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Herbsttrip in die Ardennen ...


Vorgeschichte

Als Vorgeschichte zu dieser Reise hatten wir einfach Lust, mal in die Ardennen zu fahren. Da sie allgemein ja als großes Waldgebiet bekannt sind, würden sie im Herbst sicher umwerfend sein.

So einfach und so profan - aber es gibt natürlich zur Vorgeschichte auch einen interessanten historischen Aspekt und der betrifft in der jüngeren Geschichte die Ardennenoffensive der deutschen Wehrmacht im Jahr 1944: Somit erfolgte die Reise auch recht genau zum 80. Jahrestag dieser Geschehnisse ...

Wenn man sich für diese jüngere Geschichte interessiert, dann fällt einem in diesem Zusammenhang unweigerlich auch die Kursk-Offensive der Wehrmacht von 1943 ein, die man zusammen mit der Ardennenoffensive als ein letztes Aufbäumen der Nazis betrachten kann. Kursk ist in der letzten Zeit deswegen ein Begriff, weil ja auch die Ukrainer einen militärisch sinnlosen Vorstoß nach Kursk unternahmen, womit sich für mich der Kreis schließt.

Nur um es in Erinnerung zu bringen: 1943 bekamen die Sowjets wohl Wind von der geplanten Unternehmung "Zitadelle" und ließen die Wehrmacht in einen "Sack" laufen. Nach der Niederlage im Kursker Bogen ging es für die Wehrmacht an der Ostfront nur noch zurück nach Westen. Eine Ähnlichkeit zur Offensive der Ukrainer zeigt sich meiner Meinung nach deshalb, weil westliche Medien hartnäckig verbreiteten, dass es den Ukrainern gelungen wäre, unbemerkt eine respektable Streitmacht am Kursker Bogen zusammen zu ziehen.

Unbemerkt? In der heutigen Zeit der Satellitenaufklärung und der allgegenwärtigen Drohnen? Geht das überhaupt? Zu Zeiten der Wehrmacht 1944 ging es sicher, was ja auch in den Ardennen gelungen ist, aber heute? Da dieser Artikel einige Zeit vor Veröffentlichung entstand, lässt sich inzwischen sagen, dass sich unsere Medien zu diesem Thema erstaunlich bedeckt halten. Aber keine Aussage scheint in diesem Fall auch eine zu sein ...

Ardennen (Bild: Wikipedia)
Ardennenoffensive (Bild: Wikipedia)

Die obigen Grafiken zeigen die Gegend, die als Ardennen bezeichnet wird sowie den Bereich der gleichnamigen Offensive. Es fällt immer wieder in anderen Ländern auf, wie unterschiedlich dort mit historischen Ereignissen umgegangen wird und wie präsent dort auch die Erinnerungen und die Traumatisierung sind, die von den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges ausgingen. Nicht nur in der Normandie ist der letzte Krieg allgegenwärtig. Jede zweite Straße ist nach einem Kriegshelden benannt, überall gibt es Museen und überall stehen militärische Relikte als Denkmäler. Nicht zu sprechen von großen Soldatenfriedhöfen wie am Omaha Beach. Der Krieg war offensichtlich so traumatisierend, dass sogar heute noch überall daran gedacht wird.

Hierzulande begnügt man sich mit Worthülsen und Bekenntnissen, bei denen trotzdem Waffenlieferungen in Krisengebiete stattfinden, obwohl dieses Szenario schon einmal nach ganz Europa getragen wurde. Heute ist man aber "cleverer": Man lässt andere kämpfen und sterben, dabei verdienen nur die Auftraggeber und Nutznießer. Eine Staatsräson gilt berechtigterweise für 5 Mio getötete Juden, aber nicht für die über 25 Mio toten Sowjets, die auf das deutsche Konto gehen. Müssten wir für jeden von ihnen eine Schweigeminute abhalten, gäbe es gut 50 Jahre Stille in Deutschland. Das wäre wohl besser, als aktuelle Kriege überall auf der Welt zu fördern. Angesichts dieser Fakten kann man schon eine gewisse Nationalitätsscham entwickeln ...

Im Wesentlichen lässt sich über die Ardennenoffensive sagen, dass die Wehrmacht zwischen Monschau und Trier als Unternehmen "Wacht am Rhein" ab Mitte Dezember 1944 auf 60 km Breite bis nach Antwerpen vorstoßen wollte, um mit dem dortigen Hafen das Nachschubzentrum der westlichen Alliierten in Besitz zu nehmen und abzuschneiden. Das erschien nicht völlig aus der Luft gegriffen, denn es gibt heute durchaus nennenswerte Stimmen, die sagen, dass zumindest die US-Amerikaner sich hätten zurückziehen müssen, wenn diese Offensive erfolgreich gewesen wäre.

Erfolgreich war sie zum Glück (meiner Meinung nach) nicht, obwohl zwar die zusammengezogenen Einheiten groß genug waren - sie aber bei Weitem nicht genug Treibstoff und Munition zum Vordringen bis Antwerpen hatten. So ging der für die westlichen Alliierten völlig überraschende Vorstoß nur ca. 100 km weit bis in den Raum zwischen Dinant und Marche-en-Famenne. Berühmtheit hat die Belagerung von Bastogne erreicht, wo amerikanische Truppen im Verlauf der Offensive über Weihnachten 1944 eingekesselt waren. Hier findet man auch das Zentrum der Erinnerung.

Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass die Amerikaner ja eigentlich bereits Ende 1944 mit der überfälligen Kapitulation rechneten und deshalb sogar unerfahrene Rekruten hier an der Front kämpfen ließen. Von faschistischer Seite jedoch fuhr man mit SS Panzerkampftruppen die absolute Elite unter den Kämpfern auf. Insofern erklärt sich die Traumatisierung der ganzen Gegend nicht "nur" durch Krieg, sondern durch "SS Krieg". Für die USA war die Abwehr dieser Offensive die größte Landschlacht des Krieges. Ca. 20.000 Tote machten sie für die US Army auch zur blutigsten Schlacht des ganzen Krieges. Die amerikanische Formulierung dieser Offensive lautet übrigens "Battle of the Bulge", weshalb man unter diesem Begriff weitere Gesichtspunkte der Schlacht im Internet finden kann.

Alles in Allem war diese menschenverachtende Offensive ein Zeichen der Unterwürfigkeit der Militärs. Obwohl die Treibstoffvorräte niemals bis Antwerpen, also dem offiziellen Ziel der Offensive reichten, sondern höchstens bis zur Maas, machten die Generäle diese Planung von Adolf Hitler mit und setzten sie um. Bis heute hält sich die Mär, dass deutsche Waffen ja überlegen waren und deshalb so ein weiter Vorstoß gelang. Das mag sein, aber Dummheit und Arroganz sorgten damals wie heute dafür, dass Kampfhandlungen länger dauern und Menschen sterben ...

Heute hält man ja sogar Waffenlieferungen offenbar für "klimaschonend", oder wie kann es sonst sein, dass ausgerechnet eine grüne Partei sich mit solchen Forderungen selbst übertrumpft? Und ausgerechnet dabei viele Kriegsdienstverweigerer ..?

Einen geschichtlichen und aktuellen Bezug hätten wir also schon mal. Doch nun zu den Tatsachen vor Ort.

Ankunft in La Roche-en-Ardenne

Unsere Ankunft in La Roche-en-Ardenne war gleich von trübem Wetter und ein wenig Kränklichkeit geprägt. Unsere Ferienwohnung im Ort war dafür sehr gemütlich. Mir fiel jedoch bereits bei der Hinfahrt auf, dass der Krieg die Gegend so stark prägte, wie ich es schon in der Normandie empfand. Im Ort gab es tatsächlich ein Museum, das nach eigener Aussage das Einzige sei, das den Anteil der britischen Armee mit einer eigenen kompletten Abteilung würdige.

In diesem netten Städtchen steht nicht nur ein deutscher Hetzer Jagdpanzer direkt vor der Tür des Museums, sondern es ist noch ein amerikanischer Sherman auf einem Parkplatz als Monument ausgestellt und ein weiterer britischer M10 an anderer Stelle ...

Ausstellungsstücke: Hetzer Jagdpanzer
US Sherman Panzer
Erinnerung mit frischen Blumen ...

Ums Eck, mit frischen Blumen (!), findet sich eine Wandtafel zur Erinnerung an das Treffen von schottischen und amerikanischen Truppen, die La Roche-en-Ardenne im Januar 1945 befreit haben. Bei Le Lac de Nisramont fließen die beiden Quellflüsschen der Ourthe, L’Ourthe orientale und L’Ourthe occidentale zusammen. Beide kommen aus sehr malerischen Flusstälern. Überall sind hier Kanutouren mit dem zugehörigen Kanuverleih möglich. Die Flusstäler schlängeln sich durch ein traumhaftes Hügelgebiet, das sehr wenig von Landwirtschaft geprägt ist. Hier geht es mehr um Holzwirtschaft und es würde mich nicht wundern, wenn sich auf den vielen Rückewegen im Wald auch Geländewagentouren organisieren ließen ...

Motorrad?

Die ganze Gegend hier ruft laut nach einem Motorrad, so kurvig und schön führen die Straßen durch Wälder und an den Flüsschen entlang. Der Belag der Straßen ist nicht optimal, aber man soll hier ja auch keine sportiven Ambitionen entwickeln. Dafür sind die Rennstrecken in Spa Francorchamps und Zolder ja nicht weit weg und gut geeignet. An Zolder erinnere ich mich besonders gerne, weil ich hier mit der "Königswelle" einmal Zweiter bei einem Amateurrennen wurde ...

Der bunte Herbstwald ist ein Traum. Die vielen Mischwälder erstrahlen großflächig in herbstlichen Farben, was unglaublich wohltuend wirkt. Sie sind sind im Herbst krachend bunt und eine wahre Wohltat für das Auge. Viele Campingplätze mit Hütten machen kurze und spontane Trips einfach. Amtssprache hier in der Wallonie ist Französisch, doch das flandrische Holländisch ist allgegenwärtig und viele Produkte in den Supermärkten und sonstige Hinweise sind zweisprachig. Auch Deutsch wird oft gesprochen. Es fällt auf, dass die Gegend für Deutsche nicht billig ist. Jedoch sind hier auch die durchschnittlichen Löhne höher als in Deutschland. Ein weiterer deutlicher Hinweis darauf, dass die Agenda 2010 Deutschland zu einem europäischen Billiglohnland gemacht hat. Aber inzwischen sollte man als Deutscher ja gewöhnt sein, dass es rund um Deutschland fast überall teurer ist, außer in Polen und Tschechien. Einer unserer Tagesausflüge führte uns nach La Gleize.

La Gleize

Hier findet sich auf den Spuren der Ardennenoffensive ein nettes Museum namens "December 44". Das gut gemachte Museum ist wie jedes andere mit viel Artefakten und Exponaten ausgestattet. Zu etwas besonderem macht es der gut erhaltene Tiger II vor der Türe, der noch dazu im Ort eine eigene Geschichte hat.

Tiger II
Museum "December 44"

Das Museum selbst fängt durch recht dunkles Ambiente und viele ausgegrabene Artefakte aus den Wäldern, die Stimmung des Dezember 1944 gut ein. Die rostigen Waffen und vermoderten Uniformen, aus denen man wohl noch die Leichen herauskratzte, führen nachdrücklich vor Augen, was Krieg bedeutet. Ich wette, dass es auch in Kursk solche Museen gibt und russische Assoziationen durch die NATO-Osterweiterung ähnlich waren ...

Bastogne

Ein weiterer Tagesausflug führt uns nach Bastogne ins Museum. Bastogne ist sicher einer der zentralen und bekannteren Punkte der Ardennenoffensive. Hier wurden Teile der US-Armee über Weihnachten 1944 eingeschlossen und belagert, bis sie von den Truppen General Pattons befreit wurden. Bastogne war als Verkehrsknotenpunkt ein Ziel der Deutschen. Dass hier recht unerfahrene US-Truppen gegen deutsche Elitesoldaten mit hochwertigster Ausrüstung kämpften, erwähnte ich bereits.

Bastogne KriegsmuseumSchon optisch fällt einem der Unterschied zwischen einem Sherman M4 und einem Tiger auf: Beim Tiger II steckt ein großkalibriges Projektil in der 80 mm Frontpanzerung, ohne durchgeschlagen zu haben, und der Sherman ist durchschlagen wie eine Blechbüchse, so dass auf der gegenüberliegenden Seite des Einschlages sogar Austrittslöcher der Splitter sind. Die Besatzung hatte wohl nur geringe Chancen.

Leider ist es wohl doch so, dass deutsche Waffen oft überlegen und innovativ waren, ob es sich nun um die Raketentechnik, erste Düsenjets oder nur um das STG44, das erste moderne Sturmgewehr, handelte. Es hat etwas bedrückendes, dass technische Koryphäen wie Wernher von Braun oder Willi Messerschmitt sich als völlig unempathisch, ja sogar unmenschlich erwiesen. Technisch waren sie brillant, aber menschlich akzeptierten sie jede Niedertracht, um ihre technischen Ziele zu verwirklichen. Masse statt Klasse war trotzdem erfolgreich ...

Weil Bastogne dieser zentrale Punkt des Erinnerns ist, gibt es ein großes Monument und Museum. Das Museum hat mich beeindruckt, wie nur wenige. Vermutlich, weil es weitgehend auf sensationsheischende Ausstellungsgegenstände verzichtet und dafür viel und gut informiert. Teilweise kommt in Filmvorführungen mit wechselnden Kulissen die Geschichte hautnah herüber. Man sitzt als Zuschauer in einem Theater des Museums vor einem kleinen Café in Bastogne und schaut auf die Fenster, in denen sich die Leinwände der Projektion befinden. Man sitzt gleichsam im Café. Auf diesen Leinwänden läuft lebensecht das Leben auf der Straße vor dem Café mit Panzern, Soldaten und LKWs ab. Im Kopfhörer hört man die Geschichte von Menschen in dieser Zeit, die lange Wochen in den Kellern von Bastogne verbringen mussten. Plötzlich verschwindet die Kulisse des Cafés mit Theke, Tischen, Stühlen und dem ganzen Fußboden nach oben, und zum Vorschein kommt der Keller unter dem Café, mit den Lebensbedingungen und der entsprechenden Geschichte in den Kopfhörern.

Auch Bühnenbilder mit Bäumen und Filmen dazwischen, die die Kämpfe in den dunklen Wäldern zeigen, gab es in Filmräumen. Das alles war noch beeindruckender, als die Wirkung von zerstörten Panzern und Kanonen ohnehin, die man in den ganzen Ardennen als Monumente findet.

Als Zuschauer im Theater des Museums vor einem kleinen Café in Bastogne
Beeindruckendes Monument ...
Schmuck zum 80. Jahrestag der Befreiung

In Bastogne ist im Herbst 2024 die ganze Stadt geschmückt, weil man sich auf den 80. Jahrestag der Befreiung vorbereitet. Sogar vor Polizeistationen wehen amerikanische Fahnen neben der belgischen. Normalerweise weht hier die Europafahne neben der belgischen Fahne. In der WDR Audiothek findet sich ein guter Beitrag dazu.

Angesichts dieser Art Präsenz der Geschichte fragt man sich oft, warum in einem Land, wo ÖRR-Medien unablässig Nazi-Gräuel beschwören, sich ein "Verteidigungsminister" nicht scheut, von "Kriegstüchtigkeit" zu fabulieren, die es wieder herzustellen gilt. Man will evtl. tödliche Taurus-Raketen (wieder) gegen Russland einsetzen und eine unbedarfte Außenministerin erklärt nonchalant, dass wir uns in einem Krieg mit Russland befänden. Haben die gar nichts dazugelernt?

Man schämt sich dann in solchen Ländern, angesichts dieser Geschichtsvergessenheit durchaus ein wenig, Deutscher zu sein. Kriegsverbrechen der Deutschen, wie der Mord an Kriegsgefangenen in Malmedy oder Geiselerschießung sind hier präsent und allen bekannt. In Deutschland wird Gedenken ja gerne mit der Aufrechterhaltung einer Kollektivschuld gleichgesetzt, um die Deutschen "unten" zu halten. Dabei wäre es in Wirklichkeit das Zeichen für eine kollektive Verantwortung, dass so etwas nie wieder passiert, nachdem von der wirklich schuldigen Generation ja ohnehin keiner mehr lebt. Schuld hat keiner mehr von uns, aber Verantwortung (für die Zukunft!) haben alle.

Durbuy

Abseits all dieser Kriegsthematik gibt es natürlich auch klassische touristische Ziele. Exemplarisch erwähnt sei Durbuy, das mit ca. 400 Einwohnern die kleinste Stadt Belgiens ist. Wunderbar an der Ourthe gelegen, lädt das mittelalterliche Städtchen zu einem Bummel durch die winzige Altstadt ein. Im Internet kann man jede Menge Wanderwege als GPX Datei herunter laden. Die Wege gibt es mit oder ohne Themenbezug. Hier findet sich schon mal ein guter Einstieg ...

Festung in Durbuy
Mittelalterlich: In Belgiens kleinster Stadt
Bummel durch die winzige Altstadt

Weitere Informationen:


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