Es geht noch tiefer ...
Kommt man ganz hinten im Heck des Schiffes an und begibt sich ein Deck tiefer, findet man die Ruderanlage. Hier ist die hölzerne Pinne zu sehen (Bild rechts), die mehrere Meter lang ist.
Da sich an dieser Stelle im Normalfall keine Menschen aufhalten, ist alles sehr eng. Es ist gerade so viel Platz, wie Arbeiter zur Instandhaltung benötigen.
Das Ruderblatt am Ende des Schiffes ist eher winzig im Verhältnis zum dicken großen Schiffsrumpf. Mit der damaligen Bauweise kann das Ruder nicht einmal gut vom vorbeifließenden Wasser angeströmt werden, um optimal zu wirken. So muss die Hauptsteuerung des Schiffes mit den Segeln erfolgen. Das zu beherrschen ist schon ein Kunststück: Dazu braucht man eine schnelle Besatzung in den Masten und an Deck.
Hier an Bord der Batavia sucht man ein Schiffssteuerrad übrigens vergebens: Gesteuert wird das Schiff über einen hölzernen "Joystick", der etwa 4 m lang ist.
Die Ruderpinne kann aber auch über zwei Taljen, Backbord und Steuerbord, gesteuert werden. Links im Bild sieht man einen der dicken Blöcke der Steuerbordtalje. Nicht sichtbar ist das Ende dieser Talje: Dort ist das Tauende, an dem gezogen werden musste, um die Pinne nach Steuerbord zu bewegen. Gibt der wachhabende Offizier einen Befehl, der eine Änderung der Fahrtrichtung auslösen soll, muss er diesen entsprechend der Zeit geben, die die Besatzung zum Reagieren benötigt. Damit der Befehls auch genau dann erfolgt, wenn es die Situation auf See erfordert, ist entsprechende Erfahrung und Vorausdenken erforderlich.
Da dieses Schiff auch heute noch so gesegelt wird, muss es beim Einlaufen in einen Hafen immer einen Schlepper zu Hilfe nehmen. Im engen Hafenbereich kann es andernfalls nicht schnell genug reagieren, da sich auch kein Hilfsmotor an Bord befindet.
Im unteren Bereich des obigen Bildes sieht man wieder die modernen Festmacherleinen der heutigen Zeit an den hölzernen Pollern. Hier wird damit das Achterschiff an Land gesichert.
Wir befinden uns jetzt unterhalb des Kanonendecks: Das Bild links zeigt dort gähnende Leere. Besucher und auch andere Personen halten sich hier nur auf, um einmal einen Blick zu riskieren. Dieses Deck ist nämlich nur etwa 1,30 m hoch, nichts für Leute mit Rückenleiden. In diesem Deck wurden Dinge erledigt, zu denen man nicht unbedingt stehen musste, etwa schlafen, essen und Freiwache. Im Vordergrund ist ein Tisch zu sehen, der ein Möbelstück für diesen Bereich zeigt. Hier unten war also auf einer normalen Reise der alten Batavia immer etwas los. Von den Besuchern heutezutage hält sich hier allerdings niemand länger als nötig auf ...
Man kann jetzt noch weiter nach unten gehen und erreicht den sogenannten Unterraum (deutsche seemännische Bezeichnung für den am weitesten unten im Schiff liegenden Laderaum). Man befindet sich nun über dem untersten Spantensystem des Schiffes; unter dem Besucher ist jetzt direkt das Wasser des Hafens. Während der Fahrt des Schiffes, besonders auf dem Meer, gurgelt hier unter dem Holzrumpf laut das Wasser vorbei ...
Auf dem Bild unten links ist ganz links eine Treppe zu sehen, auf der man nach unten kommt. Dazu der gestaltete Weg aus Holzbrettern mit Geländer, auf dem man durch den Unterraum gehen kann, ohne klettern zu müssen. Natürlich gab es diese Art von Weg früher nicht.
Gleich neben der Treppe sieht man eine Art Holzpfosten: Dort sind Kanten hineingesägt und Griffe durchgesteckt. Das Bild oben rechts zeigt dieses seltsame Bauteil in der Nahaufnahme. Das war der damalige Zugang und Ausgang aus dem Unterraum. Eine gut gebaute Treppe war einfach zu groß, denn hier war alles eingelagert, was oben zwischen den Menschenmassen keinen Platz fand. Hier fuhren die (Lebensmittel-)Vorräte mit, das Pulver und die Kugeln für die Kanonen, viele Dinge, die man für mögliche Reparaturen am Schiff während der Reise benötigte und nicht zuletzt - die Ratten. Die Tiere hatten hier die Ruhe und Versorgung, die sie für ein entspanntes Leben mochten. Gewöhnlich nahm deren Zahl bei der guten Lebensweise natürlich zu …
Das Schiff lag allerdings meistens nicht ruhig: Die hier gelagerten Teile konnten sich im schweren Seegang auch in Bewegung setzen und beim nächsten Besuch hier unten ihre alte Position verlassen haben. Bei einem Loch im Schiff mussten die Männer hier unten in fast völliger Dunkelheit - es gab nur Petroleumlicht - alles versuchen, das Schiff wieder irgendwie dicht zu bekommen. Meistens lagen aber irgendwelche Dinge über der Schadensstelle. Diese mussten also erst zur Seite geräumt werden.
Ganz links im Bild rechts sieht man das untere Ende von einem der großen Masten. Der Blick geht hier nach vorne: Der Mast steht auf der "Wirbelsäule" des Schiffes. Ein dicker Träger aus Holz, der in Längsrichtung verläuft und der das Gewicht des Mastes tragen muss. Die senkrecht stehenden Balken davor und dahinter sind Stützbalken, die bis unter das erste Deck reichen.
Hier unten lagern Gewichte, die das Schiff auch ohne Ladung und Vorräte in der senkrechten Position halten sollen - ähnlich wie bei einem Stehaufmännchen. Hier sind das verpackte Stahlpakete und Betonquader. Früher wurden an dieser Stelle große Steine verwendet. Dabei darf man nicht vergessen, dass es eine mathematisch-physikalische Berechnung der Kräfte für ein solches Schiff im Seegang praktisch nicht gab. Man hatte lediglich Erfahrungswerte, z.B. durch Unfälle. Eine Berechnung der Stabilität mit den vorhandenen Massen an Gewicht und deren Einwirkung auf den (Gewichts-)Schwerpunkt des Schiffskörpers war völlig unbekannt.
Da das Schiff aber Ladung fahren sollte, um Geld zu verdienen, musste man einen Mittelweg finden: Alles, was an Gewicht unbedingt im Schiff sein muss, um es schwimmfähig zu halten, war für den Betreiber totes Kapital. Je größer der Seegang und die Krängung (Schräglage) des Schiffes, um so mehr den Schiffskörper aufrichtendes Gegengewicht zur Krängung muss sich unten befinden. Das sind genau genommen unnütze Massen, die niemals Geld einbringen würden. Sie werden nur hin und her transportiert. Der Betreiber (Reeder) an Land sieht das natürlich nicht so gerne: So kam es zu damaligen Zeiten auch vor, dass nagelneue Schiffe nur in ganz ruhigem Wasser schwammen und bei der ersten Kurve in Fahrt oder der ersten Bewegung im Seegang mit allen an Bord befindlichen Personen umfielen und versanken ...
Die Schweden hatten damals mit ihrer Vasa ein ganz bekanntes und unrühmliches Beispiel hierfür geliefert. Heutzutage sollte so etwas eigentlich nicht mehr passieren. Sollte ... Doch auch heute ist das Verhältnis zwischen Betreibern von Schiffen, Ladung und Stabilität noch genauso wie damals: Alles, was an Gewicht zur Stabilität eingespart werden kann, kann als Gewicht zum Geldverdienen genutzt werden. So kommt es auch heutzutage durchaus noch vor, dass sich ein Schiff durch mangelnde Stabilität selbst versenkt. Mit vielen Toten.
Auf der rechten oberen Seite des Bildes sieht man die unten im Schiff dicht an dicht verbauten kleineren Balken quer zum Schiff: Das sind die Bodenwrangen. Sie übernehmen die Abstützung der Bretter der hölzernen Außenhaut nach unten und festigen den Rumpf nach unten erheblich. Daraus hervor erheben sich die sogenannten Spanten: Sie beginnen in der Mitte des Schiffes, verlaufen seitwärts, erheben sich aus der Bodenkonstruktion und laufen dann an der Bordwand nach oben. An ihnen sind die Planken der Außenhaut befestigt.
Wir gehen wieder nach oben zum Tageslicht: Unser nächster Besuch gilt der Offizierskajüte ganz hinten und ziemlich weit oben im Schiff.
Gleich beim Betreten des Offiziersbereichs fällt auf, dass hier auch auf die Details Wert gelegt wurde: Das Scharnier der Eingangstür stammt bestimmt aus der Schmiede der Werft. Der Raum ist gepflegt, denn hier kommt jeder auf seinem Rundgang vorbei. Die Aufnahme des Raumes zeigt den Blick nach achtern, also nach hinten aus den Fenstern heraus. Dort ist das Schiff zu Ende. Unter den Fenstern findet man unten das außen angebrachte Ruder. Der Tisch steht quer. So hat er eine höhere Standfestigkeit als in Längsrichtung, denn ein Segler bewegt sich meistens mit etwas Schlagseite - je nachdem, wohin der Wind das Schiff drückt ...
Betten, wie man sie heute kennt, sucht man hier vergebens: An den Seiten des Raumes stehen Holzkisten. Sie sehen aus wie etwas zu groß geratene Seekisten, in der ein Seemann der damaligen Zeit sein Hab und Gut transportierte, wenn er einmal an Land unterwegs sein musste. Diese Kisten hier waren die Betten: Man schlief damals in einer fast sitzenden Position. Das hatte den Vorteil, Halt im Seegang zu haben, außerdem waren die Menschen damals noch nicht so lang wie heute. Doch mit dem Ausstrecken in voller Länge war es auch seinerzeit nicht so weit her ...
Im Raum finden sich noch andere kleinere Kisten und Tische: Dort werden die Navigationsbestecke des Schiffes gezeigt. Am Ende des Raums nach hinten findet man auf jeder Seite eine Tür, wo man hineingehen kann. Doch Vorsicht, der Bereich ist sehr schmal und eng. Auf dem Bild oben links sieht man rechts die Bordwand des Schiffes, daran angebaut der besagte Raum. Auf jeder Seite des Schiffes findet man einen solchen schmalen Raum. Man kann darin nur sitzen. Immerhin, der Benutzer hat einen einwandfreien Blick am segelnden Schiff entlang, was besonders wichtig für die Schiffsleitung ist.
Das Bild oben rechts bringt es an den Tag: Diese beiden Räume, etwa 4 m lang, sind die Toiletten der Schiffsoffiziere. Überdacht und durchaus etwas windgeschützt. Ein Probesitzen ist auch hier eine interessante Erfahrung: Der blanke Luxus, wenn man sich an die Mannschaftstoiletten an der frischen Luft beim Bugspriet erinnert. Die Hinterlassenschaften fallen direkt unten heraus ins Meer. Man sollte bei der Benutzung allerdings peinlich darauf achten, dass man nur die Seite wählt, die sich bei der jeweiligen Schräglage des Schiffes im Wind auch über dem Meer befindet. Sonst wird das Schiff getroffen ...
Jetzt wird es Zeit, das gewonnene Wissen sacken zu lassen. Vielleicht besteht nun auch der Wunsch nach einem gewissen, aber komfortableren Örtchen: Da war doch noch ein hübsches Restaurant im Eingangsbereich. Hier kann man den Tag sehr gut ausklingen lassen. Vielleicht sollte man auch noch einmal wiederkommen, denn bestimmt hat man heute noch nicht alles gesehen ..!
Nachtrag, Januar 2020:
Wir erhielten zu einem der von Jürgen besuchten Schiffe eine Mitteilung unserer Leserin Doris Menge, für die wir uns bedanken:
Hallo Explorer Team,
wir waren im Frühjahr 2017 letztmalig auf der Batavia Werft in Lelystad.
Ich habe mich damals sehr nett mit den Handwerkern dort unterhalten. Es fehlte den Aussagen nach an Sponsoren für das benötigte Holz, um De 7 Provinciën weiterzubauen. Der Grund: Man benötigt Holz von Nadelbäumen, die in Skandinavien wachsen. Bisher wurde dieses Holz in Schweden eingekauft. Das Holz sollte dort 2 Millionen Euro kosten, welche die Batavia Werft bisher nicht aufbringen konnte. Die Werft ist auf regelmäßige Spenden angewiesen, die man unter anderem über Patenschaften erhält.
Man entschied sich also vorerst, nur ein Modell der De 7 Provinciën zu bauen. Da die Batavia erhalten werden soll, konzentriert man sich in der Werft auf dieses Schiff. Die salzige und feuchte Luft an der Küste fördert den Verschleiß von Holz und Segeltuch besonders gut. Ich hoffe doch sehr, dass man De 7 Provincien doch irgendwann einmal fertigstellen kann.
Mit freundlichen Grüßen
Doris
© 2016 Jürgen Sattler
Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Jürgen Sattler finden sich in unserer Autorenübersicht!