Aufbruch gen Süden ...
Es galt, das Fahrzeug dem Wüsteneinsatz "light" entsprechend vorzubereiten: Diese Vorbereitung beschränkte sich allerdings auf den Ausbau der Rücksitzbank und das Verhängen der hinteren Seitenfenster mit indischen Tüchern. Am Fahrwerk und an den Reifen braucht es eh keine Nacharbeit, denn in punkto Geländetauglichkeit ist der Jeep einsame Spitze. Zwei Expeditionskisten, die nach einem Jahr Senegal noch immer erstklassig ausschauen und die mir von einem netten Schweizer Pärchen sehr günstig überlassen wurden, komplettieren die minimale Innenausstattung. Den Rest der über 1.000 Liter Stauraum wurde mit Gepäck und Campingausrüstung zu zwei Dritteln gefüllt: Jeep fahren bedeutet nicht unbedingt zwangvolle Enge ...
Und so kann die Fahrt Richtung Süd-West beginnen: Ärgerlich sind die enormen Anfahrtskosten, resultierend aus den derzeitig europaweit sehr hohen Spritpreisen und der Autobahngebühr, die von der deutsch-französischen Grenze bis ins südspanische Murcia durchgängig den Geldbeutel malträtiert. Zugegeben - ab Murcia ist die E 15 zwar in schlechterem Zustand, jedoch in der Benutzung kostenfrei.
Unterwegs übernachten wir in Südfrankreich in einer unter Motorradfahrern berühmten Pension bei Moux - der Maison Las Clauzes, die obendrein über eine erstklassige Küche verfügt.
Über Internet war es relativ einfach, ein passendes Ferienhaus als Stützpunkt für alle weiteren Exkursionen in die sonnenverbrannten Berge der spanischen Provinz Almeria zu finden. Das Ferienhaus liegt mitten im Cabo de Gata, einem Naturpark von rauer, wüstenartiger Schönheit mit vielen interessanten Menschen. Chris, einer der vielen in diese Gegend ausgewanderten Deutschen, vermittelte uns die preiswerte Unterkunft. Immerhin sollen mittlerweile 15% der Einwohner in dieser Gegend Deutsche sein, die vor tristem Wetter, miesgelaunten Landsleuten und einer wirren Politik in unserem Lande sich eine Alternative unter südlicher Sonne gesucht haben.
Es ist einfach festzustellen, welche Fahrzeuge den Exilanten gehören - die TÜV-Plakette zeigt so vergangene Fälligkeitsdaten wie Juni 1999 oder Februar 2001. In Spanien stört sich - zumindest in dieser Region - keiner an solchen Details, obwohl Spanien seit einigen Jahren ebenfalls eine periodisch durchzuführende, technische Prüfung des Fahrzeugs eingeführt hat, die teilweise in noch kürzeren Zeitabständen als bei uns erfolgen muss ...
Im Naturpark Cabo de Gata
Im Naturpark hat sich eine eigene, alternative Kultur entwickelt, die an die goldenen Zeiten der Hippiebewegung in den späten 60ern oder 70ern erinnert. Viele der verlassenen Bauernhäuser der Gegend sind mittlerweile im Besitz von Neusiedlern, die ihre eigenen Vorstellungen von Lebensführung und Gesellschaft haben.
Der Naturpark selbst erstreckt sich immerhin über 26.000 ha und ist im Juli und August eine einzige, glutheiße Wüstenlandschaft, in der Flora und Fauna mit extremen Bedingungen fertig werden müssen. Immerhin gibt es hier 26 endemische Arten, die sich dem Leben mit wenig Wasser und viel Hitze angepasst haben. Den Naturpark gibt es seit 1987 und für spanische Verhältnisse wird der Schutz von Tieren, Pflanzen und Landschaft wirklich ernst genommen. Den wilden Bauten wird teilweise erfolgreich entgegengewirkt und an einigen Küstenabschnitten besteht ein generelles Tauch- und Angelverbot. Letzteres soll vor allem die Jungfische und deren Aufwuchsgebiete schützen - trotzdem gibt es entlang der gesamten Küste fast nichts für den Angler zu fangen und die Unterwasserwelt schaut beim Schnorcheln gegen andere Gebiete im Mittelmeer sehr traurig aus.
Geologisch ist das Gebiet ebenfalls hochinteressant: Die Berge dieser Gegend sind vulkanischen Ursprungs und reich an Mineralien. Gold und Silber wurden hier gefördert und heutzutage finden Hobby-Geologen große Mengen an Amethyst, Jaspis und Granat. In einem ausgetrockneten Fluss, der aus einem alten Krater führt, ist der Sand rot von Granatstaub und es finden sich bis kirschkerngroße Steine. Mitten in der fast staubtrockenen Landschaft stehen in den ausgetrockneten Flussbetten, Ramblas genannt, blühende Oleanderbüsche, die anzeigen, dass tief im Untergrund noch Wasser vorhanden ist ...
Die Flora innerhalb des Naturparks und der angrenzenden Gebiete ist geprägt von teilweise sehr seltenen, ariden Gewächsen. Der Mastixstrauch ist weit verbreitet und Zwergpalmen überleben dort, wo man sonst nichts mehr findet. Kaktusfeigen und andere, säulenartige Kakteen bilden an einigen Stellen undurchdringliche Hecken. Andernorts sind kleine Wälder von Agavenblüten zu sehen.
Exkursionen ins Umland
Wegen der großen Hitze am Tage - über 40°C sind die Regel - beschränken sich unsere Exkursionen meist auf den Einsatz des Jeeps: Mit diesem sehr wendigen, absolut geländetauglichen Fahrzeug lässt sich das Hinterland der Küste auf alten Pfaden und Schotterwegen komfortabel erkunden. Nur wenige Wege sind gesperrt und auch im Naturpark bestehen für den Fahrzeugeinsatz fast keine Einschränkungen - solange man auf Straßen oder deren oftmals kaum noch erkennbaren Resten bleibt.
Die Wege führen häufig zu Dörfern, die gleichermaßen desolat in der Landschaft stehen. Viele Dörfer wurden schon vor mehr als 100 Jahren verlassen und in den ersten vier Jahrzehnten des 20igsten Jahrhunderts flutete die große Auswanderungswelle nach Amerika. Ursachen für diese Landflucht sind primär in der damaligen Überbevölkerung und einem Klimawechsel, der die Landschaft versteppen lies, zu suchen. Einstmals blühende landwirtschaftlich genutzte Täler konnten ihre Bauern nicht mehr ernähren und die sozialen Spannungen nahmen zu.
Die blutigen Ereignisse aus dem Jahre 1928 auf dem Gehöft Cortijo del Fraile inspirierten den spanischen Nationaldichter Francisco Lorca zu seiner weltberühmten "Bluthochzeit". Die halbverfallenen Gebäude erinnern an eine Westernkulisse, im übrigen wesentlich authentischer als die Filmdörfer, die in der Campo de Tabernas zahlungskräftige Touristen mit Wildwest- und Stuntshows anlocken sollen. Noch einige Jahrzehnte werden diese Ruinen von Cortijo del Fraile wohl noch stehen und sich immer mehr in die graubeige Landschaft zurückverwandeln. Zum Gehöft führt eine auch mit einem Nicht-Offroader befahrbare Schotterpiste von Rodalquillar bis hinauf in die Berge.
Ebenso über diese Piste sind die nur noch als Ruine vorhanden Goldminen zu erreichen, die in die angrenzenden Berge als weitgefächerte Stollensysteme gegraben wurden. Von einem Spaziergang in diese Stollen ist dringlich abzuraten, da stets die Gefahr eines Einbruchs der Stollenwände oder des Durchbrechens in einen tiefer gelegenen Stollen besteht. Es besteht an vielen Stellen akute Lebensgefahr und so kehren auch wir nach ein paar Metern Dunkelheit trotz bewährter Lucido-Technik wieder um ...
Der Goldabbau, der von der Römerzeit bis in die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts andauerte, brachte durch seinen Boom Anfang dieses Jahrhunderts Entspannung in die Erwerbssituation. Nach dieser Epoche war wieder Schicht im Schacht und die Auswanderungsbewegung nahm zu.
Mittlerweile bringt der Tourismus wieder einen Ansatz von Wohlstand in die Gegend, obwohl - und dies ist wirklich ein glücklicher Zufall - noch keiner der großen Hotelbetreiber in dieser Gegend zu finden ist. Es gibt zwar schon das ein oder andere kleine Hotel oder eine Pension, die meisten Touristen kommen jedoch mit dem eigenen Wohnmobil oder mieten sich ein Apartemento.
Meist sind die Touristen und Neubürger Menschen, die sich nicht in das bürgerliche Schema von Leistung und Status pressen lassen. Touristen im klassischen Sinn, die stets auf der Suche nach seichter Unterhaltung und billigen Vergnügen sind, sind nirgends zu bemerken. Das erste Anzeichen für einen Umschwung sind vielleicht die geführten Ausflüge, die ein Anbieter mit ein paar offenen 110er Landys durchführt. Die so von Highlight zu Highlight verfrachteten Menschen starren uns fast immer misstrauisch an: Ein deutscher Jeep im wüstenähnlichen Hinterland existiert wohl nicht in der Erwartungshaltung der Leute. Dass eine geführte Tour das lockere, unabhängige Reisen nach eigenen Gusto nie ersetzen kann, wird wohl hierbei so manchem klar.
Was diese Touristen, die sich für nicht wenig Geld auf staubigen Plätzen eng zusammengedrängt chauffieren lassen, nicht erahnen können, ist, dass sich ausgerechnet ein paar 100 m weiter von ihrem jeweiligen Foto-Stopp die eigentlich interessanten Plätze befinden.
Fast schon erschreckend kann man dies bei dem herrlichen und sehr bekannten Aussichtspunkt über dem wellenumtosten Riff Arricife de las Sirenas beobachten: Ein halber Kilometer vor dem direkt am Leuchtturm des Cabo de Gata gelegenen Naturschauspiel ist für diese "Expedition" Schluss - ein paar Aufnahmen vom Cabo und dann geht es wieder im Eiltempo zurück ...
Der einzige touristisch intensiv genutzte Ort im Naturpark ist San José, der außer einer ausgeprägten Bautätigkeit einen Jacht-Hafen und einen dicht besetzten Strand aufweist. Durch San José führt die Straße zu einem der herrlichsten Strände des gesamten Küstenabschnitts - der Playa de Monsul, die auch die bekannteste der insgesamt 42 Strände und Buchten des Naturparks ist.
Direkt an der Playa de Monsul ist die auf vielen Postkarten abgebildete große Wanderdüne aus feinen Sand zu sehen und zu besteigen: Der Ausblick von oben auf die Bucht in den Bergen vulkanischen Ursprungs ist atemberaubend, die fotogene Düne jedoch nur in ihren obersten 10 m wirklich von saharaähnlichem Aussehen. Leider ist die Playa de Monsul mittlerweile im festen Besitz der Touristenmassen - zumindest von denen, die mit eigenem Fahrzeug unterwegs sind, denn zum Fuß von San José aus dürfte in der Juli-Hitze der Anmarsch zu heiß sein.
Noch ist diese Art von Tourismus die Ausnahme und in das absolute Aussteigerparadies - San Pedro - dringt wahrscheinlich keiner von ihnen in der nächsten Zeit vor. San Pedro ist nur in einem fast einstündigen Fußmarsch oder mit dem Boot zu erreichen. Das kleine, vor nicht allzu langer Zeit ebenfalls menschenleere Dorf liegt in einer malerischen Bucht und besitzt eine kostbare, eigene Süßwasserquelle, die eine schwankende Anzahl an Freaks versorgt.
Die Menschen, die sich zu einer lockeren Gemeinschaft von Aussteigern zusammengefunden haben, kommen aus ganz Europa, meist aber aus Spanien: Einige Freaks kommen nur über den Sommer, andere leben und arbeiten hier. Ein paar unterhalten am Strand so eine Art Bar - mit einigen Graspflanzen vor dem Eingang. Überhaupt ist Marihuana und das Harzprodukt Haschisch der Hanfpflanze die vorherrschende Droge entlang der gesamten spanischen Südküste.
Marokko ist nicht weit und die meisten Ansässigen, die hierfür ein Faible haben, ziehen sich das Zeug ganz einfach im Garten. In Kleinmengen scheint es niemanden - einschließlich der Polizei - zu stören, denn ganz offen wird an den Stränden geraucht. Nicht nur von den Freaks, sondern auch ganz "normal" aussehende Einheimische lassen sich ihren Joint am Strand schmecken. Die Folge dieses Konsums ist eine ausgesprochen friedfertige Stimmung unter den Leuten: Während unserer gesamten Zeit in dieser Gegend haben wir keinen einzigen, aggressiv ausgetragenen zwischenmenschlichen Konflikt erlebt, der in klassischen Urlaubsgebieten - vor allem unter Einfluss von Alkohol in der Hitze - leider an der Tagesordnung zu sein scheint. Persönlich glaube ich zwar, dass das Leben zu kurz ist, um sich die raren Phasen klaren Denkens () von Drogen vernebeln zu lassen, doch wenn es unbedingt sein muss, sollte man den Menschen statt des aggressionsfördernden Alkohols lieber die Hanfpflanze zugänglich machen. Vielleicht würden dann die im Einfluss des Suffs verübten, unsäglichen und sinnlosen Gewalttaten bei öffentlichen Veranstaltungen auf ein Minimum zurückgehen ...
- Weiter: Zum Kap, in die Gádor und Stippvisite an der Costa Blanca ...
© 2004 Text / Bilder Jens Plackner