Deutschland, August ´04: Auf nach Norden ...
Samstagabend, 14.08.2004. Wir satteln den Explorer: Im Gegensatz zum Vorjahr beim Aufbruch nach Island müssen wir uns diesmal über die Verpflegung nicht so große Gedanken machen. Baltisches Bier - insbesondere das Litauische - hat einen guten Ruf. Russisches Bier, das Baltika, das dort ebenfalls überall erhältlich sein soll, ist uns bereits bekannt und schmeckt auch: Biertechnisch dürfte es also keine Probleme geben ...
Die Weinkultur soll im Baltikum noch Entwicklungsbedarf haben: Die Balten haben dem Hörensagen nach eine Vorliebe für süßliche Weine, deshalb bunkern wir 4 Flaschen spanischen Tempranillo. Neben einigen wenigen anderen Vorräten haben wir noch einige Packungen mit Auernhammer Outdoor-Food für Notfälle dabei.
15.08.2004, es ist 5 Uhr morgens: Das Wetter ist bedeckt, die Nacht zuvor hat es geregnet. Ein Nachbar fragt, wohin es geht. "Ins Baltikum!", Na, meint er daraufhin, "ich fahre lieber in den Norden - nach Dänemark". Wir klären den guten Mann nicht über die Geographie des Baltikums auf und nehmen unseren Kurs nach Norden zunächst Richtung Berlin. Es ist Sonntag und die Autobahn ist leer, das Wetter wird immer besser, so dass wir problemlos gegen Mittag in Ferch am Schwielower See, nahe Potsdam, einen Campingplatz erreichen, der überwiegend von Dauercampern in ihren Datschen genutzt wird.
Freundlich werden wir bei der Ankunft begrüßt und schnell kommt man ins Gespräch über das Baltikum. "Mit Russisch wird es schwierig" gibt man uns den Rat. "Probiert es zunächst mit Englisch". Nichts anderes hatten wir eigentlich vor.
Beim anschließenden Rundgang durch Ferch und später am See fällt auf, wie viele Leute an diesem Nachmittag dort heftig bis wütend über Hartz IV diskutieren, über die Wessis und über alles, was im Osten platt gemacht wurde. Wer sich hier als Wessi-SPD-Mitglied "outete", würde vermutlich einiges riskieren ...
Am Campingplatz finden wir das Lokal "Zum alten Fercher", in dem wir den Abend im Garten bei einem schönen "Havelzander" und einem "Ferchschnitzel", begleitet von dem einen oder anderen Glas Hasseröder ausklingen lassen. Ein vorbeifahrender Ballon vervollständigt die idyllische Atmosphäre.
Am nächsten Morgen der "Schock": Die Suuntos zeigen wie auf Kommando gemeinsam an, dass die Batterien fast leer sind. Wir haben zwar viele Ersatzbatterien dabei, aber für einen Suunto natürlich keine ...
Die Fahrt geht weiter: Wir wollen nach Rostock zur Fähre, die um 17:00 Uhr nach Tallinn ablegt. Die Autobahnstrecke ist für hiesige Verhältnisse teilweise übel, eigentlich könnte man sie auch als Rüttelpiste bezeichnen: Immer wieder gerät der Explorer in unangenehme Nickbewegungen. Wir haben noch viel Zeit und fahren durch wunderschöne Landschaften in Mecklenburg Vorpommern, doch leider gibt es an der Autobahn hier so gut wie keine Rastplätze und auch keine Ausfahrten: Schade, denn hier würde man gern eine längere Pause einlegen ...
Sehr frühzeitig erreichen wir Rostock und versuchen noch in einem Mediamarkt an der Autobahn Batterien für die Suuntos zu bekommen - Fehlanzeige. Nun, es muss auch so gehen und kurze Zeit später ist der Fährhafen erreicht: Wie üblich ein ungemütlicher Ort, so dass wir der Abreise entgegenfiebern.
Der GTS-Finnjet, der noch seit Skandinavien 99 in angenehmer Erinnerung ist, trifft pünktlich ein. Die Passagiere werden nach Ziel eingeteilt: Tallinn oder St. Petersburg. Auffallend sind die vielen Autos mit Zollkennzeichen, die nach St. Petersburg ausgeführt werden, auch ist der Anteil an Russisch sprechenden Gästen erheblich. Beim deutschen Zoll werden wir kurz kontrolliert, man begnügt sich mit der eher rhetorischen Frage mit Blick auf den Explorer: "Da hinten ist wohl keiner drin?" ...
Zügig erfolgt das Einwinken in den Bauch der Fähre. Plötzliche Zweifel beim Fahrer: Die Höhe des zugewiesenen Stellplatzes auf dem Fahrzeugdeck erscheint mehr als knapp - ein Tritt auf die Bremse folgt. Auch die Einweiser scheinen plötzlich ähnliche Zweifel zu haben, denn sofort heben sie das darüber liegende Autodeck hydraulisch an - nun sollte es aber wirklich reichen! Der Explorer passt jetzt zwar problemlos unter die Querstreben, da allerdings wieder mal vergessen wurde, die Funkantenne abzubauen, wird das "Einparken" von lautem KladongKladong begleitet: Der Antenne hat es zwar nichts ausgemacht, doch wird sie für die Ausfahrt sicherheitshalber abgebaut ...
Bordzeit ist estnische Zeit und die Uhren müssen deshalb eine Stunde vorgestellt werden, was so bleiben wird während des gesamten Aufenthaltes im Baltikum. Das Ablegemanöver beobachten wir an der Reling mit dem obligatorischen Decksbier zu finnischen Preisen: Alles auf der Fähre ist teuer. Ein kleiner Bienenstich kostet z.B. 3,50 EUR. Doch eine Ausnahme finden wir: Eine Beratung beim Bordarzt kostet nur 6,- EUR - das ist angesichts einer Praxisgebühr von 10,- EUR an Land wirklich ein Schnäppchen! Aber zum Glück müssen wir das Angebot nicht nutzen ...
Zu den hohen Preisen kommt hinzu, dass das Restaurationsangebot nicht zu den Zielorten passt. Zwar liegt der Endhafen St. Petersburg im Reiche der tausend Wodkas, jedoch gibt es an Bord nur zwei Sorten davon: Einen russischen mit Erbeergeschmack parfümiert und einen "Sky Wodka", bottled in San Francisco. Der Preis von 4,- EUR pro Schluck wirkt noch zusätzlich abschreckend. Auch gibt es keine Bar, an der man sitzen kann.
Die Fähre vibriert stark, was im 9. Deck, wo der Stardust Club einlädt, unangenehm zu spüren ist. Beim Rundgang im Bordshop kann man sich einen "Hochsicherheitsbereich" anschauen, der mit dicken Gittern versperrt ist: Dahinter klappern wegen der Vibrationen laut und melodisch die zollfreien Schnapsflaschen, die erst zwischen Tallinn und St. Petersburg verkauft werden dürfen ...
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Am nächsten Morgen wachen wir bei trübem Wetter auf: Es regnet und leider gibt es auf der Fähre nur ganz wenige regengeschützte Plätze an Deck. Unter Deck ist es dagegen recht stickig, auf mehreren Fernsehern werden die Olympischen Spiele in Athen übertragen. Auch die Wettervorhersage ist mehr als trüb: Für die nächsten vier Tage ist zunächst "Leichter Regen", dann "Regen", weiter "Schauer" und zuletzt "Starkregen" angekündigt - tolle Aussichten, sollten diesmal die Wettergötter tatsächlich ..? Weit und breit sind auch nur Regenwolken zu sehen, die die Vorhersage zu bestätigen scheinen.
Der Tag zieht sich: Zwar gibt es das scheinbar unvermeidliche Bingo, aber es gibt keine Brückenbesichtigung und auch keine Karte, an der man beobachten könnte, wie sich die Fähre dem Zielhafen nähert - das war auf der Norröna nach Island wirklich besser gelöst!
Zum Geldtausch geht es an die Rezeption. Schon ist die Diskussion einer Rentnerin mit dem Schiffspersonal zu hören: "Ist Tallinn teuer? Wird einem da viel Geld aus der Tasche gezogen?", fragt die Dame. "Ich glaube schon", meint der Steward wohl ehrlich.
150 EUR wandern über den Tresen für den Umtausch - wir bekommen estnische Kronen im Wert von 50 EUR zurück. Auf den Hinweis, es wären aber 150 EUR gewesen, meint der junge Steward: "It’s ok". Man muss deutlicher werden: Endlich versteht er es und mit hochrotem Kopf und Entschuldigungen bekommen wir den Rest der Kronen ausgehändigt ...
Das Schiffspersonal besteht zu großen Teilen aus Russen und einigen Asiaten, die hier wohl als Billiglohnkräfte eingesetzt werden. Aber alle sind freundlich und der Service klappt, von der Panne beim Geldwechsel mal abgesehen. Höhere Ränge sind (noch) mit Deutschen und Finnen besetzt.
Glücklicherweise nähern wir uns Tallinn 30 Minuten früher als geplant. Eine Schnellfähre Helsinki-Tallinn rast am Finnjet vorbei, an Bord sicher ausreichend Finnen auf Euro-"Extratour" nach Estland ...
Es ist Zeit, sich auf den Weg zum Redaktionsfahrzeug zu machen, das im Autodeckbereich Melone abgestellt ist. Auf Deck 5 folgen wir dem Symbol Melone, doch wo führt das hin? Kein Zweifel, zum Bereich Banane! Folgt man auf Deck 5 dagegen dem Symbol Banane, kommt man selbstverständlich bei Melone raus. Aber wie kann man auch erwarten, dass man sich auf einem finnischen Schiff mit Südfrüchten auskennt ...
© 2004 Text/Bilder Sixta Zerlauth