Kaliningrad, wir kommen ...

Dank Lisas Ortskenntnis ist schnell der Mira Prospekt im Nordwesten von Kaliningrad erreicht. An der gesuchten Adresse befindet sich jedoch nur eine Außenstelle des polnischen Konsulats: Ratlosigkeit! Wir rufen Pavel an: Er käme gleich, uns abzuholen. Wir nutzen die Wartezeit, um in einer Bank Rubel zu besorgen. Schon fährt er vor, stilgerecht im Pickup. Seine Werft ist nicht hier, nein, wir sollen nur hinter ihm herfahren zu einer der beiden Standorte. Und es beginnt eine abenteuerliche diagonale Durchquerung von Kaliningrad bis in den Südosten: Genau das, was wir heute eigentlich nicht wollten  ...

Kaliningrad, wir kommen! Der Schilderwirrwarr verwirrt Lisa nicht ...
Immer hinter Pavel her, sofern man ihn noch sieht ...

... vorbei an rostigen Platten ...

Der Verkehr ist aufreibend: Er ist oft mehrspurig, wobei die Fahrer die Spuren selbst definieren. Riesige Schlaglöcher und ausgefahrenes Kopfsteinpflaster aus der Königsberger Zeit sowie atemberaubend hoch aufgewölbte Gullideckel zwingen die Fahrer zu abrupten Ausweichmanövern. Insgesamt ist die Fahrweise nicht aggressiv, niemand hupt, niemand schimpft, jedoch muss man sehr entschlossen fahren, um überhaupt voran zu kommen.

In dem gesamten Getümmel fahren aber auch dreiste rücksichtslose "Großkotze": Oft kahl rasiert mit Sonnenbrille, in dicken BMW X6, VW Touareg, Mercedes S-Klasse oder Hummer, erwarten sie offensichtlich bei jedem Spurwechsel, dass andere Verkehrsteilnehmer ihnen sofort Platz machen. Was passiert, wenn man es nicht tut, sollte man nicht unbedingt ausprobieren. Offensichtlich sind teure deutsche Autos sehr beliebt, denn es gibt hier jede Menge davon. Einige dieser Fahrer schauen sich allerdings unseren Explorer sehr interessiert an und bestaunen vor allem die ARB-Stoßstange und die Sandbleche - überlegen sie vielleicht, wo man die auch an ihren Hummer schrauben könnte ..?

Doch irgendwann ist die Odyssee hinter Pavel beendet und wir kommen an der bewachten Werft an, wo Boote und auch Kabinen gebaut werden. Wir diskutieren über den Fertigungsort Kaliningrad, über die Folgen der Wirtschaftkrise und schauen uns die Werkstätten an. Pavel bietet uns eine Sightseeing Tour durch Kaliningrad an, aber wir wollen weiter zur Kurischen Nehrung ...

Lisa wird instruiert, uns nach Lesnoj zu navigieren und wieder fahren wir durch das Getümmel Richtung Norden: Es gibt wieder Schlaglöcher, Ampeln, bei denen das rote Licht nicht funktioniert, Staus, unübersichtliche Fahrspuren, ein rundum wüstes Paket. Doch Lisa geleitet uns sicher heraus ...

... das sollte man wirklich ernst nehmen ... Militärgedenkstätte der Stadt Gurjewsk ...
Aufwändig gestaltete Grabsteine ... Goldeneye, oder: Fahrzeuge für Kaliningrader Verkehr ..?

An der Ausfahrt sehen wir ein Wehrmuseum mit zahlreichen Panzern und einem Armeefriedhof. Für jeden Verstorbenen steht hier eine Marmortafel, in die sein Name, seine Lebenszeit und sein Portrait graviert sind. Man steht davor und hunderte verstorbene Armeemitglieder schauen einen an ...

Der Weg führt  weiter über schlechte Landstraßen: Immer wieder stehen Polizeikontrollen am Straßenrand. Endlich kommt eine neu angelegte Straße, die irgendwie zu einer zukünftigen Autobahn gehören soll. Man kann wieder etwas Gas geben und der Ranger rollt mit ca. 75 km/h dahin. Nicht lange allerdings, denn schon werden wir angehalten von einer Polizeikontrolle (DPC). Man konfrontiert uns mit einem Radarmessergebnis: Der Polizist sagt irgendwas von 100 km/h und zeigt seine Radarpistole. Wir bestreiten das - sollte hier die übliche und oft berichtete Abzockstory laufen ..?

Wir sind 75 km/h gefahren und sagen das auch. Der Fahrer wird zum Polizeiwagen gebeten und soll sich neben den Polizisten im Fahrzeug setzen: Dort eröffnet man uns, dass wir ein 40 km/h Schild nicht beachtet hätten. Man will - natürlich - nun Wagenpapiere, Versicherungskarte und den Führerschein sehen. Der Führerschein des Fahrers ist entgegen den Vorschriften allerdings nur ein deutscher Führerschein und in der grünen Versicherungskarte fehlt auch jeglicher Eintrag für Russland. Uns schwant Übles. Wir verwickeln den Polizisten bei der eingehenden Prüfung in ein Gespräch, in dem wir ihm auf Deutsch etwas von EU und Versicherungsgebiete bis zum Ural erzählen. Der Polizist beharrt darauf, dass man zu schnell gefahren sei und zeigt dem Fahrer in einem Buch, wie das Schild mit Geschwindigkeitsbeschränkung aussieht (eben wie überall in Europa).

Ich nutze die Zeit, um mir eine Entschuldigung auf Russisch zurechtzulegen. Schließlich sage ich dem Polizisten auf Russisch, dass wir die schöne neue Straße gesehen hätten, das Schild aber leider nicht und dass es uns leid tut. Darauf hin gibt er nach kurzem Zögern die Papiere zurück und sagt auf Deutsch "Auf Wiedersehen".

Wir können ohne Strafzettel weiter fahren, die Geschichten über raffgierige russische Polizisten und die Abzockstories muss man halt nicht immer glauben ...

Mit durchschnittlich 40 km/h erreichen wir schließlich Szelenogradsk, wo wir uns in einer schier endlosen Schlange durch den Ort quälen. Kurz dahinter kommt die Station zur Einfahrt auf die Kurische Nehrung: Wir müssen Eintritt zahlen, es werden nur Rubel akzeptiert - gut, dass wir welche bekommen haben. Getreu dem russischen System zur Maximierung der Bürokratie erhalten wir eine Quittung, die dann auf der Straße von einem weiteren Angestellten kontrolliert und abgestempelt wird. Während des ganzen Vorgangs brettert eine Edelkarosse mit russischem Kennzeichen nach der anderen an uns vorbei, ohne auch nur im Geringsten das Tempo zu reduzieren. Sie müssen offensichtlich auch keinen Eintritt bezahlen ...

Bezahlt, kontrolliert, gestempelt - nun dürfen wir rein: Die Kurische Nehrung wartet ...

Kassenstation "Kurische Nehrung" ...


 © 2009 Text/Bilder Sixta Zerlauth