Bunkertag: Batterie Lothringen und Jersey War Tunnels

St. Brélade, La Corbière, 11.10.18: Wir wollen heute unseren Tower verlassen und in die unselige deutsche Besatzungsgeschichte eintauchen, die auf dieser Kanalinsel gewaltige Spuren hinterlassen hat. Man tut hier auf der Insel aber alles dazu, dass diese Historie mehr als lebendig bleibt, indem mehrere Museen dazu betrieben werden und vom Jersey Touristenzentrum sogar ein "Jersey Occupatíon Trail" vorgeschlagen wird.

In unserer näheren Umgebung gehört dazu neben unserem Marinepeilstand und dem Infanteriestützpunkt Corbière vor allem der nahe Noirmont Point mit der Batterie Lothringen - der einzigen Artillerie-Batterie auf der Insel. Sie gehörte zum Atlantikwall-System und wurde 1941 in Betrieb genommen, der Befehlsbunker wurde erst im Jahr 1944 fertiggestellt. Dort befindet sich heute ein Museum. Insgesamt wurden vier Bunker gebaut, zu sehen sind heute u.a. ein zweistöckiger Leitstand (Regelbau M 132), der mit Entfernungsmesser und Periskop ausgestattet war, erbaut von der Organisation Todt. Es ist der letzte erhaltene Leitstand von denen, die einst auf der Insel errichtet wurden. Vier 15 cm-Kanonen waren hier stationiert, bereits 1917 von der Friedrich Krupp AG produziert und ursprünglich als Sekundärbewaffnung auf deutschen Schlachtschiffen im Ersten Weltkrieg eingesetzt. Die Batterie wurde nach einem dieser Schiffe benannt, nämlich der S.M.S. Lothringen.

Später sollten neuere Kanonen beschafft und die Anlage auf 9 Bunker erweitert werden. aber das Kriegsende machte alle derartigen Planungen zunichte. Einer der beiden anderen Marinepeilstände auf Jersey außer "unserem MP2" befindet sich ebenfalls hier in der Batterie: Wie alle drei ist auch dieser den alten Martello-Türmen nachempfunden, Rundtürmen des britischen Empires aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Dieser als "MP1" bezeichnete Peilstand steht direkt an der Küste neben der Batterie.

Zu finden sind auf dem Gelände der Stellung heute noch einige Reste der 150 mm SK L/45 Geschütze, die nach Kriegsende ursprünglich versenkt worden waren, später aber wieder aus der See geborgen und erneut aufgestellt wurden. Sie standen hier einst neben anderen Geschützen der Artillerie-Nahverteidigung und konnten ein nahezu 360°-Gefechtsfeld über die benachbarten Buchten mit einer Reichweite von bis zu 18 km bestreichen ...

Gelbwesten auf Geschichtstour ... Wir machen den Weg frei ...
15 cm Geschütz Richtung St. Aubin´s Bay Ehemaliges Schiffsgeschütz, Reichweite 18 km ... 150 mm SK L/45 Geschütz von hinten Kein Schlachtschiff mehr, aber auch im Gelände dominierend ...
Gepanzerte Mess- und Beobachtungskuppeln vom Leitstand Abstieg in die Bunker-Unterwelt ... Mannschaftsbunker Marinepeilstand "MP 1" der Batterie

Als wir die Batterie erreichen, sehen wir auf der Plattform von einem der 15 cm-Geschütze eine ganze Horde von Gelbwesten. Hierbei handelt es sich aber offensichtlich um keine Abordnung aus dem nahen Frankreich, sondern um eine oder mehrere Schulklassen, die hier einen Bildungsausflug in die finstere Vergangenheit unternehmen - dem fröhlichen Treiben und den ebenfalls gelbbewesteten Begleitpersonen ist allerdings nicht zu entnehmen, dass es sich um eine allzu finstere Veranstaltung handelt ... 

Wir warten ab, bis sich die vielköpfige "Besatzungsmacht" wieder entfernt hat und können uns dann ebenfalls ungestört umsehen: Dieses offene Betonplateau, die "Bettung" des 15 cm-Geschützes, ist auch abgebildet im Band Militärmuseen (Sonderband 22 Kanalinseln) des "Deutschen Atlantikwall-Archiv" von Harry Lippmann, versehen mit der Anmerkung "bestimmt kein angenehmer Aufenthalt für die Geschützbedienung während eines Gefechtes". Dem kann man auch als Zivilist durchaus zustimmen, allerdings ist nicht bekannt, dass diese Geschütze jemals in einem Gefecht eingesetzt wurden, denn außer einem ersten Bombardement durch die Deutsche Luftwaffe im Jahr 1940, das auf einem Irrtum beruhte, wurden die Inseln bis zur deutschen Kapitulation 1945 niemals angegriffen.

Die im Jahr 1941 errichtete Stellung wurde mittlerweile von der "Channel Islands Occupation Society" zu einem kleinen, gut ausgestatteten Museumsgelände ausgebaut. Den Museumsbunker besuchen wir als nächstes und können dort mehr oder minder abstruse Exponate bestaunen, die von deutschen Schildern mit markigen Sprüchen über Puppen in Originaluniformen bis hin zu im Jahr 1945 abgelaufenen Konservendosen reichen ...

Auftrag klar ... Detaillierte Infos zum Leitstand ... Auch das Heizen will geregelt sein ...
Kurze Dusche gefällig ..? Der Sani wartet schon  ... Die haben heute nicht mehr das Kommando ... Wer wollte hier nicht gern ein wenig ausruhen ..?
Wieder aktuell in der EU wegen Brexit ..? Klare deutsche Anweisungen ...
Vorratskammer ... Erbsen seit 70 jahren abgelaufen ..? Jede Menge Exponate

Wir verlassen die Batterie Lothringen vom Noirmont Point aus Richtung Norden und der Küste der nahen St. Aubin’s Bay. Es geht über eine extrem schmale "Green Lane" mit Priorität für Fußgänger, Radfahrer und Reiter mit einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 24 km/h, die man allerdings schon freiwillig gerne einhält, wenn man nie weiß, wer einem in der Kurve entgegenkommt.

Irgendwann erreicht man dann erleichtert das enge Örtchen St. Aubin, hinter dessen Hafen in der Bay man das gleichnamige Fort sehen kann, errichtet um das Jahr 1540, als dieser Hafen noch der wichtigste der Insel war. Selbstverständlich wurde auch dieses Fort bei der deutschen Besetzung der Kanalinseln zum Teil des Atlantikwalls gemacht mit der Installation entsprechender Geschütze und - wie offenbar gern auf der Insel geschehen - auch mit diversen Beton-Kasematten ausgebaut. Eine kleine Randnotiz der Geschichte: In diesem Hafen von St. Aubin ankerte im Mai 1945 die HMS Beagle, auf der die separate deutsche Kapitulation für Jersey abgeschlossen wurde ...

Schmalspur bis nach St. Aubin ... Fort St. Aubin: Bei Ebbe über einen Damm zu Fuß erreichbar

Wir fahren weiter zu unserem heutigen zweiten Ziel in Richtung Inselmitte nach St. Lawrence: zur ehemaligen "Hohlgangsanlage Ho 8", allgemeiner bekannt als die Jersey War Tunnels.

Dieser von rund 5.000 Zwangsarbeitern 1941 -1944 errichtete Tunnel Komplex erstreckt sich in 50 Metern Tiefe mit einer Länge von mehr als einem Kilometer. Baustellen mit angefangenen weiteren Stollen zeigen heute, dass weitere Ausbauten des Tunnelsystems geplant waren, die nicht mehr fertiggestellt werden konnten. Ursprünglich sollten die Tunnel als Zuflucht der deutschen Besatzer dienen bei einer befürchteten Bombardierung durch die Alliierten, die niemals stattgefunden hat. Ende 1943 wurde schließlich an der Stelle eines Geschützstandes und einer Kaserne das System zu einem Lazarett für bis zu 500 Patienten ausgebaut. 

Das hier befindliche Museum in der Hohlgangsanlage dürfte das wichtigste der Insel sein in Hinblick auf Sammlungen und Exponate von Militaria sowie ausführliche geschichtliche Darstellungen zu den Geschehnissen rund um die Kanalinseln im Zweiten Weltkrieg. Es verfügt auch über ein Restaurant und einen Museumshop mit zahlreichen Angeboten.

In diesem Museum wird auch detailliert darüber informiert, wie die Einwohner während der deutschen Besatzung auf der Insel gelebt haben. Man erfährt vom Ausbleiben von Nachrichten aus England, da die Deutschen den Radioempfang verboten hatten. Manche riskierten Haftstrafen mit der Installation eigener geheimer Radioempfangsmöglichkeiten für Frontnachrichten. Benzinmangel führte zum verstärkten Transport mittels Pferdewagen und der frühen Umrüstung von Fahrzeugen auf Gas (!). Selbst der Gebrauch von Fahrrädern war auf wesentliche Dienste beschränkt, der Linksverkehr nach einigen schweren Unfällen abgeschafft (!) und die Uhrzeit auf deutsch-europäische Zeit umgestellt (!) ...

Vor der "Hohlgangsanlage Ho 8" ... Gefahren lauern hier ... Sturmgeschütz (StuG III) Besser als DHL ..?
Mehr zur Hohlgangsanlage ... Wahrer Tunnelblick ... Das kommt auch Deutschen von heute bekannt vor ... Lazarett für bis zu 500 Patienten ...
Detaillierter Gechichtsunterricht ... Würden SIE von diesem Deutschen ein Eis annehmen ..?? "Raeummung" auf Befehl ... Nur wenige dürfen funken ...

Wir kommen zu merkwürdigen Installationen, wo Puppen in deutschen Uniformen aufgestellt sind, bei denen anstelle eines Kopfes ein Bildschirm montiert ist. Auf diesem kann man aber z.B. den Kopf eines freundlichen Deutschen erblicken, der mit entsprechendem Akzent nette Dinge auf Englisch sagt und dabei einem einheimischen Kind ein Eis anbietet. Darunter dann auf einem Schild die Frage an den Besucher: "Würden SIE sich von einem deutschen Soldaten ein Eis kaufen lassen? Er hat ebenfalls eigene Kinder und vermisst sie." Bei anderen derartigen mehr oder minder gut Englisch "sprechenden" Puppen finden sich weitere Schilder mit "Würden SIE ..." Fragen an die Besucher zu Reaktionen auf deutsche Gesprächsangebote. Nun ja, Geschichte wird offensichtlich überall anders und manchmal recht eigenwillig dargestellt ...

Unsere Rückfahrt zum "heimischen" MP2 erfolgt aufgrund einer unfallbedingten Straßensperrung irgendwie anders als geplant und von freundlichen Polizisten koordiniert dennoch relativ problemlos: Ganz plötzlich sind wir wieder am vertrauten Flughafen von Jersey und von da aus wieder recht bald am heimischen Leuchtturm von La Corbière. Ein sehr informativer Tag nähert sich seinem Ende und auch wieder einem Höhepunkt: Nämlich einem wunderbaren Abend im "Kontrollturm" mit Seeblick ...


© 2019 J. de Haas