Portugal   Portugal 2023

Der ungewollte Palast ...


Der März 2023 neigt sich dem Ende zu: Ich habe mich mit dem LERRY wieder an den Praia da Vieira zurückgezogen, um zu schreiben. langsam wird es wieder Zeit, in nördliche Richtung nach Deutschland zu fahren ...

Noch einmal an den Strand ein paar Kilometer laufen: Barfuß im Sand ist immer zu empfehlen! Die letzten Sonnenuntergänge bewusst aufnehmen und sich bei den neuen Bekannten hier verabschieden. Natürlich muss ich versprechen, mit dem LERRYmobil auf jeden Fall wiederzukommen. Vielleicht sollte ich das hier einmal erwähnen: Ich habe in allen mit dem LERRY bereisten Ländern inzwischen nur nette Menschen kennengelernt! Alle wollen, dass "wir" wieder einmal vorbeikommen.

Barfuß im Sand ... ... und die letzten Sonnenuntergänge bewusst aufnehmen  ...

Und das sollte wirklich nicht das Problem sein, inzwischen ist es im LERRY nämlich sehr gemütlich geworden: Eine richtig gute portugiesische Künstlerin aus dem Ort Praia da Vieira hat für die Gardinen und den Vorhang des LERRYmobils sehr schöne Haltebänder geschaffen.

Am 26. März 2023 ist es schließlich so weit. Ein Sonntag, und da erwarte ich erst einmal ein nicht so hohes Verkehrsaufkommen. Also zunächst weiter auf der auch nach Norden führenden Estrada Atlantica. Diese ganzen Flächen rechts und links sind alles Dünen. Vor dem großen Brand im Oktober 2017 gab es hier ausgedehnte Eukalyptuswälder (siehe dazu den Beitrag Vieira de Leiria. Renne! Um dein Leben!).

Eine Künstlerin war am Werk ... Haltebänder ... ... für Gardinen und Vorhänge ...
Dünen statt abgebrannter Eukalyptuswälder ... Von Venda Nova nach Guimaraes ... Angekommen in Guimaraes ...

Nach einer Nacht in dem portugiesischen Ort Venda Nova erreiche ich am Vormittag des 27. März 2023 die Stadt Guimaraes. Ich bin hier auf einen Palast aus der Zeit des portugiesischen Königreiches aufmerksam geworden, den eigentlich keiner so recht gewollt hat. Doch nun steht er da. Ich werde mir diese Immobilie einmal aus der Nähe ansehen:  Vielleicht ist sie sogar für mich geeignet, wenn ich mich einmal zur Ruhe setzen will. Das kann ich mir aber, so wie ich mich kenne, kaum vorstellen!

Für die Besichtigung will ich mir Zeit lassen, deshalb gehe ich auf direktem Weg dorthin. Der Palast wirkt erst einmal sehr geräumig: Da ließe es sich bestimmt aushalten. Vielleicht mit einer vierbeinigen Palastwache, Burgfräulein oder so .... Ach nein, Burgfräulein geht ja gar nicht, es ist ja ein Palast und keine Burg ..!

Der Palast beeindruckt ...
Burg oder Palast? Hier kann kann der Besucher hinein ... Weitläufige Anlage ...

Portugal war von 1139 bis 1910 ein Königreich. Der noch heute bekannteste König in dieser Zeit war König D. Dinis. Auch "Dinis der Gerechte" genannt, von dem ebenfalls bereits im oben erwähnten Bericht zur Brandkatastrophe die Rede war. Von ihm schwärmen die Portugiesen noch heute ganz besonders. Es gab keinen König in der Zeit der portugiesischen Monarchie, der sich so sehr und so selbstverständlich für sein Volk eingesetzt hat. Hat man bei unangenehmen Menschen manchmal das Gefühl, dass diese zu lange leben, ist es bei guten Menschen oft genau anders herum: Gefühlt leben sie zu kurz. So war auch die Zeit des König Dinis irgendwann abgelaufen.

Um 1640 kam eine andere Familie auf den Thron des Königreiches: Die Familie Braganca, die sich dort bis zur Auflösung des Königreiches im Jahre 1910 hielt, als Portugal eine Republik wurde. Die Familie ließ auch dieses Gebäude bauen, den Palast der Herzoge von Braganca. Mit den ziemlich wuchtigen Seitentürmen erinnert der Anblick eher an eine schlicht geplante Burg, die dann aber doch eher ein Palast werden sollte. Es war der Baustil französischer Herrschaftshäuser. Dann gehe ich dort einmal hinein ...

Eher Säle als Räume ... Hinauf im steinernen Treppenhaus ... Sitzbänke an den Fenstern ... Kleine Feuerstellen für riesige Räume ..?
Wandteppiche ... ... Darstellung der Geschichte ...

Der Bau dieses Palasts der Familie Braganca begann allerdings genau genommen bereits im 15. Jahrhundert zwischen 1420 und 1433. Lange bevor die Familie die Steuerung der Geschicke des Landes übernahm. Später verlegte die Familie ihre Residenz in die Stadt Vila Vicosa und gab das Gebäude dem Verfall preis. So verfiel es über Jahrhunderte, die Familie kümmerte sich nicht mehr darum.

Über das völlig steinerne Treppenhaus gelange ich hinauf in den ersten Stock: Die Sitzbänke an den Fenstern dienten zum bequemen Hinausschauen bei geöffneten Fenstern. Ich sehe mir nun die großen Räume an: Man kann sie fast schon als Säle bezeichnen. Die kleinen Feuerstellen haben solche sehr großen Räume sicher nicht umfassend erwärmt.

Mir fallen diese großen Wandteppiche natürlich sofort auf: Es sind allerdings nicht nur einfach Teppiche mit einem besonderen Muster. Diese hier wurden so gefertigt, dass es riesige Bilder aus der Geschichte Portugals wurden. So ist dort zum Beispiel die Belagerung und Einnahme der marokkanischen Stadt Arzila (marokkanisch Asilah) und die Eroberung Tangers zu sehen. Auch in Portugal findet sich ein Ort mit diesem Namen. Er liegt bei der Stadt Coimbra. Asilah in Marokko hat heute etwa 35.000 Einwohner und ist zu einem der wichtigsten Touristenorte des Landes geworden.

Hier im Palast hängen aber nur die Kopien der Originale: Diese selbst befinden sich in spanischer Hand im El Escorial, einem riesigen Kloster und Königssitz etwa 50 km nordwestlich von Madrid. Bisher haben die Spanier die Originalteppiche nicht herausgegeben. So mussten die hier hängenden Kopien angefertigt werden. Wie einfach ist das doch heute mit einer guten Kamera ..!

Teppiche oder Unterlagen ..? Massive Bauweise ...

So sieht nun der ehemalige Palast der Familie Braganca von innen aus: Die sehr massive Bauweise ist leicht zu erkennen. Natursteine gab und gibt es in Portugal ausreichend. Hier fallen mir zum ersten Mal die dicken Unterlagen auf, die unter den Möbeln oder auch nur so im Raum zu finden sind. Es handelt sich dabei wohl um eine Art Teppiche.

Wenn ich mich nun in die Zeit von damals zurückversetze, denke ich dabei aber auch an die schwache Beleuchtung jener Tage: So gab es viele sehr schlecht ausgeleuchtete Bereiche in den Räumen. Diese Teppichart muss eine schöne Stolperfalle gewesen sein. Hier liegen sie außerhalb der Gänge. Vielleicht auch wegen der vielen Besucher mit Mobiltelefonen ..?

Nein, die dicken Platten unter den Teppichen sind natürlich einfach nur Unterlagen, um den direkten Kontakt der Teppiche mit dem Boden zu vermeiden und diese besser zu präsentieren. Daher auch die schwarze Farbe der Unterlage. Schwarz ist immer ein guter optischer Hintergrund zur Repräsentation von Dingen. Die schwarzen Platten im Bild oben links sind dafür gedacht, dass auch Rollstuhlfahrer und Besucher mit Kinderwagen gefahrlos den Palast besichtigen können. Auf dem rechten Bild sind bei den Fenstern wieder die Sitzgelegenheiten zu sehen. Ich habe leider keine weitere Information dazu bekommen können.

Kurz darauf stehe ich vor der Sammlung auf dem Bild unten links: Ganz deutlich sind dort Gegenstände zu erkennen, die damals bei "Problemen" mit Nachbarn aller Art Verwendung fanden.   Auf dem Bild daneben sind dann Teile der entsprechenden damaligen Schutzkleidung zu sehen. Die Menschen waren zu dieser Zeit noch erheblich kleiner als heute. Kurz kommt mir der Gedanke, dass es sich um die Ausrüstung der ersten Fahrer von Inline Skatern handeln könnte. Die gab es aber damals noch lange nicht ... Ich erfahre, dass es sich um eine kleine Sammlung handelt, für die einfach nur die hier vorhandene Ausstellungsmöglichkeit genutzt wurde. Mit dem täglichen Leben in diesem Palast haben diese Gegenstände nichts zu tun.

Bewaffnung muss sein ... Ausstellungsfläche wird genutzt ...
Beeindruckende Giebelkonstruktionen Kunstvolle Fliesenverzierung ... Gepflegte Holzdecken ...
Esszimmer ... ... und Schlafzimmer mit Innenfensterläden

Die großen Räume, in denen größere Zusammenkünfte abgehalten wurden, haben zum Dach keine Zwischendecke. Ich bestaune ungehindert die Bauweise der Handwerker. Alles ist gut zu erkennen, das Holz wirkt sehr gepflegt. Auch die Räume mit Zwischendecke sind mit schön gearbeiteten Decken versehen. Teilweise wurde sogar der Raum zwischen den Deckenbalken kunstvoll verziert. Auf dem Bild oben Mitte ist sogar eine künstlerische Fliesenverlegung mit Bildmotiven zwischen den Balken zu sehen.

Zwei Räume sind zurecht gemacht als eine Art Esszimmer und ein Schlafzimmer. Wie gut zu erkennen ist, waren bei diesem Bauwerk die Fensterläden innen angebracht. Man brauchte sich also nicht nach draußen zu beugen, um sie zu schließen. Auf dem oben rechts ist die große, schwarze Fläche im Vordergrund wieder die Rampe, um die Räume für Rollstuhl und Kinderwagen sicher zugänglich zu machen. Wer sich gern einmal richtig alte Möbel ansehen möchte, ist hier genau richtig. Alle Möbel sehen aus wie nie benutzt, sie sind hervorragend restauriert worden. Ich finde nicht einmal Staub darauf. In dem Schlafzimmer sehe ich sofort: Dieses Bett wäre für mich zu kurz! Durch den dekorativen Unterbau des Teppichs sieht das aus wie eine Matratze für Gäste, die vor dem Doppelbett auf dem Boden liegt ...

Genug gesehen: Ich verlasse die "Innereien" des Palastes und sehe mir den Innenhof an. Würde ich hier einziehen, wäre ich vor allen Blicken von draußen geschützt. Ich könnte herumlaufen wie es mir gerade in den Sinn kommen würde. Doch nein, das geht doch nicht: Heutzutage schaut von oben Google zu und niemand weiß wann. Doch auch damals war das nicht besser: Hier schaute die Kirche überall zu. Der Palast hat eine hauseigene Kapelle, ich finde sie bei meinem Rundweg. Der Eingang befindet sich auf dem Bild unten links unter dem dort sichtbaren großen Giebel. Ein sicheres Zeichen dafür, dass hier auch Politik gemacht wurde: Gott und der König mit kurzen Wegen. Heutzutage würde man anstelle einer Kapelle vielleicht erst einmal an eine große Garage denken, Zeiten ändern sich ...

Geschützter Innenhof ... ... große Kapelle ...

Die Familie Braganca nutzte den Palast nicht besonders lange, sie gab ihn alsbald auf. Ihre Interessen lagen später in einer anderen Gegend. Der Palast verfiel im Laufe der Jahrhunderte. Im Jahr 1807 wurde sogar eine Kaserne daraus gemacht, um das Gebäude irgendwie zu verwenden. Erst im Jahr 1937 begann man mit der umfassenden Restaurierung. Bis zum Juni 1959 entstand der Palast in seiner alten gotischen Pracht erneut. Jedoch nicht durch die Familie, vielmehr musste der Steuerzahler ran. Im Jahr 1910 wurde Portugal ein Republik und der amtierende König erst einmal ins Exil geschickt. Bis dahin hatte die Familie Braganca die Monarchen gestellt. Nach der Gründung der Republik gab es zunächst noch ein paar Versuche der Familie, ihren Anspruch auf den Thron wieder geltend zu machen. Wenn das alles König Dinis geahnt hätte ..!

Vorbei am Rathaus ...Viele Länder versuchen die Anwesenheit ehemaliger Königshäuser im Land zu verhindern. Portugal macht da eine Ausnahme: Zur Zeit wäre Duarte Pio de Bragança (geboren 1945) der offizielle Thronfolger Portugals. Doch Königshaus und Republik sind lange versöhnt, die Familie Braganca lebt also nach wie vor im Lande. Sollte sie allerdings noch einmal ernsthaft Portugal in eine Monarchie umwandeln wollen, sollte man ihnen vielleicht zunächst die Rechnungen für den Palast über viele hundert Jahre zum Begleichen vorlegen ...

Vorbei am Rathaus der Stadt, ein ehemaliges Nonnenklostergebäude und ebenfalls UNESCO-Welterbestätte, mache ich mich auf den Weg zurück zum LERRY. Eines muss man den Portugiesen lassen: Ich habe hier bei meinen vielen Besichtigungen noch nie ein so sauberes, gut erhaltenes und derart altes Gebäude gesehen wie diesen Palast ..!


© 2023 Jürgen Sattler


Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Jürgen Sattler finden sich in unserer Autorenübersicht!