11. Februar 2009 (1): Auf der Kriechspur
Wir kriechen mit 5 km/h daher und sind eigentlich viel zu langsam. Die extrem heftigen, harten und buckeligen Winterwege lassen aber keine höheren Geschwindigkeiten zu. Nach rund drei Tagen mehr oder weniger nonstop Fahrt ab Ust-Nera (wir schliefen immer nur ein paar Stunden in der Taiga) sind wir gestern Nachmittag in Syrianka angekommen. Wir begannen sofort mit der Suche nach einer warmen Garage und einer Übernachtungsmöglichkeit. Beides fanden wir dank sehr freundlicher russischer Helfer. Die Garage hatte genug Platz für die Autos und Anhänger und man ließ uns trotz der sonntäglichen Pause mit der Kontrolle der Fahrzeuge und Anhänger sowie der Instandsetzung verschiedener Beschädigungen beginnen.
Parallel kaufte ein Teil des Teams weitere Vorräte für die kommenden 1.500 km bis Belibina ein. Konstantin organisierte ein Zimmer für uns (5 Mann auf 3,5 x 3,5 m), wo wir uns wieder mal ausstrecken konnten - siehe hierzu auch Ulis Anmerkungen/Anekdoten**.
Irina, die freundliche ältere Hausdame, kochte sogar für uns und wir konnten in der Zwischenzeit ein paar Sachen waschen. Endlich wieder ein Hotel ...
** Bericht Ulrich Kaifer: Wir hatten ein kleines nettes Apartment mit einem Zimmer und kleiner Küche. Das Badezimmer machte einen super Eindruck. Ich hatte die Ehre, als erster duschen zu dürfen und nahm nach drei Tagen Abstinenz dankend an. Im Gegensatz zu allen anderen bisherigen Duschen hatte diese sogar eine Duschkabine, was insofern ganz nützlich sein kann, als dass man das Bad nicht jedes Mal komplett fluten muss.
Als ich in die Kabine stieg, merkte ich jedoch sofort, dass ich weit gefehlt hatte: Die Kabine war erstens nicht auf der Duschtasse befestigt, so dass diese schräg saß und zweitens ließ sich die Tür nicht richtig schließen. OK, dann wohl doch fluten! Viel schlimmer war jedoch, dass sich die Temperatur des kleinen Wasserstrahls nur zwischen kochendem Wasser und eisig kalt regulieren ließ. Als ich endlich nass war, musste ich zudem noch feststellen, dass sowohl mein Shampoo sowie die Waschlotion in meinem Kulturbeutel, der während der Fahrt unter der hinteren Sitzbank lagert, gefroren waren. Beim Ausstieg hielt ich mich dann noch grob fahrlässig an der Handtuchstange fest, die sich sofort von der Wand löste und in ihre Einzelteile zerfiel. Trocken, sauber und glücklich verließ ich dann schließlich das Bad ...
Ein weiteres kleines Missgeschick passierte mir wenig später: Wir hatten die Möglichkeit, unsere dreckige Wäsche in einer Maschine zu waschen. Kaspar hatte sich darum gekümmert und kam erstaunlich schnell mit gewaschener, aber feuchter Wäsche zurück. Die Waschdauer kann nicht mehr als 20 Minuten betragen haben. Die Heizung war nicht wie sonst immer in Russland auf Sauna gestellt. An einem roten Drehknopf an der Seite wollte ich dies ändern. Was man wissen muss, normalerweise laufen die Heizungen in Russland auf vollen Touren, die Raumtemperatur wird nur über das Öffnen der Fenster reguliert.
Die Tatsache eines roten Drehknopfes hätte mich eigentlich stutzig machen müssen, aber als mehr oder weniger Anfänger in diesen Breiten habe ich diesen mal beherzt aufgedreht. Das Öffnen des ziemlich großen Entlüftungsventils hatte zur Folge, dass die doch relativ frisch gestrichene Wand mit einer nicht ganz unerheblichen Menge ziemlich brauner Brühe versaut wurde. Ich war so verdutzt, dass ich das Ventil auch erst nach geschätzten drei Sekunden wieder zudrehen konnte. Die Wand konnte ich ganz gut reinigen, die Pfütze in der Raumecke überließ ich Ihrem eigenen Schicksal. Der Schaden hielt sich aber in Grenzen ...
Danach hatten wir einen ganz netten Abend in unserer kleinen Küche: Die Dame an der Rezeption machte uns ein warmes Abendessen aus Lebensmitteln, die wir für diesen Zweck eingekauft hatten. Nach zwei Bier und dem warmen Essen war ich im Nu so müde, dass es mir schwer fiel, nicht am Tisch einzuschlafen.
Kaspar und ich durften uns als Dienstälteste das Bett teilen, der Rest schlief mit Schlafsäcken auf dem Boden. Es gab jedoch nur eine Decke für uns zwei. Ich beschloss, mir aus zwei Bezügen meine Bettdecke zu bauen. Dies ging anfänglich auch ganz gut, ich schlief sofort ein, wachte aber in der Nacht wieder auf, weil mir kalt war. Nach langem Kampf gegen den allseits bekannten Schweinehund zog ich mir einen Pullover an, fror dann aber weiter an den Beinen und hatte keinen sonderlich guten Schlaf. Insgesamt war ich aber doch ganz froh, mal wieder in der Zivilisation gewesen zu sein, geduscht und in einem Bett geschlafen zu haben ...
11. Februar 2009 (2): Nervenzehrende Strecken ...
Noch zu keinem Zeitpunkt wurde uns die Gastfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft der russischen Bevölkerung nicht zuteil. Und ohne die freundlichen russischen Helfer wird es hier sehr schwierig bis unmöglich. Du brauchst mal schnell ein schweres Werkzeug oder ein Schweißgerät oder eine Drehbank oder eine Garage oder was auch immer. An dieser Stelle möchten wir zwischendurch wieder einmal allen, die wir kennen lernen durften, weil sie uns halfen, und denen, die für das Einsatzteam unbekannterweise etwas tun oder taten, sei es im Vorder- oder im Hintergrund, vielen, vielen Dank sagen!
Am nächsten Abend ging es weiter auf eine 380 km lange, nervenzehrende Fahrt auf dem Fluss Kolymar. Diese mit Eislöchern gespickte Buckelpiste (entstanden aus Luftblasen, die von Trucks eingedrückt wurden) hatte es in sich: Hundertfach schlagen die Reifen durch, brechen wir in messerscharfe Eislöcher ein oder durchfahren sie, überfahren wir Steine, Baumstämme etc. Dass wir weder an einem der Anhänger, noch an einem der Jeeps bisher einen Reifenschaden hatten, bestärkt mal wieder meine Überzeugung, dass wir mit dem Goodyear Wrangler MT/R den besten Geländereifen der Welt auf unseren Expeditionen einsetzen.
Wir benötigten für die nonstop Fahrt mit bis zu -50°C - während derer wir auch den Arctic Circle überquerten - rund 16 Stunden und erreichten geschlaucht Schritnikolimsk, ein Dorf "in the middle of nowhere".
Dort angekommen wurden wir binnen Minuten von Journalisten und Einwohnern begrüßt. Es ist ein wirklich schönes kleines Dorf, das an das Ufer der Kolymar aus Holz gebaut wurde. Es ist aufgeräumt und die kleinen eigenen Häuser sind größtenteils hübsch zurecht gemacht und gepflegt. Dass dieses kleine Dorf, in dem neun Monate im Jahr Winter herrscht, auch Stadtrechte besitzt, geht - wie wir hörten - auf eine Geschichte während der Zeit von Katarina II zurück.
Auf Grund der extremen Winterwege, die uns und unserem Material alles abverlangen, müssen wir alle paar hundert Kilometer kontrollieren und reparieren. Zum Glück hatten wir auch dieses Mal eine kleine Garage, in der es um null Grad war und wir die Arbeiten erledigen konnten.
Wenn man sich fragt, wie die Wege sind, die wir fahren, dann kann man nur sagen, dass viele normale Geländewagen diese schon aufgrund der Böschungswinkel kaum hätten meistern können, ohne sich die Stoßstange etc. abzureißen. Man kann kaum beschreiben, wie zerstörerisch sie sind: Tausende von Löchern, hohen Wellen, Ästen, Baumstämmen, steilen Auf- und Abfahrten in Flussbetten etc. Und wir zerren dort auch noch die Trailer durch. Dass dies nicht bis ans Ende ohne Schäden geht, ist allen klar. Wann wir jedoch das erste größere Problem haben würden, konnte keiner sagen. Dass es aber nicht mehr lange dauern konnte, bis irgendetwas nachgab, war klar. Heute Nacht war es dann soweit ...
Es passierte in einem Hohlweg ca. 50 km hinter Schritnikolimsk. Rechts und links eine ca. ein Meter hohe Böschung. Der Weg war so schmal, dass immer nur einer durchfahren konnte, und mit hohen Wellen und Brüchen versehen. Dort zerrten wir die Trailer im ersten Gang mit Untersetzung und Sperren durch, als ich meinen plötzlich im Rückspiegel vorne in die Luft ragen sah.
Zuerst dachte ich, die Anhängerkupplungen seien auseinander gerissen, was aber nicht der Fall war. Es war der Rahmen, an dem ein Teil abgebrochen war. Nun hieß es improvisieren. Und das - wegen der Kälte und weil große Uraltrucks vor und hinter uns auf die Durchfahrt warteten - schnell. Mit Spanngurten bauten wir eine Behelfslösung und machten nach rund einer Stunde die Gasse frei, indem wir uns etwa 300 m weiter in die Böschung schlugen ...
Nachdem die Trucks passiert hatten, mussten wir noch auf schwierige Art und Weise wenden und fuhren sehr langsam zurück in ein kleines Dorf mit Namen Nalimsk, das wir vor ungefähr 30 km passiert hatten. In dem Dorf, in dem ausschließlich Jakuten auf traditionelle Art und Weise mit der Natur leben, fragten wir den Bürgermeister, wer uns ein Schweißgerät zur Verfügung stellen oder uns etwas schweißen könne.
Er sagte uns, dies sei nur morgen früh möglich und lud uns ein, in seinem Bürgermeisterzimmer zu übernachten. Zwischen Stühlen, Fahnen und Tischen schliefen Ulrich Kaifer, Kaspar Mettler, Marco Schwarzer und Konstantin Savva, während ich in meinem Wagen blieb um sicher zu stellen, dass die Motoren bei -50°C gut durchliefen ...
Am nächsten Morgen organisierte der Bürgermeister wie versprochen die Reparatur: Ivan, der Schweißer des kleinen Kohleheizkraftwerks des Dorfes, nahm uns mit zu sich nach Hause. Er hatte einen kleinen Transformator, mit dem er ein elektrisches Schweißgerät betreiben konnte. Nachdem er Felle unter dem Anhänger ausgebreitet und aus einer alten Stahltürzarge vier Verstärkungsteile hergestellt hatte, begann er mit richtigem Schweißen. Die Reparatur mitsamt der präventiven Maßnahmen dauerte den ganzen Tag - draußen versteht sich, weil es keine Garage gab ...
Zwischenzeitlich lud er uns noch zu Tee und Gebäck, anschließend sogar noch zum Pferdefleischessen ein. Da sich in dem traditionellen Hauptgericht auch eine ausgiebige Menge Pferdedärme befand, fiel es einem Teil des Teams nicht leicht, der Höflichkeit halber die von der anwesenden Schwiegermutter randvoll gefüllten Teller zu leeren. Gegen 17 Uhr wollten wir aufbrechen und befuhren langsam die Dorfstraße, als immer mehr Kinder und Jugendliche um uns herum auftauchten. Auch Erwachsene kamen, aus Fenstern wurde gewunken.
Wir hielten wieder und wieder an, erklärten, ließen auf den Autos unterschreiben und mussten Fotos machen. Abschließend backte man für uns sogar noch frische Brote für den 700 km langen harten Weg, im mehr oder weniger Schritttempo nach Tscherskie, der nun vor uns liegt. Bei einsetzendem Schneefall fuhren wir los ...
Anmerkung der Redaktion: Warten auf eine Nachricht ...
Wer das Live-Tracking des Expeditionsteams verfolgte, konnte bereits kurz nach dem letzten Bericht feststellen, dass offensichtlich Schwierigkeiten im Streckenverlauf aufgetreten waren: Bereits vom Nachmittag des 12. Februar an war erkennbar, dass unaufhörlich hin- und hergefahren wurde, scheinbar auf der Suche nach einem befahrbaren Track: Von 16:42 Uhr (Punkt 37) bis 22:12 Uhr (Punkt 46) wurde eine beunruhigende Irrfahrt protokolliert (siehe Bild unten).
Nur wenige Stunden später dann das Aus für das Live-Tracking: Am 13. Februar um 03:01:58 Uhr kommt bis auf Weiteres das letzte Signal - von nun an bleibt das Team für die Mitfiebernden am Bildschirm verschollen.
Es vergehen bange Tage, in denen man sich Sorgen machen konnte und während der nur das letzte Bild oben vom Live-Tracking zu sehen war. Was war los mit dem Team, was war passiert? Am 16. Februar dann endlich, nach langen Tagen des Wartens, wieder eine Kurzmeldung von Extrem Events: Die gute Nachricht zuerst, das Team war wohlauf ..!
16. Februar 2009: Endlich - Kurzmeldung vom Expeditionsteam
Team erreicht nach sehr schwieriger, anstrengender Etappe Bilibino (Anm. der Red.: siehe Bild unten) / heftige Probleme unterwegs / ein PNY-Jeep mit Trailer in Schneetreiben im Graben / Anhänger umgefallen / dennoch nichts Erhebliches zerstört / keine Verletzungen / Team wohlauf / sehr freundliche, hilfsbereite Aufnahme von allen in Bilibino / Bericht folgt!
© 2008-2009 Extrem Events
Nachtrag: Warum es kein Live-Tracking mehr gab ...
Astrid Wallner, die das Extrem Events Team auf der Fahrt begleitet, schreibt ihre Erlebnisse in einem eigenen Blog bei Brigitte.de (!) auf. Daraus nun ein Auszug, der sich mit dem Live-Tracking und dessen Ausfall befasst:
"... Niemand ist an der Kolyma stecken geblieben. Niemand ist unterwegs festgefroren. Und trotzdem: Es ist schweinekalt ... Diesen Ausdruck hat zumindest Kaspar benutzt, als er sein erstes Lebenszeichen von dem nordostsibirischen Ort Bilibino aus abgesetzt hat. Die Temperaturen liegen eben permanent unter minus 50 Grad. Und anders als noch in Yakutsk, wo ich mal für einen kurzen Gang durch die Stadt das warme Hotel verlassen habe und dann sicher auch dorthin zurückgekehrt bin, sind die Expeditionsteilnehmer ja immer wieder draußen. Draußen, um das Eis zu kontrollieren. Draußen, um einen kurzen Check an den Autos zu machen. Draußen, um kleinere und größere technische Probleme zu beheben. Draußen, um sich gegenseitig zu bergen oder über Hindernisse zu winschen. ...
Mittlerweile sind die eisigen Temperaturen auch einzelnen technischen Geräten auf´s Gemüt geschlagen. Allen voran der Live-Tracker. Das Gerät selbst mag ja noch anstandslos funktionieren. Aber die Lithium-Ionen-Batterien, die der Tracker zum Betrieb benötigt, mochten die Kälte gar nicht. Bedauerlicherweise lassen sich die Dinger auch nicht einfach mal eben so da in der sibirischen Wildnis neu beschaffen. Auf jeden Fall weiß ich jetzt, dass der ewig lange schon stehende letzte Trackpoint an der Kolyma von Freitag, dem 13.2., kein Vorbote schlechter Nachrichten vom Team ist. Es ist schlicht die tote Batterie, die dafür sorgt, dass keine weiteren Trackpoints gesendet wurden. Das Team ist längst über viele weitere Schneeberge nach Bilibino weitergefahren.
Im Augenblick ist der Ausfall des Trackers für unbeteiligte Expeditionsverfolger fast ein bißchen schade. Während dieses Gerät ja vorrangig für die Sicherheit des Teams an Bord ist - mit seiner Hilfe kann man jederzeit nachvollziehen, wo das Team gerade unterwegs ist und bei Bedarf wirklich ganz gezielt Hilfsmannschaften losschicken - sorgt es bei Hobby-Detektiven für unterhaltsame Kurzweil. ..."
Genau, Astrid, so ist es! Und deshalb hoffen wir auch, dass es bald wieder klappt mit dem Live-Tracking ...