Aufbruch ins Paradies

Der nächste Morgen hält eine angenehme Überraschung bereit: Der Platz liegt in strahlendem Sonnenschein und trotz schnell ziehender Wolken sieht es aus, als könnte sich die positive Wetterüberraschung noch eine ganze Weile halten.

So unternehmen wir nach dem Frühstück einen Spaziergang in die Umgebung, der uns auch an den majestätisch dahinfließenden Whanganui führt. Hier befindet sich auch die Station unseres Flusstour-Anbieters Whanganui River Canoes, und so wollen wir uns doch einmal ansehen, was da so los ist.

Und dort herrscht tatsächlich Ruhe, niemand ist weit und breit zu sehen. Eigentlich wollten wir ja doch einfach mal Hallo sagen und uns erkundigen, wie die Lage am Fluss und an der nicht erreichbaren Brücke ins Nichts so ist. Während wir noch um das Haus streichen, nähert sich plötzlich ein Pickup, eine Frau steigt aus und kommt zu uns herüber: Es ist niemand anderes als Rebecca, die Rebecca Mead, die wie ihr Partner Ben Adam in dieser Gegend aufgewachsen ist und zusammen mit ihm bereits seit Jahrzehnten das Unternehmen betreibt.

Wir begrüßen Rebecca und erklären ihr, dass wir zu denjenigen gehören, die eigentlich heute mit ihnen zur berühmten Brücke fahren wollten, woraus ja nun nichts wird. Dabei wäre man ja auch mit einer anderen kleinen Tour zufrieden, ob sie wirklich heute gar nichts unternehmen würden? Nachdenklich kramt Rebecca in allerlei Utensilien, die sie vom Pickup zum Haus trägt ...

Der Whanganui führt Hochwasser ... Safety first ..? Ein Jetboot wird vorbereitet ...

Nun, sie würden heute wohl nur mal zu ihrem Ressort fahren, dort etwas hinbringen und dann wieder zurück. Darauf natürlich unsere Nachfrage, ob sie nicht zufällig noch einen Platz im Boot frei hätten, gern würde man schließlich ihr Ressort mal kennenlernen und dann wieder hierher mit zurückkommen. Zu unserer Freude deutet sie an, wie würde ihren Mann mal dazu befragen, der käme auch gleich. Wir sollen uns solange vor das Haus setzen und kurz warten.

Es vergeht keine Viertelstunde, bis ein weiteres Fahrzeug vor dem Haus hält: Ein ganzes Team von Leuten steigt aus, darunter auch ein älterer Mann, der hier offenbar das Sagen hat. Schnell wird klar, dass wir mit Ben sprechen, bereits nach kurzer Unterhaltung und einigen Jokes wird klar, dass hier durchaus gegenseitige Sympathie besteht und unsere Anfrage erfolgreich sein könnte.

Irgendwie scheint Ben tatsächlich zu dem Schluss zu kommen, dass wir wohl an der Ausfahrt teilnehmen könnten, sie würden etwa zwei Stunden vor Ort bleiben, etliches für eine spätere Reisegruppe vorbereiten und dann wieder hierher zurückfahren. Wir sind begeistert: Genau unser Ding, um den heutigen Tag zu nutzen, offenbar sollen wir auch ohne irgendeine Bezahlung mitkommen können. Wir erhalten Schwimmwesten und die Anweisung, unsere Regenmäntel darunter anzubehalten, denn es könnte etwas nass werden während dieser Tour ...

Kurz darauf erfolgt der Aufbruch: Gemeinsam mit den anderen Männern gehen wir zu Fuß hinunter zum Flussufer, wo bereits ein gelbes Jetboot des Unternehmens am Anleger festgemacht ist. Ben folgt mit Rebecca im Pickup und diverse Kisten und Kästen werden für das Boot ausgeladen. Irgendwie staunt man aber jetzt doch: Wie sollen alle Umstehenden und wir dazu sowie die Ladung in diesem Boot untergebracht werden? Ben beruhigt: Kein Problem, alles würde reinpassen. Nach einer Funksprechprobe von Ben mit Rebecca, die hier vor Ort bleiben wird, zeigt sich bald, dass er recht hat: Alles scheint irgendwie hineinzupassen, das Boot erweist sich innen deutlich größer als es von außen aussah.

Kaptän Ben hat alles im Blick ... Hindernisse voraus!

Wenig später lässt Ben den Motor an: Mit seiner Kappe und dem Camouflage-Outfit unter der Schwimmweste wirkt er ein wenig wie ein abenteuerlicher Piratenkapitän, der hier eindeutig das Kommando hat. Das Boot legt ab und nimmt abseits vom Anleger deutlich an Fahrt auf: Mit hoher Geschwindigkeit "jetten" wir den mächtigen Fluss aufwärts, wobei Ben mehrfach die Fahrrinne wechselt und diversem Treibgut einschließlich mehreren Baumstämmen ausweicht. Der Fluss wird von einer fantastischen Landschaft und hohen Steilufern sowie mehreren Wasserfällen eingerahmt, uns umgibt eine fast paradiesische Urweltlandschaft, die in den Höhen rund um den breiten Strom an uns vorbeifliegt. Ben vermeidet nach Möglichkeit, der Besatzung während der Fahrt Duschen zu verpassen, was erstaunlicherweise auch recht gut gelingt.

Mehr als eine halbe Stunde sind wir auf dem Fluss unterwegs und haben dabei tatsächlich den Eindruck, uns eigentlich in einer Art Jurassic Park zu befinden, während wir gut zwei Drittel der Strecke zur Bridge to Nowhere zurücklegen. Hinter einer der Flussschleifen taucht plötzlich ein Anleger mit dahinter liegender Anhöhe auf und Ben steuert das Boot an Land - wir sind am Fuße des Ressorts angekommen.

Das Boot wird von der Mannschaft entladen, am Ufer wartet bereits ein aufgeregter Hund auf sein Herrchen und auch ein Quad steht schon zum Transport bereit. Ein Teil der Männer steigt wieder ins Boot und fährt weiter in Richtung Bridge, nur kurz erwähnen sie ihr Ziel: Offenbar sind Kanuten in Schwierigkeiten geraten, denen man helfen will ...

Ankunft im Paradies ... ... oder vielleicht Jurassic Park ..? Ort zum Verweilen ...
Am Ressort ... Vorbereitungen für eine Reisegruppe ... Luxus in der Wildnis
Probleme mit Kanuten ..? Man eilt zu Hilfe ... Geldscheine passend zur Umgebung ...

Wir bekommen den Weg hinauf erklärt und machen uns an den Aufstieg: Durch eine spektakuläre Umgebung klettern wir hoch und erreichen schließlich den Gebäudekomplex, in dem noch heute eine ganze Reisegruppe untergebracht werden soll. Die Aussicht von der Veranda oben ist atemberaubend: Man blickt auf der einen Seite in ein weites Tal mit grasenden Kühen, auf der anderen Seite liegt im Wald  der imposante Fluss, der weit unten eine Kehre macht: So oder ähnlich wie hier muss es im Paradies ausgesehen haben!

Als erfahrener Spitzbergen-Reisender ist man nicht überrascht, dass man im Ressortgebäude auf seine Schuhe verzichten soll, aber draußen auf der Veranda kann man auch ein Steinlager Bier in Stiefeln genießen, das man von der Mitarbeiterin an der Bar bekommt. So lässt es sich aushalten, im immer noch strahlenden Sonnenschein mit grandiosem Ausblick -  möge sich die Mannschaft ruhig Zeit lassen bis zur Rückkehr!

Ein Gang ins Innere des Gebäude wird dennoch gewagt und bringt Erstaunliches zu Tage. Wer hier spartanische Unterkünfte erwartet hätte, wäre wohl schwer "enttäuscht": Luxus pur in den Zimmern, die alle über ein tolles Bad verfügen und sicher keine Wünsche in dieser Umgebung offenlassen.

Während später wieder der Blick hinunter auf den Fluss fällt, treibt dort in der Tiefe plötzlich ein leeres Kanu vorbei, das von der Strömung am Ufer vorbeigerissen wird - offenbar gab es weiter flussaufwärts tatsächlich irgendein Problem mit Paddlern!

Später kommt auch Ben zu uns hinaus, jetzt auf Socken und nicht mehr im Piratenlook. Er bestätigt voll und ganz den Eindruck der Besucher: Ja, man wäre hier wirklich im Paradies. Man sieht ihm an, dass er das wirklich ganz ernst meint und dass er auch hochzufrieden damit ist, hier leben und arbeiten zu können. Wer kann ihm das an dieser Stelle verdenken, kommt da etwa Neid auf bei jemandem, der weiß, wohin er wieder zurückkehren muss in naher Zukunft ..!?

Alle Mann bereit zur Rückfahrt? Auch der Hund würde gern mitfahren ... Die "River Canoes" sind bereit ...
Wilder Ritt zurück ... Neues Jetboot in Vorbereitung ... Auch deren Ritt beginnt Rückkehr erfolgreich!

Irgendwann ist es wieder Zeit für die Rückfahrt nach Pipiriki. Wir machen uns auf den Abstieg zum Boot und werden unten überrascht: Ein großes neues Jetboot für viele Passagiere liegt ebenfalls am Anlieger. Wir erfahren, dass heute die erste Tour damit ansteht, die besagte Reisegruppe wird am späten Nachmittag damit hierher gebracht. Zurück wird es - natürlich - von Ben gesteuert, wir selbst werden wieder mit unserem vertrauten gelben Jetboot zurückfahren, darin außer uns nur einer seiner Jungs, der diesmal ans Steuer darf.

Wir ziehen noch einige Kreise um den Anleger, während wir zuschauen, wie das große Boot für die Fahrt vorbereitet wird. Wir erfahren, dass es genau so schnell ist wie unseres und dass uns Ben damit wohl ziemlich dicht auf dem Fuße folgen wird. Dann heißt es Gas geben: Der Chef ist nicht an Bord und so kann nun mal "richtig" gekurvt und Vollgas gegeben werden. Wir rasen auf dem breiten Fluss zurück, nicht nur beim Steuermann, sondern auch bei den Passagieren steigt der Adrenalinspiegel - nur Tiefflug kann noch spannender sein!

Es gelingt, allen Hindernissen auszuweichen und tatsächlich dreht sich unser "Kapitän" mehrfach um, weil er vermutet, dass Ben mit ähnlicher Geschwindigkeit nicht weit hinter uns ist. Dass er mit dieser Vermutung recht hat, merken wir bereits kurz nach unserer Ankunft: Wir haben das Boot kaum verlassen, als das große silbrige Jetboot ebenfalls heranschießt. Aus Sichtgründen hat Ben dabei sogar die Vorderklappe etwas heruntergelassen, so dass es nun fast so wirkt wie ein Landungsboot.

Nachdem schließlich alles vertäut und entladen ist, machen wir uns wieder auf den Fußweg zurück zur Station: Ben und seine Truppe überholen uns mit dem Pickup auf dem Weg hinauf.

Oben angekommen erwartet uns schon ein Bus mit der Reisegruppe, die heute noch zum Ressort im großen Boot aufbrechen wird. Es gelingt uns noch, im ganzen Trubel von Ben und seiner Truppe Abschied zu nehmen, diese Tour war wirklich ein wahrer Genuss. Ben winkt uns noch nach, bis wir um die Ecke biegen auf dem Weg zu unserem Camp - ihn und seine Gruppe können wir nur allen sehr empfehlen, die sich in dieser Region Neuseelands auf die fantastische Flussreise machen wollen - selbst wenn sie anders als wir heute vermutlich dafür etwas bezahlen müssen.

Aber es wird sich auch dann lohnen ..!


© 2020 J. de Haas