Ausklang in Lipot ...
Es geht zurück nach Westen - noch heute wollen wir bereits unweit der österreichischen Grenze ankommen. Doch zuvor gilt es erst einmal, den Raum Budapest möglichst weit hinter sich zu lassen - eine längere Strecke immer entlang der Donau wartet auf uns. Und die wird recht interessant: Immer am unterschiedlich breiten Strom entlang, der während der gesamten Strecke auf der rechten Seite der Straße verläuft und eine Vielzahl von abwechslungsreichen Eindrücken vermittelt.
Unsere Etappe führt auf der Straße 1 vorbei an den beiden Städten Komárno und Györ und bei Komárno passieren wir eine beeindruckende Industrieruine: Das recht verwüstet wirkende riesige Werk am Straßenrand ist einen Halt wert und gibt den Blick frei auf ehemalige Produktionsanlagen - war der Betrieb auch hier bereits zu teuer und musste im Rahmen der Globalisierung zugunsten der Profitrate dringend nach Fernost verlagert werden ..?
Im Verlauf der weiteren Tour müssen wir zum Glück nicht rein nach Györ: Hier gibt es insgesamt 4 Flüsse und so hat sie bereits den Namen "Vierflüssestadt" bekommen - unter anderem auch Römer und Kelten haben sich hier herum getrieben sowie auch türkische Besatzer und Napoleons Truppen - die nach Budapest und Sopron an Baudenkmälern vielleicht reichste Stadt Ungarns sollten wir vielleicht einmal bei einer anderen Tour entdecken - es muss nicht unbedingt dieses Mal sein ...
Wir wollen es stattdessen lieber ländlich: Da wir bereits zuhause genug Stadt haben, und das rund um die Uhr, wollen wir nun an unserem letzten Ort in Ungarn vor Rückkehr nach Österreich lieber darauf verzichten. Stattdessen lieber ein landschaftliches Idyll südlich des Donaukanals für unseren letzten Aufenthalt: Das "Holt Duna Camping" in Lipot erscheint dafür genau richtig. Auch der Prospekt des Camps erweckt bereits Interesse: "Die Art des Toten-Donau-Campings ist schattig, sein Boden ist grasig. An dem dorfigen Naturschutzgebiet, neben einem See zu finden." Offenbar genau die richtige Gegend für uns!
Und das Camp ist wirklich eine Reise wert, wenn man eine komplette Ungarnrundreise hinter sich hat: Wir sind wieder einmal recht allein auf dem idyllischen Platz, der direkt an Nebenarmen der Donau gelegen ist und in der Tat ein recht großes Erholungspotential bietet - hier ist man gern an seinem letzten Tag in Ungarn ..!
Das letzte Camp in Ungarn präsentiert sich zunftgerecht: Etliche Einheimische haben sich heute Abend auf dem Platz eingefunden, wir schreiben den 01.10.2005, und nach 22:15 Uhr bei immer noch 7°C draußen auf dem Platz beginnt urplötzlich ein Feuerwerk. Wir wissen nicht, was der Grund ist, als wir heute Abend an unserem Lagerfeuer sitzen wie auch die anderen in der Nähe, aber es wird wohl einen Grund geben: Wir ernten deutliche Zustimmung, als wir in Anbetracht der allgemeinen Feierstimmung auch 3 unserer abgelaufenen Notraketen starten, ohne allerdings genau zu wissen warum - auf jeden Fall ein Feuerwerk, das ankommt ..!
Im Gegensatz zu den anderen bleiben wir noch einen Tag länger und genießen unseren letzten Ruhetag in Ungarn an diesem idyllischen Fleckchen - um 18:28 Uhr ist bereits Sunset und wieder sitzen wir allein am Lagerfeuer, die letzte Übernachtung in Ungarn und die letzte Nacht im Land bei dieser Reise steht bevor ...
Am nächsten Tag der "Weg zurück": Der Übergang nach Österreich beschert uns am 03.10.05 gegen 11:15 Uhr eine partielle Sonnenfinsternis - in den Wolken, die ganz plötzlich für wenige Minuten aufreißen, ist ein echt beeindruckendes Schauspiel zu sehen, so ganz kurz vor der Grenze. Wir stehen kurz darauf an einem Sonderübergang für hier arbeitende Zeitgenossen, ein Österreicher bewacht die Grenze und macht uns klar, dass wir HIER NICHT passieren dürfen - Europa, was hast du für merkwürdige Grenzen ..!
Wir nehmen einen anderen Übergang, schon bald darauf sind wir wieder in Österreich, Podersdorf hat diesmal endgültig alle Bürgersteige hochgeklappt, die Vinothek ist geschlossen, ebenso wie Cafés und Restaurants in diesem Ort. Wir nehmen ein Welcome-Bier in einer örtlichen Konditorei, die tatsächlich noch geöffnet hat.
Wir sind zurück im Weinparadies Burgenland: Unser Ausklang in Podersdorf ist denkwürdig - beim Weinpapst Stadler ist niemand da, man ist hier offenbar aber auch Weltmeister der offenen Türen, durch die man das Gebäude ungestört betreten kann, beim Svoboda kaufen wir schließlich noch eine geniale Cuveé: Der "Optimus" ist vom Feinsten! Der Einkauf des großartigen "Mirabilis" im Nachbarort entfällt leider wegen Ruhetag dort, aber den Kampf gegen die Vögel bei der Weinernte können wir erneut verfolgen: Wieder ist der Tiefflieger über den Rebstöcken im unermüdlichen Einsatz ...
Die Herbststimmung am Platz von Podersdorf ist mittlerweile vollkommen - beste Gelegenheit, über eine Rundreise mit so vielen unterschiedlichen Eindrücken noch einmal nachzudenken und alles nachwirken zu lassen ...
Epilog, September 2006
Ein knappes Jahr nach unserer Ungarnreise sorgt eine Rede des ungarischen Regierungschefs Ferenc Gyurcsany, die er im Mai 2006 vor einem internen Forum der ungarischen Sozialisten gehalten hat, für Wirbel. Man verlangt seinen Rücktritt, da er gelogen habe. Unsere Meinung: Der führende Politiker eines Landes, der zu Wahrheiten wie den folgenden in der Lage ist, verdient schon eher Bewunderung als Verdammnis. Ungarn, selbst deine Politiker machen dich eine Reise wert ..!
"Wir haben fast keine Wahl. Wir haben keine, weil wir´s verschissen haben. Nicht ein bisschen, sondern sehr. In Europa hat man so eine Blödheit noch in keinem anderen Land gemacht, wie wir sie gemacht haben. Das kann man erklären. Wir haben offenbar die letzten eineinhalb, zwei Jahre durchgelogen. Es war ganz klar, dass nicht wahr ist, was wir sagen. Dass wir dermaßen jenseits der Möglichkeiten des Landes sind, wie wir es uns nie vorher von der gemeinsamen Regierung der Ungarischen Sozialistischen Partei und der Liberalen vorstellen konnten. Und was haben wir sonst während der vier Jahre gemacht? Nichts. Ihr könnt keine einzige bedeutsame Regierungsentscheidung nennen, auf die wir stolz sein können, außer jener, dass wir zum Schluss die Regierungsarbeit aus der Scheiße gefahren haben. Nichts. Wenn wir vor dem Land Rechenschaft ablegen müssen, was wir in den vier Jahren gemacht haben, was sagen wir dann ..?"
1. Nachtrag, Oktober 2011: 5 Jahre danach ...
Leider müssen wir mittlerweile unsere obige Einschätzung vollkommen revidieren: "Ungarn, selbst deine Politiker machen dich eine Reise wert ..!" wie wir vor 5 Jahren formulierten, kann man heute nicht mehr so einfach stehen lassen!
Mittlerweile ist Ungarns Rückkehr zu einem autoritären Staat wohl in vollem Gange: In einer Demokratie sollten die Medien die Politik kontrollieren - in Ungarn ist dies praktisch nicht mehr möglich und nur noch kleine Privatinitiativen gehen in diese Richtung. Meinungsvielfalt gibt es in der ungarischen Presse inzwischen nicht mehr, Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán gebührt die zweifelhafte Ehre, ungarische Nachrichtenagenturen auf eine Linie gebracht zu haben.
In Sachen Journalistenrechte sieht es derzeit nicht mehr gut aus im Lande und es ist nicht einfach, heute noch glaubwürdige Nachrichten zu finden. Im Ungarn dieser Tage werden durch eine Regierungspartei, die 53% der Stimmen erhalten hat, die Weichen für ein lang anhaltendes autoritäres Regime gestellt - und das mitten in der EU ...
2. Nachtrag, September 2015: 10 Jahre nach der Reise - Karten neu gemischt ..?
Jahre sind vergangen, wir hatten in der Zwischenzeit eine Eurokrise und mittlerweile das Ende der Eurotour befürchtet. Im Rahmen der aktuellen Griechenland-Rettung und der "Faulen-Zauber-Welt" kommt Ungarn nun eine ganz neue und besondere Rolle in der bestehenden Flüchtlingskrise in Europa zu: Es baut einen Zaun als Bollwerk gegen Masseneinwanderung in der wankenden "Festung Europa". Dafür wird es einerseits heftig beschimpft, aber andererseits wird Ungarns Viktor Orbán auch ganz heimlich für viele nun zum Hoffnungsträger, der einen klaren Gegenpol zu Merkels umstrittener "Einladungskultur" bildet. Die wird schließlich ebenfalls nicht von wenigen als "beispiellose politische Fehlleistung" eingestuft. Insofern Ungarn nun möglicherweise neues Vorbild für vernunftgesteuertes Handeln in Europa ..?
3. Nachtrag, Mai / Juni 2024: Europäisches Vorbild
Bereits seit Beginn des Aufbaus unseres Alternativstandorts und der Einstufung als Alternative Ungarn im Jahr 2022 zeichnet sich insbesondere vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs die besondere Bedeutung Ungarns als friedensstiftende Nation ab: Ministerpräsident Orban nutzt jede Gelegenheit, vor einer Verschärfung des Konfliktes und den Gefahren eines Dritten Weltkriegs zu warnen, die derzeit so groß ist wie noch nie in den letzten Jahrzehnten.
Anders als viele westliche Kriegstreiber, die keinerlei Interesse an einer Verhandlungslösung mit Russland zeigen, sondern permanent an einer Eskalationsschraube aus Sanktionen und Provokationen drehen und dabei wie auch der US-hörige deutsche Vasallenkanzler eine rote Linie nach der anderen überschreiten, bemüht sich Orban unaufhörlich und eindringlich um eine Friedenslösung, wobei er allerdings ein einsamer Rufer in der europäischen Kriegstreiber-Wüste ist.
Allerdings ist er auch klar in der Einordnung westlicher Aktivitäten, die er genauso ablehnt wie die selbstzerstörerischen Sanktionen, die von deren Profiteuren vorangetrieben werden. "Eine russische Gefahr an die Wand zu malen dient in Wirklichkeit als vorbereitendes Manöver, um Europa oder den Westen in den Krieg hineinzuziehen", davon ist Orbán überzeugt. Und noch mehr: "Die Kriegsbefürworter haben ihren Verstand verloren". Recht hat der Mann!
In diesem Sinne kann man heute Ungarn durchaus als europäisches Vorbild sehen, das leider derzeit weitgehend allein auf weiter Flur steht ...
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