Dienstag, 28.12.99: Die Einweisungstour ...
7:00 Uhr klingelt der Wecker, aufstehen! Raus aus dem warmen Schlafsack - frisch ist es in der Blockhütte und noch erfrischender scheint die Schneewäsche zu sein, die Jürgen vor der Tür praktiziert. Die ist zwar keine Pflicht, schließlich gibt es im Farmhaus eine warme Dusche, aber wann hat man schon Gelegenheit, sich im Schnee auszutoben ...
Beim Frühstück erwarten uns kleine Kärtchen mit den Namen unserer Gespanne. Jeder wird ein Gespann mit 6 Hunden fahren. Klar, dass meine Leithündin Chocolate ist, denn gestern Abend haben wir uns ausgiebig in den Armen gelegen! Es wird den Leser auch kaum erstaunen, dass Frosty in Jürgens Explorer Team ist. Stefan fährt natürlich mit doppelt so großem Team: 12 Hunde ziehen seinen Schlitten.
Meine Teamaufstellung beginnend von hinten: "Socke" und "Wolf" (Vater und Sohn, zwei zuverlässige Kraftbolzen), "Louis" und "Lisa" (zwei echte Profis in der Mitte) und "Chocolate" mit dem schönen, scheuen "Floyd" vorne weg als Leithunde. Ob rechts oder links, ist meinen Hunden egal, sie laufen stets zuverlässig.
Das Explorer Team ist da schon genauer zu beschreiben: Ganz hinten Jürgen, der "Explorer" als Musher, hinten links "Junior", rechts "Frosty" (die "Arbeitstiere" direkt vor dem Schlitten), davor links in der Mitte "Milk", rechts daneben "Yukon" und als Leithunde vorn "Venus" und "Merlin", jeder mal auf einer anderen Seite.
Ab geht es in die Arena. Stefan läßt die 36 Hunde für unsere Schlitten und den einen oder anderen, der halt auch in die Arena will, loslaufen. Die Hunde toben umher.
Derweil erklären uns Nicole und Stefan ausführlich, wie so ein Schlitten gefahren wird, insbesondere die Bremsvorrichtungen (Schneebremse mit 2 Metallklauen, als "sanfte" Bremse eine Gummimatte, dann der Schneeanker). Wichtigste Regel: In Kurven nicht bremsen! Ansonsten wird der Kurvenradius für den Schlitten zu eng und man landet neben der Kurve. Danach werden die Schlitten verankert und an Pfosten zusätzlich festgebunden ...
Nun müssen die umhertollenden Hunde "eingefangen", die richtigen Geschirre ausgewählt (es gibt 3 unterschiedliche Größen) und übergestreift werden. Man merkt, die Hunde lieben es, denn sie helfen beim Anziehen mit. Anschließend werden die Hunde an der "Gangline" (das ist die lange Mittelleine), am Hals mit der "Neckline" und am Geschirr mit der "Tugline" festgemacht. Man beginnt mit den Leithunden und arbeitet sich paarweise nach hinten ...
Alles wirkt etwas chaotisch, die Hunde sind heiß auf den Start und springen - auch wenn sie schon "festgemacht" sind - hin und her, drunter und drüber, dazu schallt freudiges Gebell in die Arena.
Endlich sind alle Schlitten komplett und die Hunde außer Rand und Band, jetzt verstehen wir, warum die Schlitten sowohl verankert als auch am Pfosten festgebunden sind!
Jetzt geht´s los, Nicole hilft uns beim Lösen der Schlitten und alle hetzen hinter Stefan her mit rasender Schussfahrt raus aus der Farm. Nicole schreit noch "Bremsen" hinter uns her! Es ist ein Sprung ins kalte Wasser, denn die kurvige Ausfahrt ist für uns Anfänger schwierig.
Zum Glück kommt zuerst eine kurze Steigung, aber dann geht es schon abwärts, wo die Hunde richtig Gas geben, denn abwärts, das lieben sie! Meine Hunde geben zuviel Gas (für mich) und im hohen Bogen fliege ich vom Schlitten in den weichen Pulverschnee. Werden die Hunde stehen bleiben? Von wegen! Sie rasen nun herrenlos und sichtlich erleichtert an allen anderen vorbei zu Stefan, der die Leithunde stoppt, bis ich - ziemlich unbeweglich im dicken Thermoanzug - angestapft komme und wieder aufsteige. Weiter geht die turbulente Hatz über eine kleine, kaum befahrene Straße, die Nicole für uns absperrt, mit kleinen Sprungeinlagen über die Schneehaufen am Straßenrand ...
Doch bald sind wir auf einem ehemaligen Bahndamm, da geht es erstmal eben und ziemlich gradeaus dahin. Nun hat man Zeit und Ruhe, ein Gefühl für den Schlitten zu bekommen. Mit der Gummimatte kann gebremst werden auf vereister Oberfläche oder dünner Schneedecke oder auch nur gefühlvoll, indem man sich mit beiden Füßen so auf den Schlitten stellt, dass die beiden Hacken auf die Matte drücken. Mit der eigentlichen Bremse - Metall mit zwei Klauen - kann man das Gespann zum Stehen bringen. Kommandos? Eigentlich nicht nötig, denn der Kurs unserer Gespanne wird bestimmt von Stefan und dem laufen alle hinterher! Trotzdem: "Gee" (gesprochen: Schi) heißt rechts und "Haw" (gesprochen: Hoa) heißt links. Am wichtigsten für uns ist jedoch "Steh" oder auch "Standa"!
Schon nach kurzer Zeit beginnt die Genussphase, durch traumhaft verschneite Landschaft werden die ersten Kilometer (von bereits ca. 40! am ersten Tag) bei Schneefall zurückgelegt. Wir verlassen den Bahndamm, fahren durch einen echten "Märchenwald" und schon bald ist Pause angesagt mitten in der Pampas (N61°38.803´ E013°02.024´). Schnell lodert das Lagerfeuer, die Rentierfelle werden auf die Bank in der Hütte gelegt, heißer Tee und Sandwich genossen ...
Die Pause wird auch genutzt, um die Gespanne zu loben und seinem Team einige Streicheleinheiten zu geben ...
Doch lange kann die Pause nicht dauern, die Hunde wollen weiter und das geben sie uns lautstark zu verstehen. Los geht die zweite Etappe! Wir bekommen die Schlitten besser und besser unter Kontrolle und selbst die Hunde scheinen steuerbar zu sein: Bremsen, solange das gesamte Gespann gerade steht, runter von der Bremse, wenn die Leithunde in die Kurve gehen. Dabei noch Achtung geben auf tief hängende Äste. Jürgen erinnert sich an seine Zeiten als BMW-Fahrer, überholt mich in einer Kurve, schneidet und drängt mich in den Tiefschnee ab. Aber auch mich trifft Schuld, denn in so einer Situation hat der Überholte zu bremsen oder gar stehen zu bleiben!
Der Spaß der Hunde überträgt sich voll auf uns, doch bald erkennen wir, dass die Hunde um so mehr Spaß haben und deshalb umso schneller werden, je enger, kurviger und abschüssiger die Waldwege werden. Für uns reine Nervensache und eine Frage der richtigen Technik! Meine Technik ist noch ausbaufähig, und so lande ich halt wieder im tiefen Pulverschnee ...
Während der ganzen Fahrt ist mir richtig warm, es sind "nur" -13°C, kein Problem mit unserer Astronautenausstattung: Mützen, Gesichtsschutz, Skibrille, Thermoschuhe, -anzüge, Fäustlinge. Das Barometer vom Suunto Vector zeigt an, dass das Wetter besser werden wird, gut für unsere große Tour ins Fjäll! Stefan ist belustigt von der "Messwut", denn egal ob Höhe, Uhrzeit, Wetterbericht oder Fahrtrichtung - ständig ist die "Uhr" im Einsatz.
Insgesamt waren wir 2-3 Stunden unterwegs und vor Einbruch der Dunkelheit kehren wir zurück zur Farm. Dort werden den Hunden die schweißnassen Geschirre ausgezogen, die Geschirre zum Trocken aufgehängt und die Schlitten für den nächsten Tag aufgestellt. Stefan zeigt uns, womit die Hunde gefüttert werden (kleingehacktes Fleisch, Fisch, Robbentran, Vitamin B und E), alles angerührt in riesigen Kantinenkochtöpfen, denn die insgesamt 62 Hunde können eine ganze Menge verdrücken.
Stefan füttert die Hunde, wir gehen mit Casto und Didi spazieren und ohne Schlitten ist Didi eine begeisterte Rennerin. Nun, sie hat nicht mehr zu befürchten, dass sie Schlitten ziehen muss, denn auch als Haus- und Schmusehund hat Didi ihren Platz bei Nicole und Stefan ...
© Text/Bilder 2000 S. Zerlauth
- Zum 3. Tag: Auf in die Berge!
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