Unterwegs in Nord-Norwegen ...
Wir streifen Utsjoki, betanken in der Nähe von Nuorgam unseren BT 50 noch einmal randvoll (als EU-Bürger, der noch vor kurzem im Baltikum war, glaubt man zwar kaum, dass Treibstoff irgendwo noch teuerer sein kann als in Finnland, aber man wird in Norwegen schnell eines Besseren belehrt) und reisen am 04.August nach Norwegen ein.
Wir waren ja schon vorgewarnt, sind über das Preisniveau aber trotzdem erstaunt: Nicht nur Treibstoff ist in Norwegen teuer, irgendwie habe ich das Gefühl (ich weiß, dass ich es mir jetzt vielleicht mit einigen verscherzen werde), dass beinahe alles, was das Leben schöner und angenehmer macht, in Norwegen teuer ist (0,4 l Bier = EUR 8,50!). Noch eine kleine Kostprobe? In Tana-Bru kosten 2 Burger + 2 Cola = EUR 56,- (umgerechnet) ...
Norwegen ist zwar Mitglied des Schengen-Raumes, es gibt daher keine Kontrollen an den Grenzen, die Freizügigkeit gegenüber Personen gilt aber keinesfalls für den Warenverkehr (schon gar nicht für Alkohol). Wie wir gehört haben, wacht das Auge des Gesetzes streng über die Einfuhr von Alkohol, der in Norwegen hoch besteuert wird (Anm. der Red.: Siehe dazu auch unseren Beitrag Weine des Nordens ..?).
Wir hatten aber Glück: Erstens lag der noch aus Österreich stammende Rotweinvorrat im Rahmen des Erlaubten, zweitens wurden wir gleich gar nicht kontrolliert, wir sahen nicht einmal etwas, das aussah wie eine Kontrolle (wenn wir das gewusst hätten! ).
Aber was soll´s, jetzt sind wir da, erfreuen uns an der Landschaft und rumpeln über eine recht schlechte Straße Richtung Westen nach Ifjord, über weite Strecken wird bereits an einer neuen Straße gebaut. Eine traumhafte Landschaft und viele Fotomotive lassen den Straßenzustand aber vergessen. Kurz hinter Kalak sind wir wieder einmal froh über die Geländegängigkeit unseres Mazdas, die uns erlaubt, einen wunderschönen Stellplatz abseits der Straße anzusteuern und so nächtigen wir zu guter Letzt mit Blick auf die Fjorde. Und - deus ex machina - wir finden in einer unserer Staukisten zufällig (ehrlich! ) noch eine Dose Tatra-Bier aus Polen - was will man mehr ..!
Entlang der Straße 888 geht es über Mehamn schließlich nach Gamvik: Die Landschaft wird felsig, es gibt wenig Vegetation, keine Bäume. Immer wieder Fjorde, kleine Seen, klare Luft, feinstes Fotolicht, Rentiere, Vögel - einfach wie im Paradies. Da es mittlerweile schon Anfang August ist, verschwindet die Sonne zwar für ca. zwei Stunden unter dem Horizont, die Nacht über bleibt aber diffuses Dämmerlicht.
Weiter geht es nach Slettnes, zum nördlichsten auf dem Festland liegenden Leuchtturm der Welt ...
Im nahen Naturreservat brüten noch Vögel, die Hauptsaison für das Brutgeschäft ist aber vorbei. Die Stimmung ist beinahe unwirklich, Rentiere streichen durch die Landschaft, Vögel kreischen, Wollgras bildet fast flächendeckend einen weißen Flaum in der Landschaft, wir befinden uns am nördlichsten Punkt des europäischen Festlands (das Nordkap liegt ja auf einer Insel) und treffen kaum Touristen.
Wir lassen uns in dieser Ecke viel Zeit, wandern oder lassen ganz einfach die Stimmung dieser einmaligen Landschaft auf uns wirken - 4.800 km von zuhause entfernt ...
Irgendwann meldet sich aber doch die Ungeduld und wir ziehen weiter, wieder Richtung Süden und Osten. Um über den Tana-Fluss zu kommen, müssen wir wieder die ganze Strecke zurück, queren in Tana-Bru und biegen in die 890er Straße nach Norden Richtung Kongsfjord und Berlevag.
Die klassischen roten Häuschen sind allgegenwärtig, die Landschaft ist traumhaft, nach Norden zu immer hügeliger und zerklüfteter. Das Wetter ändert sich, Nebel fällt ein und nachts rüttelt eine steife Brise an unserer "tartaruga", die Temperatur steigt (!) über Nacht von 10°C auf 19°C!
In Berlevag, einem netten, sehr geschäftigen Fischereihafen, kommen wir gerade recht zum Entladen der Dorsche, die offensichtlich zur Gänze in großen Kühl-LKWs abtransportiert werden. Hier im Ort, in der ohnehin spärlichen Gastronomie, ist er leider nicht zu bekommen ...
Unser Gefühl für Zeit ändert sich langsam, Tage kommen und vergehen, Gedanken an zuhause werden seltener, das Heute steht im Vordergrund, vielleicht noch der morgige Tag. Auch wenn wir uns bewusst keinen Zeitplan auferlegt haben, müssen wir uns trotzdem darauf besinnen, dass es langsam Zeit wird, auch einmal an die Rückreise zu denken.
Den Varangerfjord entlang fahren wir Richtung Kirkenes, finden dort zwar viele dicke Autos mit russischem Kennzeichen, aber wenig Reizvolles, und biegen daher nach Süden, wieder Richtung Finnland ab ...
Zurück in Finnland
Zurück in Finnland führt uns die Fahrt durch ausgedehnte dichte Wälder, entlang dem Inarijärvi, dem drittgrößten See Finnlands - südlich von diesem gönnen wir uns in der Nähe von Kakslauttanen in einer Blockhütte mit offenem Kamin und eigener Sauna ein paar Tage Erholung. Die tägliche Belastung meiner Bandscheiben, die sich immer wieder unangenehm in Erinnerung rufen, fordert ihren Tribut. Meine tägliche Gymnastik und einfache Wanderungen im Kekkonen Nationalpark tun mir gut.
In den Wäldern finden wir massenhaft Heidelbeeren und Preiselbeeren und nutzen die Tage in der Hütte, um diese in Gläsern zu konservieren und mit nach Hause zu nehmen. Wir nutzen die Tage und die Ruhe in unserer Hütte aber auch, um über die Zukunft unseres Reisens nachzudenken, das Faktum, dass das stundenlange Sitzen hinter dem Lenkrad für meine Bandscheiben nicht ideal ist, lässt sich kaum ignorieren ...
Gut erholt, entspannt und mit Pilzen vollgestopft machen wir uns auf den Weg durch das Seengebiet, von dem wir uns viel erwarten und folgen der Via Karelia nach Süden. Wahrscheinlich sind wir von der überwältigend schönen Landschaft Nord-Lapplands verwöhnt oder wir haben vom Seengebiet einfach zu viel erwartet, jedenfalls sind wir doch etwas enttäuscht: Wir sehen zwar immer wieder einmal Wasser links und rechts der Straße, meistens sehen wir aber doch nur Bäume, die als Windschutz gepflanzt wurden. Die angekündigten spektakulären Passagen auf schmalem Landgrat zwischen den Seen sind so spektakulär dann auch wieder nicht. Als Ersatz finden wir aber immer wieder schöne Stellplätze, direkt am Wasser ...
In Nurmes besuchen wir das Bombahaus, ein riesiges Holzhaus, und genießen ein karelisches Menü mit Rentiereintopf, Heringsauflauf etc. - einfach köstlich!
Über Savonlinnan (mit der sehenswerten Burg Olavinlinna) und die nette Stadt Lappenranta kommen wir dann doch relativ rasch nach Süden, nach Porvo - für uns die schönste Stadt Finnlands und auch kulinarisch durchaus einen Stopp wert.
Wir bereiten uns seelisch schon auf Helsinki vor, beschließen, hier auf unsere "tartaruga" zu verzichten und in einem Hotel zu nächtigen. Wir finden im finnisch-schwedischen Kulturzentrum Hanaholmen (das nicht nur Kultur- und Seminarzentrum, sondern auch Hotel ist) ein für uns ideales, etwas westlich außerhalb der Stadt alleine auf einer Halbinsel ruhig gelegenes Quartier. Mit dem (vorbildlich organisierten) öffentlichen Bus sind wir in ein paar Minuten im Stadtzentrum. Nach einem sehr kurzweiligen schönen Tag in Helsinki, das uns mit seiner Architektur und dem allgegenwärtigen berühmten finnischen Design gefangen nimmt, machen wir uns fertig für die Überfahrt nach Tallinn - wieder mit Tallink ...
Rückreise durchs Baltikum
Nach problemloser Überfahrt steuern wir am Abend wieder den uns bereits bekannten Stellplatz nördlich von Loksa im Lahemaa Nationalpark an. Direkt an der Ostsee grillen wir und bereiten uns die letzten finnischen Pfifferlinge zu, dazu gibt es wieder estländisches Bier. Da vergesse ich auch meine Bandscheiben einmal. Dichte Wälder, die bis zum Meer reichen und die Schönheit der großen Findlingsblöcke in der flachen Ostsee (die sog. Meremunks) beeindrucken uns aufs Neue.
Nach einigen, zumindest für einen mediterran angehauchten Österreicher, doch eher "frugalen" Wochen in Finnland und Norwegen, freut man sich über das quirlige Leben auf den sonnigen Plätzen in den baltischen Städten. In der Sonne sitzen (es ist Ende August!), Essen, Trinken, gut gelaunte Menschen - uns wird erst jetzt richtig bewusst, wie sehr uns dieses Leben in Finnland und in Norwegen doch gefehlt hat ...
Wir bereisen die baltischen Staaten, kreuz und quer geht es von der Ostsee an die russische Grenze und zurück. Auf Schotterstraßen durch kleine Dörfchen mit Holzhäusern, wo wir mit Arbeitern in kleinen Lokalen Bier trinken, bis zu historischen, weltoffenen Universitätsstädten wie Tartu oder Großstädten wie Riga. Letztere begeistert uns nicht nur mit einer sehr schönen Altstadt, sondern auch mit einem der größten und schönsten Märkte die wir je gesehen haben.
Wir genießen dieses Leben ebenso wie wir in Lappland die wunderbare Landschaft genossen haben - nur für die Nächte an den Wochenenden sollte man, sofern man gerne ruhig schlafen möchte, hier das Nachtquartier sorgfältig wählen.
Die Zeit vergeht wie im Fluge und rund um uns wird es langsam Herbst. Auf unserer Route nach Süden ändern sich nicht nur Landschaft und Straßenzustand, auch die Änderung in der Zusammensetzung der Bevölkerung von Estland über Lettland bis Litauen ist nicht zu übersehen. Wir stellen auch fest, dass die Disziplin auf den Straßen ein eindeutiges Nord-Südgefälle aufweist - im Süden wird es auf den Hauptrouten langsam grimmig - die Letten bezeichnen in einem offiziellen Prospekt ihre Fahrweise selbst augenzwinkernd als "exzentrisch" - und sie übertreiben damit nicht ...
Leider nimmt auch der Verschmutzungsgrad entlang der Straßen und in den Wäldern zu. Entlang der Hauptstraßen werden an einfachen Verkaufsständen immer wieder Steinpilze und Beeren in Massen angeboten - dazwischen bieten spärlich bekleidete Damen ihre Dienstleistungen an.
Zurück durch Tschechien und Polen: Wettlauf mit 40-Tonnern ...
Irgendwie vergeht für uns im Baltikum die Zeit rascher als erwartet und wir müssen wohl oder übel doch konkret an die Rückreise denken. Wir beschließen, Polen und Tschechien, wie bei der Anreise, rasch zu durchqueren. Bereits im Baltikum ist uns auf den Hauptrouten der unglaublich starke LKW-Verkehr aufgefallen, der in Polen noch zunimmt. Teilweise wird mir schon etwas mulmig, etwa wenn uns an Kreuzungen mit Fußgängerübergang und 70er Beschränkung die augenscheinlich überladenen 40-Tonner mit 100 km/h überholen. Mittlerweile wird mir auch klar, woher die extrem tiefen Spurrillen in Tschenstochau herrühren ...
Wir durchqueren also Polen, löhnen in Tschechien wieder den 10-Tage Obolus und atmen hinter der österreichischen Grenze auf, diesen Verkehrshorror unbeschadet überstanden zu haben ...
Um den Retour-Kulturschock zu mildern, machen wir knapp hinter der Grenze in Österreich noch einen Zwischenstopp in der Weinstadt Retz (im nördlichen Weinviertel), bevor es in knapp drei Stunden endgültig Richtung Heimat geht.
Froh, gesund zurück zu sein, andererseits aber wegen der Gewissheit, dass dies die letzte Reise mit unserer "tartaruga" war, in etwas depressiver Stimmung, stelle ich schließlich den Motor ab - 11.346 km zeigt der Reisecomputer unseres Garmin - aber das hatten wir ja schon ...
© 2013 Reinhard Temmel