Polen-Blues ...
An der polnischen Grenze interessiert sich niemand für uns, hier ist kaum eine Menschenseele zu sehen, Schengen hat schon so seine Vorteile. In einer Wechselstube decken wir uns mit Zloty ein, denn die Polen gehören noch nicht zum Euro-Club.
Gleich hinter der Grenze zeigt sich der erste Unterschied: Im Vergleich zu Litauen sind hier die Straßenränder gepflastert mit Werbetafeln, die überwiegend drei Artikelgruppen anpreisen:
- Türen
- Fenster
- Kettensägen.
Da lässt es sich kaum verhindern, dass man darüber witzelt: So viele Türen und Fenster? Wird hier doch so viel eingebrochen? So viele Kettensägen? Wie mögen die Leute wohl miteinander umgehen ..?
Der Schilderwald lichtet sich zum Glück, als uns der erste Teil der polnischen Etappe durch den schönen Nationalpark Wigiersky führt - entlang einer Schmalspurbahn, auf der mehrfach täglich Touristen durch den Wald gefahren werden. Hinter dem Nationalpark wird die Landschaft etwas langweilig und der Verkehr dafür aufregender: Wir werden gejagt von gehetzten Polen, tollkühne Überholmanöver lehren uns von nun an das Fürchten auf den polnischen Straßen ...
In Litauen war uns aufgefallen, wie sehr sich die Fahrer - ganz im Gegensatz zu unseren Beobachtungen in 2004 - an Geschwindigkeitsbeschränkungen halten: Insbesondere in den Ortschaften beachteten diesmal die meisten die vorgeschriebenen 50 km/h. Solches Verhalten scheint den polnischen Autofahrern völlig fern zu sein: Hier gibt es nur Raserei, auch in den Orten. LKWs mit 90 Stundenkilometern sind dort keine Seltenheit.
Auffallend auch, wie viele Autos noch mit CB-Funkantennen ausgestattet sind: Die Polen, eine kommunikativen Völkchen? Vielleicht nicht ganz ... Die Ausstattung könnte vornehmlich zur Übermittlung von Radarfallen und Polizeikontrollen an die anderen Verkehrsteilnehmer dienen, wie uns ein Insider verrät. Hier bekommt das Wort Verkehrsfunk eine neue Dimension und macht klar, warum die gesamten Verkehrskontrollen zum Scheitern verurteilt sind. Aber Polens Straßen haben noch andere Überraschungen: An zwei Stellen kommen wir nicht weiter und müssen Umwege fahren, da Straßen und Brücken für Fahrzeuge über 2,5 t gesperrt sind. Solche Sperren waren uns bis dato unbekannt. Üblicherweise gibt es Sperren ab 3,5 t und da kamen wir in der Vergangenheit immer bequem und problemlos durch.
Wir machen einen Zwischenstopp an der Wolfsschanze: Hier ist alles durchorganisiert - Kassieren des Eintritts bei Einfahrt mit kurzer Einweisung in Deutsch bzgl. der Angebote; verschieden lange, ausgeschilderte Rundwege je nach Kondition, Lust und Laune; Lagepläne und vieles mehr. Für einen Aufpreis darf man hier sogar auf dem begrünten Teil des Parkplatzes übernachten, wenn man kein Problem hat inmitten des Rummels Campingatmosphäre zu verbreiten. Einige harte Camper ziehen das hier voll durch.
Heerscharen von Besuchern laufen über die Stellplätze, Unmengen an Autos parken hier. Wer mag hier wirklich seine Plane aufbauen und den Grill auspacken? Am Ende glauben die Touris noch, man würde eine Würstchenbude betreiben ...
Dennoch, der Rundgang durch die Bunkerstadt des ehemaligen Führerhauptquartiers ist sehr beeindruckend: Jeder hohe Herr der Heeresleitung hatte hier seinen eigenen Bunker und an der Bunkergröße kann man die zugemessene Bedeutung seines Besitzers erkennen. Diese riesigen Bunker erinnern fast an Mayatempel im polnischen Wald und wer mehr dazu erfahren will, kann dies in unserem Sonderbeitrag "Hinterlassenschaften": Die Wolfsschanze tun.
Wir fahren weiter und erreichen schon bald den Campingplatz von Piecki, der außerhalb vom Ort als Teil einer Feriensiedlung an einem hübschen See liegt. Der Platz bietet Hütten und Stellplätze. Er ist leer, außer uns kommen noch zwei junge Pärchen aus Berlin. Der Platz verbreitet eine gewisse Endzeitatmosphäre, er hat seine guten Tage wohl bereits hinter sich: Ein Sanitärgebäude ist mit Brettern vernagelt, die Lampen stehen schief im Gelände, an etlichen Wasserstellen fehlen die Wasserkräne, die Toiletten- und Waschgelegenheiten sind nur oberflächlich gereinigt. Der Lagerfeuerplatz ist voller Müll und Glasscherben, die von sommerlichen Gelagen berichten. Es gibt ein Restaurant mit festen Essenszeiten und man muss bereits im Voraus an der Rezeption bezahlen, falls man hier einkehren will. Das macht nicht wirklich Appetit und so beschließen wir die Küche im Explorer anzuwerfen.
Beim Anblick unserer litauischen Bierdosen und mit der Erinnerung an die schönen idyllischen Plätze dort, trauern wir heute doch Litauen nach und haben so etwas wie den Polen-Blues ... so hatten wir uns Masuren eigentlich nicht vorgestellt!
Am Morgen fällt es uns nicht schwer, die Sachen zusammenzupacken um weiter zu reisen ins nahe Pasym zu einem Campingplatz, der ebenfalls an einem See liegen wird - neues Spiel, neues Glück!
© 2009-2010 Text/Bilder Sixta Zerlauth
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