Kurische Nehrung, russische Seite ...
Wer auf der russischen Seite der Kurischen Nehrung Einsamkeit erwartet, ist fehl am Platz: Auch hier gibt es Touristenrummel, überwiegend aus gut situierten Russen bestehend, die in bestem Sonntagsoutfit durch die Wälder und Dünen stapfen.
Unser Ziel ist Duna Camping, in der Karte und im Internet als Campingplatz eingezeichnet. Wir kommen an eine Schranke, die von einem besoffenen Pförtner bewacht wird. Auf die Frage, ob das hier Duna Camping ist, hören wir ein "Da" von dem Mann, der also noch in der Lage zu sein scheint, Fragen zu verstehen und diese zu bejahen. Die nächste Frage folgt also, ob man hier eine Nacht campieren dürfe. Diesmal folgt ein "Njet". Wir gucken verwundert und versuchen zu verhandeln: Das einzige verständliche ist immer wieder "Niet" und auf Russisch sinngemäß: "Es gibt keinen Kontrakt für deutsche Leute".
Wir beraten uns uns noch, als der Pförtner herbei schlurft und uns anbietet, auf dem Parkplatz vor der Anlage zu übernachten, er würde das auch immer tun, wenn er viel gearbeitet hätte. Wohl böse, wer vermutet, dass "viel gearbeitet" hier ein Synonym für "viel gesoffen" ist: Der Mann wird nun echt gesprächig und nutzt die Chance, sich bei der Übersetzung einer Liste helfen zu lassen, die ausschließlich aus Kfz-Ersatzteilen für eine bestimmte Automarke besteht, wofür mag er das brauchen ..?
Wir bedanken uns für sein großzügiges Übernachtungsangebot und machen uns wieder auf den Weg zurück: Kurz vor dem Duna Camping war uns die Ferienanlage VIZIT aufgefallen, die sich als ökologische Freizeitanlage anpreist. Sie liegt nett im Wald mit einladenden Holzhütten. Auch hier dürfen wir nicht campieren, man bietet uns aber eine Hütte an. Diese hat einen Schlafraum und ein für russische Verhältnisse luxuriöses Bad, eine Kochgelegenheit hat sie dagegen nicht. Bei dem geforderten Preis für eine Nacht kommt zunächst die Vermutung auf, man habe sich verhört: 3.000 Rubel. Wir fragen nach, ja, ja 3.000 Rubel, dafür könne man sich auch im Wald an die Tische und Bänke setzen und die Feuerstelle nutzen.
Umgerechnet also fast 70 EUR!? Das riecht doch stark nach Abzocke - es handelt sich hier wohl eher um ein ökonomisches als um ein ökologisches Camp. Wir lassen die erstaunten Anlagenbetreiber zurück mit dem Kommentar, zu dem Preis könnten wir auch in ein Hotel ziehen. Was wir zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht wissen: Wie man der Homepage von www.vizit.cc entnehmen kann, werden (ungefähr ) diese Preise tatsächlich verlangt - offensichtlich ein Camp für reiche Russen ..!
Weiter geht es nach Nordosten: Unseren nächsten Versuch machen wir nun in Morskoje, mittlerweile haben wir uns schon sehr an die litauische Grenze angenähert. Dort gibt es das Dom Docug, eine Ferienanlage, von der wir gelesen haben, dass sie auch Camper aufnimmt. Und genauso läuft es dann auch: Die freundliche Dame der Administration hat auch gleich einen Tarif von 500 Rubeln, das ist ok und wir stehen auf einem begrasten Platz in der Anlage. Es gibt hier ein Restaurant (mit einer ausschließlich russischen und schwer übersetzbaren Karte), das Essen ist gut, das russische Bier noch besser. So kann man Russland aushalten. Was uns bei unserem abendlichen Spaziergang am Haff wieder positiv überrascht, ist die Abwesenheit von Mücken - langsam aber sicher kann das kein Zufall mehr sein!
Am nächsten Tag geht es zum tanzenden Wald: Man hat zwischen den Bäumen Plankenwege angelegt, so dass man die wild verbogenen Kiefern nicht verfehlen kann. Es gibt allerlei Theorien, warum die Bäume hier zu solchem Wachstum neigen. Bodenbeschaffenheit, Windverhältnisse, elektromagnetische Strahlen, Larven, Grundwasserquellen und vieles mehr. Zwischen den großen Bäumen, die hier erst seit der Nachkriegszeit wachsen, hat man Kreise aus niedrigen Flechtzäunen angelegt mit kleinen Bäumchen - das sind dann wohl die Tanzschulen ...
Nicht weit entfernt ist die Düne Epha, benannt nach dem Düneninspektor Wilhelm Epha. Zur Düne führt ein Weg durch den Wald auf eine Aussichtsplattform. Das Betreten der Düne selbst ist strikt verboten nach Artikel 8.39 des Ordnungswidrigkeitengesetzes der Russischen Föderation. Man will die Dünen nun bewahren: In den vergangenen Jahrhunderten haben die Wanderdünen, die sich aufgrund des Abholzens der Wälder immer weiter ausdehnten, zahlreiche Dörfer vernichtet. Durch Aufforstung werden nun die Dünen im Zaum gehalten und als Naturdenkmäler behandelt.
Am Parkplatz vor der Düne gibt es zahlreiche Stände für die Touristen: Bernstein, Bier, Räucherfisch, Grillfleisch - alles wird hier angeboten. Wir nehmen einen frisch gegrillten Lachs mit einem Salatteller und Brot. Auf der ARB-Stoßstange bauen wir unser Buffet auf, wieder einmal wird erkennbar, wofür man sie einfach wirklich braucht ..!
Nicht weit von uns befindet sich ein riesiges Schlagloch in der Straße, mehrere Zentimeter tief. Es fällt auf, dass viele der Edelkarossen ohne Verlangsamung oder Ausweichmanöver durch dieses Schlagloch brettern und jedes Mal hört man dazu das übliche "Schlaggeräusch". Unser Mann vom Grill macht mit einer Geste deutlich, für wie schwachsinnig er die sämtlich vorbei rasenden Fahrer hält und erzählt, dass auch immer wieder Kinder in Gefahr geraten, die hier herumlaufen. Wer würde ihm bei dieser Einschätzung widersprechen ..??!
Es sind noch eine Menge Rubel übrig geblieben: Was tun? An den Ständen entdecken wir eine ältere Dame mit einem deutsch-russischen Buch über die Kurische Nehrung, das viele alte Fotos und schöne Beschreibungen über das Leben auf der Nehrung enthält. Sie stellt sich uns als die Autorin vor: Wir kaufen das Buch und sie schreibt eine Widmung hinein. Den Rest Rubel legen wir in Bernstein an. Der hier so billig ist, dass er günstiger ist, als bei uns Modeschmuck ...
So schön es hier auch ist, wir müssen weiter nach Nida. An der russischen Grenze verlaufen die Kontrollen wieder mehrstufig. Vorkontrolle: alles ist ok, Zollkontrolle: alles ist ok, man interessiert sich für die Außenkisten, wobei wir nur sagen müssen, was drin ist. Man lässt sich bestätigen, dass die Sandbleche tatsächlich dafür da sind, dass man sie bei Bedarf unter die Reifen legt und dann folgt noch der obligatorische Blick in das Innere des Explorers. Passkontrolle: alles ist ok, man nimmt die Urkunde für die Ausfuhr des Rangers entgegen.
Heftiges Getippe in einen PC macht klar, dass man auch hier bereits voll vernetzt ist. Dann kommt noch die Dame an der Ausreiseschranke und schon werden wir an die litauischen Grenzbeamten übergeben - wir sind wieder auf dem Weg zurück in den Schengenraum.
Ein Blick auf die nahezu ausschließlich deutschen Nobelkarossen mit russischen Kennzeichen vor und hinter uns, die hier ebenfalls warten, zeigt ebenso wie ein Blick in die Gesichter der darin befindlichen Fahrer und Beifahrer, dass die Grenze zum Schengenraum für manche Personengruppen wirklich kein Hindernis mehr und die Vereinigung von Russland und Europa wohl schon Realität zu sein scheint ...
© 2009 Text/Bilder Sixta Zerlauth