Teil 3: Georgienrundfahrt ...
Die Frage kam oft: Wieso eigentlich nach Georgien?
Ganz einfach: Für Leute, die ein Fahrzeug wie meinen Bremach haben, ist die Mongolei der große Reisetraum. Dafür braucht man keine teure Fähre wie nach Amerika oder Australien und muss nicht durch das zunehmend unsichere Nordafrika. Und die Seidenstraße in den Fernen Osten hat unter uns Globetrottern immer noch einen geheimnisvollen Klang ...
Aber welcher Berufstätige hat schon 3 Monate Urlaub? Und das ist fast noch zu wenig, um ohne Fahrmarathon bis in die Mongolei und zurück zu kommen. Doch die Richtung ist schon mal gut: Georgien liegt grob geschätzt auf der Streckenmitte und erfordert überhaupt keine Mühen wie Visabeschaffung, Reiseeinschränkung, Carnet und so weiter. Das fängt alles erst hinter Georgien an.
Also alles klar? Georgien ist die Mongolei des kleinen Mannes!
Die Anfahrt ist mit ca. 3.200 langweiligen Autobahnkilometern und damit einer Fahrzeit von etwa sechs Tagen immer noch ein gewaltiger Happen für einen normalen Jahresurlaub. In unserer Vierergruppe sind zwei der Fahrer schon im Ruhestand und können das Auto mit ausreichend Zeit als Alleinfahrer nach Georgien schaffen. Ich habe mir acht Wochen Urlaub genehmigt und davon, wie wir wissen, bereits vier Wochen für eine abwechslungsreiche Anreise durch die Türkei verwendet ...
In Batumi nehmen wir die berufstätigen und deshalb eingeflogenen Beifahrer(innen) Anja, Anne und Martin auf, die sich dadurch eine Woche sparen können. Nur Hans aus München muss innerhalb seiner vier Wochen Freizeit die ganze Reise mit An- und Abfahrt alleine schaffen. Doch das ist auch gut so - er ist ein sehr ausdauernder Fahrer und auch Raucher: Der Qualm in seinem Fahrzeug vertreibt nicht nur eventuelle Beifahrer, sondern auch Stechmücken aller Art. Während wir zu den gefährlichen Abendstunden die Luken mit Fliegengitter verschließen und nachts noch auf die Jagd nach den letzten Eindringlingen gehen müssen, hat Hans keinen Stress damit trotz sperrangelweit geöffneten Türen und Fenstern.
Für das Land Georgien selbst bleiben uns etwas mehr als zwei volle Wochen übrig – ausreichend für einen ersten Eindruck und den Besuch der wichtigsten touristischen Ziele. Die knappe Zeit ist auch der Grund, weshalb wir auf die benachbarten Reiseländer Armenien und Aserbaijan verzichten, die zudem auch Visa, Einreisegebühren und sonstige Schikanen abverlangen würden ...
Vom georgischen Las Vegas in die Nähe des Giganten Elbrus
Nachmittags am Samstag, den 31. Mai 2014, treffen sich die vier Bremachs am Flughafen Batumi: Wir nehmen noch ein Reisepaar aus der Steiermark in ihrem dunkelblauen Iveco 4x4 mit und fahren ca. 6 km nach Süden an den Strand bei Gonio. Dort hat offenbar ein schwer reicher Investor eine gut zwei Kilometer lange Strandpromenade gebaut. Ein 10 Meter breiter Betonstreifen mit Parkbuchten, einer modernen Straßenbeleuchtung und einem Palmenhain: Bestens verarbeitet und sicher einige Millionen Euro teuer.
Allerdings fehlt noch jede Art von Infrastruktur und Folgebauten: Einfach ein beidseits ohne Anschluss endendes Betonband zwischen grobkiesigem Strand auf der einen und Froschsumpf auf der anderen Seite - ohne geteerte Zufahrt zwar, aber dafür haben wir ja unsere Geländewagen ...
Nach der langen Anfahrt über die Schwarzmeerautobahn mit den großen Schwierigkeiten, dort einen Übernachtungsplatz zu finden, ist es fast paradiesisch für die eben angekommenen Bremachs: Baden im Meer, Sitzen und Klönen neben den Fahrzeugen und ein gutes und preiswertes Restaurant wenige hundert Meter entfernt in Gonio. Die muslimischen Wirte beweisen, dass man auch ohne Alkohol und Schweinefleich genießerisch satt werden kann.
Schon am nächsten Morgen führen verschiedene Vorstellungen über das Zeitmanagement zu einer Aufspaltung in zwei Zweiergruppen: Die Disziplinierten fahren wie vereinbart genau um 8:30 Uhr ab, während wir, mein Reisefreund Martin und Hans in seinem Alkoven-Bremach, einfach etwas langsamer sind und 20 Minuten länger brauchen. Diese Aufspaltung erweist sich als sehr sinnvoll und wird bis zum Ende der Reise beibehalten. Wir legen ja immer den gemeinsamen Übernachtungsort vorher fest. Es ist keine neue Erfahrung, dass zwei Reiseteams noch ganz gut miteinander fahren können und die organisatorischen Schwierigkeiten mit der Zahl der Fahrzeuge zunehmen.
Auf dem Weg in den Kaukasus müssen wir erst durch die Hafenstadt Batumi und staunen nicht schlecht über die Architektur dort: So viele skurrile Bauten werden wir nirgens sonst finden, auch in Tiflis bei weitem nicht in diesem Ausmaß. Nur in Las Vegas, aber da kommen wir nicht vorbei ...
Ganz offensichtlich leiden die Bauherren nicht unter einschneidenen Bauvorschriften, aber auch nicht an Kapitalmangel. Riesige Hotelklötze neben gigantischen Wohn- oder Bürohochhäusern, absolut unbewohnt aussehend, viele verrückte bis kitschige Installationen und die symbolhafte weiße Marmorsäule, auf der die kolchische Prinzessin Medea mit dem goldenen Flies steht. Gebaut in der Zeit des prestigesüchtigen früheren Präsidenten Saakaschwili, der sich inzwischen in die USA abgesetzt hat.
Gelungen finde ich besonders das einer Muschelschale nachempfundene Gebäude der McDonald Filiale: Das äußere Ende dieser Muschelschale ist oben geöffnet und an der sonnenbeschienenen Schräge mit bunten Blumen bepflanzt. Die Gäste auf der Terasse davor sitzen zwar überdacht und schattig, aber im Freien und genießen die frische Luft dort oben. Eine wirklich geniale Architektur. Essen und Preise sind international gleich, für Georgien erscheint das aber teuer.
Für eine relativ kleine und überschaubare Stadt mit etwa 180.000 Einwohnern ist das schon ganz schön viel und empfehlen kann ich den Besuch der Innenstadt noch aus einem anderen Grund: Dort findet man den Magti-Shop relativ leicht. Magti bietet das beste Handynetz in Georgien und eine SIM-Karte kostet ca. 5 Euro leer und dazu 5 Euro für 500 Mbyte. Damit kommt ein Normalverbraucher aus, für Profis gibt es für 15 Euro auch 5 Gbyte pro Monat, für 30 Euro 15 Gbyte usw. Mit dieser Karte haben alle vier Fahrzeuge praktisch überall ausreichenden Internetzugang zum Mailen, Surfen und Skypen. Wie in vielen anderen Schwellenländern auch kommt der Ausbau des Mobilfunknetzes deutlich vor dem Straßenbau und wo man mit dem Auto hin kommt, ist das Netz schon längst da. Na ja, fast ...
Aber nun geht es in den Kaukasus: Nach Mestia in Swanetien sind es gerade mal 250 km auf vorwiegend guten Teerstraßen - absolut nicht selbstverständlich in Georgien.
Ich habe durch intensives Kartenstudium drei Positionen auf dem Weg nach Mestia markiert, an denen man theoretisch eine gewisse Chance hätte, den 5.642 m hohen Elbrusgipfel zu sehen. Der steht nämlich nur wenige Kilometer nördlich vom Hauptkamm, liegt damit auf der europäischen Seite der Grenze und überragt den Kamm um etwa 1.500 Meter. An dessen asiatischem Südrand fahren wir nun entlang, während wir Ausschau halten.
Aber vergebens: Die Berghänge dort stehen so nahe am Talgrund und sind so enorm steil, dass man schon Zeit, Ortskenntnisse oder einen Führer und Kondition für einen stundenlangen Aufstieg durch unwegsames Waldgelände bräuchte.
All das haben wir nicht dabei. Und der einzige anfahrbare Ort mit Elbrusblick, ein Skiberg genau südlich von Mestia nützt bei dem bedeckten Wetter auch nichts. Also keinen freien Blick auf den höchsten Berg Europas - ich muss irgendwann noch einmal hin!
In Mestia angekommen bleiben wir mit den vier Fahrzeugen zwei Nächte genau vor der Polizeidienststelle und neben einem kleinen Park mit diesem hygienischen Trinkwasserhahn ...
Niemand nimmt Anstoß an uns: Wie überhaupt die Stellplatzsuche in Georgien völlig easy ist und die Polizei zu Westeuropäern sehr freundlich und zuvorkommend. Man kann auch in der Türkei fast überall stehen und nächtigen. Aber im Gegensatz dazu kümmern sich die Georgier erstaunlich wenig um uns und neugierige Fenstergucker sind sie auch nicht.
Hier in Mestia wird mein Begleiter Martin krank mit Bauchschmerzen und Erbrechen, sodass nur drei Bremachs den Ausflug am nächsten Tag nach Ushguli antreten können. Sie brauchen für die etwa 85 km Strecke hin und zurück den ganzen Tag und schimpfen über die Zumutungen der Straße. Aber schöne Bilder bringen sie von dort mit ...
Für mich und meinen Hund Kasper ist dieser ruhige Tag einer der schönsten der ganzen Reise. Ich kann mich über meinen Patienten Martin also nicht beschweren, zumal er sich an diesem Tag wunderbar erholt und abends sogar mitgehen kann in unsere Bar Laila zur schönen Tamura, der Tochter der Wirtin, die in Ostdeutschland Touristik studiert hat und perfekt Deutsch spricht. Von ihr erfahren wir auch Martins Diagnose auf georgisch: „kusch aschliloba.“
Zum Abschied ein kleiner Dog-walk durch Mestia: Nach dem Hauptplatz mit Bushaltestelle und Konterfei des georgischen Patriarchen treffen wir diese Jugendgruppe, die ihren Spaß hat mit meinem Hund Kasper und einem der Mädchen, das große Angst vor der "Bestie" zeigt. Eine Ecke weiter stehen dann die Maschinen der Gebäudereinigung und zum Schluss haben wir noch einige hübsche Ausblicke in die Berge ...
Weiter geht´s: Als nächsten Treffpunkt haben wir gestern beim Abendessen das Gelati-Kloster bestimmt und wir drei Männer dürfen heute wieder etwas bummeln, während die anderen pünktlich und genau aufbrechen. Aber mehr als 30 Minuten liegen wir trotzdem nicht hinter den beiden von den Frauen auf Trab gehaltenen Teams zurück ...
Die Regenfälle der letzten Tage haben nicht nur den Elbrusblick vernagelt, sondern auch die Straße zurück etwas verändert: Viele solche oder ähnliche Felsbrocken hat es herunter gespült, die bestimmt bald weggeräumt werden.
Im Gegensatz zu dieser gut gepflegten Teerstraße liegt auf vielen Bergpfaden der Steinschlag nach Regengüssen noch lange auf der Straße und es kann einem schon passieren, dass der Rückweg über Tage, wenn nicht über Wochen abgeschnitten ist. Eine der Hauptgefahren im wilden Kaukasus ...
Dass einem ein Bergrutsch voll auf den Kopf fällt wie am 17. Mai 2014 in der Darialschlucht mit fünf Toten, kommt zum Glück selten vor.
Auf den Bildern einer russischen Webseite sieht man gut, dass sich vom Gletscher des Kasbek eine Riesenlawine mit Eis und Fels gelöst hat und den Berg herunter rutschte. Die letzten Ausläufer erreichten die Straße und erwischten einige russische LKW. Auch diesem Unglück waren sehr heftige Regenfälle über mehrere Tage vorausgegangen ...
© 2014 Sepp Reithmeier