Ungarn 2005 (1)
Das unbekannte Reiseland ...
Billigurlaubsland oder Traumziel?
Ungarn ist nach Ansicht vieler Individualreisender kein favorisiertes Traumziel: Es hat nach wie vor ein Image als Billigurlaubsland mit nur wenigen touristischen Highlights.
Insbesondere der Plattensee - ungarisch Balaton - besitzt in breiten Kreisen einen Ruf wie der Ballermann auf Mallorca. Dieses Vorurteil trifft - genauso wie auf der balearischen Hauptinsel - nur an wenigen Orten und nur an wenigen Wochen im Jahr zu.
In Wirklichkeit ist Ungarn und auch das Gebiet des Plattensees nur an wenigen Stellen touristisch richtig besiedelt: Schon ein paar Kilometer ins Landesinnere genügen, um sich in eine Welt der Ruhe und Beschaulichkeit zurückzuziehen. Leider nutzen nur relativ wenige Urlauber diese Möglichkeit, denn hier beginnt der eigentliche Reiz der ungarischen Landschaft ...
Das Gebiet nördlich des Plattensees ist an vielen Stellen vulkanischen Ursprungs: In fernen Zeiten muss es hier ganz schön warm und explosiv geworden sein, denn zahlreiche steil ansteigende Hügel sind Reste von Vulkanen, die vor mehreren Millionen Jahren durch einen geologischen Hotspot mitten in Zentraleuropa gebildet worden sind.
Die vulkanischen Böden garantieren auch überdurchschnittliche Lagen in diesem Weinanbaugebiet: Der ungarische Wein ist so verschieden wie das Land selbst. Der süße Tokaja oder der fruchtige Graumönch sind die bekanntesten Weine.
Gerade die vielen, kleinen Weingüter, die teilweise im Nebenerwerb oder nur zur Selbstversorgung der Einheimischen dienen, bieten für den Weinkenner kleine Schatzkammern, die es zu erschließen gilt (Anm. der Red.: Werden wir für unseren Weinkeller so schnell wie möglich nachholen! ).
Das Preisniveau ist außerhalb der touristischen Hauptziele - wie bei allen Nahrungs- und Genussmitteln - weit unter dem gewohnten, mitteleuropäischen Durchschnitt. Beliebt sind nach wie vor die Karpfensuppe oder ein Langos - beides wird nahezu überall um den Balaton angeboten und ist für ein paar Forint zu haben.
Obwohl noch nicht als offizielle Währung eingeführt, ist die Bezahlung in Euro fast überall möglich. Den Wechselaufwand lassen sich die Kaufleute und Wirte natürlich - wenn auch in sehr geringen Umfang - bezahlen. Folglich empfiehlt sich der Umtausch von Euros nach wie vor ...
Nach unserer bisherigen Erfahrung - wir waren bereits dreimal in diesem Land - ist es nicht nötig, Ungarn mit Zelt oder Wohnmobilaufbau zu bereisen, falls das Preisniveau oder die Sorge wegen des Qualitätsstandards hierfür Ursache sein sollte: Die Unterkünfte sind im allgemeinen sehr preisgünstig und trotzdem auf einem Niveau, das einen vernünftigen, mitteleuropäischen Standard entspricht. Vor Antritt der Reise ein wenig im Internet gesurft und schon tut sich das ein oder andere Sonderangebot auf: Unsere persönliche Empfehlung lautet für den nördlichen Plattensee das Gasthaus Adler auf der Halbinsel Tihany. Die Wirte sprechen deutsch, das Essen ist erstklassig und in der Nebensaison gibt es attraktive Sonderangebote ...
Exkursionen im Bakony-Gebirge
Tihany ist ohnehin einer der besten Ausgangspunkte für Exkursionen am Nordufer des Balaton. Hier liegt das waldreiche Bakony-Gebirge. Gebirge ist eigentlich zuviel versprochen, denn im eigentlichen Sinne ist es eine Hügelkette, die allerdings in punkto Geologie und Natur wirklich interessant ist.
Das Bakony-Gebirge ist das größte Karstgebiet des transdanubischen Raums und seit ca. 4.000 Jahren besiedelt. Zahlreiche Höhlen durchziehen das Gebiet und sind teilweise der Öffentlichkeit zugänglich. In den Wäldern und Höhlen sollen - laut vieler Legenden - Räuberbanden in vergangenen Zeiten ihr Unwesen getrieben und Rebellen gegen die unterschiedlichen Besatzer Ungarns Zuflucht gefunden haben.
Eine dieser Höhlen, in der Nähe von Tapoka gelegen, hat einen so großen Höhensee, dass der Besucher sich ein Boot zu dessen Erkundung leihen kann. Geologisch ist das Bakony-Gebirge für den Interessierten die erste Wahl: Ein alter Steinbruch, in dem von einem übriggebliebenen Vulkanschlot Basalt abgebaut worden ist, dient nun als sehr informativ aufgebauter, geologischer Lehrpfad. Die über 50 m hohen "Orgelpfeifen" der erstarrten Magma sind sehr eindrucksvoll und bieten obendrein Wanderfalken einen sicheren Nistplatz. Bei Ajka dominiert währenddessen der Karst und ein Riff aus dem Jura-Zeitalter tritt mit seinen zahlreichen Fossilien direkt an der Straße an das Tageslicht.
Das Bakony-Gebirge bietet - bedingt durch die vielen kleinen Landstraßen und Pisten, die es durchziehen - auch fahrtechnisch interessante Strecken, auf denen große schwerfällige Fahrzeuge einfach fehl am Platze sind.
Als Fahrzeug für diese Reise wählten wir wieder unseren Jeep Wrangler mit dem 2,4 Liter-Motor aus der Mitsubishi-Produktion. Genauer gesagt war die Ungarn-Tour die erste Reise für den neuen Wagen, Nachfolger eines im letzten Herbst mit Totalschaden auf der Strecke gebliebenen Fahrzeuges gleicher Bauart. Dieses Modell verfügt zusätzlich über einen Tempomat, der auf der über 800 km langen Anfahrt wertvolle Dienste leistete.
Rein theoretisch ist Ungarn mit jedem normalen Fahrzeug zu erschließen, doch macht der Zustand von so mancher Nebenstraße einen Geländewagen empfehlenswert.
Schlaglöcher unterschiedlichster Ausprägung und Bodenwellen im Asphalt machen so manche Straße zur fahrtechnischen Herausforderung. An einer kleinen Nebenstraße zu einem ehemaligen Vulkankegel stieg die Anzahl der Schlaglöcher so rapide an, dass nur noch Schrittgeschwindigkeit möglich war und wir mit Dankbarkeit den Übergang zu einer "normalen" Schotterpiste begrüßten.
Zu Klöstern und Burgen ...
Da in Ungarn die Zufahrt zu kleinen und kleinsten Straßen und Wegen nicht so reglementiert ist wie hierzulande, macht der Gebrauch des Jeeps dort richtig Spaß. Nur die serienmäßigen Reifen setzten dem Vortrieb auf den teilweise verschlammten Wegen Grenzen. Viele interessante Ziele, wie kleine Ruinen von Klöstern und Burgen, sind ohnehin nur zu Fuß oder eben mit einem Geländewagen zu erreichen. Dies gilt nicht nur für Ungarn, sondern für alle Länder, die nicht den deutschen Hang zum Verbotsschild inne haben. Natürlich setzt die Wahrnehmung dieser Freiheit einen verantwortungsvollen Umgang des Fahrzeugs in der Natur voraus: Der Fahrweg im Wald muss eben nicht unbedingt um das Stück Wiese neben ihm erweitert werden. Ansonsten werden wohl auch hier alsbald die kleinen, weißen, runden Schilder mit dem roten Rand an jeder Abzweigung stehen ...
Auf strategisch günstigen Lagen haben die unterschiedlichen Herrscher in Ungarns Vergangenheit Burgen und andere Befestigungsanlagen anlegen lassen, die heute nur selten in Gänze erhalten sind. Zu kriegerisch waren die letzten Jahrhunderte im Spannungsfeld zwischen christlich geprägten Ungarn und Habsburgern auf der einen und dem türkischen Großreich auf der anderen Seite. Schlugen sich einmal nicht Kreuz und Halbmond, erschütterten Aufstände und Händel mit dem Habsburger Reich das Land. Lange Friedenszeiten kannte die pannonische Tiefebene nicht. Sie war seit Urzeiten Durchgangsgebiet von Eroberern und anderen Menschen, die lieber auf Kosten anderer als durch eigene Leistung ihren Lebensunterhalt erstritten ...
Die Burganlagen zeigen stets die zur jeweiligen Zeit modernste Militärtechnik: Zur beginnenden Neuzeit strotzten die hiesigen Burganlagen schon vor einer wohlpositionierten Artillerie, während in mitteleuropäischen Ländern diese Schritt um Schritt die klassischen Belagerungs- und Verteidigungstaktiken ersetzten. Dies hat in erster Linie auch damit zu tun, dass die Türken ihrerseits damals über einen hohen Grad an militärischer Innovationsfähigkeit verfügten und so den technologischen Druck stets hoch hielten. Diese einzelnen Entwicklungsphasen sind für den - zumindest ein wenig fachkundigen - Besucher eindrucksvoll an der Burganlage von Szigliget zu erkennen, das auf einer Halbinsel am Nordufer des Balaton liegt. Von dieser Burg hat man einen herrlichen Blick auf einen Großteil des Plattensees. Unterhalb der Burg in Richtung Landesinnere zieht sich ein weites Sumpfgebiet, in dem Grau- und Seidenreiher häufige Gäste sind ...
Eine weitere sehr gut erhaltene, eindrucksvolle Burganlage liegt oberhalb der Kleinstadt Sümeg, die direkt an der Staatsstraße 84 liegt und außer der Burg noch ein interessantes Pferdegestüt bietet. In der Burg sind außer den Resten der Verteidigungsanlagen viele Waffen aus dem ausklingenden Mittelalter und der beginnenden Neuzeit zu sehen. Übrigens: Auch das Explorer Team soll noch im Jahr 2005 bei seiner Ungarn-Reise durch diese Stadt kommen, wie man später erfahren wird ...
Die Reste der Burganlagen werden derzeit vom ungarischen Staat archäologisch aufwändig und didaktisch sehr geschickt aufgearbeitet. Meist sind auch die Informationstafeln mehrsprachig, oftmals in Deutsch. Auch kleinere Burganlagen oder Kirchenruinen werden Stück für Stück nicht nur für den Tourismus aufgearbeitet. Es scheint vielmehr, dass die Ungarn den Erhalt der historischen Bauwerke vor allem als aktive Geschichtspflege betreiben, denn die meisten Besucher der Anlagen waren Einheimische, die mit großem Interesse die Anlagen erforschten. Auch waren an allen Anlagen viele Schulklassen anzutreffen, die aufmerksam den Erklärungen des Burgführers lauschten.
Der Fluch der "freien Marktwirtschaft" ...
Es ist eigentlich kaum verwunderlich, dass ein Volk, dessen Geschichte nur wenige Phasen der Freiheit und Selbstbestimmung aufzuweisen hat, sich intensiv den eigenen historischen Wurzeln zuwendet. Solange dies nicht irgendwann in einen extremen Nationalismus ausartet, ist diese Entwicklung eigentlich positiv zu bewerten, da sie eine intensive Bindung zur besiedelten Scholle mit einer ausgeprägten Verantwortung für diese mit sich bringen kann. Interessant zu beobachten ist in Ungarn auch, dass viele Einheimische sich ihr Land erwandern: Auf den Wegen durch Wälder und Sümpfe sind fast immer ganze Familien - stets korrekt im Sonntagsstaat gekleidet - anzutreffen.
Vielleicht ist dies alles auch eine Folge der wirtschaftlich schwierigen Entwicklung, in der sich das Land seit geraumer Zeit befindet. Die von dem Profiteuren viel gepriesene freie Marktwirtschaft hat in Ungarn dem Volk nicht viel gebracht. Zwar sind allen Orts neue Industrieansiedlungen zu sehen, oft von deutschen Firmen, die sich der allgemeinen Spar- und Kapitalfluchtbewegung angeschlossen haben, doch die ehedem vorhandene eigene Industriestruktur scheint gänzlich zusammengebrochen zu sein.
Industrieruinen sind in fast jeder größeren Stadt zu sehen. Diese Areale sind teilweise hochkontaminiert und scheinbar keiner sorgt sich hier um die fachgerechte Entsorgung der Altlasten. Diese Pflichten werden offenbar in der Hoffnung auf einen EU-Fond für Umweltmaßnahmen in eine ferne Zukunft geschoben.
Stattdessen wird munter auf der grünen Wiese gebaut. Die heilige Kuh des Investors bleibt so von lästigen Auflagen und der Übernahme von Altlasten unbehelligt, doch damit ist das Problem nicht aufgehoben. Kein Wunder, dass nahezu ohne jegliche Verpflichtung zur Beteiligung an Maßnahmen, die das Allgemeinwohl betreffen, für das Kapital eine ganz andere Rendite in diesem Lande zu erzielen ist. Bei gleichzeitig minimalen Löhnen kann sich im Volk auch langfristig kein fundamentierter Wohlstand zur sozialen Sicherung aufbauen. Kurzfristiger Raubbau des Turbokapitalismus wird - wenn die "Heuschrecken" gen Osten weiterziehen - neue Industrieruinen und neue Altlasten hinterlassen ...
Zwar ist Ungarn nicht so dicht besiedelt wie Deutschland, jedoch verschandeln schon jetzt Neubaugebiete von Industrie und privatem Wohnraum die Landschaft, umzingeln wie in Keszthely förmlich den gewachsenen Ortskern und zerstören so Jahrhunderte alte Strukturen.
In Gesprächen mit Einheimischen kommt genau dies zum Ausdruck: Viele Ungarn leben mittlerweile von der Substanz, sind gezwungen, den Großteil der eigenen Versorgung der - wenn vorhanden - eigenen Scholle abzuringen.
Allerorts sind kleine, fantasievoll hergerichtete, private Ferienhäuser zu verkaufen. Die Preise - sofern man nicht von einem großspurigen und sinnlos teuren Makler kaufen möchte - sind entsprechend niedrig und für 30.000 EUR sind schöne Anwesen zu erwerben. Traurig, wenn man bedenkt, wie mühevoll sich die Einheimischen noch zu sozialistischen Zeiten diese privaten Inseln errichtet haben und sie nun aus finanzieller Not heraus an Ausländer verschleudern müssen ...
Irgendwann wird dies alles wohl für ein steigendes Konfliktpotential mit unbekanntem Ausgang sorgen. Aber daran dachten die verantwortlichen Politiker in Brüssel und Budapest nicht, als sie in blauäugiger (?) Weise Verträge eingingen, die wirklich nur einer verschwindend kleinen Schicht echte Vorteile bringt. Problem- und Randgruppen wie Arbeitslose oder Rentner, die auf staatliche Versorgung angewiesen sind, werden in den nächsten Jahren durch die stetigen Preissteigerungen wohl noch mehr unter die Räder kommen, während einige Unternehmer und korrupte "Volksvertreter" wohl ausgesorgt haben werden: Kapitalterrorismus pur und niemand tut etwas dagegen ...
Tourismus als Ausweg?
Der Tourismus ist hingegen eine Möglichkeit, die sowohl Arbeitsplätze als auch die Chance zur Selbstständigkeit mit geringen Kapitaleinsatz schafft. Die Anzahl an privaten Anbietern steigt ständig. Leider hält die Nachfrage auch hier nicht mit dem Angebot Schritt: Die wirtschaftliche Krise in Mitteleuropa ist im Fremdenverkehr deutlich zu verspüren. In der Pfingstzeit waren noch etliche Hotels und Ferienanlagen geschlossen und in der Mittagszeit gab es selbst in den beliebtesten Restaurants ausreichend Plätze. Die meisten Gäste waren Einheimische. Nur in den heißen Sommermonaten soll das Gebiet um den Balaton eine hohe Auslastung haben.
Um den gesamten Balaton führt eine Bahnlinie, so dass man - allerdings weit entfernt von den guten Weinanbaugebieten - jeden Ferienort am See bequem per Zug erreichen kann. Von diesem See aus kommt man ebenfalls problemlos in die Hauptstadt Ungarns, die ca. 80 km entfernt und auch das Zentrum des ungarischen Bahnverkehrs ist. Mit dem Zug ist Budapest vom Balaton aus bequem zu erreichen: Zum Déli-Bahnhof (Südbahnhof), einem der drei Bahnhöfe der Hauptstadt, fahren die Züge von hier aus. Der Anschluss an internationale Zugverbindungen ist dort ebenfalls möglich.
Mit dem PKW ist man in ca. einer Stunde vom Balaton in Budapest. 2-3 Tage sollte man eigentlich schon in der Stadt verbringen, um sich den richtigen Eindruck von ihr verschaffen zu können.
Doch zurück zum See: Orte mit konzentriertem Touri-Rummel gibt es am nördlichen Balaton nur zwei - Keszthely am westlichen Ende und Balatonfüred. Für das Südufer können wir hierzu leider keine Aussage machen - während drei Aufenthalten in Tihany haben wir es wirklich noch nicht einmal geschafft, die Autofähre zu nehmen, deren Station sich an der Südspitze der Halbinsel befindet.
Aus den Erfahrungsberichten anderer Reisender wissen wir allerdings, dass das Südufer ebenfalls einige Bausünden in Neon und Beton zu bieten hat. Dies sind allerdings Fehler der Vergangenheit: Mittlerweile haben die Verantwortlichen im ganzen Land offenbar erkannt, dass unter dem Slogan des "sanften Tourismus" die Ressource Natur länger verfügbar und aktuell auch mehr Gewinn zu erwirtschaften ist.
So bestehen innerhalb der zahlreichen Nationalparks rigide Einschränkungen beim Bau und auch der Erwerb von Grundstücken und Häusern durch Nicht-Ungarn ist in einigen Zonen stark eingeschränkt. Mittlerweile gibt es landesweit elf Nationalparks in verschiedenen Größen, in denen Ökotourismus angeboten wird ...
- Fortsetzung: Im Nationalpark Tihany ...
© 2005 Text/Bilder Jens Plackner