"700 Jahre Schiffsbau" im Modellbau der Luxusklasse

Von der Kogge bis zum Containerschiff ...


Wenn in Ebersberg schon mal eine Modellbauausstellung stattfindet, müssen wir tatsächlich unseren Modellkeller verlassen und rauf bis zum Raum "Unterm First" im Klosterbauhof des Ortes - und schauen, was andere Modellbauer so "gebastelt" haben ...

Blick über die Tirpitz zu den Koggen ... Das Rauthaus von Ebersberg und das Containerschiff ...
... ohne Plan geht nix ...

"Bastelei" ist aber sicher nicht der korrekte Begriff für das, was hier ausgestellt wird, vielmehr handelt es sich um detaillierte, extrem aufwändige Konstruktionsarbeiten, die den "normalen" Modellbauer ganz ein wenig erbleichen lassen ...

Aussteller sind die Mitglieder des Vereins OLYMPIC DELPHIN '72 e.V., der - man wundert sich wenig - bereits im Jahr 1972 gegründet wurde. In den besten Zeiten waren dort 300 Mitglieder aktiv, heute sind es nur noch 9, überwiegend schon im Rentenalter. Das hat zur Folge, dass diese Ausstellung in Ebersberg die letzte Ausstellung des Vereins sein wird. Als Mitglied des Dachverbands NAVIGA, dem alle deutschen Schiffsmodellbauvereine angehören, konnten die Modellbauer des OLYMPIC DELPHIN '72 e.V. einige deutsche Meistertitel und sogar einen Weltmeistertitel erringen.

Nachwuchs für den Verein ist keiner in Sicht, denn der Modellbau in dieser Luxusklasse ist sehr zeitaufwändig, langwierig und braucht extreme Geduld und Liebe - ja fast Besessenheit - zum Detail, Anforderungen, die für junge Leute heutzutage offenbar nur noch wenig attraktiv erscheinen ... Mit der Ausstellung in Ebersberg schließt sich der Kreis, denn die erste Ausstellung des Vereins fand vor 35 Jahren im Rathaus Ebersberg statt.

Ziel des Vereins ist der Bau von detailgetreuen Schiffsmodellen im Maßstab 1:100. Dabei entstehen je nach Schiffstyp recht große Modelle - bis zu 2,60 m lang, die mit ihren 40 kg - 50 kg nur schwierig zu transportieren sind. Alle hier ausgestellten Modelle sind schwimmfähig und fernsteuerbar, LED´s für die Beleuchtung wurden ebenfalls eingebaut ...

Die Great Britain 1845 ... ... und ihre Details

Dadurch dass alle Schiffe den gleichen Maßstab haben, sind sie gut miteinander vergleichbar. Auf den Schiffen finden sich natürlich ebenfalls maßstabsgerechte Passagiere und Arbeiter in historischen Gewändern.

Aber damit die Ausstellungsbesucher ein gutes Gefühl für die Größe der Schiffe haben, wurde auch ein 1:100 Modell vom Rathaus Ebersberg erstellt, und unter großem Staunen erkennen die Besucher, dass das Rathaus bequem auf einem modernen Containerschiff Platz finden würde ...

Andererseits kann man mit leichtem Gruseln die vergleichsweise winzige Santa Maria betrachten, mit der einst Columbus ins Nichts segelte auf der Suche nach Indien. Immer wieder verharren die Besucher vor den Schlachtschiffen Tirpitz und Bismarck und scheinen sich dabei zu erinnern an die schrecklichen Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg und vielleicht auch an die relativ kurze Geschichte dieser Schlachtschiffe ...

Die Bauzeit solcher Schiffsmodelle dauert Jahre, mitunter sogar Jahrzehnte. Ein großer Teil der Zeit wird verwendet für Recherchen und das Finden von originalen Bauplänen. Oft müssen Details aus zeitgenössischen Fotografien oder Beschreibungen entnommen werden. Manchmal hat man Glück und findet andere Freaks, deren Hobby es ist, detaillierte Pläne inklusive Takelage von alten Segelschiffen zu zeichnen.

Kleinteile für die Modelle ... Details zum Bau einer Winde ...

Diese Form von Modellbau fordert viele Fähigkeiten: Neben feinen Metall- und Holzarbeiten müssen Vorlagen zum Ätzen oder zum Gießen von Messingteilen erstellt werden, man muss geschickt mit feinsten Garnen und Stoffen umgehen können, Metalle auf Uhrmacherwerkbänken bearbeiten, Kunststoffteile erstellen und versiert sein im Umgang mit allerlei Klebstoffen. Das hat insgesamt den Vorteil, dass man dann seine Fähigkeiten auch als Heimwerker vielseitig einsetzen kann ...

Manchmal wird auch auf Teile von Fertigmodellbaukästen zurückgegriffen, z.B. bei Rettungsbooten. Diese Teile werden aber als Vorlage genutzt oder anderweitig gepimpt. Für das Diorama, z.B. den Quai, finden sich auch Kartonmodelle.

Die R.C. Rickmers 1906 - Takelage für Experten ... ... der Quai für Kartonmodellbauer ...
... für jedes Schiff ein Buch ...

Der kurioseste Fall ist eine Ankerkette: Der Modellbauer entdeckte ein passendes Teil in einem Schmuckkatalog, bestellte zunächst die Goldkette und versilberte diese um sie dann zu schwärzen, damit sie zum Modell passte. Neben handwerklichem Geschick und technischem Verständnis benötigt man also auch Kreativität, um die Probleme beim Nachbau der Schiffe zu lösen.

Die Ausstellung ist liebevoll dekoriert mit Flaggen und Plakaten der Reedereien, Planskizzen und allerlei Memorabilien der Schiffe. Die Decken der Ausstellungstische sind blau, das soll an Wasser erinnern. Der Modellbauer Reinhold Schmatzer hat für seine Schiffe jeweils ein Buch erstellt, mit Schiffsdaten, der Schiffsgeschichte, Originalfotografien, Plänen, Bilder zum Baufortschritt und Detailbildern des Modells.

Das Besondere an dieser Ausstellung sind auch die Modellbauer selbst, die bei ihren Schiffen alle Fragen zum Modell beantworten und Anschauungsbeispiele haben, an denen man nachvollziehen kann, wie die Kleinteile eines solchen Schiffes entstehen.

Die Bismarck 1939 mit Bildern der Reste unter Wasser ... Marinefährprahm Typ D1, 2. Weltkrieg (Landungsboot) ...

Daneben erzählen die Modellbauer auch viel zur Geschichte rings um die Schiffe, wann und unter welchen Umständen sie erbaut wurden, die politische Situation, gesellschaftliche Ereignisse und was aus den Schiffen geworden ist, wo die Wracks liegen bzw. wo man sie noch besichtigen kann. Gerne geben sie an Besucher, die sich selbst im Modellbau versuchen, hilfreiche Tipps, Bezugsquellen oder Werkstattservices weiter.

Schade, dass es diese Ausstellung in so einer Form nicht mehr geben wird. Natürlich kann man auch in Museen Modelle betrachten, aber da fehlt der direkte Kontakt zu den Modellbauern mit ihren Geschichten, was diese Ausstellung ja so lebendig macht ...


© 2019 Sixta Zerlauth