auch einen Anbau von Gurken gibt es bereits seit dem 8. Jhdt. Später, um das Jahr 1500, kam das Fischen und Jagen hinzu. Vom 18. Jhdt. an folgte schließlich die Imkerei. Und seit 1496 hat Lübbenau auch noch Stadtrechte. Der Ort hat heutzutage eine Fläche von etwa 139 qkm.

Ab etwa 1850 wurde die Stadt zunehmend für den Fremdenverkehr interessant. Das wurde durch den Bau einer Eisenbahnlinie im Jahre 1866 von Berlin nach Görlitz noch gefördert. Die ersten regelmäßigen Gurkenmärkte fanden übrigens bereits seit 1884 statt. Es war die Zeit, in der sich die Stadt Lübbenau schon als "Stadt der Gurken" und "Stadt der Kahnfahrt" einen Namen machte.

Durch den zunehmenden Tourismus gab es um 1930 bereits gut 150.000 Besucher in der Stadt jährlich. Die Millionengrenze von Besuchern wurde erstmalig im Jahre 1975 überschritten. Von hier aus werden die vielen flachen Wasserstraßen des Spreewaldes mit Kähnen befahren. Als Antrieb dient ein vier Meter langer Stock, genannt Rudel, mit der Bootsführer den Kahn über Grund bewegen.

Lübbenau-Kunst (1) ... Lübbenau-Kunst (2) ... Lübbenau-Kunst (3) ...

Wasserstraßen-Idyll ...

Auf diese Weise werden auch die Kähne mit den Besuchern durch das Wasserlabyrinth gedrückt. Waren diese Kähne früher aus Holz, so kommen heute auch solche aus Aluminium zum Einsatz, die nicht verrotten. Ein Holzkahn hatte eine Lebensdauer von etwa 20 bis 25 Jahren. Es gibt nur noch wenige dieser ursprünglichen Boote auf den Wasserwegen des Spreewaldes.

Heute ist Lübbenau eine Stadt besonders für Rad- und Wassersportler. Natürlich gibt es auch beste Voraussetzungen für Wanderungen. Jede Menge sehr schöner Ferienwohnungen warten auf Touristen, die den Ort das ganze Jahr über besuchen können. Die Stadt Lübbenau hat heutzutage etwa 16.700 Einwohner.

Unter den Anbietern der Kahnfahrten gibt es leider auch solche, die erkennbar auf Massenabfertigung setzen. Ihre Kähne sind natürlich aus pflegeleichtem Alu gefertigt und entsprechend groß. Das ist aber nicht mein Ding: Ich suche mir deshalb einen netten Anbieter, der mehr Wert auf seine Besucher legt und solche gibt es auch. Ich erzähle ihm von den Reisen, die ich so unternehme und welche Geschichten daraus entstehen. Er gibt mir gleich einen passenden Platz an der Spitze seines Kahns: Hier habe ich für Fotos beste Voraussetzungen und keine anderen Mitfahrer auf den Bildern ...

Ich hatte kurz überlegt, selbst mit einem Kajak die Kanäle zu erkunden. Mit der Kamera in der Hand erschien das allerdings nicht besonders sinnvoll: Man muss entweder die Kamera halten und bedienen oder aber das Paddel. Schwierig! Fällt eines von beiden ins Wasser, ist das auch nicht allzu hilfreich: Mit dem Verlust des Smartphones wären nicht nur alle Bilder futsch ...

So habe ich mit Hilfe meines Bootsführers eine gute Lösung gefunden. Dann will ich mal los!

Im Wasserlabyrinth: Vorbei an Brücken ... ... und "Bauwerken" ... Auch die Tierwelt fühlt sich wohl ...
Verwunschene Winkel ... Wasserstraßencafé ... Mit dem Holzkahn auf der Hauptstraße ...

Das Wassserlabyrinth des Spreewaldes hat eine Gesamtlänge von 1.575 km. Davon sind 267 km schiffbar. Über die Entstehung gibt es zwei Versionen: Eine Sage hier erzählt davon, dass der Teufel, mal wieder, die Ursache der Entstehung des Wasserlabyrinths der Spree sein soll. Der wollte mit einem Pflug und zwei starken, schwarzen Ochsen das Flussbett der Spree aufbrechen. Doch die beiden Ochsen wollten nicht so, wie der Teufel sich das vorstellte - soll vorkommen!

Sie liefen mal rechts und mal links, nur eben nicht in die Richtung, die der Teufel vorgab. Daraufhin geriet der so sehr in Wut, dass er sein Vorhaben aufgab und wütend verschwand. Die Ochsen aber rannten mit dem Pflug weiter hin und her und erzeugten so eine Unmenge von Gräben, die sich später mit Wasser füllten ...

Während meiner ruhigen Fahrt sehe ich immer wieder rechts und links an den Ufern Tiere ohne Scheu laufen, stehen oder sitzen: Sie sind die ruhig dahin schwimmenden Boote offensichtlich gewöhnt. Die Leute darauf sind hier und heute leise und ruhig - alles bestens!

Unterwegs begegnet mir auch ein Nutria: Das stammt eigentlich nicht aus Europa, sondern aus dem subtropischen Südamerika. Es ist einfach so - ganz ohne Papiere - eingewandert und kann mit der Vermehrung hervorragend umgehen. Und obwohl hier keine subtropischen Bedingungen herrschen, hat es sich sehr gut eingelebt ...

Wir alle kennen ein Straßencafé: Was an Land funktioniert, geht aber auch auf dem Wasser. Das Bild oben in der Mitte zeigt ein solches Wasserstraßencafé. Wir machen hier fest, um Kaffee und Kuchen oder besondere Spezialitäten des Spreewaldes zu probieren. Das Wetter ist heute sehr ruhig. Hier im Spreewald kann man auch mit einem Kahn abends in den Sonnenuntergang fahren. Wenn die Strahlen der untergehenden Sonne auf den Wald fallen, gibt das ein wunderbares Farbenspiel sowohl in den Bäumen als auch auf dem Wasser. Und selbst befindet man sich dann mittendrin in diesem Schauspiel!

Was eine richtige Straße ist, hat natürlich auch einen Straßennamen: Das ist hier nicht anders. Auch ein wenig Kunst kann ich auf einem Privatgrundstück bei meiner Kahnreise entdecken. Hier gehen die Bewohner wirklich nicht leichtsinnig mit ihrem Baumbestand um, so wie ich das schon in vielen anderen Gemeinden auf meinen Reisen erlebt habe ...

Wasserstraßenschilder müssen sein ... Künstlerisch gestaltete Anlegestelle ...
Natur-Idylle (1) ... Natur-Idylle (2) ... Natur-Idylle (3) ...

Ich sammele weitere wunderbare Eindrücke bei meiner Fahrt durch die Fließe des Spreewaldes: Mein Bootsführer drückt noch immer ganz in Ruhe unser schwimmendes Gefährt durch das Wasser. Schade, dass die Sonne heute so zurückhaltend ist! Um das System der Wasserstraßen in Ordnung zu halten, gibt es auch kleine Stauwerke, die für einen gleichbleibenden Wasserstand sorgen. Das ist wichtig, denn auch die Post wird hier mit dem Boot zugestellt.

Im Spreewald gibt es noch weitere Sagen. Bei entsprechender Wetterlage ziehen auch Nebelschwaden durch das System der Wasserstraßen. Das lässt der Fantasie des Beobachters freien Lauf. Da wäre zum Beispiel die Sage des Schlangenkönigs: Er ist eine Art Schutzpatron der Bevölkerung hier. Deshalb findet man an alten Häusern oben am Giebel noch das Symbol zweier gekreuzter Schlangen ...

Die Sage der Mittagsfrau mit ihrer Sense ist ebenfalls beeindruckend: Diese Gestalt kommt zu dem, der zur heißen Mittagszeit leichtsinnig weiter arbeitet. Begegnet sie ihm, muss er ihr eine Stunde lang Geschichten erzählen. Zeigt er sich dabei ahnungslos, ist also nicht gut, stirbt er durch den Schlag der Frau. Ein weibliches Wesen mit solch einem Werkzeug ist eben gefährlich ...

Zum Abschluss noch die Geschichte des Wassermannes, der hier in dem Wasserlabyrinth des Spreewaldes hausen soll: Eigenartigerweise hat er ausschließlich bildhübsche Töchter. Von anderen Familienmitgliedern, etwa einer Mutter dazu, wird nichts berichtet. Wie hat er das wohl so hinbekommen? Auf jeden Fall mischen sich die Töchter bei Festen gern unter das Volk. Dort betören sie Männer und locken sie mit in ihr Wasserreich der Nixen. Was dann aus den Männern wird, habe ich ebenfalls nicht herausgefunden. Also nicht ganz ungefährlich, zumindest für Nichtschwimmer! Man geht davon aus, dass solche Sagen hier als Warnung für die Kinder vor den Gefahren des Wassers dienen sollen.

Ich erreiche den Wendepunkt der Kahnreise: Wir kommen nach Lehde, einem Stadtteil von Lübbenau. Wie sich das gehört, ist auch an der Wasserstraße ein Ortsschild zu finden. Immer wieder trifft man auf Ferienwohnungen, die fast direkt am Wasser liegen. Der Kahn auf dem Bild unten rechts ist nicht etwa wegen eines Lochs gesunken: Der Rumpf wurde bewusst mit Wasser gefüllt, um ihn vor der Austrocknung zu bewahren. So kann er jederzeit vom Wasser darin befreit werden und sofort wieder losfahren ...

Auch ein Ortsschild muss sein ... Kein Bootsunglück ...
Traumhafte Wasserstraße ... Sind wir etwa auf dem "Canal du Midi"?

Ich bin mit dem Kahn wieder auf dem Rückweg, der Tag geht langsam zu Ende. Kurz vor dem Ziel tauchen die ersten bereits eingepackten Boote auf. Ich muss zugeben, dass mir die Fahrt auf den Wasserstraßen sehr gefallen hat. Wäre meine Kamera nicht dabei gewesen, hätte ich sicherlich als Boot ein Kajak genommen. Damit kann man auch einmal von den Hauptwegen abweichen.

Noch etwas zum Spreewald: Wie die Ochsen des Teufels diesen Wald geformt haben, wissen wir bereits. Ich will aber nicht verschweigen, wie das Wasserlabyrinth wirklich entstanden ist. Dazu müssen wir zurück bis in die Eiszeit: Als erstes haben Gletscher und deren Wanderung diese Rinnen geformt. Mit dem Tauen der Gletscher ist in den Rinnen mindestens 1.000 Jahre lang das Schmelzwasser der Gletscher abgeflossen. Die Formen des Untergrundes wurden dabei weiter ausgearbeitet.

Unter dem Spreewald finden sich riesige Schwemmsandbereiche aus der Eiszeit: Darin bildeten sich Vertiefungen und Erhöhungen. Auf den höher gelegenen Sandflächen verstreut entstanden im 17. Jhdt. die ersten Siedlungen. Die Vertiefungen waren mit Wasser gefüllt, so fing das alles langsam an. Die Hauptquelle der Spree liegt ganz in der Nähe der Grenze zu Tschechien, in einer Kleinstadt mit dem Namen Ebersbach-Neugersdorf, die sich stolz als Spreequellstadt bezeichnet.

Der deutsche Journalist, Dichter und Schriftsteller Theodor Fontane hat das Wasserlabyrinth des Spreewaldes mit Venedig verglichen: Er fand, die Gondolieri des Spreewaldes brauchen den Vergleich mit Venedig nicht zu scheuen!

Das also war mein Tag an und in der Spree. Hier gibt es allerdings auch noch einen Radweg mit dem ungewöhnlichen Namen "Gurkenradweg". Da werde ich morgen wohl wieder einmal neugierig sein müssen ...


© 2022 Jürgen Sattler


Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Jürgen Sattler finden sich in unserer Autorenübersicht!