Litauen, 04. - 06.09.04: Der Luxus ruft ...
Schon früh brechen wir aus Palanga auf in Richtung Klaipeda. Immer wieder sehen wir noch Störche, die Nationalvögel Litauens, in ihren Nestern. Strommasten ohne Anschluss lässt man stehen, wenn ein Horst darauf ist. Auf neuen Strommasten werden ringartige Nisthilfen installiert. Als Storch in Litauen hat man ein recht komfortables Leben ...
Die kurische Nehrung, unser nächstes und wichtiges Ziel, ist nur über Fähren erreichbar: Eine Linie fährt in der Altstadt von Klaipeda los, eine weitere am Stadtrand. Wir bevorzugen die Fähre am Stadtrand, da sie häufiger fährt und sehr leicht zu finden ist.
Doch vor die Fähre haben die Litauer noch mehrere große mehrspurige Kreisverkehre gebaut. Hier gelten die britischen Regeln. Diesmal kommen schaurige Erinnerungen an Newcastle hoch: Wer nicht in der ersten oder zweiten Ausfahrt raus will, muss sich vor dem Kreisverkehr in eine Linksabbiegerspur einordnen. Fahrer in der inneren Spur des Kreisverkehrs kreuzen ohne Rücksicht die äußere Spur, um den Kreisverkehr zu verlassen. Wir werden schon wieder fast gerammt und können gerade noch ausweichen ...
Obwohl man leicht eine Brücke zwischen Festland und kurischer Nehrung errichten könnte, wird der Fährbetrieb beibehalten. Der Fährpreis erscheint mit 33 Litas (ca. 10 EUR) hoch, aber er gilt für Hin- und Rückfahrt. Nach kurzer Wartezeit sind wir auf der Fähre. Die Überfahrt ist so kurz, dass es sich kaum lohnt, auszusteigen. Auf der Nehrung folgen wir der Straße Richtung Süden: Nach nur wenigen Kilometern erreichen wir eine Polizeistation. Wir werden angehalten und zu einem Kassenhäuschen geschickt. 100,-- Litas (ca. 30 EUR) "Eintritt" wird verlangt. Eine Preisliste hängt nirgends aus, die Preisgestaltung ist nicht nachvollziehbar. Geht es hier nach Nationalität? Auto? Gesicht? Als ich frage, ob dies der Touristensondertarif ist, grient man mich nur an. Das ist das erste und einzige Mal, dass wir uns als Touristen abgezockt fühlen ...
Aber die schöne Strecke lässt den Ärger schnell vergessen. Viele Radfahrer sind auf der einzigen Straße unterwegs. Wir erreichen Nida, dort ist der Luxuscampingplatz Litauens und das ist auch wahr. Die Einrichtungen sind neuer als in Trakai, der Platz ist auch viel schöner gelegen und gestaltet. Hier treffen wir auch erneut auf die schon bekannte holländische Campingreisegruppe, die wieder ein eigenes Areal zugewiesen bekommen hat. Plätze mit "normalen" Sanitäreinrichtungen sind offenbar fest in holländisch/deutscher Hand. Aufkleber an der Anmeldung zeigen, hier kommen immer wieder organisierte Campingtouren wie z.B. Perestroika Tours vorbei. Die Reisenden fühlen sich wohl sicherer, wenn sie im Pulk unterwegs sind.
Wir suchen uns ein schönes schattiges Plätzchen, denn die Sonne scheint kräftig und der Luftdruck steigt auf satte 1031 HPa.
Hier wollen wir 3 Tage faulenzen. Wir wandern zu den Dünen. Wunderschön liegt sie da, die Große Düne, feiner Sand aufgetürmt bis zu 60 Meter hoch.
Die Große Düne reicht bis in die Enklave Kaliningrad. Es ist verboten, sie zu erklimmen, nur so kann sie bewahrt werden. Spuren zeigen aber, dass viele Leute zuwenig Verstand haben, um das zu kapieren: Ohne Rücksicht stapfen sie durch den Sand und tragen ihren Teil zur Zerstörung dieses Naturkunstwerks bei ...
Wir nehmen unsere Drachen mit, denn der Wind ist optimal. Es kommt fast ein Gefühl von Fuerteventura auf, wenn man im Sand liegt und den Drachen zuschaut. Als wir dann am Abend zu unserem Camp zurückgehen, sehen wir einen anderen großen Drachen mit dem Wappen von Nida im Himmel stehen ...
Heute hat das Restaurant am Camp zum letzen Mal in diesem Jahr geöffnet. Es wird chinesisches Essen angeboten. Aufgrund der nahen Schließung hat man nur noch Lightbier in Flaschen im Bierangebot. Wir sind enttäuscht, sind wir doch vom gezapften Svyturys sehr verwöhnt.
Das Lightbier kommt, und wir schauen auf das Etikett: 5% Alkohol - für litauische Verhältnisse ist das light!
Am nächsten Tag wandern wir nach Nida: Trotz Saisonschluss tobt der Tourismus, insbesondere der deutsche Tourismus. Die Litauer haben sich darauf gut eingestellt, man spricht Deutsch! Am Hafen wird Bernstein angeboten. Das Preisniveau für guten Bernsteinschmuck ist dem von München vergleichbar. Schnäppchen kann man hier keine finden. Entlang des Ufers stehen viele hübsch hergerichtete Holzhäuser mit dem berühmten Nidablau.
Wir spazieren zum Haus von Thomas Mann am geschlossenen Bernsteinmuseum vorbei. Einige Anwohner scheinen vom Mann-Tourismus genervt zu sein: Sie haben Schilder aufgestellt mit Hinweisen wie: "Das ist nicht das Haus von Thomas Mann!". Eine Treppe hoch und schon stehen wir davor, vor dem richtigen Haus von Thomas Mann. Es ist in exzellentem Zustand und drinnen sind einige Exponate aus seiner Zeit ausgestellt. Wir erwerben einen Abdruck seines Vortrags über dieses Haus in Nidden, wie Nida früher hieß. Den Vortrag hat er ausgerechnet ebenfalls in München vor den Rotariern gehalten - wirklich lesenswert ist, wie er es mit soviel Liebe und Witz schildert!
Wir setzen uns auf die Terrasse eines Lokals am Ufer. Die Preise haben hier fast deutsches Niveau. Mehrmals beobachten wir Litauer, die sich setzen, in die Karte blicken, aufstehen und wieder gehen. Im Vergleich zu den anderen Lokalen, die wir kennen gelernt haben, sind die Speisen hier fast doppelt so teuer. Die Kurische Nehrung, ein Touristenneppparadies - und das ist für die Litauer sicher sehr ärgerlich, leiden sie doch mit ihren erheblich geringeren Einkommen noch stärker als wir ...
Am Hafen gönnen wir uns eine Fahrt zur großen Düne auf dem Motorsegler Lana. Wir haben ihn schon gestern vorbei fahren sehen und konnten mit dem Feldstecher erkennen, wie alle Passagiere unsere Drachen beobachteten.
Unseren Rückweg suchen wir uns durch die Dünen auf den hölzernen Stegen, vorbei an einem steinernen Moment, das an eine rituelle Stätte erinnert. Es handelt sich hierbei aber nicht um einen magischen Ort, sondern um eine Sonnenuhr mit Sonnenkalender, die auf der 52 Meter hohen Düne Parnidzio errichtet wurde.
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Am Abend sitzen wir noch lange beim Kerzenschein unter den Bäumen: Ach, ginge diese Reise doch nicht schon morgen zu Ende!
© 2004-2005 Text/Bilder Sixta Zerlauth
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