Estland, 20.08.04: Inselhüpfen ...

Der Morgen erfreut wieder mit wunderschönem Wetter und wir verlassen unser Plätzchen recht ungern. Doch es wartet der drittälteste Leuchtturm der Welt in Köpu, der nur 10 km weit entfernt ist (N58.9158° E022.20137°). Der Bau des Leuchtturms wurde bereits 1501 begonnen und im Jahr 1531 abgeschlossen, seitdem ist er in Betrieb. 

Am Fuß des Leuchtturms gibt es einen hübschen Campingplatz mit Cafeteria und Souvenirladen: Der hat zwar nur einige Postkarten, Holzartikel und Eintrittskarten für den Aufstieg auf dem Leuchtturm anzubieten, verfügt aber natürlich über zwei Internetzugänge - wir sind ja immer noch in E-stonia. Immer wieder stößt man auf Hinweise, die auf Plätze mit Internetzugang aufmerksam machen. Dagegen ist die Unterstützung, um mittels Handy ins Internet gelangen zu können, recht dürftig: Nur GSM mit 9600 Baud kann genutzt werden, was das Surfen langwierig macht und - wie wir Wochen später anhand der Rechnung feststellen werden - auch recht teuer ...

Der Leuchtturm von Köpu: Vor 500 Jahren erbaut Trepp auf, Trepp ab, der Weg lohnt sich!

Der Leuchtturm steht übrigens nicht am Meeresufer, sondern in der Mitte der Halbinsel im Wald, ist jedoch von der nördlichen und von der südlichen Küste der Halbinsel weit zu sehen. Der Aufstieg auf den Leuchtturm ist problemlos, denn die Treppenstufen entsprechen nicht unserer DIN, sondern sind anderthalb mal so hoch - so hat man in kürzester Zeit die Aussichtsplattform erreicht und wird mit einem schönen Rundumblick belohnt.

Nicht weit vom Leuchtturm entfernt liegt der höchste Punkt von Hiiumaa, der Tornimägi mit 63 m. Das kann uns, die wir aus Bayern kommen, allerdings nicht wirklich beeindrucken ...

Auf beiden Seiten freier Blick zum Meer ... Schotterstraßen: Manchmal bleibt nur noch Staub!

Obwohl der völlig leere Campingplatz recht einladend wirkt, wollen wir weiter Richtung Süden: Wir fahren auf Schotterstraßen, wie sie überall auf der Insel und auch auf dem Festland üblich sind. Die meisten Überholer und auch der Gegenverkehr sind recht rücksichtsvoll, verlangsamen und vermeiden somit, dass man im Splitregen erstickt, aber leider gibt es wie überall auch hier Rowdys, die ohne Rücksicht auf Verluste die Pisten langbrettern. Durch das gute Wetter ist die Sicht durch die Staubwolken oft recht eingeschränkt. Entlang einer Straße sind die Böschungen mit Namen und Botschaften aus Kieseln verziert ...

Wir wollen zu einem Campingplatz an der Nörga Nina, den wir auch tatsächlich finden. Eine freundliche Frau teilt in ungewohnt flüssigem Englisch mit, dass der Campingplatz leider geschlossen sei und wir auch keine Nacht bleiben können. Als sie unsere Verwunderung bemerkt, erzählt sie uns ihre Geschichte: Sie ist Finnin und hat das Gelände erst vor wenigen Monaten erworben. Sie befürchtet Ärger mit den Nachbarn, wenn nun Gäste über Nacht blieben. Der Campingplatz sei offiziell geschlossen und die Nachbarn würden sie sofort den Behörden melden, wenn sie Campingaktivitäten sehen. Aber nächstes Jahr seien wir herzlich willkommen, dann wären der Campingplatz und das zugehörige Restaurant fertig. Sie empfiehlt uns, weiter nach Söru zu fahren, dort sei direkt am Hafen ein Campingplatz.

Botschaften aus Kies ... Die Ernst Jaakson, Arne, Kurland, Alar ...

Söru besteht im wesentlichen aus einem alten Haus, das halb als Buchungsbüro für die Fähre nach Saaremaa dient und halb als Museum, in dem Gegenstände des früheren täglichen Lebens ausgestellt werden. Der Campingplatz am Hafen ist eine Wiese mit Büschen. Nicht unbedingt hässlich, aber wir sind verwöhnt und beschließen, sofort die letzte Fähre des Tages nach Saaremaa zu nehmen. Dazu muss die Vorausbuchung umgebucht werden, was anlässlich der üblichen Sprachprobleme recht kompliziert wird, aber schließlich doch machbar ist. Auf unserem Ticket steht das Schlüsselwort "Bron", wodurch wir dann als erste auf die Fähre fahren dürfen. Doch bis dahin haben wir noch viel Zeit: Das Reisen von Insel zu Insel ist eine Reise in die Langsamkeit, immer wieder muss man warten, auf das Öffnen der Kasse oder auf die Fähre. Man macht das Beste daraus, in dem man diese Gemächlichkeit genießt ...

Die Geschichte der Alar ...

Gegenüber von dem Bookingoffice bzw. Museum gibt es ein Lokal mit Bierausschank und Blick auf das eindrucksvolle Schiffswrack Alar.

Die Alar hat viel erlebt: Sie beginnt ihren Lebenslauf 1939 als Motorsegler, erbaut für den Transport von Holz unter Kapitän Arnold Türi. Doch bereits 1940 erhält sie von den Sowjets den Auftrag, Baumaterial zu transportieren zur Errichtung der Militärstation auf Saaremaa. Die Kapitäne wechseln in der Folgezeit mehrfach. Während des Zweiten Weltkriegs kreuzt sie in estnischen Gewässern. Im Jahr 1944, gegen Ende des Krieges, planen die Eigner und die Besatzung mit ihren Familien einen Fluchtversuch. 144 Leute wollen mit dem Schiff in das neutrale Schweden. Der Plan wird verraten und die Gestapo beschlagnahmt das Schiff im Hafen von Körgessaare auf Hiiumaa

Die Alar wird nach Haapsalu überführt, Frauen und Kinder werden freigelassen, die Männer kommen in ein Gefängnis in Tallinn, wo viele zum Tode verurteilt werden. Die Russen rücken immer näher und die Deutschen nehmen die Alar, die sie nun Kurland taufen, unter ihre Flagge und sie segelt nach Deutschland. Jahre später findet der ehemalige Kapitän Arnold Türi, der zwischenzeitlich in die USA ausgewandert ist, die Alar im Hamburger Hafen. Er erwirbt das Schiff, überführt es nach Großbritannien, wo es als Arne wiederaufgebaut wird. Mit einer estnischen Mannschaft unter panamesischer Flagge sticht die Alar alias Arne nun erneut in See.

Arnold Türi verkauft das Schiff nach Schweden, wo es bis 1968 weiter seinen Dienst versieht. Dann kauft er es erneut zurück, um es für die nun wieder erforderliche Restaurierung nach Hobro in Dänemark zu bringen. Die Wiederherstellung dauert Jahrzehnte und im freien Estland keimt die Idee auf, dieses Schiff wieder in die heimischen Gewässer zu holen. 1998 schließlich wird die Alar von Hobro nach Hiiumaa geschleppt. Im September 1998 verstirbt Ernst Jaakson, von Hiiumaa stammend, als estnischer Botschafter in den USA. Da beschließt man, die Alar ihm zu Ehren in Ernst Jaakson umzubenennen. Und da liegt sie nun, über 60 Jahre nach ihrem Stapellauf und verfällt erneut ...

Wieder mal: Warten auf die Fähre ... Auf nach Triigi!

Nach ca. 1,5 Stunden erreichen wir im Abendlicht Triigi auf Saaremaa. Die Insel, auch als Ösel oder Ultima Thule bezeichnet, war während des Sowjetregimes Sperrgebiet und ist nun eines der beliebtesten Ausflugsziele von Estland. Schnell sind wir im nahen Parasmetsa, wo wir einen Campingplatz mit Gästehaus finden. Der Platz wird von einem älteren Esten betrieben, der sogar ein wenig Deutsch spricht. Er hat eine Tochter, die in Hamburg mit einem Journalisten verheiratet ist. Da er seinen Militärdienst drei Jahre lang in Turkmenistan verbracht hat, spricht er fließend russisch und so können wir uns mit Deutsch, Russisch, Händen und Wörterbuch perfekt verständigen. 

Der Platz ist schön gelegen. Zur Begrüßung bekommen wir noch ganz warme frische geräucherte Schollen, die zum frisch gebackenem Fladenbrot vorzüglich schmecken. Wir sind allein auf dem Campingplatz, im Gästehaus jedoch tobt der Bär. Eine von uns nicht näher bestimmbare Menge von Jugendlichen hat hier sichtlich ihren Spaß ...

Zünftiger Platz ... Perfekt ausgestattet für die Kommunikation ...

Abends hören wir wieder Radio: Die estnischen Sender strahlen überwiegend internationale Chartmusik aus, lokale Musikproduktionen sind dagegen in der Minderheit. Der Sender Radio 4 bietet ein russisches Programm und somit einen für uns nahezu verständlichen Wetterbericht - und dieser klingt gut für die nächsten Tage ...


© 2004 Text/Bilder Sixta Zerlauth