Radio Tower mit Weitblick ...

Unterkunft in einem sechsstöckigen ehemaligen deutschen Funkpeilturm - direkt an der Südwestküste Jerseys? Ein befestigter Turm, der seinerzeit eigentlich "Marinepeilstand MP2" hieß? Eine verrückte Idee? Vielleicht! Ein Überraschungsziel für ein Mitglied vom Explorer Team? Auf jeden Fall! Ein einmaliger 360°-Rundum-Aussichtspunkt über die See und den nahen Leuchtturm von La Corbière und ein sicherlich unvergessliches Erlebnis? Ganz bestimmt!

Vom Jahr 1941 an planten die Deutschen den Ausbau der Kanalinseln nach deren Besetzung zu uneinnehmbaren Festungen im Rahmen des Atlantikwalls. Entsprechend viele Befestigungen kann man noch heute auf den Inseln besichtigen. Außer den beiden anderen Türmen MP1 und MP3 auf Jersey wurde oben auf einer Klippe über dem nahen Leuchtturm auch der Marinepeilstand MP2 im Rahmen dieser Vorhaben ausgebaut. Diese Peilstände sollten zur Feuerleitkoordination der Befestigungen dienen sowie zur Navigations-Unterstützung deutscher Schiffe im Ärmelkanal und zur Kontrolle des dortigen Schiffsverkehrs. Die Steintreppen sowie die stählerne Eingangstür des knapp 18 Meter hohen und teilweise mit bis zu zwei Metern dicken Betonwänden ausgestatteten Turms sind heute noch erhalten.

Der MP2 wurde im Jahr 1976 mit einem rundumverglasten Aufbau als Kontrollraum ausgestattet und von da an vom Jersey "Harbour and Airport Committee" genutzt - eine Art Kontrolltower für die Schifffahrt im Ärmelkanal. Seit 2006 befindet sich der Turm im öffentlichen Besitz von Jersey und wird seitdem von der Denkmalschutzorganisation "Jersey Heritage" verwaltet, wo man den Turm mittlerweile auch als Touristenunterkunft mieten kann.

Dieser "Naval Tower" oder "Radio Tower" verfügt heute über insgesamt 6 Stockwerke: Vom Erdgeschoss aus geht es über eine enge Wendeltreppe bis ganz nach oben, zunächst über drei Stockwerke mit Schlafzimmern, Dusche etc., dann über ein fünftes Stockwerk mit gut ausgestatteter Küche und schließlich hoch nach oben zur Aussichts- und Wohnplattform, dem ausgebauten ehemaligen Kontrollraum mit 360° Rundumsicht.

Unterkunft mal anders ... Aufstieg außen nicht erforderlich! ;-)) Jede Menge Alarmzonen innen ...
Durch diese Originaltür muss man kommen ... Enge Wendeltreppe aufwärts wartet ...

Schlafzimmer auf 3 Stockwerken gefällig?

Zeit sollte man hier mitbringen ... ... aber irgendwann ist man ganz oben ...

Am Morgen nach unserer Ankunft haben wir bereits vieles erkundet: Klar bezieht man das oberste Schlafzimmer, wenn man allein im Turm ist, trotz der diesbezüglichen Warnungen, die sich bewahrheiten. Im obersten Schlafzimmer-Stockwerk soll es bei starkem Wind von der See aus manchmal gespenstermäßig heulen, was es in einer der folgenden Nächte auch tut: So ein gruseliges Heulen erlebt man wahrhaftig nicht überall, und vielleicht überlegt man dabei sogar mal kurz, in ein Schlafzimmer einen Stock tiefer umzuziehen ...

Man  benutzt während des Aufenthaltes natürlich auch ausgiebig die komfortable Küche und hält sich ansonsten nahezu ständig im "Kontrollraum" des Turms auf, wo man rund um die Uhr eine fantastische Aussicht auf die See, vorbeiziehende Schiffe und den Leuchtturm von La Corbière hat, der im Jahr 1873 als erster Betonleuchtturm der Britischen Inseln entstand und auf See rund 30 km weit sichtbar ist. Der Zugang zum Leuchtturm über einen Betonweg ist in Anbetracht der hier herrschenden enormen Tiden von mehr als 10 Metern nur stundenweise möglich - wenn dieser Weg begehbar ist und das Meer nicht gerade bis unten an den Turm schwappt ...

Die fantastische Aussicht vom "Kontrollturm" aus bewirkt wie von allein, dass man seine Unterkunft eigentlich nur noch kurz zum Einkaufen verlassen möchte und ansonsten oben sitzt oder zumeist steht und den Rundumblick und das Ambiente rund um den Leuchtturm "genießt".

Faszinierend zu sehen, wie der Leuchtturm während des Tages einige Stunden lang über den nur wenig frequentierten Betonweg erreichbar ist und in den Abendstunden dieser Weg bei einsetzender Flut zunächst langsam, dann aber ganz plötzlich zu verschwinden scheint, bis der Leuchtturm La Corbière schließlich einsam aus den Fluten ragt. Und diese Umgebung hielt vor dem Bau des Leuchtturms in der Vergangenheit große Gefahren für die Schifffahrt bereit, so dass noch heute das eine oder andere Wrack vor der Küste liegt.

Klar, dass der Sonnenuntergang und das rege Treiben in der Umgebung aus dieser Perspektive besonders beeindruckt und man dazu unbedingt auch einen der wunderbaren französischen Weine der Appellation "Corbières" aus dem Languedoc-Roussillion beschaffen muss, damit "alles stimmt", was die außergewöhnliche Lage hier angeht an der Südwestspitze der Insel ...

Küstenwache mit Selbstreflexion ... Gemütlicher Ausblick überall ... Zum Leuchtturm passender Corbières-Wein muss sein! Nun ist wieder unerreichbar, der Leuchtturm ...
Hier passt auch die Morgensonne ... Wieder unangemeldete Schiffe in Sicht? Dauerwache bis zum Abendrot ... Alles verschwimmt im Sonnenmeer ...

Auch der hat uns nicht angefunkt!

So einen langen Schatten wirft nicht jeder! Blick auf Westküste und La Rocco Tower ... Besucher am Leuchtturm Nochmal Besucher: Manchmal auch etwas länger und festlicher ...
Noch ein Foto muss einfach sein ... ... aber das Abendessen wartet ... Schichtende im Kontrollraum ...

Wenn man einige Tage lang den Leuchtturm inmitten der Tiden zu allen möglichen Zeiten beobachten kann und "muss", dann ist ein Spaziergang hin zum Turm natürlich irgendwann auch ein "Muss". Wir erreichen das heute noch bewohnte ehemalige Wärterhaus am Beginn des Betonwegs, wo man etliche Info- und Warntafeln studieren kann: Eine erinnert an einen Assistenten des Leuchtturmwärters, der im Jahr 1946 ums Leben kam, als er versuchte, einen Besucher aus der aufkommenden Flut zu retten. Eine andere Tafel fordert dazu auf, unbedingt nur den Betonweg zum Leuchtturm zu nutzen, eine weitere warnt vor heftiger Strömung durch den Tidenhub. Die wohl wichtigste Infotafel weist auf eine Sirene hin, die ertönen soll, sobald die Flut beginnt, den Weg zum Leuchtturm zu überschwemmen.

Wir müssen gestehen: In der gesamten Zeit, die wir uns rund um unser Domizil aufgehalten haben, hörten wir niemals eine derartige Sirene ...

Der Weg zum Leuchtturm ist von bizarrer Schönheit: Rundum Felsformationen, denen man deutlich ansieht, dass sie sehr oft unter Wasser stehen und man staunt, wie hoch sich die Flut hier tatsächlich auftürmen muss. Ein gewisses Schaudern überkommt den Wanderer, wenn er sich fragt, wann er bei Flut wohl spätestens wieder den Rückweg antreten muss, um noch trockenen Fußes sicheren Boden zu erreichen und wie schnell er möglicherweise dabei mindestens sein muss, wenn er es darauf ankommen lässt ...

Spiel der Gezeiten: Der fantastische Weg zum Leuchtturm ist frei ... Wer jetzt noch nicht auf dem Rückweg ist, könnte Probleme bekommen ... Rückweg verpasst? Nun heißt es am Leuchtturm übernachten ...
Am Leuchturmwärterhaus beginnt unser Weg ... Warnsirene bei einsetzender Flut? Bizarre "Unterwasser-Landschaft" ...
Hier ist Schluss: Betreten des Leuchtturms nicht erlaubt! Unser Tower wartet schon ... ... zurück vorbei an Bunkern ... ... und einem Denkmal: Rettung des Katamarans "Saint-Malo" im Jahr 1995

Wir machen uns zu gegebener Zeit wieder auf den Rückweg, erneut verzaubert durch eine mehr als wundersame Umgebung, die immer wieder zum Verweilen und Staunen einlädt - wen wundert es, wenn dabei die Rückkehr trotz Sprühregen vielleicht etwas länger dauert ...

Unser "Marinepeilstand" weist uns schon von Weitem - wie überall in der ganzen Umgebung - den Weg zurück, es ist schon außergewöhnlich zu wissen, dass man gleich wieder in eine derartige "Festung" zurückkehren wird, die einem erneut großartige Aussicht erlaubt.

Aber alles ändert nichts daran, dass wir uns nicht nur in unserem Tower einschließen können, sondern ihn bald auch einmal verlassen müssen, denn es gibt ja noch viel zu tun, wie wir wissen: Jersey und seine anderen Sehenswürdigkeiten warten!


© 2019 J. de Haas