Source Bleu de Meski - Erg Chebbi

Zum Sonnenuntergang erreichen wir Meski. Genauer gesagt: die blaue Quelle dort. Oder ganz exakt: das Camp gleichen Namens. Obwohl völlig touristisch vermarktet, hat sich die Source bleu de Meski doch diesen heimeligen Oasencharakter erhalten können, nach dem man so lechzt, wenn man staubfressend und hitzeschwanger egal aus welcher Himmelsrichtung hier ankommt. Das gilt zwar weniger für diese Jahreszeit, aber schon im Mai, wenn die Temperatur locker die 30°C-Marke knackt, kann man sich der Anziehungskraft der Schatten spendenden Palmen, des kühl plätschernden Quellwassers im steinernen Becken und der bunten Artisanate mit ihren meist ebenso bunten Souvenirhändlern nicht erwehren.

Abends quaken dann die Frösche, dass einem die Ohren abfallen, aber es hat was, bei diesem Orchester mit einem getarnten (!) Bierchen vorm Auto zu sitzen, die Kiddies schlafend im Bett zu wissen und Schulter an Schulter die sich minütlich dunkler verfärbende Kasbah mitten im Ziz-Tal zu beobachten. Langsam klicken sich die Sterne dazu, einer nach dem anderen, und die polyglotte Campinggemeinde um uns herum vermiest uns den Abend auch nicht mehr - vergessen der Sachse, der mir einen Elektrik-Exkurs über seine Womo-Installation ans Ohr kauen wollte, obwohl ich mich nur an seiner Platzsteckdose einstöpseln wollte; vergessen der Mecklenburger, der laut dozierend seinen noch jungfräulichen Grill auf der Mauer platzierte und sich ständig umsah, ob auch alle schauen; vergessen der Bayer, der ob seines ténéré-tauglichen LKW´s hochmütig einen Dunstkreis von 10 Metern um sein edles Gefährt für uns zur Tabuzone erklärte (... do kommt no´ oaner heit nocht ..!).

Nachts fällt die Temperatur auf genau 0°C: Wüste halt. Aber egal - tagsüber werden wieder die 20°C erreicht, wir beschließen einen Tag zu bleiben und uns die Kasbah Meski anzusehen. Es ist ein Heiligabend so richtig nach unserem Geschmack, wenn man einmal von 12 (!) italienischen "Roulotten" absieht, die später überfallartig mitten im Camp eine Wagenburg bauen, ein Lagerfeuer in der Mitte entzünden und carusomäßig Weihnachtslieder anstimmen ...

... heimeliger Oasencharakter ... am Camp der blauen Quelle ...
... mit einem getarnten Bierchen vorm Auto ... ... die Anziehungskraft Schatten spendender Palmen ...

Wir erstehen Datteln und ein wagenradgroßes Brot, und die Ware wird freundlicherweise bis vor´s Auto geliefert. Natürlich nicht ohne Hintersinn, denn der freundliche Souvenirverkäufer - nennen wir ihn einfach Mustafah - sucht nur einen Einstieg zur abendlichen Einladung in sein Artisanat. Was soll´s, wir haben endlich mal Zeit für ein kleines Palaver und ein wenig Gefeilsche, also sagen wir zu.

Vormittags, wenn die einheimischen Kids in der Schule sind, ist die Zeit für störungsfreie Besichtigungen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn es macht nicht wirklich Spaß, spießrutenlaufenderweise durch die Gegend zu stolpern, angefeuert von Rufen wie: "Monsieur, un Stylo!" "Madame, un bonbon!" "Ca va, ca va bien?" "Allemand ou Anglais?" "Un Dirham, s´il vous plaît!" Oder auch international wie: "Pistol-bum-bum!" Zumal man ja auch noch damit beschäftigt ist, gluckenhaft die eigene Brut um sich zu scharen und den Überblick nicht zu verlieren.

So steigen wir unbehelligt das Felsplateau hinauf, auf dem strategisch günstig das relativ verfallene Gemäuer thront. Bis auf die Außenmauern ist das meiste zusammengestürzt, ein Schicksal, das viele Stampflehmbauten nach Jahrzehnten ereilt, wenn sich keiner mehr um deren Erhalt kümmert. Richtig erkennbar ist nur noch die Moschee mit Gebetsnischen, Säulen und Gewölbebögen, die wohl mal die Kuppel gestützt hatten. Ein beklemmendes Gefühl bleibt, wenn man sich diese verlassene Stadtfestung mit Leben, Handel und Handwerk vorstellt. As time goes by ...

Verlassene Stadtfestung ...

Nachmittags beim Dösen vorm Auto ist easy-going angesagt. Die Kinder der Tal-Bauern pfeifen und winken zur Mauer hinauf, und es hat den Anschein, als wäre dies die Bannmeile, die sie tunlichst nicht überschreiten sollten. Solche unsichtbaren Sperrzonen gibt es überall dort, wo jemand vermeiden will, dass die Konkurrenz im eigenen Gebiet wildert, sprich ihm Geschäfte mit zahlungskräftigen Touris durch die Lappen gehen. Die Kids unten am Fuß der Campmauer versuchen trotzdem ihr Schnäppchen zu machen, und bieten uns fortwährend Flechtkamele an, obwohl wir schon zehn davon in jeder Größe im Auto hängen haben. Marketingmäßig haben sie´s noch nicht drauf, aber auch das, darauf wette ich, wird sich in wenigen Jahren ändern. Die Lernfähigkeit dieser Burschen ist phänomenal ..!

... unbehelligt auf das Felsplateau ...Ach ja, dann brennt plötzlich die wilde Müllkippe schräg unter uns. Zwar sammeln die Offiziellen des Platzes den anfallenden Müll ganz vornehm in Containern - dass sie den nicht auch noch trennen ist ein Wunder - , aber dann wird er eben doch konsequent den nächsten Hang hinabgekippt. Da stinkt er dann vor sich hin, bis eine Glasscherbe einen Halm entzündet und ein lustiges Feuerchen entfacht. Und siehe da, die Bediensteten können tatsächlich laufen - kann man ja verstehen, bevor die ganze Palmeraie in Flammen steht und ihnen diese Sommerfrische als Dukatenesel verloren geht, kommen sie in Schwung. Innerhalb einer Stunde wird dem Gequalme dann mit Wasser aus einer nahen Bewässerungsrinne ein Ende gesetzt. Jede Wette, das sie am nächsten Tag den Müll wieder an der gleichen Stelle über Bord kippen?

Abends folgen wir unserer Einladung und statten Mustafah´s Artisanat einen Besuch ab. Es folgt das übliche Feilschen mit dem ewigen Hin und Her, geh raus und komm wieder, leg noch´n T-Shirt oben drauf, aber dafür den großen Spiegel, rauf sich die Haare, komm-gute-Qualität, beim Leben meiner Mutter, okay-schlag-ein, ich bin ruiniert! 

Am Ende verlassen wir nicht unzufrieden seine Höhle mit der Erkenntnis, dass man Klamotten zwar mit eintauschen kann, aber ohne Bargeld letztendlich doch nichts geht. Zudem man aus solchen Geschäften immer mit dem Gefühl herausgeht, über den Tisch gezogen worden zu sein. Es ist halt für jemand, der es gewohnt ist, eine Tüte Milch in den Wagen zu legen und dafür den Fixpreis zu bezahlen, sehr schwierig zu begreifen, dass man statt der Milch lieber einen Teppich nehmen und dafür auch noch den Gegenwert eines Gebrauchtwagens berappen soll. Der Handel braucht eben seine Zeit, und man stelle sich dieses Geschäftsgebaren in Europa vor - es würde die Wirtschaft lahmlegen, sicherer als jede Inflation oder Energiekrise. Wir verpacken also unsere neuen Schätze und starten am nächsten Morgen durch. Ab in die Wüste - wir wollen Sand sehen.

Es verschleiert sich und der Himmel nimmt eine bedrohlich fahle Tönung an, ohne das jedoch ein Sandsturm folgt. Wetterkapriolen in der Wüste sind normal, man muss lernen es hinzunehmen und mit den Schultern zu zucken. Aber ein bisschen gefährlich sieht es schon aus, und bei solchen Gelegenheiten kommen mir immer die Szenen aus "Der Flug des Phoenix" in den Sinn ...

Tourismus mit all seinen Nebenwirkungen ...Es ist ja nun nicht so, als wären wir hier mutterseelenallein in der großen Sahara: Erfoud am Ende der asphaltierten Straßen ist eine relativ große Stadt, Rissani ist auch nicht weit, und selbst Merzouga ist sicher zu erreichen. Ein Blick auf die Karte genügt dann auch meist, um die Verhältnisse geradezurücken: Der Erg Chebbi ist ein kleines popeliges Sandkorn in der sonst vorherrschenden Hammada, und erst in Algerien beginnt der große orientalische Erg in seiner unermesslichen Ausdehnung. Wer da mitten hineingesetzt wird, der darf sich ernstlich Gedanken machen!

 Erfoud also: Tanken wäre nicht schlecht, wer weiß, wo man sich noch durchwühlen muss. Erstes Angequatsche, damit ich irgendwelche Fossilienbruchstücke kaufe, die der Typ aus vermatschtem Zeitungspapier nestelt, und er passt so gar nicht in die Kategorie "netter einheimischer Jugendlicher". Nee Junge, hier auf der dieselbesudelten Tanke nun bestimmt nicht ...

In dieser Gegend, wo der Tourismus mit all seinen Nebenwirkungen flächendeckend zugeschlagen hat, ist die an sich respektvolle Anbiet-Feilsch-Kauf-Kultur völlig den Bach runter: Unverholen wird einem das Zeug unter die Nase gehalten, und die Entscheidung, ob man sich darauf einlässt oder den Typ anbläst muss sehr schnell fallen, sonst hat er dich am Haken. Nicht selten fällt dann nämlich im folgenden Gespräch der Satz: "He, leben und leben lassen, okay?", und es kommt meistens als eine Drohung rüber, so dass man am besten das Palaver abrupt beendet und den geordneten Rückzug antritt. Ich beziehe mich hier aber ausdrücklich auf die herumlungernden Typen längs der Touri-Pisten, bei denen man vorsichtig sein sollte. Ich denke, mit ein wenig Klarheit im Kopf entwickelt man sowieso ein Gefühl dafür, wem man etwas abkaufen möchte und wem besser nicht ...


© 2006 Detlef Bauer