30.04. - 02.05.99: Von Bayern nach Indien (oder: von Straubing nach Bombay)

Auf nach Zypern!

Sieben Uhr morgens.
Die Aerostar aus dem Hangar in Straubing geholt, aufgetankt worden war sie bereits am Tage zuvor und zwar randvoll. Schließlich war das Tagesziel 1.533 Nautische Meilen (NM) entfernt, also immerhin 2.836 Kilometer: Paphos auf Zypern.

Erschwerend kam hinzu, dass die Kosovo-Krise den beliebten Zwischenlandeplatz auf dem Wege nach Südosten, Brindisi in Süditalien, ebenso unerreichbar gemacht hatte wie die Nutzung der Adria-Airways. So blieb als erstes Leg die gewaltige Strecke von 1.292 NM, von Straubing über die Fußsohle des italienischen Stiefels, dort abgebogen Richtung Osten.

In wunderbarem Wetter hoben wir ab, die vorhergesagten Gewitter über den Alpen hatten sich noch nicht formiert.
5:13 Stunden Flug benötigte das Redaktionsflugzeug, unsere Aerostar mit dem Kennzeichen N60HT, bis die Räder auf der Landebahn vom Rhodos International Airport Diagoras aufsetzten, mit 5:13 h setzte sie einmal mehr Aerostar-Maßstäbe: 247 kts Durchschnittsgeschwindigkeit, 748 l verbrauchten wir insgesamt.

Flugs getankt, nochmals auf FL 200 gestiegen, bei bestem Wetter empfing Paphos mit einem Visual Approach, 7:41 h reine Reisezeit für 2.836 km - das muss erst jemand nachmachen.

Hatte oft die Nase vorn: Die PC12 aus Hamburg ...Es wunderte nicht, dass wir dann am Pool des Cypria Maris die ersten Weltreisenden entdeckten: Die Leserreise 1999 hatte begonnen, die Flugzeuge waren im Anflug auf den Sammelplatz Paphos, einige schon eingetroffen.

Im Vorfeld dieser Reise hatte es dramatische Vorgänge gegeben: Die Firma TCM veröffentlichte zunächst über das Internet, dann anschließend mit direkt an die Flugzeughalter gerichteten Telefaxe, dass Kurbelwellen eines bestimmten Produktionsloses fehlerhaft seien, betroffen sind jüngst gefertigte oder überholte Triebwerke.

Als erstes traf es die Turbo-Bonanza der Bremer Crew Bischoff / Hamacher. Dann - am Tage vor unserem Flug am Samstag, 30. April - luden 2 weitere frustrierte Piloten die Koffer wieder aus der Cessna 303: Kurz vor Anlassen der Triebwerke erhielt man ein Fax - TCM hatte zugeschlagen.

Ironie der Geschichte: Herr Seele, der Flugzeughalter, entschloss sich angesichts der langen Reise nach Australien, einen noch nicht abgelaufenen, mit rund 200 Stunden Restlaufzeit gesegneten Motor "vorsichtshalber" auszutauschen.

Und der hatte dann die defekte Kurbelwelle.

Es zeichnete die an dieser Leserreise teilnehmenden Menschen aus, dass man einmal nicht resignierte, andererseits auf eine grandiose Hilfsbereitschaft stieß: Die Bonanza-Crew stieg kurzerhand bei Klaus Gehrmann in die dann mit 6 Personen besetzte Cheyenne III, Herr Pastucha, Cessna 303 geschädigt, kaufte sich ein Ticket nach Darwin und kletterte dort in bereitwillig offengehaltene Kabinentüren.

Die am 30. April in Paphos eingetroffene Flotte war daher um diese beiden Maschinen dezimiert, von den 16 Flugzeugen blieben noch 14 übrig. 2 von diesen 14 flogen (eine C303 und eine Mooney 201) jeweils einen bis zwei Tage voraus, um einige gewaltige Tagesstrecken zu teilen, einige sehr lange Tageslegs zu verkürzen.

 

Paphos sah dann landen:
  • King Air 200 (D-IWSH)
  • TBM700 (D-FFBU)
  • Cheyenne (D-IYES)
  • Aerostar (N35WA)
  • Baron (D-IIPW)
  • Mooney (D-ETWH)
  • Commander (D-IHSI)
  • Mirage (D-EHRB)
  • PC12 (D-FCJA)
  • Aerostar (D-IMHH)
Ankunft der Flotte in Paphos ...

Also 11 Maschinen mit unserer N60HT. Die weitere Aerostar dieser Reise, die N602PK von Franz Bader, blieb auf dem Wege von Hamburg nach Paphos in München hängen, weil die Druckkabine nicht arbeitete.

Als Ursache stellte sich später heraus: Der Pilot hatte versäumt, die Entlüftungen der in die Kabine eingebauten Zusatztanks (insgesamt 816 Liter, geplant war eine Pazific-Überquerung von Australien aus) vor dem Start zu schließen.

Für die Besatzung, die dann am 3. Mai kurz vor Bangkok tödlich verunglückte, hieß das: Zusätzlicher Stress und intensivste Fliegerei, um die Gruppe mit einem Tag Verspätung einzuholen.

Die Crews besprachen in ausgelassener Stimmung den vor uns liegenden Monat: Australien als Ziel der Reise lag noch weit, sehr weit entfernt, der Weg dorthin sollte gleich am nächsten Tage mit einer großen Herausforderung beginnen: Nachdem Saudi Arabien - wieder einmal - die Nutzung eines veröffentlichten Airways, der recht dicht unter der irakischen Grenze nach Kuwait verläuft, versagt hat, fiel Kuwait aus als idealer Tankstop auf dem Wege nach Muscat, Oman.

Kultivierung der Wüste Saudi Arabiens ...Blieb Bahrain, wohlbekannt seit der Leserreise 1997, für jene, die das Ziel Muscat nicht erreichen konnten in einem geschlossenen Sprung. Und wer konnte das schon?

Über Syrien, Jordanien und Saudi Arabien zum Sultanat Oman ...

Von Paphos aus ging es zunächst nach Osten, über den Libanon hinein nach Syrien. Dort erst nach der weiträumigen Vermeidung israelischen Luftraums die Biege nach Süden, dem eigentlichen Ziel entgegen. Jordanien und Saudi Arabien mussten überflogen werden, bis zum Flughafen OBBI addierten sich so respektable 1.169 NM - wenn die Saudis nicht wären ...

Denn die - unsere Erfahrung nach nun sechsmaliger Querung dieses riesigen Landes - weisen Airways nach Gusto zu. Mal sind bestimmte Strecken erst ab FL 270 oder gar 290 verfügbar unter Berufung auf die AIP, beim nächsten Flug ist es problemlos möglich, eben diesen Airway in FL 200 oder 210 zu nutzen - verstehen tut das gar niemand.

So auch am 1. Mai: Alle Maschinen, die unterhalb FL 270 unterwegs waren, bekamen wieder willkürlich einen Umweg von runde 80 bis 90 NM verpasst. Das war die schlechte Nachricht. Die gute: Aufgrund hervorragender Winde konnten die hochfliegenden Turboprops durchdüsen bis nach Muscat, die meisten Kolbenflugzeuge dagegen landeten in Bahrain - und diese Landung war ein Erlebnis für sich: Tagespresse, Fernsehen, eine Delegation des Verkehrsministers begrüßte uns, in einem dankbar angenommenen klimatisierten Raum bot man Drinks und Sandwiches an, nachdem die Flugzeuge in der brüllenden Hitze von etwa 40° C aufgetankt worden waren.

Schatzsuche in Muscat ...Wir landeten kurz vor 15 Uhr lokal nach 5:15 h Flug. Muscat, die Hauptstadt des Sultanats Oman, sah uns bei untergehender Sonne mit einem weiteren Visual am Abend des ersten "echten" Reisetages landen, bis auf die bemerkenswerte Hitze verliefen alle Flüge absolut problemlos.

Das Ehepaar Heide und Chistopher Beal, die uns mit ihrem Touristikunternehmen im Oman während unserer Leserreise 1997 betreuten und zu guten Freunden wurden, holten die Gruppe ab mit einem perfekt organisierten Transport und brachten die meist von der Hitze gezeichneten Crews in das spektakuläre Hotel Hyatt. Geschafft! Die Lesereise 1999 war auf dem Wege.

Die erste große Herausforderung war mit Bravour erledigt. Zeit zum Atemholen gab es aber nicht: Bombay wartete. Zwar war die Tagesleistung mit "nur" 862 NM deutlich geringer am 2. Tag, aber es sollten 862 NM sein, die es in sich haben: Wasser, nichts als Wasser. Noch nie haben wir im Rahmen unserer Leserreisen eine derart große Überwasserstrecke gehabt wie am 2. Mai, als die Arabien Sea gequert werden musste ...

Ausserdem kam mit Bombay - Mumbai - eine große Unbekannte auf uns zu: Einige Crews waren mit uns vor 2 Jahren im Oman mit dabei, man flog also auf der Basis bereits gemachter Erfahrungen. Aber Mumbai, Indien, hatte noch niemand mit dem eigenen Flugzeug angesteuert.

Es geht weiter nach Bombay ...

"You are cleared to Bombay via romeo two one nine echo, flight level two two one", so gab nach einer problemlosen Abfertigung in Muscat der Controller die Streckenfreigabe.

Abflug aus Muscat: Der Palast des Sultans ...Bei wiederum fast 40° C am Boden freuten wir uns auf die kühle Luft im Reiselevel, 210 erreichten wir nach rund 23 Minuten, die Density-Altitude lag bei fast 24.000 ft!

Auf diesem Flug war nicht nur das viele Wasser und die hunderte von Meilen entfernten Emergency-Flugplätze ein Problem, sondern auch die Communication: Pflichtmeldepunkte sind natürlich die jeweiligen FIR-Bounderys, dort fliegt man in den indischen Luftraum ein - rund 580 NM vor der indischen Küste. Mit VHF ist da nichts mehr zu machen.

Es klappte aber tadellos: Auf der vereinbarten "Company" - Frequenz sprachen wir weiter vorne, respektive weiter hinten fliegende Besatzungen an, gaben denen die Positionreports durch, die dann per Relay entweder an Muscat oder an Mumbai gegeben wurden.

Eine weitere sehr grosse Hilfe war die D-IHSI mit ihrer HF-Ausrüstung, Egon Evertz hatte oft alle Hände voll zu tun, den vielen Wünschen nach einem Relay gerecht zu werden.

Bombay, Flughafen Mumbai - was erwartet uns dort? Diesen Gedanken mögen alle gewälzt haben, tatsächlich war Indien für uns während der Planung der wirklich problematische Punkt. Gefunden hatten wir dort aber die Cambata, ein Handling-Unternehmen, das in Mumbai auch die australische Quantas abfertigt. Mit dem rührigen Mr. Sharma, den wir im Rahmen der Vorbereitung persönlich kennenlernten, hatten wir in den Wochen zuvor alle Details ausgetauscht bis hin zu den erforderlichen Spritmengen - es sollte also alles klappen. Aber wer weiß schon, was in Mumbai wirklich klappt?

Zunächst klappte die Communicaton mit Mumbai nicht, erst spät, sehr spät war die Zwiesprache mit Mumbai Control auf der Frequenz 132.6 verständlich hergestellt. Mumbai wird konzentrisch angeflogen: Wer dort landen will, bewegt sich auf einem definierten Radial auf die VOR Mumbai zu, was in Verbindung mit einem nicht sehr zweckmäßigen Abwicklung der betreffenden Lotsen zu wirklich stressigen Situationen führt. Denn die Lotsen, die ja die Maschinen auf ihrem Radar sehen, fragen ständig nach dem Radial, auf dem man sich bewegt - obwohl das bekannt ist spätestens nach dem Erstanruf - und immer wieder nach der DME-Distance. Das bringt eine unglaubliche Belastung der Approach-Frequenz mit sich.

Dazu, quasi als Salz in der Suppe, noch dieses: Sind Mumbai Control und Mumbai Tower wirklich gut zu verstehen, ist ausgerechnet das Radio von Mumbai Approach von einer Qualität, die nur noch sicherheitsbeeinträchtigend genannt werden kann. Das Ganze wird gekrönt von körperlich spürbarer Nervosität und Anspannung des Lotsen.

Nun: Wir waren Nummer 6 zur Landung, vor uns Air Indias und eine JetAviation, was für Flugzeugtypen das waren, konnten wir in der Kakophonie von Mumbai Approach nicht herausfiltern, blieben daher etwas über dem Gleitweg beim Endanflug auf die Landebahn 27 in den Dunst dieser wuchernden Stadt, die neben grenzenloser Armut mehr Millionäre beheimatet als ganz Deutschland vorweisen kann.

Schon beim Ausrollen aber wurde klar: Herr Sharma hatte uns voll im Griff! Ein Jeep in der Funktion eines Follow Me nahm uns sofort nach dem Abrollen von der Landebahn 27 an den Haken und führte zu einem ehemaligen Rollweg, den man von den gröbsten Steinen freigefegt hatte, der uns in der Enge des Flughafens als provisorischer, individueller Parkplatz diente.

Alles war da: Fleißige Mitarbeiter der Cambata, die den nicht unerheblichen Papierkram erledigten, ein Avgas-Tankwagen, ein kleiner Bus. Nach denkbar kürzester Zeit war die Aerostar betankt für den nächsten Tag, die Maschine versorgt, abgeschlossen und dann von einer Behörde versiegelt, was mir sehr recht war.

Gepäck in den Bus, und ab ging es zum Hauptterminal. Auch hier alles perfekt: Zoll und Immigration hatten einen eigenen Schalter für uns eingerichtet, vor dem Terminal wartete die Mercedes-Limousine des Taj Mahal, der weiß uniformierte Fahrer war neben uns verschwitzten Reisenden eindeutig der bestgekleideste überhaupt.

Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn Mumbai mit seiner erbarmungslosen indischen Bürokratie war ein Risiko für unsere Flotte. Tief beeindruckt jedenfalls traf man sich abends im indischen Restaurant des Traditionshotels: So schrecklich haben trotz unserer intensiven Schilderungen die wenigsten sich die Armut in Bombay, das Elend auf den Straßen vorgestellt.

Damit war uns der erste wirkliche Punkt der Reise gelungen: Der Einflug nach Indien, der Eindruck von Bombay. Allerdings sollte sich nun, nach der Landung in Indien, die Dramaturgie der Leserreise deutlich steigern: Am 3. Mai, dem 3. Reisetag nach Zypern, kam ein unter allen Perspektiven sehr schwieriges Leg auf uns zu mit dem Tagesziel Bangkok ...


© Text/Bilder 2000 Heiko Teegen, Pilot und Flugzeug 08/99-09/99