Teil 2: In zwei Wochen durch die Osttürkei
Am Flughafen in Ankara gibt es bei Ellens Ankunft erst ein freudiges Hallo und dann einige ratlose Gesichter unsererseits: Wir hatten ihr gemailt, dass sie keinen Hartschalenkoffer mitnehmen dürfe, da wir dafür in unserer 2x3 Meter kleinen Wohnkabine keinen Stauraum hätten. Und was macht Ellen? Sie packt ihre deutlich mehr als sieben Sachen in zwei Weichschalenkoffer. "Sind ja keine Hartschalen!!!" Nein, diese Frauen ...
Zum Glück passen die beiden entleerten Koffer ineinander und nach Entsorgung von zwei Euroboxen gerade noch in den Dachgepäckraum ... Uff, Glück gehabt!
Wir haben ein strenges Zeitmanagement für Ankara und wollen nach Besuch des Hethitermuseums, wofür wir 2-3 Stunden ansetzen, einen kurzen Altstadtrundgang mit Abendessen unternehmen und anschließend raus aus der Großstadt auf einen schönen Platz fahren.
Das Navi soll uns zum Museum mitten in der Altstadt von Ankara leiten doch einige Male zeigt sich die vorgeschlagene Straße als nicht fahrbar für unseren Dicken. Nach diversen Ehrenrunden finden wir endlich einen Zugang und stehen kurz darauf vor dem Museum: "Das Museum hat wegen Umbaumaßnahmen geschlossen, nur die Römerabteilung ist geöffnet" heißt es. "Sauber sog i" (auf bayrisch ). Die Römer brauchen wir dann auch nicht!
Nun haben wir Zeit und bummeln gemütlich durch die Läden in der Nähe und finden unterhalb der Zitadelle ein Cafe auf einer Terasse hoch über den Dächern Ankaras. Ein herrlicher Blick, der das mäßige Essen und den billigen Tee vergessen lässt ...
Eine Nacht bleiben wir im Ulasan-Hotel südlich von Ankara: Das Haus bietet WoMo-Stellplätze und den vollen Komfort eines Vier-Sterne Hotels, Schwimmbad, gutes Restaurant und fast schon exklusive Sanitäranlagen. Das richtige Ambiente um Renates Geburtstag mit einer Flasche Rotwein zu feiern! Die kostet mit 25 Euro genau so viel wie das restliche, durchaus opulente Menü für 3 Personen. Übrigens, Essen gehen ist wirklich ein Erlebnis in der Türkei: Wenn man Alkohol weglässt, ist das Preisniveau noch unter 50% des unseren. Es schmeckt anders als zu Hause, aber fast besser. Auf Schweinsbraten muss man halt verzichten, aber wer Gemüse und Döner, die würzigen Hackfleischspieße in allen Variationen mag, ist absolut richtig hier. Salat und Gemüse: vielfältig, herrlich und preiswert. Vegetarier müssen sich jedenfalls nicht die geringsten Sorgen machen in der Türkei. Selberkochen verliert unter diesen Umständen jeden Reiz, wenn man für weniger Geld und keine Arbeit besseres Essen bekommt ...
Auf dem Dogwalk vor dem Hotel liegt unheimlich viel Plastikmüll herum, vorwiegend Tüten und Flaschen. Es ist ein größeres brachliegendes Feld mit hohen Distelbüschen, die vermutlich extra da stehen, um diese weißen Lappen aus dem Wind zu filtern. Und für den Rest, die PET-Flaschen, habe ich mein Pet, unseren Kasper angelernt.
Er sammelt sie tüchtig ein, aber er hat es noch nicht drauf, sie am Ort der Endlagerung wieder her zu geben. Kommt auch noch!
Aber trotz dieses Bildes: Wir finden relativ wenig Müll in der Türkei. Hängt natürlich davon ab, wo man genauer hinschaut. Aber Aussagen im Netz wie "die Türkei ist das vermüllteste Land, das wir bisher gesehen haben" sind übertrieben und bedeutet offenbar, dass der Schreiber bisher immer nur in Skandinavien war. Im Norden, speziell in Dänemark, haben die ja einen Vogel mit ihrem Müll: Da kann man gleich verhaftet werden, wenn einem ein Tempotaschentuch aus der Hand geweht wird. Die haben nämlich keine Distelfelder ...
Auf den Spuren des Hethiterreiches
Ankara verlassend beginnt für uns drei der spannendste Teil der Reise: Zum einen, weil wir noch nie getestet haben, wie sich unser 2-Personen Reisemobil bewährt mit einer zusätzlichen Mitfahrerin. Wohl haben wir einen zugelassenen dritten Sitz mit Sicherheitsgurt und nach Umbau der Dinette auch noch ein Einzelbett vorne zusätzlich zum Doppelbett im Heck. Aber ob das wirklich bequem oder zumindest erträglich ist über die lange Strecke wussten wir bis dato nicht. Es zeigt sich aber schnell, dass Fahren und Schlafen uneingeschränkt funktionieren. Nur das Leben in dem winzigen Einzimmerappartement ist ohne intensive Nutzung des riesigen Vorgartens schwierig. Mindestens eine Person sollte oder muss draußen sein, am besten mit dem Hund, sonst klemmt es drinnen. Und morgens geht alles streng nach festgelegter Reihenfolge: Ich stehe als erster auf, mache Katzenwäsche und Hundespaziergang. Dann haben die Damen ihre Ruhe und wenn ich zurückkomme, sollte das Frühstück auf dem Tisch stehen. Na ja, zu zweit hat das noch einigermaßen funktioniert. Aber man(n) ist ja flexibel ...
Doch nun zu dem anderen spannenden Teil, der Geschichte und den Fundstücken des untergegangenen Hethiterreiches. Dessen frühere Hauptstadt Hattuscha etwa 170 km östlich von Ankara wollen wir jetzt besuchen. Die Hethiter hatten um 1600 bis 1200 v.Chr. ein Großreich in Anatolien aufgebaut, dessen Einfluss bis nach Kleinasien, also Troja reichte, und im Süden erst durch das mächtige Pharaonenreich Ägyptens begrenzt war.
Sie nutzten eine eigene Keilschrift, die erst seit 1915 allmählich gelesen werden kann und waren deshalb den Altertumsforschern bis dato fast unbekannt. Ihre militärische Stärke kam von den Streitwagen, die sie zur Perfektion entwickelt hatten und die den schwereren ägyptischen Streitwagen in Schnelligkeit und Wendigkeit überlegen waren, im Nahkampf allerdings nicht. Eine so hohe kulturelle Stufe wie ihre Nachbarn, die Pharaonen am Nil oder die Assyrer und Perser, scheinen sie aber nicht erreicht zu haben. Deshalb und wegen ihres abrupten Niederganges vor 3.200 Jahren hat ihre Kultur keine tiefen Spuren hinterlassen und war lange verschollen. Sie hatten auch keinen "Homer", der das (zufällig?) gleichzeitig untergegangene Troja unsterblich gemacht hat ...
Ihre Hauptstadt Hattuscha, früher die Stadt der tausend Götter und heute eine der 13 Weltkulturerbestätten der Türkei, ist inzwischen weitgehend ausgegraben und erstreckt sich über ein großes Terrain bis in die Höhe des Burgberges, das man auf einer Straße mit dem Auto bequem abfahren kann. Während die Damen wegen Schlechtwetter im Auto sitzen bleiben, werde ich von einem Einheimischen namens Mehmet angesprochen und zu einem kleinen Rundgang über das Ausgrabungsfeld der früheren Unterstadt eingeladen. Was von dieser heute noch zu sehen ist, sind die Steinfundamente des größten Tempels der Stadt (zum Berg hin) und die Sockelmauern der besseren Wohnhäuser (mehr zu dem Ort im Tal hin ).
Auf diesen Steinmauern ruhten die Seitenwände und Dächer in Fachwerk- oder Lehmbauweise, die die Jahrtausende nicht überstanden haben. Genau wie die Wohnhäuser ohne Steinsockel, von denen auch nichts geblieben ist. Übrigens - den zinnenbewehrten Bau dahinter muss man sich wegdenken, der ist erst einige hundert Jahre alt und optisch stört er nur ...
Mehmet spricht ganz passabel Englisch und ich glaube ihm auch, dass er bereits seit 30 Jahren und in dritter Generation regelmäßig als Ausgrabungshelfer tätig ist. Er zeigt mir viele Details der Ruinen und ich bedaure, dass ich mich nur mit der Geschichte des Hethiterreiches beschäftigt habe und nicht besser auf die Ausgrabung vorbereitet bin. Ohne Mehmet wäre ich an vielen der Attraktionen total vorbei gelaufen.
Die Eingangstore in den großen Tempel waren dreifach angelegt und wirken wie Teile einer Festung, sollen aber vorwiegend repräsentativen Charakter gehabt haben. Ein Detail, welches ich ohne Mehmet sicher nicht gefunden hätte, ist der Sockelstein einer großen Holztür, in dem viertelkreisförmige Rillen als Spuren des sich drehenden Türpfostens noch gut zu erkennen sind. Da kommt mit einer winzigen Portion Phantasie richtige Bewegung in die alten Steine!
Mehmet macht sich selbst zu unserem Führer, natürlich nicht umsonst, aber wir haben nichts dagegen: Er steigt zu uns ins Auto und dirigiert uns den Berg hoch zu einigen Parkplätzen, von denen aus man die berühmten Tore der Königsburg und den unterirdischen Gang erreichen kann. Der etwa 70 Meter lange stockdunkle Gang, der aus dem Inneren der Burg etwas abschüssig unter den damaligen Mauern ins Freie führt, soll nicht als strategischer Ausgang gedient haben. Auf der türkischen "Rekonstrüksiyon" sieht man gut die Burgmauern und den nicht geheimen Ausgang davor. Der Burgwall war kein natürlicher Hang, sondern der ursprüngliche Berggipfel war zum Teil abgetragen und am Rand aufgeschüttet und zu einer ebenen Terasse geformt worden, auf dem die Burg steht ...
Unsere Besichtigung geschieht in großer Eile, weil ein Gewitter naht und uns schließlich auch erreicht. In strömendem Regen und mit kiloschweren Lehmbatzen an den Schuhen erreichen wir endlich wieder das Auto und verzichten auf den Besuch des Königsgrabs. Auch die benachbarte Fundstätte Yazilikaya und das etwas weiter im Norden gelegene Alaca Hoyuk mit fast noch edleren Relikten aus dieser Zeit wollen wir bei dem schlechten Wetter nicht mehr anschauen. Aber macht nichts, es müssen sowieso immer einige Aufgaben für zukünftige Reisen übrig bleiben ...
Noch eine kleine Begegnung am Rande: Unterhalb von Hattuscha sehen wir zwei ältere Frauen in einem Feld am Boden sitzen und mit Messern irgendwelche Pflanzen abschneiden. Sie saßen schon da, als wir den Burgberg hoch fuhren und jetzt nach dem Gewitterregen sitzen sie wieder dort auf dem kalten und nassen Boden. Ellen darf es als Frau wagen, die Bäuerinnen anzusprechen und erfährt, dass es sich um irgendwelche Heilkräuter handelt ...
Aber die mimische und verbale Kommunikation ist sehr mühsam, ganz anders als mit den Männern, die wort- und gestenreich den Kontakt mit Fremden suchen und genießen. Kenner der ländlichen türkischen Gesellschaft kritisieren, dass die Mädchen absichtlich ungebildet aufgezogen werden und dann als erwachsene Frauen natürlich nicht die Weltoffenheit der Männer aufweisen können. Das ist auch unsere Hauptkritik: Mit Frauen kommen wir auf dem Land so gut wie gar nicht in Kontakt. Geteilte Gesellschaft ...
© 2014 Sepp Reithmeier