Teil 7: Retour Syrien (16.05. - 22.05.2010)
In Ermangelung eines schönen Stellplatzes verbringen wir die Nacht vor unserer Einreise nach Syrien nahe der Grenze inmitten einer Schotterebene. In der Nähe leuchten die Lichter einzelner Beduinenzelte und einsamer Hütten. Nachts schrecken wir in unserem Auto hoch: Wenige Meter entfernt hat ein Einheimischer wohl die Kombination aus Bodenwelle, Geschwindigkeit und Federweg seines Fahrzeuges völlig falsch einschätzt und rast mit einem ohrenbetäubenden Scheppern an uns vorbei. Nachdem er dann auch noch für eine halbe Stunde in der Nähe mit laufendem Motor laut unterhaltend stehen bleibt, brauchen wir doch geraume Zeit, bis wir unsere Ruhe wiederfinden.
Der Grenzübertritt verläuft ohne Probleme, wenn auch die Preisbildung für Steuer, Einreise Fahrzeug und sonstige Positionen sich von der ersten Einreise unterscheidet und doch um einiges teurer ist. So ist eben der Orient und die Reproduzierbarkeit von Amtshandlungen ist wohl nicht die Stärke der Syrer ...
Dank der GPS Koordinaten finden wir den Campingplatz in Damaskus, im Norden der Stadt gelegen. Wer einen Platz nach europäischen Zuschnitt erwartet, wird enttäuscht: Der Platz liegt in einem Wohnviertel, wie es ärmlicher kaum sein könnte. Kinder spielen in brennenden Müllhaufen, die Kanalisation und kleinere Bäche lassen sich nicht voneinander trennen, Staub und Sand liegen in der Luft. Vieles wirkt archaisch und chaotisch. Wir sind offensichtlich zwei Fremdkörper hier, aber alle sind freundlich, grüßen uns und wir haben nie das Gefühl der Unsicherheit. Der Campingplatz ist eine Wiese, eingegrenzt von einem Wohnblock und kleineren landwirtschaftlich genutzten Grundstücken. Die Sanitäranlagen sind landestypisch und soweit ok ...
Wir treffen hier einige Reisende, insbesondere unterhalten wir uns länger mit einem Pärchen, das mit einem alten Polizei-LKW (Mercedes-Rundhauber) auf dem Heimweg von einer zweijährigen Afrika-Umrundung ist. Die kommenden Tage fahren wir jeweils mit einem Taxi in die Innenstadt von Damaskus und lassen uns von dem Zauber der unzähligen Geschäfte im Suq sowie der wundervollen Umayyaden-Moschee einfangen.
Wunderbare Stoffe aus Damast wechseln den Besitzer, Parfüms (egal ob Chanel, Jil Sander oder Hugo Boss) werden zum Spottpreis von 1 EUR für 50 ml frisch in neutrale Flakons für uns abgefüllt. Imbiss- und Eisstände kümmern sich um unser Wohlbefinden und wenn die Füße schwer werden, gibt es unzählige Teehäuser zum Verweilen. Abends bringt uns das Taxi jeweils wohlbehalten zum Campingplatz zurück. Die Visitenkarte des Platzes mit der Wegbeschreibung ist jedoch nutzlos, die Fahrer verlassen sich lieber auf mein GPS oder unsere inzwischen gereifte Ortskenntnis. Bei Fahrtantritt beteuern jedoch alle, dass sie den Weg kennen. Der Preis für die gut 10 km lange Strecke beträgt übrigens umgerechnet 2 EUR ...
Der Abschied von Damaskus nach drei Nächten fällt uns schwer, aber Palmyra ruft. In den Reiseführern ist es als das schönste Ruinenfeld Syriens beschrieben und darf somit auf unserer Rundreise nicht fehlen. Palmyra ist eine Oase und liegt auf halber Strecke zwischen dem Mittelmeer und dem Euphrat. Die Stadt war früher ein wichtiger Handelspunkt und Karawanenstation und wurde im 2. Jahrtausend v. Chr. von den Assyrern Tadmur genannt ...
Dank 4x4 können wir eine kleine Anhöhe unterhalb der Festung als unseren Stellplatz auswählen und haben noch einen herrlichen Blick auf die beleuchtete Burg und das gesamte Ruinenfeld. Der Wind bläst nachts in erheblicher Stärke, sodass wir leider unser Hubdach nicht benutzen können und unser gemeinsames Bett im Auto mit 90 cm Breite überschaubar bleibt.
Wir verlassen Palmyra am folgenden Nachmittag; eine gewisse Müdigkeit bezüglich historischer Säulen und Steine zeichnet sich inzwischen bei uns ab. Wir fahren noch weiter nach Osten durch die Gesteinswüste und wollen an einem alten Wüstenschloss, namens Qasr al-Hair al Gharbi übernachten. Das Schloss wurde 728 von Kalifen als "Naherholungsziel" errichtet. Das Hauptgebäude muss man sich als 70 m langes Quadrat vorstellen, gesäumt von mächtigen Ecktürmen. Innerhalb der Mauern ist das meiste zerfallen, dennoch lassen die Ruinen noch so einige mächtige Gebäude erkennen. Im Gegensatz zu Palmyra ist wenig restauriert, viele Steine und Säulen liegen noch so, wie sie von Erdbeben oder Verwüstungen hinterlassen wurden.
Unseren Nachtplatz vor dem Eingangsportal verlassen wir nach Einbruch der Dunkelheit, da umherstreunende Viehhirten uns nicht das Gefühl der Sicherheit geben. Immer wieder fühlen wir uns beobachtet und uns treffen argwöhnische, verstohlene Blicke. Gesten zeigen uns, dass sie sich für unsere Schaufel interessieren. Um Ärger aus dem Weg zu gehen, fahren nachts noch einige Kilometer in die Wüste hinein und übernachten leider völlig ungeschützt vor dem starken Wind, aber in Ruhe vor ungebetenen Gästen erneut auf 90 cm Breite.
Am 21.05. steuern wir unser letztes Ziel dieser Reise, den Euphrat an. Ein Staudamm hat aus dem Fluss im nordwestlichen Syrien einen riesigen See mit bald 100 km Länge entstehen lassen. Hier befindet sich in einer sehr schönen Lage eine alte Burg (Qala´at Djabr), der sich bereits die Kreuzritter bemächtigt hatten. Im Ort ath-Thaura, kurz vor der Burg gelegen, kaufen wir noch Fladenbrot und Milch ein. Die ältere Ladenbesitzerin lädt uns anschließend noch auf einen Kaffee ein. Kurz darauf kommen ihre Kinder und aus der Kaffeerunde wird eine fast 3-stündige Plauderrunde im Hause einer ihrer Töchter, die uns stolz ihr 20 Tage altes Baby zeigt.
Einige der 10-köpfigen Runde können etwas Englisch und bald sind wir in tiefen Gesprächen, insbesondere über die Rolle der Frau und Mutter im Islam gelandet. Die stolze Mutter von 4 Kindern erzählt uns verärgert, dass ihr Mann aktuell mit seiner zweiten Frau in Saudi-Arabien lebt. Als dann noch just in diesem Moment ihr Mann aus Saudi-Arabien anruft, werden solche islamischen Eheverhältnisse sehr plastisch für uns.
Sie sind sehr an den familiären Verhältnissen in Deutschland interessiert. Einmal mehr zeigen wir die Bilder unserer Familie und erfahren, dass eine Familie mit 3 Kindern doch gar nicht groß ist. Syrische Familien haben oft 6-8 Kinder. Erneut sehen wir, wie einfach die Lebensumstände insbesondere auf dem Land sind: Das Wohnzimmer, das zur Hauptsache aus Fernseher, Teppich und Kissen besteht, wird nachts zum Schlafsaal, das WC-Haus steht am Ende des kleinen Gartens und die Küche ist ein kleiner Extraraum.
Viel mehr haben wir nicht gesehen: Nach mehreren Tassen Tee müssen wir weiter, erhalten noch einige Rosen als Blumengeschenk und verabschieden uns hupend von allen, da inzwischen auch die erweiterte Nachbarschaft von diesem Besuch erfahren hat ...
Fazit unserer Reise:
Neben den vielen landschaftlichen, kulturellen und historischen Eindrücken hat uns der direkte Kontakt zu den Menschen sehr beeindruckt. Eigene Offenheit vorausgesetzt, zeigen sie uns ihre unermessliche Gastfreundschaft, freuen sich über uns und heißen uns in ihren Ländern willkommen. Auch wenn die Gesprächsführung nicht immer einfach ist, Hände und Mimik oft weiterhelfen müssen, erfahren wir so einiges über die Lebensumstände und Einstellungen in diesen Ländern. Wir sehen einmal mehr, dass unsere mitteleuropäischen Werte, Vorstellungen und Einstellungen hier ganz anders gesehen werden und wir reisen mit dem Gefühl zurück nach Hause, dass so manche politischen Entscheidungen, den Nahen Osten betreffend, bei uns ohne ausreichende Kenntnis der Mentalität und der Lebensumstände dieser Menschen getroffen werden.
Die Suq´s von Damaskus und Aleppo sind alleine bereits eine Reise wert, Jordanien punktet mit grandiosen Landschaften und natürlich mit der Felsenstadt Petra. Die historischen Stätten zeugen in beiden Ländern von der Schaffenskraft und der kulturellen Blüte der damaligen Völker und beeindruckt steht man vor den Resten der großen alten Bauwerke und versucht ein Gefühl für die damalige Lebensweise zu gewinnen.
Das Reisen in diese Länder ist faszinierend und ich kann jeden nur ermuntern, sich diese Länder auf eigene Faust zu erschließen: Der Dank für die Mühen einer Individualreise sind unvergleichliche Reiseimpressionen ...
Hans-Jörg & Sonny
© 2010 Hans-Jörg Wiebe
Anm. der Redaktion: Weitere Berichte von Hans-Jörg Wiebe führen uns nach Südamerika, Island, Italien und in den Iran:
- Iran 2015: Sieben Wochen und 8.000 Kilometer ...
- Südamerika 2008/2009: Mit dem Toyota von den Anden bis nach Feuerland
- Island 2000 (2): Die lange Anreise mit Familie ...
- Italien 2000: In die Berge von Piemont und Ligurien
- Weitere Beiträge von Hans-Jörg finden sich in unserer Autorenübersicht!