Zurück auf Los!?
Selbstverständlich haben wir für die Rückfahrt eine Kabine bekommen, auch wenn wir "schon" um 4:00 Uhr morgens ankommen werden. Wir stehen am heutigen Freitag, es ist der 15.08. gegen 17:00 Uhr und unsere geplante Abfahrtszeit, wieder mit dem üblichen "Auslaufbier" an der Reling, während sich über der Stadt ein Unwetter zusammenzubrauen scheint - die aufziehenden Wolken sehen alles andere als vertrauenerweckend aus ...
Um 17:00 Uhr und danach gibt allerdings die Sirene der SYMPHONY nur ein schwaches "Trööt" von sich, von Auslaufen keine Spur. Die Zeit vergeht, es wird 17:30 Uhr, 17:45 Uhr, 18:00 Uhr - immer noch nichts anderes zu hören als das komisch schwache Tröten der Sirene. Unter den Passagieren an Deck kommt Unruhe auf und ein Rätselraten beginnt: Deutsche Touristen glauben zu wissen, dass - falls es ein Problem gäbe - längst eine Durchsage gekommen wäre. Wirklich?
Eine andere Theorie besagt, dass man nicht losfährt, so lange die Sirene nicht "richtig" trötet - alter seemännischer Aberglaube!
Es wird später als 18:00 Uhr, als die SYMPHONY endlich langsam ablegt zu ihrer Fahrt Richtung Stockholm mit Zwischenstop in Mariehamn - der Ton ihrer Sirene hat sich in der Zwischenzeit allerdings nicht wirklich gebessert ...
Unter Deck werden wir von Deutschen angesprochen: "Sprechen Sie Deutsch?" wollen sie wissen, und danach: "Fährt hier eigentlich alle zwei Stunden eine Fähre von Helsinki nach Stockholm?" Natürlich lacht man niemanden aus, der solche Fragen stellt, sondern hört sich dessen Leidensgeschichte an: Man hat bei seiner ersten Ostsee-Kreuzfahrt mit der MS DELPHIN leider sein Schiff verpasst - ohne dass man sie vorher angerufen hätte auf der hinterlegten Handynummer, hat das Schiff einfach Helsinki Richtung Stockholm verlassen, alle Sachen sind dort an Bord und man versucht nun, mit Hilfe der Fähre SYMPHONY dieses Kreuzfahrtschiff wieder einzuholen. Sie sind ziemlich erschrocken, als sie erfahren, dass es möglicherweise gar nicht so einfach ist, die DELPHIN in kürzester Zeit wiederzufinden, da es in Stockholm verschiedenste Anlegestellen gibt ... Sachen gibt´s, die gibt´s gar nicht!
Wie üblich folgt ein abwechslungsreicher Bordabend, und die Kabine wird etwas früher als üblich aufgesucht: Schließlich heißt es gegen 3:00 Uhr schon wieder Aufstehen, Mariehamn wartet!
Frühzeitig stehen wir am frühen und noch sehr finsteren Morgen wieder an Deck, lassen uns den nächtlichen Wind um die Nase wehen und beobachten ferne Lichter, wobei Mariehamn nicht mehr weit sein kann. Kurz zuvor hatte an der nächtlich verwaisten Rezeption die vorsorgliche Nachfrage positives ergeben: Wir haben die Verspätung von Helsinki offensichtlich aufgeholt, keine weitere Verspätung zu erwarten!
Plötzlich beginnen die fernen Lichter von der einen in Richtung zur anderen Seite der Fähre zu wandern, unwillkürlich wandert auch der Blick auf den Suunto am Handgelenk, der schon seit Jahren dort bei allen Touren zuverlässig seinen Dienst versieht: Ungläubiges Starren auf die Anzeige, nach Kurs Nordwest nun plötzlich Südwest, wo zum Teufel liegen diese Ålands oder kommen wir doch verspätet an ..?
Mit leicht beklommenen Gefühl steigen wir hinunter zum Autodeck: Verschlossen! Eigentlich müsste es jetzt bereits geöffnet sein, allerdings ist vor dem Schott kein Mensch zu sehen. Wir beschließen, dass einer zur Rezeption geht und nochmal nachfragt. Der Fahrer wartet selbstverständlich weiter vor dem Schott, bis sich plötzlich auf der Treppe etwas rührt.
Ein ziemlich kleiderschrankmäßiger Security-Mitarbeiter kommt heruntergestiegen und baut sich vor dem Schott auf: Wer würde in diesem Moment nicht an einen schlechten Film glauben bei der Mitteilung, wir würden "wegen der Verspätung" leider nicht auf den Ålands stoppen, sondern direkt nach Stockholm fahren - Entscheidung vom Käpt´n!
Der Mann erweist sich als recht spaßbefreit, als er mit halb geschlossenen Augen auf die Frage antwortet, ob das ein Witz sei oder sowas wie die "Versteckte Kamera"? Nein, er würde nicht joken, das wäre kein Witz, keine "Candid Camera", ich solle mich bitte zur Rezeption begeben, dort würde alles geklärt ... Warum hat der gute Mann eigentlich offenbar wenig Verständnis für das irre Gelächter des Reisenden, der sich diesmal nicht an dem Rettungsring vergeht, sondern ganz einfach wieder mitsamt seinem leichten Gepäck die Treppe hinaufsteigt, in Richtung Rezeption ..?
Dort angekommen wartet nicht nur der fassungslose Rest vom Explorer Team, sondern auch noch eine traurige Mitarbeiterin, die wie alle anderen Besatzungsmitglieder uns offenbar inzwischen zu kennen scheint - sie lässt im Gegensatz zum Security Mann durchblicken, dass es sich wohl um "technische Probleme" handeln soll, weshalb wir die Ålands nicht anlaufen werden. Noch ein paar versprengte andere Mitreisende stehen in Rezeptionsnähe, auch sie hatten offensichtlich beabsichtigt, die Fähre auf den Inseln zu verlassen. Natürlich bekommen wir wieder Gutscheine für ein Frühstück und ... Trost und Entschuldigung, sowas wäre wirklich noch nie passiert!
Muss man noch erwähnen, dass die Zugangskarte zur Kabine dieselbe später natürlich nicht öffnet? Klar, die Karte war für "Aussteiger" programmiert und nicht für "Zwangskreuzfahrer", die mittlerweile einen ganzen Berg von Zusatzkarten und -belegen mit sich herumschleppen. Aber natürlich kann auch jetzt die Rezeption wieder helfen und man befindet sich schon vor 5:00 Uhr wieder in seiner Kabine. Nächstes Ziel ist bekannt: Stockholm, Ankunft 09:30 Uhr, ...
Da man ohnehin inzwischen völlig übernächtigt ist und nicht mehr schlafen kann, stehen wir schon wieder sehr früh bereit zum Frühstück, während wir erneut durch den "Schärengarten" fahren, nun wieder in Gegenrichtung.
Leider stehen wir aber vergeblich hier, denn irgendwie hatte man im Chaos übersehen, dass Finnland und Schweden nicht nur eine unterschiedliche Bierqualität unterscheidet, sondern auch noch eine ganze Stunde. Um so viel müssen nämlich die Uhren auf dieser Etappe wieder zurückgestellt werden, weshalb wir am heutigen Samstagmorgen nicht um 07:34 Uhr hier stehen, sondern uns in Wirklichkeit um 06:34 Uhr vor dem noch verschlossenen Maxim Bistro befinden. Eine halbe Stunde zu früh für unser Entschädigungsfrühstücksbuffet, das wir diesmal bekommen ...
Das Schiffsfrühstück sieht uns umgeben von unzähligen Japanern, Russen und anderen Reisewilligen Richtung Stockholm. Nun ist es auch wieder Zeit für die ach so geliebten schwedischen Kronen - schön, dass es unterwegs auch dadurch nicht so schnell langweilig wird! Zeit also wieder für die Kreditkarte, die nun erneut auch für den letzten Kleinbetrag erforderlich ist. Echte Euro-Touren haben doch wohl etliche Vorteile ...
Als wir uns beim (pünktlichen!) Einlaufen in Stockholm gegen 09:30 Uhr wieder auf dem Autodeck einfinden, treffen wir ein Besatzungsmitglied wieder, mit dem wir gestern noch das "Stockholm Syndrom" geprobt hatten: Der Mann verbirgt seinen Kopf unter seinem Arm, als er uns mitfühlend lachend zu- und herauswinkt - als Promis an Bord genießen wir natürlich die allgemeine Zuwendung sehr, bevor wir wieder unseren vertrauten Stockholmer Parkplatz ansteuern ...
Vor 17:00 Uhr wird auch heute keine Fähre den Stockholmer Hafen wieder in Richtung Åland Inseln verlassen, bis dahin kann man erneut seine Solarzellen auspacken, Batterien laden und viel, viel Verwaltung abwickeln - schließlich heißt es "Gehe zurück auf Los!"
Die Lachmöwen, die uns wieder auf dem Parkplatz empfangen, scheinen heute besonders laut und dreckig zu lachen , oder bilden wir uns das etwa nur ein ..?
© 2015 J. de Haas