Rekordernte vom Apfelbaum:Das Explorer Magazin lässt Schnaps brennen ... |
Ungarn im Frühherbst 2023: An einem einzigen Apfelbaum reift eine Rekordernte - wie Trauben hängen die Äpfel an den Zweigen. Zum Glück dauert der Reifungsprozess noch an und man beginnt damit, sich Gedanken zu machen: Wohin mit den Äpfeln ..? Und was für Alternativen gibt es überhaupt?
- Lagern? Das würde für Jahrzehnte reichen, wenn die Äpfel nur so lange halten würden ...
- Einfrieren? Dann müsste man noch Tiefkühltruhen kaufen!
- Einkochen? Soviel Apfelmus oder Gelee will keiner essen.
- Apfelsaft? Das mag ja gesund sein, aber für so viele Flaschen muss auch erst Lagerplatz gefunden werden.
- Verschenken? Die meisten wollen nur ein paar Kilo, das verringert die Menge kaum. Aber immerhin, eine Nachbarin will Apfelessig herstellen und holt einige Schubkarren voller Äpfel ab ...
Bleibt aber immer noch ein riesiger Berg. Apfelessig ist für uns wirklich keine Option. Da gärt stattdessen eine andere Idee: Schnaps! Schließlich haben wir nach der Zeit mit dem alkoholfreien Wein wirklich Nachholbedarf!
Doch was genau braucht man dafür? Gärfässer, Gärröhrchen, Spundstopfen, irgendwas zum Zerkleinern der Äpfel, damit eine Maische entsteht. Damit die Maische ordentlich gärt, muss ein PH-Wert von ca. 3,5 erreicht werden. So können sich die üblen Bakterien nicht ausbreiten. Also benötigt man zum Messen PH-Indikatorpapier und zum Ansäuern Milchsäure. Zwar arbeiten viele mit Zitronensäure, Phosphor- oder Schwefelsäure, aber das gefällt uns nicht: Bei Zitronensäure hat man das Problem, dass sich die Säure abbaut, während Milchsäure stabil bleibt. Auch auf Hefezusatz verzichten wir und ebenso auf Zuckerbeigaben. In Ungarn, wo wir auch den Schnaps brennen lassen wollen, ist die Zuckerbeigabe im Gegensatz zu Deutschland erlaubt, wenn man in einer Lohnbrennerei brennen lässt. Aber wir möchten ein möglichst unverfälschtes Aroma unserer Äpfel.
Bis die Äpfel reif sind, wird das gesamte Equipment beschafft.
Von den Nachbarn wissen wir, es müssen mindestens 100 l Maische angesetzt werden, damit Brennereien den Auftrag zum Destillieren überhaupt annehmen.
Alle Äpfel werden auf einer Plane aufgetürmt, wobei die schlechten Exemplare für den Kompost aussortiert werden. Äpfel mit fauligen Stellen würden die Maische verderben. Portionsweise werden die guten Äpfel in einer Wanne gewaschen und erneut geprüft. Auch wenn man genau hinschaut, kann man dennoch nicht garantieren, dass die Maische vegan ist, irgendein Würmchen könnte sich schon in den Apfelbrei verirrt haben ...
Unser Häcksler - ein Produkt aus Tschechien - erweist sich als optimal: Man kann ihn einfach auf das Gärfass setzen und schon zerschnibbelt der Motor die Äpfel in kleinste Stückchen.
Einen ganzen Tag dauert es, bis die 3 Maischefässer gut zu 3/4 voll sind. Wir müssen Platz in den Fässern lassen, denn beim Gären blubbert die Masse hoch. Nach Messung des PH-Wertes muss jeweils ein Schuss Milchsäure darunter gemischt werden (Daumenregel: ca. 100 ml / 100 l Maische für die Senkung des PH-Werts um 0,1).
Das Gärröhrchen ist aufgesteckt und nun muss man warten, aber bereits in der Nacht ist das erste Blubb vernehmbar ... Hält man die Nase an das Gärfass, kann man den schönen Geruch von gärenden Äpfeln riechen.
Nach einigen Wochen verstummen die Gärröhrchen, die nun durch einen Spundstopfen ersetzt werden. Man muss seine Neugier im Zaum halten, denn die vergorene Maische darf so wenig wie möglich Sauerstoff bekommen, also nicht in die Gärfässer schauen! Kommt zu viel Sauerstoff rein, kann das Ergebnis statt Apfelbrand Apfelessig heißen ...
Kühl stehen die Fässer über den Winter und es beginnt die Suche nach einer Brennerei. Im Nachbarort soll es einen hervorragenden Brenner geben, der ab 100 l Maische brennt. Aber nicht für uns: Er meint zunächst, wir müssten 150 l Maische haben. Als wir ihm versichern, wir hätten auch soviel, erhöht der "gute Mann" sein Mindestlimit ganz plötzlich auf 200 l. Ganz großartiger Geschäftsmann, aber da können und wollen wir nicht mithalten ...
Das Internet ist auch keine Hilfe, denn finden wir einen Betrieb, so erhalten wir auf unsere E-Mails keinerlei Antwort (in Ungarn durchaus üblich). Und so fragen wir jeden, den wir treffen, ob er einen Brenner kennt, der für tätig werden könnte. Immer wieder schnuppern wir an den Fässern und sind beruhigt, dass es immer noch nach vergorenem Apfel riecht und nicht nach Essig ...
Dann entdecken wir schließlich eine neue Webseite: Eine Lohnbrennerei im Ort Zalaegerszeg - Summa 88 Kft. Der Name bezieht sich auf die Gründung des Unternehmens im Jahr 1988. Unsere Mail-Anfrage wird sofort beantwortet, obwohl es schon am Abend ist. Wir könnten bereits am nächsten Morgen mit unseren Fässern vorbeikommen und sogar beim Brennvorgang dabei sein!
Diese Chance lassen wir uns natürlich nicht entgehen und laden sofort die 3 Fässer in den Pick-up (fragt nicht wie ... ). Ein bisschen Unsicherheit bleibt, wird der Fassinhalt gut genug sein zum Brennen oder wird man den Inhalt als Bio-Müll entsorgen müssen? Schließlich steht die Maische schon seit Monaten.
Früh am Morgen machen wir uns auf nach Zalaegerszeg zu einem alten Industriegelände, das in kommunistischen Zeiten große Industriebetriebe beherbergte. Die Brennerei soll sich in der Nähe des alten Goldsun Kühlhauses befinden. Vermutlich weiß jeder aus der Region, wo sich das befindet, denn vor 20 Jahren gab es hier einen Großbrand, bei dem 66 Tausend Tonnen Gefrierfleisch verbrannten. Wir irren ein wenig herum und fragen nach Summa 88 Kft. Niemand kennt die Firma, aber bei der Frage nach Pálinka (ungarisch für Schnaps) kennt man sofort einen Weg dorthin auf dem weitläufigen Gelände ...
Und schon sehen wir von Weitem jede Menge Gärfässer und große Mengen Holz, hier sind wir richtig! Wir werden vom Inhaber Ernőné Nagy sofort freundlich begrüßt und irgendwie klappt ab sofort die Kommunikation Ungarisch-Englisch-Deutsch-Google-Translate-Lachen-Hände-und-Füße.
Schnapsbrennen ist ein energieintensives Verfahren: Da auch in Ungarn aufgrund des Ukraine-Kriegs die Gaspreise gestiegen sind, wird die Brennerei nun auch mit Holz betrieben. In der Halle stehen zwei große Kolonnen-Destillerien mit jeweils 300 Liter Fassungsvermögen und einem Laborarbeitsplatz.
Draußen werden unsere Fässer abgeladen. Wir dürfen in andere Gärfässer schauen und schnuppern, die ebenfalls auf den Brand warten. Es wird gerade ein spezieller Traubenbrand hergestellt - typisch für die Süd-Balaton-Region - gebrannt aus der Rebsorte Irsai Olivér, der Duft der Maische ist schon betörend und erinnert an Muskateller.
Zum ersten Mal sehen wir nun auch unsere Maische: Etwas weiße Kahmhefe hat sich gebildet, die Brennmeister Ernőné einfach abschöpft. Er meint: Ja, das können wir brennen. Erleichterung macht sich breit ...
Dann wird die Maische in den Brennkessel gesaugt und zum Kochen gebracht. Die Gärfässer bekommen wir sauber ausgespült zurück, was für ein Service! Nach einigen Minuten sieht man in dem Kolonnenturm an den Glasscheiben den kondensierten Dampf, der in einen Zylinder zunächst tröpfelt und schließlich fließt. In dem Zylinder befindet sich ein Schwimmer, mit dem der Alkoholgehalt gemessen wird.
Das Destillat wird in drei Bereiche eingeteilt: Zuerst kommt der "Vorlauf". Der enthält allerlei flüchtige Bestandteile, unter anderem Methanol, dessen Genuss zur Erblindung führen kann. Der Vorlauf riecht eher nach Klebstoff und und ist für den Genuss nicht geeignet. Anhand des Schwimmers im Glaszylinder kann unser Brennmeister entscheiden, was Vorlauf ist und entsorgt ihn. Danach kommt der "Mittellauf", das ist der Brand, den wir wollen. Nach einiger Zeit folgt auch noch der "Nachlauf", der ebenfalls entsorgt wird.
Mit großer Freude sehen wir unseren "Mittellauf" in ein Fass rinnen und können schon etwas Apfelaroma wahrnehmen. Am Auslauf der Anlage wird exakt gemessen, wie viel Alkohol in das Fass läuft.
Da kommt der Brennmeister auf uns zu und meint: "Problem!" (Das Wort ist wohl in allen Sprachen zu finden ... ). Was ist passiert? Nun, unsere Maische hat seiner Meinung nach zu wenig Zucker, wodurch die Alkoholausbeute geringer ist (für uns aber genug, wie sich zeigen wird). Man gibt uns den Rat, bei Äpfeln und Birnen das nächste Mal 1,5 kg Zucker in unsere Gärfässer dazuzugeben. Bei Zwetschgen, Kirschen, Mirabellen u.ä. kann auf eine derartige Zuckerbeigabe generell verzichtet werden.
Nach Abschluss des Brennvorgangs wird die Maische aus dem Brennkessel gesaugt und in einem der großen Stahlbecken draußen entsorgt.
Aus dem Fass wird eine Probe für das Labor entnommen. Mit einem Schwimmer wird ein Alkoholwert ermittelt, der zusammen mit der Temperatur in einen absoluten Alkoholgehalt umgerechnet wird. Zum Umrechnen werden Tabellen genutzt, ähnlich den Logarithmischen Tafeln, die man aus der Schule kennt. Das Ergebnis: 60% Alkohol hat unser Brand - das ist nicht sehr viel, aber immerhin noch ok. Der geringe Alkoholwert () ist dem fehlenden Zucker geschuldet ...
Nun muss entschieden werden, auf wie viel Prozent das Ganze verdünnt werden soll. Ernőné Nagy erklärt uns: 50% und mehr bevorzugen die alten Leute, die jungen Leute bevorzugen 40% - 45%. Er empfiehlt uns 44% und wir nehmen die Empfehlung an. Er berechnet die Wassermenge und verdünnt den Schnaps entsprechend.
Dann wird das Fass verschlossen und unter Druck gesetzt für die Abfüllvorrichtung. 9,5 l Apfelbrand sind das Ergebnis. Da wir zurückfahren müssen und in Ungarn 0 ‰ gelten, können wir hier vor Ort leider nichts verkosten, aber das Aroma lässt hoffen, dass der Schnaps gut geworden ist. Wir verabschieden uns und fahren stolz zurück nach Hause.
Dort wird verkostet, es duftet schön nach unseren Äpfeln, im Glas zeigen sich Schlieren und der Geschmack überzeugt - der Apfelbrand ist wirklich gelungen!
Wir haben rückwirkend ausgerechnet, dass der eine Apfelbaum ca. 500 kg Äpfel getragen hat. Dieses Jahr hängen nur eine Handvoll Äpfel dran (zum Glück, der Baum hat sich Erholung verdient! ).
Aber ein Blick auf zwei Birnbäume draußen lässt erahnen, dass diesmal vielleicht Birnen im Überfluss zu erwarten sind. Ein Teil wird sicher getrocknet und in Kletzenbroten enden, aber der Rest? Ernten, waschen, häckseln, gären, brennen? Warten wir es ab ...
© 2024 Sixta Zerlauth