19. Februar 2009: Harte Etappe
Es war eine harte Etappe mit vielen Hindernissen bis Bilibino, aber im Endeffekt kamen wir durch ...
Das Team ist nun in Bilibino, die Fahrzeuge und Trailer auch. Ein Hammer, was uns alles auf dem Weg ab Shishmaref ereilte. Wir hatten und haben keine Leistung am F1, schlugen uns mit festgefrorenen Bremsen in Tscherski rum, erhielten die Nachricht, nicht nach Tschukotka einreisen zu dürfen, verloren ein komplettes Rad inklusive Bremsentrommel, etc. am zweiten Trailer, hatten durch Eis blockierende Räder an beiden Trailern und das F1-Gespann rutschte schließlich in den Graben ...
Aber der Reihe nach: Als wir bei Eiseskälte vor Tscherski immer langsamer wurden und wir schließlich durch die Leistungsprobleme des F1 und den dadurch entstandenen Mehrverbrauch 5 km vor der Stadt auch noch eine Nachtaktion durchführen mussten, war die Anspannung groß. Zum Bersten war sie bei mir, als ich zum gleichen Zeitpunkt von Jürgen Graf die Nachricht erhielt, wir müssten in Tscherski stehen bleiben und dürften nicht nach Tschukotka einreisen, da uns keine Sondergenehmigung erteilt wurde. Ich bin bald geplatzt - was war nur passiert? Eiligst telefonierte ich mit Jürgen und erhielt die Info, dass von uns benötigte Versicherungspapiere nicht bei den Behörden eingetroffen waren, woraufhin diese korrekterweise die Genehmigung ablehnten. Und das rund 40 km vor der Territoriumsgrenze!
Dass wir spät in dieser Nacht doch noch die Einfahrtserlaubnis erhielten, verdanken wir Personen, Behörden und Institutionen, die uns vertrauten. Vielen Dank an dieser Stelle an alle beteiligten Personen und Stellen (als wir am nächsten Abend laut GPS-Koordinaten die "Grenze zu Tschukotka" erreichten, zelebrierten wir den Übertritt natürlich in Ehren) ...
Wir schafften es dann mit nur noch möglichen 1000 1/min des F1 in der Untersetzung bis in die Stadt Tscherski, wo wir von der Polizei schon erwartet wurden. Man hatte seit langem auf uns gewartet und war froh, uns unversehrt zu empfangen. Nach der obligatorischen Kontrolle und nachdem wir die Expedition bei den Zuständigen gemeldet hatten, brachte man uns mit unseren Wagen zu einer warmen Garage, wo das Team noch einige Zeit kontrollierte und reparierte, um dann erschöpft auf den Sitzen in der Garage einzuschlafen. Eigentlich nur geplant für rund 2 Stunden, um danach gegen 4 Uhr morgens wieder Richtung Bilibino aufzubrechen. Aber geweckt haben uns dann tatsächlich die ersten Arbeiter um 10:00 Uhr ...
Wir hofften, die Leistungsprobleme des F1 seien gefrorenes Wasser aus den Zusatztanks, was sich aber leider nicht bestätigte. Und so entschied ich, dass wir unsere langsame Fahrt ohne Leistung auf der nächsten - 380 km langen - Etappe Richtung Tschukotka fortsetzten. Just in dem Moment, wo wir aus Tscherski abfahren wollten und die Trailer anhängten, stellten wir fest, dass auch meine Bremsen am Trailer 1 zugefroren waren. Also mussten wir mit russischen Brennerlampen* diese erst frei brennen. Nette Arbeit bei -50°C, die uns auf dieser Etappe aber nochmals bevorstand. Nur wussten wir das zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht ...
Kurz hinter Tscherski, mitten auf der Kolymar, trafen wir dann auf einen verunglückten Truck: Dieser war nur 10 Tage zuvor in das Eis eingebrochen, obwohl er auf der Hauptspur fuhr. Wahnsinn. Zum Glück war ein zweiter Truck dabei, der die beiden nassen Fahrer aufnahm, die sich in letzter Sekunde aus dem Fahrerhaus befreien konnten. Sie wären sonst binnen Minuten erfroren.
*) Brennerlampen sind für alle Arktik-Trucker unersetzlich. Sie verbrennen mit einem einstellbaren Feuerstrahl Benzin - in unserem Fall auch Ethanol - welcher auf gefrorene Teile gehalten wird. So können z.B. die Ölwanne, das Getriebe, die Achsen, die Bremsen aufgetaut werden.
Der Verlauf der Straße führte uns dann über viele Kilometer auf der Kolymar und einem Nebenarm weiter Richtung Nordosten. Die Temperaturen lagen bei über -50°C, als wir irgendwann nachts während eines Pinkelstopps feststellten, dass an Kaspars Trailer (T2) ein Rad samt Felge, Reifen, Bremstrommel und Distanzscheibe fehlte.
Die Strecke war mittlerweile seit rund 100 km zu einer schmalen Spur geworden und schwierig zu befahren. Da das Rad irgendwo verloren gegangen sein konnte und wir in der Nacht keine Chance haben würden es zu finden, entschieden wir auf drei Rädern weiter zu fahren (wie wir dies auch auf der kommenden 380 km langen Strecke von Bilibino nach Pevek tun werden. Dort erwarten wir das benötigte Ersatzteil zu erhalten).
Wir durften besser nicht stehen bleiben bei dieser Kälte, zu der nun auch noch Wind kam. Dass wir dann doch noch drei Stunden an diesem Platz verbrachten, hatte damit zu tun, dass ich - als Kaspar losfahren wollte - sah, dass zwei Räder am T2 blockierten.
Die Bremsen waren eingefroren. Um weiter fahren zu können und nicht Gefahr zu laufen, dass uns dies nochmals passiert (wahrscheinlich war dies auch die Ursache für den Verlust des Rades), entledigten wir uns kurzerhand der Bremsfunktion am T2, indem wir das Bremsgestänge auseinander schraubten und die Bremsbacken an den blockierten Rädern in einer heftigen Reparaturaktion (Stichwort Brennerlampen) auf der Winterstraße ausbauten (später in Bilibino haben wir dann sämtliche irgendwie zur Bremse gehörenden Teile an T1 und T2 ausgebaut).
Im Verlauf der weiteren Fahrt widmeten wir uns der sonstigen Fehlersuche am F1: Mit dem Diagnosecomputer prüften wir sämtliche Parameter, führten Tests durch und verglichen die Daten der beiden Wagen im Fahrbetrieb. Ich saß gerade im F2 und wertete mit Kaspar Informationen aus, als über Funk das nächste Hindernis auf dem "steinigen" Weg nach Bilibino durchgegeben wurde: "Matthias, Schei**, ich hab mich total festgefahren". Im dichten Schneetreiben war das F1 Gespann nach links von der Straße abgekommen und in einen Graben gerutscht. Dabei war der Trailer umgekippt und lag auf der Seite. Nicht lange nachdenken hieß es und anpacken. Schnellstens mussten beide Fahrzeuge geborgen werden. Wir lösten zunächst den Trailer vom Wagen und winchten ihn zurück auf die Räder. Dann zogen wir ihn mit den Warn Winden und Umlenkrollen auf die Straße. F1 zu bergen war etwas schwieriger, weil er tief im Schnee steckte und der Motor aufgrund der starken Schräglage ausging. Ihn mussten wir erst freischaufeln. Dann zogen wir auch dieses Fahrzeug mit Winde und Umlenkrolle aus dem Graben. Saubere Leistung der Winden, kann das Team nur sagen ...
Nach weiteren 20 km erreichten wir endlich Bilibino. Was uns hier erwartete, überraschte uns aber nochmals!
Was uns in Bilibino erwarten würde, wussten wir nicht. Wird es eine Unterkunft, vielleicht sogar ein kleines Hotel, eine Garage geben? Wie werden die Behörden reagieren wenn wir ankommen? Was können wir hier alles erledigen?
Wir fuhren langsam auf die Stadt zu. Sie liegt an einem windgeschützten Platz, rundum umgeben von hohen Bergen. Als wir nach einem verschneiten Pass in die Hauptstraße einbogen, wurden wir als allererstes von der Verkehrspolizei kontrolliert. Die Beamten waren sehr freundlich und gaben uns noch die eine oder andere Information. Konstantin hatte, ohne dass ich davon wusste, schon vor Wochen seine Kontakte angesprochen, um uns anzukündigen. Da es nicht klar war, ob alles klappen würde, hatte er nichts davon gesagt. Umso größer war seine und unsere Freude: Er hatte alles perfekt vorbereitet!
Wir wurden erwartet, und zwar von Freunden Konstantins und der Minengesellschaft Kupolgold. Man hieß uns herzlich willkommen und quartierte uns in eine saubere, bestens ausgestattete Wohnung mit Dusche, Toilette, Waschmaschine, etc. ein, die eigentlich Unternehmensangestellten vorbehalten ist, die auf dem Weg in die 200 km entfernte Goldmine Zwischenstation machen. Nicht nur das, man integrierte uns in den Betriebsablauf und kochte nun morgens, mittags und abends für uns. Man wusch sogar unsere Wäsche. Es ist wirklich großartig. Vielen Dank an dieser Stelle an das Management von Kupolgold!
Auch die Garage wurde über die Kontakte von Konstantin organisiert: Wir erhielten Platz, um beide Wagen und beide Trailer ins Warme zu stellen - das gab´s ganz selten. Als dann auch noch ein Mechanikerteam anrückte, um mit uns zu arbeiten, ging es nicht mehr besser ...
Zu insgesamt elft haben wir dann die nächste große Umbauaktion und Reparatur der Trailer und Jeeps in Angriff genommen. Nachdem die Trailer wichtiges Equipment über die harten Pisten bis Bilibino transportiert haben und wir nun weniger Equipment weiter transportieren müssen, wurden die Anhänger nochmals gnadenlos erleichtert und noch besser gegen die Kälte gewappnet. Zusätzlich bauten wir die 1.000-Liter Tanks aus und entfernten weitere, überflüssig gewordene Träger und Platten. An den Jeeps führten wir schon Umbauaktionen durch, die wir für den Aufbau des Notschwimmsystems brauchen (Hydraulikaufnahmen vorne und hinten) und montierten die Schwimmreifen vor, d. h. auf die Anhängerräder. Das ging von Hand vonstatten, was einen erheblichen Kraftaufwand bedeutete. Und das 8x als komplette Ummontage. Auswuchten gibt´s dann natürlich nicht. Parallel hat Marco an seinem extra eingerichteten Schnittplatz angefangen, das nächste Video zu schneiden.
Eigentlich hatten wir damit gerechnet, am Donnerstagmorgen nach Pevek aufbrechen zu können. Daraus wurde allerdings nichts: Seitens des russischen Katastrophenschutzes erging über die deutsche Botschaft in Moskau eine Warnung an uns, nicht aufzubrechen. Es wurde ein Orkan/Schneesturm über dieser Region erwartet, der mit über 37 m/s heftig ausfallen soll. Einhergehend sollen die Temperaturen auf -60°C absinken. Das Gute daran ist, dass wir diese Nachricht noch in Bilibino erhielten und nicht schon auf dem Weg waren. Insofern hat es wieder einmal gepasst und unsere Probleme haben im Endeffekt eine Schutzwirkung gehabt: Da wir sonst schon wieder auf dem Weg gewesen und voll in den Sturm geraten wären. Das Negative ist, dass es nach dem Orkan keine Winterwege nach Pevek oder wo immer der Sturm entlang fegt mehr geben wird ...
Als Aufbruchtermin haben wir nun Samstag vorgesehen ...
© 2008-2009 Extrem Events