Deutschland   Spreewald 2022 (3): Eine "Sandburg" für Erwachsene

 Reise in die Kulturhistorie ...


Ein paar Jahrtausende zurück ...Der Spreewald ist noch lange nicht vollständig entdeckt von mir: Nach dem Wasserlabyrinth und dem Reich der Gurken warten hier auch noch andere Schätze darauf, von mir "gehoben" zu werden: Es ist mittlerweile Anfang Juni 2022 geworden, als ich mich auf den Weg mache, um hier eine ganz besondere Art von Burg aus der Menschheitsgeschichte zu finden. Ich habe nicht weit zu fahren. Mein Ziel liegt in leicht südwestlicher Richtung und in kurzer Entfernung zum Ort Lübbenau, in dessen Nähe wir uns auch schon während der letzten Erkundungen bewegt haben. In meinen Gedanken muss ich mich nun allerdings in die Vergangenheit begeben. Genau genommen in eine Zeit, die mit dem Abklingen der Bronzezeit zusammenhängt: Mehr als 3.000 Jahre zurück, etwa 1.200 Jahre v.Chr. ...

Ich bin heute bereits sehr früh vor Ort, wohl zu früh: Somit ist Zeit genug für eine kleine Erkundung zu Fuß. Das Angebot an Parkplätzen ist groß, doch niemand ist zu sehen. Die überall gnadenlos überhöhten Preise, die auf Big Oil und andere Nutznießer der gegenwärtigen Politik zurückzuführen sind, lassen das gesamte öffentliche Leben sichtbar einschlafen: Der Wert des persönlich zur Verfügung stehenden Geldes jedes Einzelnen ist enorm geschrumpft ...

Ein angenehmer Stellplatz sind anders aus ... Gemütlicher Platz am Straßenrand ..? Militärgelände ..?

Passend zu diesem Preiswahnsinn finde ich etwas weiter einen neuen Parkplatz für Wohnmobile. Auf dem Bild oben ist der Platz in der Verlängerung der Straße auf der linken Seite zu finden. Der Platz ist angenehm groß, doch es gibt dort nichts, was für ein Wohnmobil wichtig ist: Nicht einmal den kleinsten Papierkorb. Der Preis dafür ist dabei dermaßen hoch, dass ich dort kein einziges geparktes Fahrzeug antreffe. Auch der LERRY hat dort wohl nichts zu suchen ...

Mein Ziel hier ist eine wieder aufgebaute Burg aus der Zeit des 9. Jahrhunderts: die Slawenburg Raddusch. Ich befinde mich hier in der Niederlausitz. Das Gebiet um die Burg ist umfassend gesichert: Gegen unerlaubte Eindringlinge und gegen jeden, der nicht bereit ist, die Burg aus Wissbegier besuchen zu wollen.

In diesen Gebieten wüteten noch vor nicht allzu langer Zeit die riesigen Braunkohlebagger. Die haben den Ruf, dass sie alles mit ihren riesigen Schaufeln gnadenlos wegbaggern: Wälder, Ortschaften und oft auch zeitgeschichtliche Relikte sind auf diese Weise unerkannt verschwunden. Die Zeit der großen Bagger ist aber fast vorbei. Besonders hier an diesem Ort konnte damit verhindert werden, dass viel aus der kulturhistorischen Geschichte der Region unwiederbringlich vernichtet wurde.

Ich bin der erste Besucher, der heute das Gelände nach der Öffnung um 10 Uhr betritt. Zur Erinnerung an die Schaufeln der Riesenbagger sind zwei dieser beeindruckenden Exemplare ausgestellt. Die Gegend und auch der Platz hier sind bereits seit langer Zeit als Region von hohem archäologischem Wert bekannt: Bereits im Jahr 1880 erkannte ein Mediziner, dass hier einmal eine slawische Wallburg gestanden haben musste. Im 20. Jahrhundert war die Burg nur noch als eine ringförmige, bewaldete Erhöhung zu erkennen. Auch die Landwirtschaft nutzte diese ringförmige Erhebung, wodurch sie allerdings auch erheblich verschlissen wurde. Zuletzt hatte der Ring nur noch eine Höhe von etwa drei Metern bei einem Durchmesser von fünfundachtzig Metern.

Räumlichkeiten aus dem damaligen Leben? Diese Baggerschaufeln räumen nichts mehr ... Inforaum ...

Anfang der 1980er Jahre kamen die riesigen Bagger der Braunkohlenförderung schließlich immer näher an dieses Gebiet heran.

Die Archäologen der Akademie der Wissenschaften der DDR unternahmen einen letzten Versuch zur Rettung dieses Gebietes: Sie führten eine sogenannte Rettungsgrabung durch, um den geschichtlichen Wert der Gegend zu beweisen. Und diese Grabung war ein archäologischer Volltreffer! Die Wissenschaftler bewiesen, dass es noch vor den Slawen andere Völker gab, die hier bereits gesiedelt hatten. Unter dem Wall der ehemaligen Burg fanden sie Relikte aus der Zeit der Völkerwanderungen des 5. und 6. Jahrhunderts.

Doch damit nicht genug: Die ältesten Funde an diesem Ort zählen zur Lausitzer Kultur und stammen aus dem Ende der Bronzezeit, etwa 700 Jahre VOR Christus. Hier musste es zu dieser Zeit auch eine Siedlung gegeben haben. Mit modernen Forschungsmethoden sind dabei in der Niederlausitz menschliche Spuren bis vor 12.000 Jahren gefunden worden ...

Neugierig mache ich mich auf den Weg zum Gelände der Burg: In den Holzbauten gleich auf der linken Seite des Hauptweges finden sich Lagerräume und auch andere Räume, die einen ersten Eindruck vom Gebiet hier, den Menschen, die hier lebten, der Geschichte und natürlich der Burg vermitteln.

Im Jahre 1990 wurden die beiden nahen Braunkohlekraftwerke gestoppt und stillgelegt: Bis dahin waren die Bagger bis auf wenige hundert Meter an das Gebiet hier herangekommen. Die riesigen Schäden des Tagebaus an der Natur mussten nun wieder repariert werden. Das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege und das Archäologische Landesmuseum befassen sich mit der Sanierung des Bergbaus.

Die Reste der ehemaligen Slawenburg Raddusch waren bis zu diesem Zeitpunkt bereits umfassend untersucht worden. Es wurde beschlossen, die Burg mit den finanziellen Mitteln aus der Bergbausanierung wieder komplett aufzubauen. Von diesen Burgen hatte es hier einmal um die 40 Stück gegeben. Die Burg Raddusch ist somit das einzige Bauwerk dieser Art, das hier überlebt hat. Nur in Mecklenburg findet sich noch eine gleichartige wieder aufgebaute Burg, die Slawenburg Groß Raden. Die Burg Raddusch steht für die vielen Kulturgüter, die im Laufe des Tagebaus unwiederbringlich zerstört wurden ...

Rustikales Ambiente ... Tische geeignet für Kinder und Familien ... Weiter auf dem Zeitsteg ... Burg in Sicht!

Kinder und Familien stoßen hier auf ein angemessenes Ambiente: So fallen die Kinderwippe und der Picknicktisch für die Pause schon recht rustikal aus, passend zur Stimmung, die der Ort vermitteln soll. Man findet auch einen hölzernen Stier, der einen dicken Balken zieht. Auf diese Art und Weise wurden damals die Bäume für den Bau der Burgen herangeschafft.

Ich befasse mich erst einmal mit dem im Areal gebauten "Zeitsteg", bevor ich weiter zur Burg gehe, die noch warten kann. Auf dem Bild oben ist sie bereits im Hintergrund zu sehen. Die Bepflanzung rund um die Burg wurde möglichst wieder so angelegt, wie sie damals wohl ausgesehen haben soll.

Zu jener Zeit war die Gegend hier ein großes und sumpfiges Feuchtgebiet: Der Spreewald ist mit seinem Wasserlabyrinth, das wir bereits kennengelernt haben, gleich in der Nähe. Andere Burgen, Siedlungen oder Höfe konnten nur über selbst angelegte Dämme oder Holzwege erreicht werden. Ziemlich genau so, wie es im Umfeld der Burg heute aussieht, sind die Menschen wohl hier unterwegs gewesen. Natürlich gab es in dieser Region auch Kriege. Und die Angreifer hatten in etwa dieselbe Ansicht der Burg, als sie durch das Schilf kamen: So wie ich auch, aber ich komme ohne Waffen - ich will schließlich nur Wissen rauben ..!

Infos zum Drübergehen (1) ... Infos zum Drübergehen (2) ...
Infos zum Drübergehen (3) ... Infos zum Drübergehen (4) ...

Die Bilder des Zeitpfades zeigen die wechselvolle Geschichte der Niederlausitz. Kurz nach dem Betreten des Burggeländes geht der "Zeitpfad" rechts ab, wobei der Begriff eine doppelte Bedeutung hat: Er zeigt einem den Weg durch die Zeit in der Niederlausitz, aber auch, dass man sich beim Begehen wirklich Zeit nehmen sollte. Bei meinen Touren mit dem LERRY sorge ich möglichst immer für genügend Zeit für mich, damit ich möglichst viel an Hintergrundwissen mitbekomme. Wenn man schon mal da ist ...

Es ist jetzt an der Zeit, dass ich auch vom Stamm der Lusizi berichte. Im 7. und 8. Jahrhundert formierten sich slawische Gruppen, um in die heutige Niederlausitz umzusiedeln: Die Lusizi. Sie werden auch "Sumpfbewohner" genannt. Da ich lange Zeit in Ostfriesland lebe, erinnern mich diese Menschen an die Anfänge in Ostfriesland. Die Ostfriesen haben ebenfalls lange kämpfen müssen, um ihr Land bewohnbar und trockener zu machen. Auch hier gab es zuerst nur Erhebungen für Gebäude aller Art.

Das Bild einer Infotafel unten zeigt, dass die Lusizi ursprünglich aus dem Raum der Sudeten kamen. Noch etwas mit besonderer Bedeutung lässt die Tafel erkennen: Jedes Wort, das dort geschrieben steht, ist der Name eines Volkes. Es waren also schon damals sehr viele Völker, die sich hier überall verteilten. Völkerwanderungen wurden auch zu jener Zeit schnell zum Problem: Überall war irgendwie schon jemand. Auch der Spreewald in der unmittelbaren Nähe war bereits bewohnt. Die Wissenschaft geht davon aus, dass die relativ hohe Anzahl slawischer Wallburgen der Lusizi damit zusammenhängt. Mit diesen Burgen wurde Sicherheit für die im Nahbereich lebenden Menschen gewährt. So ist bekannt, dass in dieser Zeit von der sächsischen Seite aus ein heftiger Eroberungsdrang bestanden haben muss.

Historische Einordnung muss sein ... Zuhause bei den Lusizis ... Burgmodell erleichtert die Übersicht ...
Hält sowas auf Dauer die Sachsen ab ..? ;-)) Wassergraben muss sein ...

Inzwischen habe ich auf dem Zeitpfad mein Ziel erreicht: Die Burg, ausgestattet mit einem Wassergraben. Solche Burgen, die in flachem Gelände gebaut wurden, verfügten über einen derartigen Graben, um die Eroberung zu erschweren. So ist das auch hier. Die Burg diente zusätzlich als Speicherburg neben ihrer schützenden Funktion.

Die hiesige Wallburg entstand etwa um 880 bereits auf einer kleinen Anhöhe, um den Bau trocken zu erhalten. Sie ist nicht die größte Burg ihrer Art gewesen. Für den etwa 10 Meter breiten Wall wurden Eichenstämme abwechselnd in Längs- und Querrichtung gelegt. Die Zwischenräume wurden dann mit Erde und Steinen aufgefüllt. Der Wassergraben hat etwa eine Breite von 5 Metern, der Durchmesser des Ringwalles beträgt rund 57 Meter. Über den Wassergraben führten Brücken, kleinere Burgen hatten seinerzeit nur einen einzigen Zugang. Der Ringwall der Burg wurde massiv gebaut und war bis zu 9 Meter hoch. Es gab also keine Räumlichkeiten innerhalb des Walls. Die beiden Zugänge der Burg waren durch einen maximal 2,30 Meter breiten Weg miteinander verbunden. Die Flächen links und rechts des Weges waren ursprünglich mit Häusern bebaut.

Innerhalb der folgenden 70 Jahre nach dem Bau der Burg musste diese immer wieder erneuert und verstärkt werden: Grund dafür waren kriegerische Handlungen und die Vergänglichkeit des Holzes, die Bauweise war dagegen sehr stabil. Doch etwa alle 40 bis 50 Jahre musste das Holz erneuert werden. Noch vor dem Jahr 950 wurde der Wall auf 20 Meter verstärkt, um Bedrohungen und Verrottungen des Holzes zu begegnen.

Im Burghof wurden bei den Ausgrabungen vier Brunnen gefunden: Der älteste stammte noch aus der Zeit der Gründung der Burg, der tiefste Brunnen ist mit seinen 12 Metern einmalig im westslawischen Gebiet. In diesem Brunnen befanden sich viele Fundstücke, zu denen Keramikfragmente, Messer, Lanzenspitzen und auch hölzerne Schlägel sowie Spaten gehörten.

Aussicht ... Heute keine Belagerer in Sicht ... Viel Holz in der Hütte ... Die Festung wurde etwas modernisiert ...

Das Ende der Radduscher Burg kam im Jahre 963 mit der Eroberung durch den sächsischen Markgrafen Gero. Der unterwarf das Volk der Lusizi, die also während ihrer gesamten Zeit hier immer irgendwie die Sachsen im Nacken hatten. Die Burg wurde dabei nicht zerstört, sondern aufgegeben. Das Volk der Lusizi ging in der Umgegend auf, die Burg ist in der Folgezeit dann einfach nur zerfallen ...

Die Burg, wie ich sie heute antreffe, hat einige fundamentale Änderungen gegenüber dem Original: Sie ist optisch möglichst genau dem ehemaligen Bauwerk angepasst und soll dem Besucher ein umfassendes Gefühl für die Anlage und das Leben in der damaligen Zeit vermitteln. Außerdem soll der Besucher anschließend möglichst nicht sofort wieder verschwinden: Um das Bauwerk zu finanzieren, ist Tourismus erforderlich. Und Touristen müssen entsprechend versorgt werden, wenn sie etwas verweilen sollen.

So ist bei dieser Burg, von außen unsichtbar, der Ringwall innen begehbar: Hier findet sich alles, was das Besucherherz begehrt und zur Versorgung braucht. So wurde der heutige Ringwall über eine Hohlraumkonstruktion aus Beton gebaut, die von außen unsichtbar ist. Ebenso gibt es Gastronomie und auch eine Brandsicherung, einschließlich eines Blitzableiters. Alle Wege können sicher begangen werden. Bei meinem Aufenthalt in der Burg waren auch die Kampfhandlungen der Sachsen inzwischen eingestellt - diese kommen nun ohne Waffen selbst vorbei, um sich ebenfalls über die Burg zu informieren. So ist das auch besser!

Museum empfehlenswert ...Die Häuser des Burggeländes gibt es heute nicht mehr: Lediglich ein Gebäude befindet sich noch hier, um dem Besucher die damalige Lebensweise zu veranschaulichen. Dafür befindet sich im Innenhof eine Art Baustelle, wo man im kleineren Maßstab ganz genau betrachten kann, wie damals die Holzkonstruktion des Ringwalls errichtet wurde.

Sehr zu empfehlen ist das ebenfalls im Ringwall befindliche Museum: Dort findet man die gesamte Siedlungsgeschichte dieser Region von 12.000 Jahren. Von der Steinzeit über den Burgenbau und die großen Braunkohlebagger bis in die heutige Zeit. Sehr informativ!

Für mich war der Tag wieder einmal sehr interessant. Da ich Probleme mit dem anfangs beschriebenen Parkplatz habe, fahre ich weiter in den kleinen Ort Göritz. Dort gibt es die "Bauernküche Göritz". Nach einer kleinen Pause dort werde ich auf den Parkplatz der "Küche" verwiesen: Dort sind bereits einige Plätze von dem Unternehmen für Gäste mit Wohnmobilen reserviert. Geht doch! Morgen geht meine Reise weiter an die Elbe ...  


© 2022 Jürgen Sattler


Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Jürgen Sattler finden sich in unserer Autorenübersicht!