Kultur von Waypoint zu Waypoint
Hans hat in seiner Reisevorbereitung zu Hause eine große Zahl von kulturell interessanten Zielen in seinem Garmin abgespeichert und solche "Waypoints" haben ja teuflische Eigenschaften, wie ich feststelle.
Man muss nicht mehr im Führer lesen und sich einen Weg überlegen. Es genügt, die Reihenfolge dieser Punkte anzugeben und den Befehlen des Navi zu folgen. Und weil nach jeder Besichtigung schon der nächste Waypoint blinkt, bleibt kaum Zeit, das Gesehene zu verarbeiten, sprich nachzulesen.
Das verschieben wir dann auf die Nachbearbeitung zu Hause in Bayern. Ein klein wenig Stress kommt aber schon auf mit dieser Methode und für den Hund bleibt oft nicht viel mehr übrig als ein paar Runden um das Auto - er darf ja nicht mit in Kirche, Museum, Höhle oder so ...
Das Tagesziel Gelati ist so nah und da kann man vorher schon noch einige Waypoints anfahren: Fast auf der Strecke ist die Prometheushöhle, vielleicht 30 km nordwestlich von Kutaisi, die wir natürlich sehen wollen. Nach anfänglicher Skepsis werden wir uns einig, dass diese Tropfsteinhöhle die größte Höhle ist, die wir bisher gesehen haben, was allerdings nicht so viel heißt, schließlich ist keiner von uns ein "Höhli".
Durch bunte Lichtinstallationen werden die interessantesten Gebilde angestrahlt und es sind wirklich phantasieanregende Figuren dabei. Die geführte Wanderung durch den Untergrund ist immerhin 1.400 m lang und dauert eine Stunde: Empfehlenswert!
Abendlicher Treffpunkt nur wenige Kilometer nördlich der Großstadt Kutaisi ist das berühmte Kloster Gelati, in dem der Sarkophag des alten Königs Davit des Eroberers in den Boden eingelassen ist. Für die georgischen Touristen ist es ein heiliges Ritual, über die Grabplatte ihres größten antiken Helden zu trampeln und die kaum noch erkennbare Inschrift weiter zu nivellieren.
Die andere Bremachgruppe steht schon mehrere Stunden da und hat sich im Klostergelände ein wenig umgesehen, die berühmten Fresken fotografiert und dem Mönch beim Rasenmähen zugeschaut ...
Am nächsten Tag fahren die Langschläfer zur Heimat der Nordmanntannen nach Ambrolauri: Diese sind nach einem finnischen Biologen benannt und gelten heute als die edelsten Weihnachtsbäume überhaupt. Ihre Samen werden mühsam geerntet und zu Höchstpreisen nach Europa verkauft.
Da unser Mitreisender Peter auf seinem Grund Christbäume anbaut und natürlich auch viele Nordmanntannen sein Eigen nennt, wollen wir den Ursprung dieser Bäume besuchen und einige Samen selber ernten.
Wir machen uns auf eine holprige Schlaglochpiste ins Umland gefasst, freuen uns dann aber doch über die bequeme Teerstraße durch wunderschöne Landschaft mit voralpinem Charakter, wie bei uns zu Hause in Oberbayern. Zuerst geht es durch die Minenarbeiterstadt Tkibuli mit den herunter gekommenen russischen Plattenbauten, dann über einen hübschen Pass und weiter in die antike Bischofsstadt Nikortsminda zum Waypoint Bischofskirche.
Und da erleben wir wieder eine positive Überraschung: Ich persönlich halte die Fresken in dieser alten Kirche für die schönsten, die wir in Georgien finden, obwohl die gedruckten Reiseführer diese Kirche nur kurz erwähnen. Unser guter Eindruck liegt aber auch daran, dass wir moderne Christen oder Exchristen die zahllosen Heiligendarstellungen langsam satt haben und lebendige Szenen wie in dieser Kirche lieben. Man sehe selbst!
Mitten in Ambrolauri finden wir dann endlich unsere einzige Nordmanntanne und mühsam kann Martin eine winzige Menge an Samen aufsammeln. Die Passanten am Markt von Ambrolauri haben noch nie etwas davon gehört, dass ihre Tannensamen irgend einen Wert besäßen und schütteln nur den Kopf über Martins Sammelaktion. Auf der Rückfahrt sehen wir eine schöne Blumenwiese am Straßenrand mit drei stattlichen Tannen im Hintergrund: Auffallend ist die lustige Wipfelstruktur und die Tannenzapfen, die senkrecht in die Höhe stehen und nicht als Ganzes herabfallen wie bei uns, sondern die Samen einzeln loslassen. Dadurch ist es sehr schwierig, in dem dichten Unterholz überhaupt Samen zu finden - meine Suche danach bleibt jedenfalls absolut erfolglos ...
Auf der Weiterfahrt denken wir auch an unser leibliches Wohl, kaufen bei einem Bäcker am Straßenrand das landestypische Brot und kehren mittags in einem Hotel zum Essen ein, wo gerade eine Hochzeits- oder Geburtstagsfete stattfindet. Die jungen georgischen Damen an der Bar haben es zumindest mit ihren Blicken auf uns drei Männer in den besten Jahren abgesehen und wir sind froh, unsere eigenen Frauen weit weg in der Heimat zu wissen, was diesen Augenflirt überhaupt erst möglich macht. Um den Reizen zu widerstehen, setzt sich Martin mit dem Rücken zur Bar ...
Der vereinbarte Abendtreff, das antike Höhlenkloster bei Uplisziche, nicht weit entfernt von Stalins Geburtsstadt Gori, steht zwar fest, doch unsere Route wird bestimmt von Garmin und der Kette an Waypoints dort hin. Natürlich verzetteln wir uns auch ein wenig auf der Suche nach alten Gebäuden und noch älteren Straßen, die aber auf unseren OSM-Karten im Navi zumindest angedeutet sind.
Dadurch wird es später als wir eigentlich planten, gegen 18:00 Uhr habe ich die Schnauze voll und dränge auf direktes Anfahren unseres Zieles. Nur ungern und sehr zögerlich gibt Hans nach, zumal es nur noch 12 Kilometer Umweg bis zum Kloster Kinzwissi mit den Fresken im berühmten „Kinzwissiblau“ wären.
Auf dem Parkplatz vor Uplisziche kann ich meinen erschöpften Fahrern noch etwas aus unseren Bordvorräten kochen, lokaltypisch fränkische Schweinsbratwürstel mit Sauerkraut, was mir den Spitznamen "maitre de cuisine" einbringt, aber mit ausreichend Bier trotzdem runtergespült werden kann ...
Das Höhlenkloster Uplisziche darf nur mit Führer besichtigt werden und öffnet erst um 10 Uhr, wir sind aber trotz unserer schlechten Morgendisziplin schon gegen 8 Uhr fertig. Was tun bis dahin?
" ... Da wäre doch noch das Kinzwissiblau ..." meint Hans, "nur 55 km von hier, eine knappe Stunde hin, 15 Minuten anschauen und eine knappe Stunde zurück, wären wir also kurz nach 10 Uhr wieder hier in Uplisziche." Ich stimme den beiden Rennfahrern in meinem Team zu und los geht es: Am Parkplatz angekommen (nach 75 Minuten) muss man noch eine ganze Strecke zur Klosterkirche hochgehen und ein Hund ist sowieso verboten ...
Das reicht mir dann! Ich lasse Martin und Hans sausen und bleibe mit Kasper zurück. Wir inspizieren die Besuchertoilette, entscheiden uns danach aber doch für einen kurzen Waldspaziergang, bis die Kulturfreaks nach höchstens 30 Minuten zurück sind und düsen Richtung Uplisziche zurück.
Garmin ist schuld, dass es etwas länger dauert, aber gegen Mittag stehen wir endlich wieder vor dem Höhlenkloster ...
Eine Mittagspause brauchen wir ja nicht und die Höhlen oben warten schon auf uns. Mir und dem Hund wird das enge Programm schon seit zwei Tagen zu viel und ich klinke mich wieder aus.
Während die beiden Bekloppten zu den Höhlen hochrasen und zwei Stunden für die Besichtigung veranschlagen, fahre ich einige Kilometer talauswärts, stelle meinen Bremach neben die Straße und mache in aller Gemütlichkeit Hausarbeiten wie Innenraum säubern, meine aus Cordurastoff genähte Innendusche erstmalig testen und mit Kasper die Gegend erkunden.
Schon nach weniger als einer Stunde und für mein Gefühl viel zu früh sind die beiden "Kulturhistoriker" mit schönen Bildern zurück und wir starten zu einem neuen und besonderen Abenteuer ...
© 2014 Sepp Reithmeier