Argentinien  Chile  Patagonien ´08

Weihnachtstour über Pässe und das Inlandeis ...


Vorbemerkung der Redaktion: Unser Autor Marco Plass war drei Monate in Patagonien unterwegs, von Santiago bis Feuerland und wieder zurück, per Anhalter, zu Fuß und per Bus. Seine Ziele waren dabei die für ihn interessantesten und herausforderndsten Touren. 

Patagonien 2008Da er am Rande der Saison im Oktober 2008 startete, lag noch sehr viel Schnee in den Nationalparks und er musste deshalb manchmal Schneeschuhe, Steigeisen und Eispickel verwenden. Er besuchte die Nationalparks Huerquehue, Villarica, Nahel Huapi, Tierra del Fuego, Torres del Paine, Parque Nacional Los Glaciares und schließlich zum krönenden Abschluss auch noch das Inlandeis.

Unterwegs war er mit einem Freund, der allerdings zuletzt nicht mit auf das Eisfeld wollte: Sie trennten sich daraufhin im letzten Monat der Tour und Marco ging alleine weiter durch den Nationalpark Los Glaciares und musste sich zuletzt einer Gruppe mit zwei Guides anschließen, da er wegen der Spalten nicht alleine über das Eisfeld wollte. Dumm genug für ihn, denn schließlich ist er selbst Outdoor-Guide und hätte die Tour selbst organisieren können, nun musste er aber leider viel Geld dafür bezahlen. Aber wenn man schon mal vor Ort ist ...

Nun, letzten Endes hat es sich wohl voll und ganz gelohnt, denn er konnte gute Kontakte zu den Guides aufbauen und hat nicht zuletzt auch seine Freundin auf der Tour kennen gelernt - was will man mehr! Zum Ende dieses Jahres wird er nun gemeinsam mit den beiden Guides etwas von Deutschland aus organisieren und diese Tour ebenfalls anbieten (siehe Nachtrag unten).

Nachfolgend Marcos Bericht über den letzten Tourabschnitt "Paso Marconi - Inlandeis - Paso del Viento - El Chaltén", der schon etwas über dem "normalen" Standard liegt, da ein Wochenendwanderer und Hobbytrekker dabei schnell an seine Grenzen kommt, wenn das Wetter nicht mitspielt, wie es bei dieser Tour der Fall war.

Und da benötigt man doch schon einige Reserven ...


El Chaltén, 22.12.2008:

Die Ausrüstung wird durchgesprochen und unter den Gruppenteilnehmern verteilt: Schneeschuhe, Steigeisen, Klettergurt, Karabiner, Zelte und Verpflegung für die nächsten 7 Tage. Vielleicht etwas wenig für die Zeit, denke ich mir. Cinthia, meine Zeltpartnerin, ihrerseits 52 kg und 163 cm groß, stellt gleich klar, dass jeder die Hälfte von dem Essen bekommt: Scheinbar hat sie meinen misstrauischen Blick gesehen, den ich dem Essen gegenüber hatte ...

Lager am Lago Electrico ...Die Gruppe, das sind Cinthia aus Buenos Aires, Cibelle und Antonio aus Milano in Italien, unsere Guides Chino und Tano und ich. Während der letzten Tage war das Wetter regnerisch und stürmisch. Patagonien eben denke ich mir, nicht weiter schlimm. Um 0900 am nächsten Tag treffen wir uns und werden zum Lago Condor gefahren. Die erste Etappe geht von El Chaltén (350 m) bis zum Lago Eléctrico (550 m) und zum Camp La Playita, was soviel bedeutet wie kleiner Strand. Es regnet leicht, der Wind hält sich noch zurück. Für die nächsten Tage ist einigermaßen gutes Wetter angesagt. Das brauchen wir auch, um den Paso Marconi (1.500 m) überwinden zu können, da hier durch den Venturi-Effekt ein wesentlich stärkerer Wind herrscht als sonst auf der Tour. 

Gegen Abend nimmt der Regen zu, ebenso der Wind. Am nächsten Morgen beschließen unsere Guides in den Zelten zu bleiben und erst am nächsten Tag weiter zu gehen - wegen der Paso Marconi Überquerung. Also ein Tag im Zelt mit Mate und Truco, einem argentinischen Kartenspiel mit ewig vielen Regeln, die für den Laien schwer zu verstehen sind. Ein Wunder, welche Geduld Cinthia mit mir hat! Gegen Abend fühle ich mich im Stande, ein erstes Spiel zu wagen: Ich werde gnadenlos abgezockt ...

25.12.08, 0630: 

Wecken, Frühstücken, Zelte abbauen und los geht´s: Der Regen hat etwas nachgelassen, der Wind hingegen nimmt auf dem Weg zum Paso unmenschliche Ausmaße an. Hinter uns ist noch eine deutsche Gruppe unterwegs, bestehend aus zwei Männern und einer Frau. Auf dem Weg zum Pass wird sie beim Aufsetzen ihres Rucksackes von einer Böe erwischt und auf den Boden geschleudert: Willkommen in Patagonien!

... es geht los ... ... auf zum Paso ...
Auskundschaften der Lage ... ... in Dreier-Seilschaften hinauf ... ... auf den Paso Marconi ...

Trotz des Windes gehen wir weiter, da für den 26.12. erneut schlechtes Wetter angesagt ist und somit heute unsere einzige Chance besteht, den Paso zu meistern. Wir gehen im Windschatten unseres Vordermanns, bei jeder Böe bleiben wir stehen und stemmen uns mit aller Kraft gegen den Wind, um nicht umgerissen zu werden: Stop and go a la Patagonia. Die Steigeisen werden angeschnallt, der Hüftgurt angezogen, noch ein zusätzliches Fleece unter die Gore-Tex Jacke gezogen, wir binden uns in Dreier-Seilschaften ein und gehen los. Eisregen und ein regelrechter Orkan begrüßen uns am Einstieg zum Paso Marconi. Stop and Go an 45° steilen Eisflanken und nassem Fels, dazu dieser unberechenbar böige Wind. Passt man da nicht auf wird man glatt weggerissen. 

Es dauert keine Stunde bis die Gore-Tex Klamotten durchgeweicht sind. Zu allem Unglück reiße ich mir mit dem Eispickel noch ein Loch in meine Hose - da ist zusätzlicher Wärmeverlust vorprogrammiert und das Wasser kann ungehindert in meinen rechten Schuh fließen. Nach einer Ewigkeit erreichen wir schließlich den Shelter Garcia Soto. Wir alle sind am Ende unserer Kräfte, nichts ist mehr trocken und wir fühlen uns einer Unterkühlung nahe. Bestimmt für jeden von uns der unvergesslichste Weihnachtsabend, den wir je hatten.

Während der nächsten zwei Tage ist zunächst einmal Abwarten angesagt, da das Wetter zunehmend kälter und schlechter wird. Dazu kommt noch, dass wir irgendwie unsere Kleidung trocknen müssen. Man kann dabei die verschiedensten Varianten beobachten: Manche stellen Teelichter in die Schuhe, was aber bei einem Schuh damit endet, dass die Lasche ein Loch bekommt, wieder andere arbeiten mit dem Gaskocher, um ihre Sachen zu trocknen. Ich bediene mich des einzigen Buches, das verfügbar ist: Friedrich Nietzsches Zarathustra ...

Shelter bei Eis und Schnee ... Chino trocknet Schuhe ...

Zarathustra verschwindet nach und nach in meinen Schuhen, die nassen Sachen trage ich dick eingepackt am Körper, nachdem ich etwas trockenes drüber gezogen habe, was gut funktioniert: Meine Kleider sind fast schneller trocken als die über dem Gaskocher. Mate, Brettspiele, schlafen, essen und Erfahrungsaustausch von verschiedenen Unternehmungen bestimmen neben den Trocknungsarbeiten und stillen Gebeten an das Wetter unseren Tagesablauf. 

Der Morgen des 28.12. erscheint viel versprechend: Wir beschließen aufzubrechen und die Strecke übers Eisfeld bis zum Vivac de los Esquies an einem Tag zurückzulegen, vorbei an dem Circo de los Altares (1.350 m), wo man bei gutem Wetter den Cerro Torre sehen kann. Die Chancen dazu stehen allerdings schlecht, da der Himmel bedeckt ist und durch den Wind und Schnee alles in einem White-Out endet.

Nach ca. 5 Stunden Marsch, vorbei am Circo de las Altares, klart der Himmel langsam auf, der Wind lässt nach und Schnee fällt auch nicht mehr. Der Cerro Torre ist leider trotzdem nicht zu sehen. Zu unserer Rechten taucht langsam das Nunatak Viedma aus den Wolken auf, eine Bergkette, die wie eine Insel das Hielo und den Glaciar Viedma trennt. Nunatak ist Inuit und bedeutet soviel wie Eisland. Langsam verschwindet das Hielo und wir befinden uns auf dem Viedma Gletscher, der immer spaltenreicher wird. Aber zum Glück liegt kein Schnee und alle Spalten sind gut zu erkennen und lassen sich umgehen oder umklettern. Ein Labyrinth aus Eis und Fels ... 

Circo de los Altares: Cerro Torre nicht zu sehen ... Das Eis hinter uns, der Paso del Viento vor uns ... Zeltgemeinschaft ...

In unserer Sorge über die Kälte denkt keiner daran, Sonnencreme aufzutragen, was nach über 11 Stunden auf dem Eis eine üble Sache ist: Antonio und mich hat es am schlimmsten erwischt. Da ist schon abzusehen, dass wir unserer Gesichtshaut trotz all der Nachbehandlung am Abend in den Zelten bald ade sagen können. Zumindest sind wir heil vom Eis herunter gekommen, da ist das mit dem Sonnenbrand eher das kleinere Übel ... 

Vom Paso del Viento zum Lago Toro ...Am nächsten Morgen erwartet uns herrlicher Sonnenschein und ein im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubender patagonischer Wind. Schnell sind die Zelte abgebaut und die Rucksäcke aufgezogen, um den Paso del Viento (1.200 m) anzusteuern. Der Name bedeute soviel wie Pass des Windes, der, wie sich später noch herausstellt, nicht ohne Grund so benannt wurde.

Die Gesichter sind heute unter einer weißen Maske aus Sonnencreme verborgen, um Schlimmeres zu vermeiden. Ich befürchte allerdings trotzdem, dass bei meiner Gesichtshaut fast alle Hilfe zu spät kommt. Es geht über Fels und Geröll steil hinauf zum Paso del Viento. Immer wieder müssen wir stehen bleiben und uns gegen den Wind stemmen. Am Paso angekommen haben wir noch einmal einen wunderschönen letzten Blick auf das Inlandeis in seiner weißen Pracht: Man kann förmlich sehen, wie jeder von uns diese letzten Blicke regelrecht in sich aufsaugt und lange nicht vergessen wird ...

Letztes Eis vor der Laguna Torro ... Letzter Gletscher der Tour ... ... und letzte Schritte auf dem Eis ...

Ein letztes Mal gehen wir aufs Eis des Glaciar Rio Tunel: Steigeisen sind aber hier nicht mehr nötig, da viel Geröll herumliegt, was guten Halt verspricht. Auch dieses Hindernis lassen wir nach einer halben Stunde hinter uns auf dem Weg zum Camp am Lago Toro (650 m). Kurz danach müssen wir noch den Rio Tunel mit einer Tirolesa überqueren: Sitzgurte werden noch einmal herausgeholt, der Rucksack an einem Karabiner befestigt und schließlich hängen wir uns ein und fahren wie auf einer Seilrutsche auf unseren Rucksäcken sitzend über den Rio Tunel. Jetzt dauert es nicht mehr lang bis zum Camp, vielleicht noch 30 Minuten Marsch.

Im Camp erwartet uns ein Vorrat von frischem Essen, bestehend aus Empanadas, Brot, Wurst und Käse. Julian, der Organisator der Tour, hatte es am gestrigen Tag dort für uns hinterlegt. Wir stürzen uns darauf, nachdem die Zelte aufgebaut sind und lassen die Tour in unserer Gruppe noch einmal Revue passieren. Später erfahren wir, dass Julian noch eine Flasche Wein und für jeden von uns eine Büchse Bier hinterlegt hatte, die sich aber wohl irgend ein Camper unter den Nagel gerissen hat. Insgeheim hoffen wir, dass er alleine war und sich von dem Alkohol übergeben musste ...

30.12.08, 0800:

Wir stehen auf, frühstücken in unseren Zelten und sind gegen 1000 fertig für den letzten Teil der Runde: Es geht gemächlich über ausgetretene Pfade bei fast Windstille und klarem Himmel wieder Richtung El Chaltén. Vielleicht haben wir heute noch einmal die Chance, den Cerro Torre (siehe dazu die Anmerkung der Redaktion unten!) zu sehen. Und tatsächlich, die Wolken um den Gipfel herum verschwinden langsam und geben den Blick auf diesen unbeschreiblichen und einmaligen Berg frei. Ich spreche wohl für alle, wenn ich sage, dass diese Tour kaum schöner enden konnte ...

Blick zurück aufs Eis ... Laguna Torro ... Zum Abschied freier Blick: Cerro Torre ...

Als wir uns am Abend noch einmal zu einer Runde Bier und Asado treffen, sind die Strapazen fast vergessen. Nur die verbrannten Gesichter sind nicht zu übersehen ...


Hinweis: Autor Marco Plass, der als Outdoor-Guide u.a. auch Wildniskurse, Vorbereitungen für Trekkingtouren und Orientierungstrainings durchführt, wird die obige Tour zum Winter 2009-2010 anbieten. Interessenten hierfür können sich für weitere Informationen per Email bei ihm melden!  


© 2009 Marco Plass


Anm. der Red.: Mehr zum Cerro Torre ...

Zum Cerro Torre, der von unserem Autor als unbeschreiblicher und einmaliger Berg bezeichnet wurde und der zugleich die spektakulärste Felsnadel Patagoniens darstellt, gibt es mittlerweile schon zwei Bücher, die unsere Leser vielleicht interessieren.

Neben dem Buch von Tom Dauer und Thomas Ulrich Cerro Torre: Mythos Patagonien gibt es nun auch eine Neuerscheinung von Reinhold Messner, die sich hiermit befasst. Torre: Schrei aus Stein heißt sein neustes Werk, in dem er sich mit der Erstbesteigung durch Cesare Maestri / Toni Egger und der damit verbundenen Tragödie aus dem Jahr 1959 befasst.


Nachtrag, Februar ´12: "Expedition Persönlichkeit"

Zur Jahreswende 2011/2012 war Marco Plass wieder unterwegs. Diesmal hatte er ein neues, sehr ambitioniertes Projekt vor: Er reiste erneut nach  Südamerika, um den höchsten Berg dieses Kontinents zu besteigen. Sein Ziel: der Aconcagua, einer von den berühmten "7 Summits". Mehr zu dieser spannenden Expedition in seinem Reisebericht: