3.Tag: Bannwaldsee-Alpsee (68 km)
Viel zu spät wache ich auf. Nach einem reichlichen Frühstück führt mich mein Weg über Füssen und Hopfen am See nach Hopferau. Dort statte ich einem Edeka einen Besuch ab. Der nach außen als Lebensmittelgeschäft getarnte Laden erweist sich als eine gewagte Kombination aus Supermarkt und Souvenirladen. Neben ein paar Lebensmitteln erwerbe ich dort einen Briefblock, auf dessen Deckblatt für die schwachsinnige Kampagne "Keine Macht den Drogen" geworben wird. Ich kann darauf nur erwidern: "Keine Macht den DOOFEN" (Anmerkung der Chefredaktion: Daß ekelhafte Raucher das so sehen, ist ja klar!).
Als ich wieder aus dem Laden komme, beobachte ich ein älteres Pärchen bei der Musterung meines Rads. "Telefon, Radio, alles dran", stellt sie fest. Das vermeintliche Telefon ist zwar mein Funkgerät, aber der Unterschied ist zumindest optisch nicht gerade groß. Die beiden bezeugen großen Respekt für mein Vorhaben und wünschen mir noch eine gute Reise. Weiter geht´s über Eisenberg nach Nesselwang.
Die Berge auf dieser Strecke und Mittagshitze kombiniert mit viel zu hohen Ozonwerten machen mich mal wieder fertig. Am Grüntensee genehmige ich mir nochmal eine kurze Kaffeepause bei schöner Aussicht ...
Auf dem Weg nach Wertach liegt vor mir ein endloser Berg. Es geht eine Stunde konstant leicht bergauf, neben mir donnern Autos und Lkw´s vorbei. Doch dann geht es endlich wieder bergab. Und wie. Nach einer traumhaften Abfahrt über etliche Serpentinen halte ich in Rettenberg nochmal kurz zum Einkaufen an. Ein Päckchen Traubenzucker, eine Flasche Cola und ein paar Ansichtskarten.
Auch weiterhin gehts überwiegend bergab bis Immenstadt. Am nahegelegen Alpsee suche ich mir einen Campingplatz. Nach dem Anmelden und dem Zeltaufbau ist erstmal Duschen und danach Wäschewaschen angesagt. Die nasse Wäsche wird über das Fahrrad gehängt in der Hoffnung, daß sie bis morgen früh trocken ist. Zum Essen gibt es heute "Nudelpfanne Försterin" - schmeckt übrigens sehr gut.
Leider bin ich auch heute wieder von den üblichen "Katastrophen-Kids" umgeben. Rechts und links von mir sind sie dabei, einen gesunden Vollrausch aufzubauen. Das wird mit der Zeit richtig lustig. Einer dreht "Country Road" voll auf, was die andere Seite animiert, lauthals mitzusingen. So gegen 20:00 Uhr zeigt das Sprachzentrum bei manchen die ersten Aussetzer. Die Musik ist auch sehr verschieden. Während die einen auf Hardrock stehen, hören die anderen doch lieber die üblichen Saufhymnen, denn bei denen kann man nämlich auch nach 10 Bier noch mitsingen. In der Zwischenzeit sind auch meine direkten Nachbarn von ihrem Ausflug wieder zurück. Mit den symphatischen Leuten ergibt sich gleich ein Gespräch, bei dem auch das Explorer Magazin zur Sprache kommt (Anmerkung der Chefredaktion: Der Kerl ist geschwätzig wie ein altes Weib! ).
Nachdem ich die Adresse und eine kurze Übersicht über die Themen gegeben habe, zeigt man sich sehr interessiert. Die kleine Tochter langweilt sich allerdings dabei tödlich, weshalb sofort die Spielekiste ausgepackt und den restlichen Abend "Schwarzer Peter" gespielt wird. Dabei kenne ich nicht mal die Spielregeln - peinlich. Die Kleine erklärt sie mir gern - eigentlich ganz einfach!
4.Tag: Alpsee - Immenstaad (Bodensee) (90 km)
Am Morgen verabschiede ich mich von der Familie, bei der ich den gestrigen Abend verbracht habe. Ein gigantischer Haufen leerer Flaschen zeugt auch heute noch von dem Saufgelage, das hier gestern nebenan stattfand.
Ein leichter Regen hat eingesetzt. Unbeeindruckt davon baue ich mein Zelt ab. Beim Rausschieben einer Stange passiert es - ein riesiger Riss!!! Ganz oben in der Kuppel - ich kann mir schon jetzt sehr gut vorstellen, was beim nächsten Regenguss passieren wird ...
Trauern bringt mich aber auch nicht weiter und deshalb setze ich mich auf´s Rad und fahre los. Da der Regen stärker wird, ziehe ich zum ersten Mal auf dieser Tour mein Regenzeug an. Über einige kleine Dörfer erreiche ich Oberstaufen, danach Simmerberg. Dazwischen liegen einige Steigungen. Und da die Regenkleidung das äußere Nass abhält, es beim inneren aber genauso handhabt, ziehe ich sie trotz Regen wieder aus - mein Hemd ist ohnehin schon total durchnässt.
Von Simmerberg geht es weiter nach Weiler, wo ich beschließe, erstmal in einem Stehcafe ein Mittagessen zu mir zu nehmen. Weiterhin versuche ich, in einer Motorradwerkstatt Gewebeband zum Reparieren meines Zelts einzukaufen. Dort werde ich aber auf verschiedene Läden im Ort verwiesen, die leider allesamt Mittagspause haben. Ich versuche es in einer Drogerie und komme stolz mit einer Rolle Hansaplast wieder aus dem Laden - besser als nichts!
In der Motorradwerkstatt hat man mir gesagt, daß ich Lindau in einer Stunde erreichen könne, aber kräftig treten müsse. Das bewahrheitet sich leider schon bald: eine endlose Straße, die unüberschaubar hinaufführt. Da es heute nicht so heiß ist, macht mir die Tortur aber wenig aus. Genauso der nächste Berg, der kurz darauf folgt. Ab Scheidegg geht es dann nur noch abwärts. Ich muß öfter bremsen, mehr als 40 Stundenkilometer sind auf der regennassen und sehr kurvigen Staße einfach nicht drin (übrigens auch nicht für Auto- und Motorradfahrer)!
Lindau erreiche ich so fast ohne zu treten, der Bodensee empfängt mich mit Nebel. Ich freue mich auf den Rest der Strecke, keine größeren Steigungen mehr bis zum Schwarzwald. Der Regen hat auch aufgehört und ich fahre mal mehr und mal weniger am Nordufer des Sees entlang Richtung Westen, am Weg liegen oft Obstplantagen. Bei Langenargen fahre ich schließlich ans Ufer, packe meinen Kocher aus und koche mir einen "Deftigen Linsentopf" aus der Tüte. Der sieht zwar nicht mal halb so gut aus wie auf der Verpackung, aber ist geschmacklich ganz passabel.
Irgendwie sind die Leute hier anders. Egal wo ich vorher meinen Kocher ausgepackt habe, die Leute sind sofort freundlich auf mich zugegangen. Hier dagegen schleichen alle verstohlen an einem vorbei und bringen meist nicht einmal ein "Hallo" heraus. Ein Vater geht mit seinen Kindern mit gesenktem Kopf direkt an mir vorbei, ein anderer schaut nur kurz zu mir herüber und flüstert kaum hörbar ein "Hallo" daher. Aber sobald sie an mir vorbei sind, drehen sie sich nochmal nach mir um - merkwürdig, vielleicht ist hier Kochen in freier Natur einfach nicht erwünscht.
Nach dem Essen fahre ich weiter nach Friedrichshafen und versuche beim nächsten Campingplatz mein Glück. Die Frau an der Anmeldung gibt mir einen Zettel mit den Zahlen 106-169. Ich soll mal rumfahren und schauen, ob noch ein Platz frei ist. Tatsächlich sind auf den Wegen jeweils 2 Meter breite Parzellen mit Farbe aufgezeichnet und mit Nummern versehen - ein Verfahren, das ich bisher nicht kannte. Es ist aber kein Platz mehr frei, die Frau tröstet mich: "2 Kilometer weiter gibt es noch einen Campingplatz".
Hier angekommen muß ich meine Anmeldung selbst vornehmen. Name, Adresse, Ausweisnummer und sogar den Beruf (letzteren angeblich für eine Statistik) muß ich in dem Formular angeben. Dann bekomme ich eine Zeltnummer und soll mir einen Platz suchen. Den finde ich auch und werde sofort von einem Mann auf meine Antenne angesprochen, er und seine Frau outen sich daraufhin selbst als CB-Funker.
Ich baue mein Zelt auf und klebe daraufhin den 30 cm langen Riss mit dem Hansaplast ab. Da dieses auf dem silikonimprägnierten Zelt nicht richtig halten will, schneide ich kurzerhand ein Stück Bodenplane aus der hinteren Apsis und nähe diese mühsam darüber.
Nach dieser Schwerstarbeit ist erstmal ein Risotto fällig. Nach nach dem Essen suche ich die ca. einen halben Kilometer entfernte Duschanlage, wo ich erstmalig 1 Mark für 2 Minuten warmes Wasser in den Automaten einwerfen muß. Da heißt es möglichst ökonomisch zu duschen ..!
© Text/Bilder 1998 Karsten Franke