Gestrandet ...
Nach ein paar Wochen komme ich mal wieder aus der Stadt zurück zu unserem Wohnmobil und stelle mit Erstaunen fest, dass ein sehr großes Segelboot direkt vor der Finca auf den Strand gespült worden ist.
Mein Freund Wolfgang hatte den Schiffbruch noch filmen können, jetzt aber liegt das Boot schief auf der Seite eingekeilt zwischen den großen schwarzen Steinen. Die Ursache der Havarie ist laut Hörensagen ein zerrissenes Ankerseil, der Besitzer befand sich zu dem Zeitpunkt in der Stadt und ansonsten hatte das Schiff keine weiteren Personen an Bord. Am Spätnachmittag trifft schließlich auch der Besitzer ein, ein Italiener. Natürlich ziemlich gefrustet untersucht er sein Boot, das dauernd von Wellen überspült wird und schon erhebliche Beulen auf der Liegeseite aufweist. Von der Finca aus beleuchtet man am Abend dann das Boot weiter, um verfolgen zu können, was dort noch passiert.
Am nächsten Tag wird das Boot genauer untersucht, ich gehe mit ein paar Leuten direkt daneben schwimmen und wir können feststellen, dass ein gewisser Ölgeruch in der Luft hängt und das Wasser bereits reichlich kleine schwarze Partikel aufweist.
Meinen Hinweis darauf ignoriert der Inhaber gekonnt, da das Boot nicht versichert ist und er für eine drohende Umweltverschmutzung mit Sicherheit nicht finanziell aufkommen kann. Später trifft für kurze Zeit auch das große Lotsenboot aus San Sebastian ein, dreht eine Runde und zieht wieder ab.
Der Besitzer hat offensichtlich kaum Mittel, irgendeine Bergung finanzieren zu können: Ein paar Tage später erscheint er mit Brettern und John, der Engländer, der auch die improvisierte Straße über den Bergsturz gebastelt hat, hilft ihm mit einem Wagenheber, die Bretter unter die Seite zwischen Steine und Bordwand zu legen. Das Boot ist ein Stahlboot mit einer Länge von rund 15 Metern, einer Breite von 3 bis 4 Metern und einem Gesamtgewicht von ca. 35 Tonnen, allerdings schon etwa 40 Jahre alt, was man auch visuell wahrnehmen kann.
John, der Engländer, ist ebenfalls ein ganz verrückter Typ, ca. 70 Jahre alt, hat früher wahrscheinlich in irgendeiner britischen Armee gedient und verfügt immer noch über Power ohne Ende. Er hat fast allein den schmalen Weg über den Bergsturz gebaut, mit einem kleinen Bagger sowie Wagenheber, Vorschlaghammer und Keilen, um die Steine zu spalten. Als er es schließlich geschafft hatte, fuhr er mit einem Charles Manson Beach Buggy darüber hinweg, um Dinge aus der Stadt zu holen oder manchmal auch einfach nur, um unter einem Sonnenschirm oben auf seiner selbstgebauten Straße für eine halbe Stunde zu entspannen ...
Freiheit oder Isolation hinter dem Bergsturz ..?
Nach anderthalb Jahren, in denen die spanische Regierung gar nichts unternommen hatte, um die Verbindung zum Argayall Tal wiederherzustellen, war man mittlerweile soweit gekommen, dass zumindest einige der noch gut erhaltenen Fahrzeuge über die improvisierte Straße in die Kleinstadt gebracht werden konnten. Dazu half John mit seinem kleinen Bagger und schleppte die niedrig liegenden Fahrzeuge über den selbstgebauten Weg des Hügels.
Dies bedeutete für den vor uns in einem kleinen Wagen hausenden Aussteiger, dem zwar dieser Wagen nicht gehörte, der aber von einem Spanier die Erlaubnis erhalten hatte, ihn als Wohnung zu nutzen, dass er sich durch das Angebot, das Fahrzeug hinaus zu bringen, selber obdachlos gemacht hatte. Das Fahrzeug habe ich übrigens selbst herausgefahren, da er technisch doch nicht so sehr versiert war, wie es schien ...
Die rechtliche Lage hinsichtlich der Verbindung zur Bucht, die durch den Felssturz unterbrochen wurde, war etwas schwierig: Zum einen betraf es zwei verschiedene Kreisverwaltungen der Insel und zum anderen war schon vor dem Felssturz ein großes Warnschild auf der Straße angebracht worden, wonach man diese nur auf eigene Verantwortung nutzen konnte, wovon aber grundsätzlich abgeraten wurde. Gerüchte machten die Runde, dass geplant sei, mit einem Halbtunnel eine neue Straße in die Bucht zu bauen, doch ob der spanische Staat in Anbetracht von lediglich 5-7 Häusern und der kleinen Finca solche Investitionen vornehmen wird, erscheint mir äußerst fraglich. Überhaupt herrscht aber hinter dem Felssturz eine gewisse anarchistische, doch auch freundliche und hilfsbereite Atmosphäre.
So hat uns z.B. John zu Silvester ein Sixpack Bier
vorbeigebracht mit besten Wünschen für das neue Jahr. Oder wir haben z.B. jemandem
mit Essen versorgt, der in den Bergen wegen Unzugänglichkeit seinen
Rucksack hat liegen lassen müssen, so dass er diesen erst ein
paar Tage später in einer gewagten Aktion wieder bergen
konnte. Oder es haben sich junge Leute um unseren Übernachtungsbus
versammelt, Hähnchen am offenen Feuer gegrillt und lange lustige
Gespräche mit uns geführt ... Auch kam
einmal eine
deutsche Frau mit zwei Kindern bei uns vorbei und fragte nach
Unterkunftsmöglichkeiten, sie kam aktuell aus Nicaragua und hatte sich
angeblich von ihrem
dortigen südamerikanischen Freund getrennt, da sie nach Jahren (!) feststellen
musste, dass er cracksüchtig war ...
Im Tal gibt es neben den Hippies und Aussteigern, die in der Schweinebucht oder in den Höhlen hausen, auch einen Deutschen, der schon seit Jahren nur noch vom Containern lebt, keinen Pass mehr hat und faktisch mittellos ist. Ebenfalls bekannt ist dort ein nackter Mann, ein Spanier, der schon seit Jahren nicht mehr redet und wie man sagt, vermutlich "auf Stechapfel hängen geblieben ist." Nach Erzählungen der Anwohner soll er kurz vor dem Felssturz Steine auf die Straße gelegt haben. Als Warnung. Auch während unseres Aufenthaltes schreitet er einmal prüfend die Felswand ab, offenbar um zu spüren, wie es um sie bestellt ist ... Interessanterweise schlägt ein paar Wochen später ein überfaustgroßer Stein in unser Wohnmobil ein, durchschlägt das Dach und zerfetzt die Matratze an der Stelle, wo einer unserer Köpfe gelegen hätte ...
Der Drogenkonsum auf der Insel ist phänomenal, es gibt alles von LSD über Kokain, Heroin und sonstigen chemischen neuen Drogen, sodass sich viele der jugendlichen Aussteiger und Hippies faktisch in einem mehr oder minder "dauerbreiten" Zustand befinden ...
Der dunkle, kühle Nordteil der Insel und groteske sinnlose Projekte ...
Zahlreiche Klimazonen gibt es auf der kleinen Insel, so z.B. den Regenwald in 1.000 Meter Höhe, dauerkalt und nass, oder den Nordteil der Insel, Agulo, die kleinste der sechs Gemeinden, wesentlich kühler als Valle Gran Rey und viel stürmischer. Dort übernachten wir ebenfalls einmal direkt am Meer, allerdings wird mein Auto durch die Gischt der rund 5 Meter hohen Wellen geradezu gepökelt ...
Am Ende der Bucht von Hermigua im Nordosten Gomeras gibt es eine alte Bananen-Verladeanlage im Meer, die vor über 100 Jahren gebaut wurde und seit den 1950er Jahren außer Betrieb ist. In den 1980er Jahren hat man dort eine Cafébar errichtet und unten auf dem Felsen ein Freibad gebaut, das regelmäßig von starkem Wellengang überspült wird. Die Sonne kann dort eigentlich kaum hin kommen, da sie durch die Berge weitgehend verdeckt wird, es ist für mich in gewisser Hinsicht auch der gruseligste, düsterste und chaotischste Teil der Insel.
Um das Maß voll zu machen, befindet sich direkt unten am Strand ein "Photovoltic Hallenbad", das erst im Oktober 2021 fertiggestellt wurde, bisher nie in Betrieb war, aber eine Investition von über 200.000 Euro erforderte. Daneben steht eine alte aufgegebene Kapelle, sie bietet mir für eine Nacht eine Unterkunft ...
Die wenigen Bananenplantagen, die man noch auf der Insel findet, sind oft schon deutlich sichtbar in einem nicht mehr gepflegten Zustand, da man mit Obst und Gemüse auf der Insel im Vergleich zum Tourismus kaum noch etwas verdienen kann ...
Allgemeines und die Rückkehr ...
Die Supermarktkette Spar, ersichtlich deutsch, passt recht gut zu den 80% deutschen Touristen, die sich in Valle Gran Rey aufhalten ...
Die Polizei ist erstaunlicherweise sehr zurückhaltend und freundlich, einmal parke ich auf einem reservierten Parkplatz im Hafen von San Sebastian, ein Polizist mit Fahrzeug hält an und meint, ich dürfe dort nicht stehen (ich befand mich aber bereits seit zwei Stunden in der Stadt), dann meint er, interessantes Auto, er hätte auch so einen Mercedes als Limousine, er zeigt mir Bilder auf seinem Handy und bittet mich, einen Blick unter die Motorhaube werfen zu können. Es sind keine Masken im Spiel, es gibt keine Berührungsängste, später überhole ich ihn noch in der Stadt und wir hupen uns gegenseitig zu ...
Der Ort Playa de Santiago auf der anderen Seite im Süden der Insel mit einem großen Tal, zeigt sich weitläufig mit vielen Zelten und direkt am Strand und es gibt auch hier diverse Höhlen, wo ebenfalls Aussteiger und Hippies hausen. Allerdings im Vergleich zu Valle Gran Rey erscheinen die anderen kleinen Orte und Städte kaum belebt mit großem Leerstand, was übrigens auch für die Hauptstadt der Insel San Sebastian gilt und wie bereits erwähnt für Teile von Santa Cruz auf Teneriffa.
Vor der Rückfahrt und dem Abschied von der Insel habe ich noch einmal mit dem Besitzer vom Segelboot sowie seinem Freund und John, dem Engländer, mit Seilzügen ein paar der schweren Steine unter dem Kiel weggezogen, jedoch glaube ich nicht daran, dass das Boot noch jemals den Strand als Ganzes verlassen wird, denn was das Meer einmal als Strandgut ausgeworfen hat, nimmt es ungern wieder zurück und jede Flutwelle, die höher ist als die letzte, wird das Schiff nur noch ein Stück weiter auf den Strand spülen. Es ist nun schon fast einen Monat her und die Nachrichten aus der Argayall Bucht bestätigen meine Vermutung: Das Schiff liegt immer noch am Strand ...
Die Rückfahrt Mitte Januar 2022 gestaltet sich ähnlich wie die Hinfahrt, diesmal wieder eine teure Fähre von Santa Cruz nach Huelva, die aber nur schwach besetzt ist ...
Zurück in Portugal: Wir besuchen noch einmal den Sohn von Wolfgang in der Serra da Estrela und fahren anschließend über das spanische Hochland weiter nach Frankreich sowie über Mühlhausen dann nach Norddeutschland. Auffallend ist, dass viele der Dörfer und Kleinstädte in Spanien und Frankreich mehr oder minder ausgestorben erscheinen und zahlreiche Häuser Verkaufsschilder tragen. Andere Häuser sind offensichtlich mit heruntergelassenen Rollläden bereits seit längerem unbewohnt ...
In Mornas, Südfrankreich, haben wir noch einmal einen kleinen Tiefpunkt der Reise: Die Benzinpumpe meines alten Benz fällt mitten auf der Autobahn aus, es ist Sonntagnachmittag, wir schaffen es gerade noch, das Fahrzeug auf eine im Bau befindliche Raststätte zu schieben. Dann setzt ein fürchterlicher Eismistral ein, bei ca. 1°C baue ich die Pumpe aus und wir müssen noch eine kalte Nacht im Auto verbringen, bis wir am nächsten Morgen eine freundliche marokkanische Autowerkstatt finden, die es sogar schafft, bis 14:30 Uhr eine neue Benzinpumpe für uns zu organisieren.
Da die Mautgebühren in Frankreich eine Unverschämtheit und dauerhafte Belästigung darstellen, Landstraßen wegen tausender Kreisel aber unbefahrbar geworden sind, schaffen wir es schließlich, illegal von der Baustelle auf die Landstraße zu kommen und somit für über 300 km Mautgebühren einzusparen ...
Auch wenn zu Zeiten von Corona mitunter gerne von Stadtflucht gefaselt wird, so bleibt doch die Tendenz zur Landflucht auf hohem Niveau, viele zieht es wie die Motten in die hell erleuchtete Stadt. Das selbst gestaltete, selbst organisierte individuelle Leben befindet sich weiterhin auf dem Rückzug. Erstaunlich bleibt, dass ich trotz meines Status "Nichtgeimpft" während der gesamten zwei bis drei Monate unbehelligt reisen sowie Geschäfte und Restaurants aufsuchen konnte, ohne dass mich jemand diskriminierend gefragt hat, was Impfungen oder Ähnliches anbelangt. Hoffentlich wird sich solches auch weiter durchsetzen und die Menschheit nach über zwei Jahren Panikmodus langsam wieder zur Vernunft kommen ...
Fazit: Es ist wie ein Netz, was dich durch irrsinnige Verordnungen und Angstpropaganda in die Enge treiben will, und dagegen hilft nur Bewegung ..!
© 2022 Michael Gallmeister, Lett-landweit
Anm. der Red.: Weitere Beiträge im Explorer Magazin von Michael finden sich in unserer Autorenübersicht!