Die Auferstehung der AMERICAN STAR
... und nun ein 3D-Modell ...
Vorbemerkung der Redaktion
Im Laufe der vielen Jahre, während der wir uns mit dem Wrack der AMERICAN STAR vor der Küste von Fuerteventura beschäftigt haben, meldete sich bei uns auch einst ein Modellbauer, der für einen Beitrag in unserem Modellkeller Bilder seiner Arbeiten lieferte und sich als begeisterter Fan des Schiffes outete.
Und auch nun ist es wieder ein Modellbauer, der durch unsere Beiträge auf das Schiff aufmerksam wurde und uns schon mehrfach Anmerkungen zum Wrack geschickt hatte. Doch diesmal ist es etwas anderes, das uns Agustin Bilbao aus Argentinien vorstellt: Ein von ihm selbst entwickeltes 3D-Modell!
Die Idee und ihre Realisierung
Bei all den Schiffswracks, die ich kenne und die nicht durch Versenkung entstanden sind, gibt es viele Gründe, warum unter diesen die AMERICAN STAR mein Favorit ist: Die enorme Größe des Schiffes, die Nähe zum Ufer auf Fuerteventura, die ganz besondere Atmosphäre dort an der Playa de Garcey, der lange Jahre dauernde Zerfallsprozess und vor allem ihre Jahrzehnte währende Geschichte unter verschiedenen Namen und in unterschiedlichen Einsatzbereichen sind dabei aufzuzählen.
Sie begann als Amerikas größter und luxuriösester Ozeandampfer und diente später als Truppentransporter während des Zweiten Weltkriegs, danach folgte eine fast 15-jährige Karriere bei Chandris Lines. Im Anschluss durchlief sie eine Zeit ungewisser Zukunft in Griechenland und schließlich zuletzt als ein kultisches Schiffswrack, welches als Denkmal für all das diente, was sie für jene Menschen war, die früher mit ihr fuhren.
Die Idee, ein 3D-Modell dieses Schiffes zu bauen, entstand aus meinem Hobby, mit Hilfe der 3D-Modellierungssoftware Blender Flugzeuge für den skalierbaren Druck zu modellieren und die daraus entstehenden STL-Dateien im Internet zu verkaufen.
Ich lernte die AMERICAN STAR erstmalig im Jahr 2016 durch Artikel im Explorer Magazin kennen und in der Folge arbeitete ich mich durch unzählige Bilder, angefangen im Jahr 1994 mit ihrem Auflaufen vor der Küste von Fuerteventura bis hin zum endgültigen Zusammenbruch des verbliebenen Bugs im März 2007. Es erstaunte mich seinerzeit sehr, dass ein derart großes Gebilde unweit der Küstenlinie nahezu vollkommen unter der Wasseroberfläche verschwinden konnte, wo hier in der Nähe des Wracks doch bei Ebbe manchmal nur Wassertiefen von zwei bis vier Metern herrschen sollen, wie ich hörte.
Ich entschloss mich dazu, ein 3D-Modell des Schiffs zu erstellen, das für ein Rendering verwendet werden kann, also die grafische 3D-Darstellung dieses Objekts und dabei auch die Animation des 13-jährigen Zerfallsprozesses ermöglichen soll.
Die Erstellung solcher Modelle kann man sich vorstellen wie das "Einpacken" des Objekts in ein Drahtgitter. Benutzt man ein grobmaschiges Drahtgitter, wird auch die Form sehr grob abgebildet, und je feiner das Drahtgitter wird, umso mehr Details können ausgeformt werden. Es entstehen also abhängig von der Feinheit des Gitters immer mehr Polygone, wie man das am Fuß im Bild unten erkennen kann.
Bei Modellen, die für den 3D-Druck verwendet werden, ist eine sehr hohe Polygonzahl erforderlich, d.h. verwendete Knotenpunkte bei der grafischen Darstellung. Deshalb sind sie schwierig aufzubauen und benötigen lange Zeit für das Rendering. Aus diesem Grund erstellte ich letztlich zwei separate Modelle:
Das erste war ein druckbares 3D-Modell im Maßstab 1:400. Als Referenz dafür verwendete ich Blaupausen für den Umriss, die Draufsicht und den Querschnitt des Schiffes. Hierdurch wird das Modellieren von Details an der richtigen Stelle und im korrekten Maßstab erleichtert.
Der Rumpf wurde ursprünglich als Polygonnetz mit geringer Anzahl von Knotenpunkten modelliert. Durch ein spezielles "subdivision surface" Verfahren, die Verwendung von "Unterteilungsflächen", wurde die Anzahl dieser Punkte schließlich exponentiell erhöht, bis die Oberfläche glatt genug war für den späteren 3D-Druck.
Fenster und Bullaugen wurden in den Rumpf eingebracht durch eine sogenannte "Boolesche Operation", bei der geometrische Objekte unterschiedlich verbunden werden können. In diesem Fall wurden Zylinder und Quader verwendet, um Löcher in den Rumpf zu schneiden. Um sie längsgerichtet und gekrümmt korrekt auszurichten, habe ich sogenannte "Bezier-Kurven" verwendet, die mit Hilfe des Booleschen Tools der Software erstellt wurden und Schnitte von gekrümmten Flächen auf jedem Deck des Schiffs erzeugten. Verbindet man üblicherweise zwei Punkte (P0 und P2) mit einer geraden Linie, kann man bei Bezier-Kurven die Linie krümmen durch sogenannte Kontrollpunkte (P1), wie in der Animation rechts zu sehen ist.
Das endgültige Modell wurde derart in verschiedene Teile für den Druck zerlegt, dass es für 3D-Drucker besser passt. Dies machte es möglich, zusätzlich auch eine Version mit gekürztem vorderen Schornstein hinzuzufügen. Hier findet man die Dateien dazu.
Als nächstes der Schritt zur Simulation
Das 3D-Drucken eines "richtigen" Plastikmodells, das man anschließend (fast wie bei einem Revell-Modell! ) dann auch selbst anstreichen muss mit den passenden Farben, ist eine Seite dieser Aktivitäten. Aber kann man ein virtuelles 3D-Modell nicht auch für andere Zwecke verwenden? Ja, nämlich für die Simulation von Vorgängen in fiktiven Umgebungen und Situationen, ganz ähnlich wie in entsprechenden Computerspielen.
Dazu kommen wir nun: Das zweite Modell besteht aus einer geringeren Anzahl an Knotenpunkten und soll beim Rendern verwendet werden. Die Drahtgitteransicht zeigt die Geometrie des Modells. Die Bullaugen, quadratische Promenadendeckfenster und Beschriftungen sind nicht direkt auf dem Rumpf angebracht, sondern in getrennte Maschen darauf platziert, was die Nahansicht aus bestimmten Blickwinkeln ermöglicht, die andernfalls eine Struktur in sehr hoher Auflösung erfordert hätte.
Die Fenster waren genauso angelegt wie bei dem ersten Modell (normalerweise hätten sie eine glänzende Glasstruktur, aber da die Einheimischen sie vom Schiff entfernt haben, ersetzte ich solche Bereiche durch eine dunkle und raue Struktur).
Für fotorealistische Texturen verwendete ich Physically Based Rendering (PBR) mit drei separaten Texturabbildungen für dasselbe Objekt: Die Grundfarbe, eine Abbildung der "Rauheit", die eine realistische, unvollkommene Oberfläche widerspiegelt und schließlich noch eine "normale" Abbildung, die Unebenheiten auf den Oberflächen simuliert, ohne die tatsächliche Geometrie zu ändern (in diesem Fall die rechteckige Rumpfbeschichtung).
Außerdem habe ich noch einen Schmutz-Effekt über diese Texturen gelegt, um den "abgenutzten" Anblick wiederzugeben, den das echte Schiff Anfang der neunziger Jahre bot.
Die normale Abbildung der Rumpfbeschichtung erfolgte durch Verwendung eines eigenen Knotenverfahrens der Blender Modellierungssoftware und die Farben wurden manuell mittels "Pinseln" aufgetragen. Alles Übrige erfolgte durch Downloads von textures.com.
Der nächste Schritt war das Modellieren der Playa de Garcey sowie der sie umgebenden Klippen. Genau wie beim Schiff begann ich mit einem Polygonnetz mit geringer Anzahl von Knotenpunkten, die ich schließlich durch zusätzliche verfeinerte. Für die felsigen Oberflächen entlang der Küstenlinie verwendete ich die verfügbaren Gestaltungstools der Modellierungssoftware. Für die Gestaltung der See verwendete ich das "Ocean Modificator"-Tool mit der Erzeugung einer Reflexion auf dem Wasser.
Um eine möglichst realistische Beleuchtung zu erzielen, verwendete ich das HDRI-Datenformat, außerdem einen "flachen" Himmel, der kugelförmig um die Szenerie verläuft und sowohl als Hintergrund sowie auch als Lichtquelle dient. Es gibt dabei unterschiedliche Versionen für Morgen-, Mittags-, Abend- und Nachtstunden.
Und was kommt nun als nächstes? Für die Landmodellierung muss ich Fels-, Sand- und Schmutzstrukturen mischen, aber jede von diesen haben jeweils die schon erwähnten drei separaten Texturabbildungen für Grundfarbe, Rauheit und Normalität. Ich habe immer noch keinen einfachen Weg gefunden, um das zu realisieren (Das Knotensystem der Software ist zwar leistungsstark, bietet hierbei aber überhaupt keine Unterstützung).
Der nächste Schritt ist das Auseinanderbrechen des Schiffes in derselben Art und Weise zu simulieren wie es in der Realität erfolgte, wobei entsprechend zusätzliche Roststrukturen am Rumpf erzeugt werden müssen. Die vorhandenen Bilder vom Zerfall des Bugs im Zeitraum von 2005 bis 2007 dienen für diese Arbeit als nützliche Referenz. Und obwohl das Heck nicht so lange durchhielt wie der Bug, sind auch davon Bilder im Internet zu finden, die den Zustand von der See her gesehen zeigen im Zeitraum von 1994 bis 1996.
Das wirklich großartige an einem virtuellen Modell mit vollständiger Innenausstattung wäre, dass es dem Benutzer erlauben würde, das Wrack in ähnlicher Weise zu erkunden, wie diejenigen, die das Glück hatten, es im wirklichen Leben zu tun (dabei noch Möglichkeiten der Virtual Reality nutzen zu können, wäre dann das ultimative Erlebnis!).
Natürlich würde so etwas zu modellieren viel Zeit in Anspruch
nehmen, und auch der Detaillierungsgrad würde ein großes Team von
Spielentwicklern erfordern. Die Spiele
Titanic: Honor
and Glory und
Britannic: Patroness of the
Mediterranean sind für so etwas perfekte Beispiele. Falls ein
Entwickler derartiges für die AMERICAN STAR samt ihrem
Zerfallsprozess realisieren würde, wäre ich sicher, dass sich sehr
viele Menschen dafür interessieren!
© 2021 Agustin Bilbao, Übersetzung: Explorer Magazin
Fotos 1994: Steve Tacey, veröffentlicht auf der
S.S. Australis Homepage
Nachtrag, August 2021: Die Modellierung geht weiter!
Seit meinem obigen Beitrag habe ich nach Möglichkeiten gesucht, den äußeren Verfall der American Star im Zeitablauf nachzubilden.
Es gibt einen Artikel mit dem Titel "Prozedural Wear von A bis Z", und nachdem ich mich eine Zeitlang mit diesem beschäftigt hatte, wurde mir klar, dass nicht nur die knotenbasierten Texturen (siehe oben) WIRKLICH komplex sein können, sondern dass ich auch keine klar definierte Methode hatte, unterschiedliche Farbtöne und Rostdetails in bestimmten Bereichen darzustellen.
Im Jahr 1994 war der Rumpf noch meist dunkelblau mit roter Wasserlinie, aber bis Mitte der 2000er Jahre änderte sich dies drastisch, wie die verfügbaren Bilder des Wracks zeigen. Deshalb entschied ich mich schließlich nach einer gewissen Arbeitspause in diesem Projekt, zu einer deutlich einfacheren Methode zu wechseln.
Die "Lazy Blender Turorials" von Ian Hubert auf YouTube sind das perfekte Beispiel dafür, wie gut ein "Quick and Dirty"-Modell mit ordentlicher Beleuchtung und atmosphärischen Effekten wirken kann. Seine Texturierungsmethode besteht darin, dass er reale Bilder auf die Oberfläche des Modells projiziert (Ja, es ist so einfach wie es klingt!). Ein Programm namens "Materialize" kann dafür verwendet werden, die resultierende Textur danach zu bearbeiten und Reflexions- sowie Normal-Maps zu erhalten.
Ich begann damit, das Schiff am hinteren Schornstein zu teilen und einige der freigelegten Decks zu modellieren. Für die Texturierung von Rumpf und Aufbauten verwendete ich ein Bild vom März 1995, das eine hohe Auflösung hat und bei "neutralen" Lichtverhältnissen entstand (zu grelles Sonnenlicht kann das abschließende Rendering beeinflussen, weshalb dieser Sachverhalt wichtig war). Ein Satellitenbild von Google Earth wurde für die oberen Decks verwendet.
Das resultierende Modell wurde mit der "Cycles" Render engine und einem Mittagshimmel als Hintergrund erstellt sowie einem improvisierten Strand mit 3D-Zusatzbestandteilen, die ich von Sketchfab.com heruntergeladen hatte. Entstanden war so tatsächlich ein Bild, wie es sich bei einem typischen Wrackbesuch etwa Mitte der 1990er Jahre bot.
Was die umgebende Landschaft betrifft, kam mir die Idee in den Sinn, von irgendwo her das Gelände von Google Maps zu importieren. Ich schaute mir das an und zu meiner Überraschung war die 3D-Landschaftsdarstellung der Playa de Garcey wirklich gut, wenn man bedenkt, wie abgelegen diese Bucht ist!
Zum Glück gibt es ein Zusatzprogramm für Blender namens "Maps Model Importer", das so funktioniert, einen Screenshot des gewünschten Bereichs zu erstellen und daraus eine 3D-Datei der sichtbaren Landschaft zu generieren. Bei mir klappte das einwandfrei, wenn auch die Geometrie der Küstenlinie einige Korrekturen erforderte. Wellen und schäumendes Wasser können der Szenerie ebenfalls weitere realistische Effekte hinzufügen.
Nachdem das Modell vollständig texturiert war, konnten nun einige
Zerfallserscheinungen hinzugefügt werden. Durch die
Erstellung von Kopien und Weiterbearbeitung jeweils mit Blick auf
ein bestimmtes Jahr konnte ich den Zustand des Wracks im Zeitraum
von 1994 bis 1996 rekonstruieren und somit einen Vergleich
ermöglichen. Fast 15 Jahre nach dem endgültigen Zusammenbruch im
Jahr 2007 sind 3D-Modelle und Zeichnungen so leider die einzige
Möglichkeit, das Wrack aus Winkeln zu zeigen, die in der Realität
nie (oder sehr selten) tatsächlich fotografiert wurden ...
Ich
habe noch ein paar weitere Renderings gemacht und diese auf Google
Drive hochgeladen. Es wird mit meinem Blender-Ordner synchronisiert,
also sollte dieser
jedes Mal auf dem aktuellen Stand sein, wenn ich etwas Neues
hinzufüge!
Mein nächstes Vorhaben ist, Klaus Berends Kunstintervention "Lichtschiff" aus dem Jahr 1999 durch Bearbeiten der Rumpftextur als separates Modell nachzubauen. Das ermöglicht, die Bullaugen als Lichtquelle darzustellen und die Scheinwerfer zu simulieren, die für diesen Anlass im Wrack platziert wurden. Sechs Jahrzehnte nach seiner Erbauung es war das letzte Mal, dass das Schiff die Nacht erhellte ... ein wahrhaft angemessener Abschied nach all seinen Dienstjahren ...