Spitzbergen im September ...

Wir waren gespannt, was wir zu dieser Zeit noch erleben könnten, sollten doch sämtliche angebotenen Aktivitäten bereits Ende August auslaufen. Außerdem wussten wir, dass wir ohne Gewehr die Siedlung nicht verlassen durften ...

Sämtliche Informationen sollte man frühzeitig sammeln, da für eigene geplante Touren in Spitzbergen eine Genehmigung vom Sysselmannen (so wird hier der Governeur genannt) und eine entsprechende Ausrüstung benötigt wird. Wir aber wollten die Lowcost-Variante, ohne Reiseveranstalter und somit uns ganz allein überlassen - allerdings nicht außerhalb der Siedlungen, sodass wir keine Genehmigung benötigten. Was also konnten wir unternehmen?

Würde es eine "wir sitzen im Aufenthaltsraum und wärmen uns"-Tour werden ..?

Doch weit gefehlt, denn viele Aktivitäten waren vor Ort immer noch buchbar, und so entschlossen wir uns zu einer Gletscherwanderung und der "Besteigung" eines kleinen Berges, ferner einer Bootstour zur russischen Siedlung Barentsburg, dem Besuch des Gletschers Esmarkbreen und zu einer Hundeschlittentour. All diese Aktivitäten forderten ihren Tribut, denn uns wurde schnell bewusst, dass die nun gebuchten Touren teurer als unser Aufenthalt werden würden. Aber man gönnt sich ja sonst nichts, und wenn man schon mal da ist ...

Di, 14.09.2004

Die erste Tour, die Gletscherwanderung, sollte gleich am folgenden Tag beginnen: Beide Führer, die uns begleiteten, waren mit einem Gewehr bewaffnet, um eventuelle Attacken durch Eisbären abzuwehren. Die Wanderung begann und damit auch schon meine Schwierigkeiten: Bereits nach den ersten 15 Minuten in steilem Gelände unternahm ich einen Versuch, abzubrechen - was mir aber durch unsere beiden Führer und die weiteren 5 Teilnehmer verweigert wurde. Zum Glück, muss ich nachträglich hinzufügen, denn so sollte daraus letztlich noch ein Highlight der Spitzbergen Tour werden ... 

Svalbard alias Spitzbergen ... Eine Wanderung wird zum Highlight ...

Es ging 12 km quer durchs Gelände, über steile Abhänge, fiese Steigungen und es schien überwiegend stupides Bergaufwandern zu sein. Zeit zum Genießen hatte ich keine, ich war voll damit beschäftigt, meine Beine so zu koordinieren, dass diese taten, was ich wollte. Die Kondition muss also für einen Spitzbergen Aufenthalt besser als meine sein, stellte ich so schon bald fest ...

Wir erreichten den Punkt, wo wir uns alle gemeinsam ausruhen konnten, um uns die Spikes unter die Wanderschuhe zu schnüren, denn nun sollte die Gletscherüberquerung folgen ...

Kondition erforderlich ...

Hart wie Beton kratzten meine Spikes in das Eis, um Fußabdruck für Fußabdruck den anderen zu folgen, denn dort schienen ja keine Gletscherspalten zu sein. Auf der anderen Seite angekommen, wurde eine für mich längst überfällige Pause eingelegt: Es gab heiße Getränke und ein altes Baguette, was in dieser Situation dennoch aber ausreichend erschien.

Die Tour führte weiter den Trollstein hinauf, der sich in seiner maximalen Höhe von 841 m vor uns aufbäumte - eine schier nicht enden wollende Steigung zum Gipfel ließ mich Zickzack laufen und schließlich so auch 20 Minuten später als die anderen oben ankommen ...

Kaum hatten wir den Gipfel erreicht, mussten wir uns auch schon wieder beeilen, denn eine Schneefront war nicht mehr allzu weit entfernt von uns - und der wollten wir nach Möglichkeit ausweichen.

Fußmarsch durch bizarre Eislandschaften ... Fossiliensammeln ...

Der Abstieg ging in die Knie, erneut überquerten wir den Larsbreen Gletscher und erreichten schließlich den Longyearbreen. Auf dem ließ es sich schließlich gemütlicher wandern und wir konnten sehr schöne Fossilien sammeln: In diesem Zusammenhang mein Dank an die Fluggesellschaften, die auch Gepäck mit Übergewicht akzeptierten, denn Annas Gepäck war immerhin stark mit Fossilien überladen ...

Zurück im Tal war sofortiges Duschen angesagt, um direkt danach völlig entkräftet ins Bett zu fallen - jedoch trotz der Strapazen hatten wir großartiges Erlebnis mit wundervollen Eindrücken hinter uns ...

Mi, 15.09.2004

Am folgenden Tag wartete die nächste Tour: Heute sollte es mit dem Schiff nach Barentsburg gehen, zur einzigen russischen Siedlung, die ohne Visum besucht werden dürfe, wie man uns sagte. Die Bootstour sollte rund 8 Stunden dauern, 990 norwegische Kronen (NOK) wurden dafür pro Person fällig. Ein Bus holte uns von unserem Guesthaus "102" ab, genau wie die etwa 30 anderen Personen, die zwar aus wesentlich komfortableren Unterkünften kamen, dafür aber auch wesentlich älter zu sein schienen.

Das Gefühl einer "Butterfahrt" oder "Kaffeefahrt" kam in uns auf, jedoch in Anbetracht der vom Vortag noch mehr als spürbaren Muskelstränge erwies es sich nicht als ein besonders störendes Gefühl, heute einmal einen ruhigen Tag einlegen zu können ...

Kurs nach Barentsburg ...Die Tour sollte der Küste in Richtung Süd-Westen folgen, um rund drei Stunden später in Barentsburg zu enden. Während dieser Zeit hatten wir ausreichend Gelegenheit, Gespräche mit den anderen Passagieren an Bord zu führen und deren Vorstellungen darüber kennen zu lernen, wie wohl das westlichste "Russland" aussehen könnte und die Bergarbeiter dort leben würden.

Die Fahrt wurde auch anderweitig unterhaltsam: Viele Seehunde waren von Bord aus zu sehen und sogar die Schwanzflosse eines Wals tauchte auf in der Nähe unseres Schiffes. Allerdings schienen die Tiere den Touristen gegenüber sehr scheu zu sein, und so bekam man sie schließlich auch kaum vor die zugehörige "Touristen-Linse" ...

Alle "Kaffeefahrt"-Teilnehmer waren längst unter Deck des Schiffes, wer draußen sein Glück versuchte, musste mit ausreichenden Wäscheschichten bekleidet sein, denn es war inzwischen doch empfindlich kalt geworden.

Wir näherten uns schließlich unserem Ziel: Das erste Eindruck von Barentsburg ließ uns ein wenig an andere Industriestandorte denken, allerdings gewarnt durch Reiseführer von Spitzbergen ist man vorbereitet auf diese Situation. Aber Barentsburg ist und bleibt deutlich erkennbar ein Standort der Bergbauindustrie, um das an dieser Stelle noch einmal deutlich zu machen.

Barentsburg: Unverkennbar Industriestadt ...

Als der einzig farbenfrohe Anblick hier erwies sich zu unserer Überraschung das norwegische Schiff im Vordergrund: Ein Eisbrecher und Küstenwachschiff des Sysselmannen aus Longyearbyen!

Laut russischem Führer soll die Siedlung derzeit 800 Personen beherbergen, 200 davon Frauen, die Textilien herstellen, Kantinen bewirtschaften und andere Aufgaben erfüllen, die nicht in den Bereich der Bergwerktechnik fallen.

Rettungsübung ...

Eine unangenehme Erfahrung: Die aufdringlichen Blicke aller Touristen, unsere wohl leider eingeschlossen, gegenüber den Ansässigen. Wie müssen sich wohl die Bewohner Barentsburgs fühlen, wenn sie wie Tiere in einem Zoo angegafft werden - Aufklärungsarbeit auf beiden Seiten scheint hier erforderlich zu sein ...

Die Tour wurde schließlich in Richtung des Gletschers Esmarkbreen fortgesetzt, der von Barentsburg aus gesehen in nördlicher Richtung liegt. Ein Gletscher, der direkt ins Meer führt und uns seine Mächtigkeit schon bald verdeutlichte: Plötzlich schienen wir uns nur noch in einem kleinen Boot zu befinden und nicht mehr in einem großen Schiff ...

Mit dem Bug wurde eine Eisscholle gebrochen, um auf diese Weise ein schönes Stück an Deck holen zu können - nach Zerkleinerung bekamen wir dann "Scottish Whiskey on the Rocks" serviert.

Die Rückfahrt hielt für uns noch ein weiteres Erlebnis bereit: Von einem Helikopter aus wurde eine Rettungsaktion demonstriert, da das Schiff vor einigen Jahren auf einen Felsen aufgefahren war und alle Passagiere evakuiert werden mussten. So schwebte nun ein Super Puma in rund 12 m Höhe über unserem Schiff, um drei Besatzungsmitglieder abzuseilen und anschließend auch wieder zu "bergen". Meine Hoffnung, dass sie vielleicht noch einen Freiwilligen brauchen könnten, erwies sich leider als vergeblich ...

Do, 16.09.2004

An diesem Tag wollten wir uns eine Auszeit gönnen, um auf eigene Faust ein wenig die Landschaft zu erkunden - allerdings sehr eingeschränkt durch die Pflicht, Waffen zu tragen: Denn eine solche hatten wir nicht ...

Eisbären: Wo haben sie sich versteckt ..?

Das Problem dabei ist nicht, sich ein Gewehr zu leihen (300 NOK pro Tag Leihgebühr - oder 1.000 NOK für den Kauf !). Aber die nötigen Kenntnisse und das Training sollten dann ja auch vorhanden sein, was nicht durch einen eventuellen früheren Militärdienst ersetzt werden kann. Immerhin wird hier auf Eisbären zur Verteidigung geschossen, und ein Kirmesbudenschießen würde hier kaum weiter helfen. Den knapp 3.000 Einwohnern Spitzbergens stehen übrigens rund 4.000 bis 6.000 Eisbären gegenüber ... 

Wanderung mit GPS ...Durch unsere Wanderungen mit GPS entstand eine eigens kreierte Karte Longyearbyens, die uns in vielen Situationen weiter half und darüber hinaus auch anderen einen Überblick verschaffen kann.

Fr, 17.09.2004

Heute nun sollte unsere Hundeschlittentour in Richtung Mine No.7 folgen, bei der wir nicht recht wussten, was wir davon halten sollten. Tut es den Huskies nun gut zu laufen, oder nicht? (Anm. der Red.: Es tut! ).

Auch der Umgang mit den Hunden erschien uns fragwürdig, zwar nie schlimm oder erniedrigend, aber wir waren irgend wie nicht besonders stolz auf die Förderung dieser Aktivität.

Es wurden schließlich 12 Hunde vor einen bereiften Wagen gespannt, da zu dieser Zeit noch nicht überall genug Schnee für einen Schlitten lag. Die Fahrt führte rund 8 km in Richtung der Mine No.7, die im Osten des Longyearbyendales liegt, zu einer zweiten "Dog-Farm" dieser Familie, in der die Hunde ausgetauscht wurden für unsere Rückfahrt. Ohne Frage, die Hunde freuten sich auf den Lauf. 

Huskietour mit dem Trainingswagen ...Der Preis wurde von uns für diese nur zweistündige Fahrt mit umgerechnet rund 80 Euro allerdings als zu hoch empfunden: Lieber hätten wir uns für das Geld eine Waffe und die nötige Erfahrung dafür verschafft. Was am Flughafen kein Problem darstellt, weil dort ein Waffentraining durchgeführt werden kann ...

Sa, 18.09.2004

Der Samstag wurde genutzt, um nochmals in der Siedlung spazieren zu gehen und nötige Souvenirs einkaufen zu können. Außerdem entschlossen wir uns zu einem Essen in einer Bar - oder war es ein Restaurant? Wir sind uns da nicht so sicher, zahlten wir doch für eine kleine Pizza, nicht ungewöhnlich für Norwegen, rund 12 Euro. 

Unser wohlverdientes Bier schließlich nahmen wir für umgerechnet rund 6 Euro in Empfang: Dieses schmeckte uns dann aber so gut, dass wir beschlossen, die Pubs weiter zu untersuchen. 

Die Preise für Bier waren in allen Bars gleich, das erleichterte das Rechnen zu fortgeschrittener Stunde dann auch ungemein ...  

So, 19.09.2004

So blieb uns nur noch der Abflugtag, den wir mit dem Sammeln von Fossilien im Flussbett und Warten verbrachten, bis wir schließlich gen Heimat in den Süden flogen. Aufgrund der gut kalkulierten Anschlüsse trafen wir gegen 23:00 Uhr wieder in Hamburg ein ...

Und das Fazit?

Spitzbergen lässt uns weiter träumen, sodass wir gern wieder kommen wollen - dann aber mit zusätzlichen Kenntnissen, der entsprechenden Ausrüstung und auch zu einer anderen Zeit. 

Alles in allem hatten wir einen gelungenen Kurzurlaub hinter uns - genau das Richtige vor Annas kommendem langen Aufenthalt in Indien von über 4 Monaten. Und nicht zuletzt hatte ich mir meinen Traum erfüllt, wenigstens einmal nach Spitzbergen zu kommen ...

Wenn einmal das nötige Kleingeld übrig sein sollte, würde ich diese Tour gern für rund 8.900,- Euro mit einem Eisbrecher  wiederholen, der die gesamte Insel innerhalb von 15 Tagen umrundet. Nun, Svalbard bleibt vorerst teuer, vor allem, wenn man vieles sehen will oder Abenteuer erleben möchte.

Ach ja: Nicht zuletzt benötigt man eine Bankbürgschaft für die Kaution, die hinterlegt werden muss, wenn man sich zu einer Tour entschließt, die auf eigene Faust durchgeführt und ein wenig spektakulärer werden soll. Diese Bürgschaft ist beim Sysselmannen auszuhändigen und wird für eventuelle Rettungsaktionen zurückgelegt (Genehmigung des Sysselmannen für die Tour vorausgesetzt).

Die täglichen -6°C und eisigen Winde während unserer Tour sind aber auch Anlass für den Kauf vernünftiger Kleidung und guter Ausrüstung. Zum Glück entschieden wir uns für ein Guesthouse, denn vorher hatten wir die Übernachtung auf dem Campingplatz geplant, was allerdings ohne Waffe sowieso nicht möglich gewesen wäre ...

Und was fragen wir uns noch? Nun, ob die ständigen Warnungen der Einheimischen und der offiziellen Organe Spitzbergens vor Eisbären eigentlich nur übertriebene Vorsicht sind oder aber doch knallharte Realität, denn wir jedenfalls haben keinen einzigen Eisbären zu Gesicht bekommen ...


© 2005 Text/Bilder Kolja Naroska, Anna Kühne