Wenn es Nacht wird in München ...

Alles beginnt mit einer Preisfrage: Wie kommt man am besten von München nach Kiel? Flug? Fehlanzeige! Die Flugpreise auf dieser Strecke übersteigen die Flugpreise für München-New York. Sonderangebote gibt es zur Zeit nicht ...

Also dann die Bahn. Schnell finden wir einen Nachtzug nach Hamburg, der auf einer der wenigen Strecke in Deutschland 2-Personen Kajüten (Bauart Talgo) als Liegewagen anbietet. Wenn das nicht genau für unser Vorhaben abgestimmt ist! Erst die Bahn-Kajüte, dann die Kajüte auf der Color Fantasy. Die Bilder der Bahn-Kajüten im Internet sehen einladend aus. Warum also nicht auf diese Art und Weise nach Hamburg düsen?

Gegen 23:00 Uhr steigen wir ein. Die erste Überraschung: Man steigt vom Bahnsteig hinab. Der Zug ist tiefer gelegt. Soll uns das ein ruhigeres Fahrverhalten in der Nacht bescheren? Wir sind nicht ganz sicher. Sofort erkennen wir, dass der Bahn-Fotograf ein wahrer Künstler ist: Der Liegewagen erinnert vielmehr an den Zug im Film "Manche mögen's heiß". 

Im Grunde sind es sehr enge Klappliegen mit Vorhang davor. Uns gegenüber bezieht ein Holländer, Peter, seine Kajüte. Schnell und geschickt baut er sein Nest für die Nacht, wir machen es ihm nach, weniger schnell und weniger geschickt. Wir wollen uns noch nicht schlafen legen und begeben uns in das Bordrestaurant. Dort treffen wir wieder Peter - Bratwurstverkäufer von Beruf - und schnell kommen wir ins Gespräch. Er fährt jedes Jahr mit diesem Zug und weiß alles darüber. Wann das Bordrestaurant schließt, wann die Schlafwagengäste ihr Frühstück hier einnehmen, dass der Zug in Würzburg hält, aber keiner einsteigen darf und vieles mehr ...

Sieht ganz gemütlich aus ...
Bild: Deutsche Bahn AG
Peter in seiner geräumigen Kajüte beim Temperaturmessen ...
 

Nach einem Imbiss und einigen Bieren, die für die nötige Bettschwere sorgen sollen, begeben wir uns zurück zu unserer Kajüte. Sprechen ist hier nicht mehr möglich, denn man würde die anderen Schläfer stören. Sofort wird neben der Enge ein anderes Problem spürbar: Die Temperatur. Das Handy (!) von Peter zeigt 25°C an: Zu warm zum Schlafen! So dösen wir dahin, die Strecke ist recht unruhig, man hat den Eindruck, alle paar Kilometer wechselt die Gleis- bzw. Gleisbettqualität.

Vom Bahnhof aus deutlich zu sehen: Die Color Fantasy ...Eine gute Stunde vor Ankunft werden wir geweckt, was eigentlich nicht nötig ist. Peter ist bereits in Bremen ausgestiegen. Das Frühstück lehnen wir dankend ab. Wir bauen in der Kajüte unsere Liegen wieder um zu Sitzgelegenheiten. Bevor wir in Hamburg einfahren, beobachten wir eine ältere Dame, die aufgeregt ihr Gepäck von einem Ende des Wagons an das andere trägt. Sie fragt uns, ob wir wissen, auf welcher Seite der Bahnsteig ist. Hä? Wie bitte? Aber da erkennen wir auch schon das Problem: Da, wo wir stehen, gibt es tatsächlich nur eine Türe zu einer Seite. Schon kommt unser Schaffner, der Mann muss es doch wissen. Aber, leider nein, er hat nur so eine Vermutung, dass wir falsch stehen.

Die ältere Dame ist sehr aufgeregt und erklärt allen, dass es immer nur Türen zu einer Seite gibt, und die Seiten jeweils am Wagonende wechseln. Deshalb rennt sie auch mit ihrem Gepäck unentschlossen hin und her. Wir glauben der Vermutung des Schaffners und begeben uns ans andere Ende des Wagons. Doch da gibt es zur großen Überraschung Türen zu beiden Seiten. Hätte er uns nicht darauf hinweisen können? Das hätte der älteren Dame, die in ihrer Kopflosigkeit das übersehen hat, viel Adrenalin erspart.

Wir sind pünktlich in Hamburg und so gibt es kein Problem, den Anschlusszug nach Kiel zu erreichen. Dort gibt es wieder Frühstück im Angebot, und diesmal greifen wir zu. Früh kommen wir in dem kleinen Bahnhof Kiel an, es ist kurz vor 10:00 Uhr. Genug Zeit, um uns zum Norwegenkai durchzuschlagen, so denken wir. Also - auf zur Information! Wir fragen: Wie kommt man am besten zur Color Fantasy? Etwas fassungslos schaut man uns an. Die Antwort: "Das sind höchstens 5 Minuten zu Fuß. Da gehen Sie zum Haupttor raus, über die Straße und da sehen Sie schon den Kai."

Und tatsächlich: Was uns bei früheren Besuchen mit dem Auto noch gar nicht aufgefallen war, der Bahnhof liegt direkt gegenüber vom Kai. Wir treten aus dem Bahnhof heraus und haben sofortige Aussicht auf unser Ziel: Die Color Fantasy!

Fortsetzung: Denn das Gute liegt so nah ...


© 2005 Text/Bilder S. Zerlauth