Vorgeschichte ...
Der Name der oberitalienischen Burg Canossa ist im deutschen Sprachschatz erst seit dem Ausspruch des Reichskanzlers Bismarck im Jahre 1872 enthalten: "Nach Canossa, meine Herren, gehen wir nicht - weder körperlich, noch geistig!"
Das eigentliche Ereignis, der berühmte "Gang nach Canossa", liegt jedoch wesentlich weiter zurück: Heinrich IV. hatte sich in der Zeit um 1076 mit Papst Gregor VII. angelegt und zur Sicherung seiner Macht selbst Bischöfe und Kardinäle ernannt. Daraufhin wurde er vom Papst mit einem Bann belegt und exkommuniziert. Um sich politisch zu rehabilitieren und seine ursprüngliche Macht wieder zu erlangen, musste Heinrich dafür sorgen, dass der Kirchenbann wieder aufgehoben wurde. Dies war aber nur möglich, indem Heinrich IV. zum Papst pilgerte, der sich zu dieser Zeit auf der Burg von Matilde von Tuszien in Canossa befand ...
Der Weg im Winter des Jahres 1077 (Heinrich kam nach der Überlieferung am 25. Januar in Canossa an) muss alles andere als gemütlich gewesen sein. Allerdings darf man sich nicht vorstellen, dass der König den ganzen Weg nach Canossa barfuß in einem Büßergewand zurückgelegt hatte. Viel wahrscheinlicher ist dagegen, dass der König mitsamt Leibgarde und Gefolge zu Pferde unterwegs war. Man könnte sogar annehmen, dass die Ankunft Heinrichs am Burgberg eher einer Belagerung glich als der Bitte eines armen Mannes um die Lösung des Kirchenbanns.
Auch der Papst hatte nicht ohne Grund Canossa als Aufenthaltsort gewählt, galt doch damals die Burg als quasi uneinnehmbar und bot so den nötigen Schutz vor einem eventuellen militärischen Angriff durch Heinrich. Was sich genau in diesem Mittelalter-Krimi zugetragen hat, weiß niemand mit Sicherheit. Geschichtlich überliefert bleibt nur, dass Heinrich im Büßergewand mehrere Tage lang vor der Burg stand und Papst Gregor schließlich dazu genötigt wurde, den Bann aufzuheben ...
Doch wo liegt nun eigentlich diese sagenumwobene Burg? Was ist von ihr übrig geblieben? In welcher Landschaft muss man sich dieses Stück Geschichte vorstellen? Also ran an die Italienkarten und mit dem Zeigefinger drauflos (oder etwas neumodischer "Google Earth" aufrufen und einfach "Canossa" eingeben ): Canossa bildet die südliche Spitze eines Dreiecks mit den Städten Parma und Reggio nell´Emila. In direkter Nachbarschaft befindet sich auch die Burg Rossena, die ebenfalls zur damaligen Zeit bereits existierte ...
Anreise, 09.10.07
Als ich morgens losfahren will, ist mein ursprünglicher Plan, über die Autobahnen A99 und A8 über Inntaldreieck und Kufstein nach Innsbruck zu kommen, bereits geplatzt: Ein Megastau auf der A99 wird jede halbe Stunde um 4 Km länger und versperrt mir den Weg zur Salzburger Autobahn. Also fahre ich die streckenmäßig kürzere Variante über die Garmischer Autobahn, Kochel, Walchensee und Mittenwald. Bis Kochel läuft es ganz gut, dann bremsen mich aber jede Menge bummelnde Urlauber aus und die Fahrt wird zum Geduldsspiel ...
Ich komme dennoch in 2,5 Stunden nach Innsbruck und suche nach der richtigen Auffahrt zur Brennerautobahn: Nach meiner Planänderung habe ich jetzt natürlich kein Mautpickerl gekauft. Der Innsbrucker Schilderwald ist mir nicht wohlgesonnen und so lande ich eine Auffahrt zu früh auf der Autobahn. Ich habe Glück und es sind gerade keine Kontrollen unterwegs, sonst wäre es richtig teuer geworden. Am Brennersee angekommen, möchte ich mir noch günstigen österreichischen Diesel in den Tank laufen lassen, aber ich passiere die Tankstelle mit einem lauten Fluch: Hatte in Innsbruck der Liter noch 1,07 EUR gekostet, waren es am Brennersee bereits 1,22 EUR: Raubritter!
Mehr kann es in Italien auch nicht kosten. Der Verkehr läuft trotz vieler LKW auf der Strecke erstaunlich gut und ich bin nach insgesamt 4 Stunden Fahrt bereits in Bozen. Mit dem Dachzelt will ich es nicht übertreiben und fahre maximal 120 Km/h. Erlaubt sind allerdings 130 Km/h und die Italiener fahren mir auf der linken Spur fast in die Unterhose, bis ich wieder in einer Lücke auf die rechte Fahrbahn wechseln kann.
Das Spiel nervt mit der Zeit und es scheint wohl keine Kontrollen zu geben, denn mich überholt ein heftig gestikulierender Italiener in seinem PKW mit Anhänger - mit ca. 140 Sachen! Bereits an der Ausfahrt Rovereto Süd beschließe ich es ruhiger angehen zu lassen und am Gardasee-Ostufer entlang nach Peschiera zu fahren. Dort hatte ich bereits einen Campingplatz ausfindig gemacht, der noch geöffnet hat.
In Torbole angekommen bin ich allerdings enttäuscht: Mich stört das aufgesetzt kitschige Touristenflair, das dieser Ort ausstrahlt. Zudem ist es sehr dunstig und die Sicht geht nicht allzu weit über den See in Richtung Süden. Ich halte kurz an, um ein obligatorisches Foto zu machen und fahre gleich weiter: Hier hält mich nichts!
Die Uferstraße Richtung Süden ist durchgängig mit 50 Km/h begrenzt und die Fahrt zieht sich mächtig in die Länge. Als ich nach endloser Kurverei schließlich in Peschiera ankomme, will ich nur noch meine Ruhe und eine ausgiebige Brotzeit. Da es schon vor 19 Uhr stockdunkel ist, wird mein Abendspaziergang in den Ort zu einer kleinen Nachtwanderung. Beeindruckend sind dabei die dicken Fische, die unter einer der Mincio-Brücken zwischen üppigen Wasserpflanzen im Scheinwerferlicht schwimmen. Der Ort selber wirkt eher verschlafen und nur wenige Touristen sind um 20 Uhr noch unterwegs.
Die Nacht auf dem Campingplatz ist dann alles andere als erholsam: Dass Peschiera nahe an der Autobahn liegt und die Bahnstrecke nach Mailand ganz in der Nähe ist, höre ich in meinem Dachzelt nur allzu gut und eine nachts gegen 1 Uhr ankommende italiensche Familie stört dann zusätzlich meinen Schlaf. Morgen geht es hoffentlich in ruhigere Gefilde!
Gardasee - Canossa - Cervarezza, 10.10.07
Gegen 10 Uhr ist alles eingepackt und ich rolle bei bewölktem Himmel und 15°C in Richtung Modena auf die Autobahn. Gut 1,5 Stunden später habe ich Reggio nell´Emilia erreicht und kämpfe mich durch das Straßengewirr in Richtung Süden, um dann nach S. Polo d´Enza zu kommen. In S. Polo verpasse ich wegen der Umgehungsstraße den ersten Abzweig nach Canossa prompt: Mangels guter Beschilderung muss ich meiner Navigation ohne elektronische Helferlein ein update verpassen.
Also halte ich bei einem Kramerladen in Ciano d´Enza und frage dort zwei alte Damen nach dem Weg. Die Beiden weisen mich allerdings gleich darauf hin, dass Canossa kein Castello, sondern eine Ruine ist und wundern sich, warum ich ausgerechnet dort hin will. Die Wegbeschreibung der Damen stimmt und bald kurve ich vom geschäftigen Tal hinauf in Richtung Castello Rossena.
Die kleine Burg ist gut erhalten und offensichtlich bewohnt. Allerdings ist hier oben kaum ein Mensch zu sehen und alles wirkt wie ausgestorben. Von Rossena aus habe ich dann auch den ersten, unspektakulären Blick auf den Burgberg von Canossa. In Serpentinen geht es weiter bergauf und von den wenigen Autos die mir begegnen, ist fast jedes zweite ein Landrover. Offensichtlich ist hier oben ein 4x4 sehr gefragt. Warum die Italiener eine Vorliebe für die englische Marke haben, weiß ich allerdings nicht.
Links und rechts der Straße gibt es große Erosionsflächen und teilweise gleicht alles einer Mondlandschaft. Einmal ist sogar die Straße teilweise gesperrt, weil das Bankett abzurutschen droht.
Am Burgberg in Canossa angekommen mache ich erst einmal Brotzeit. Ein Teil der Ruine ist eingerüstet und auch unterhalb der Burg wird gebaut. Für mich ist die Aussicht auf Rossena und das Umland sehr beeindruckend und ich versuche mir das Ganze im Winter des Jahres 1077 vorzustellen: Damals war es sicher ungemütlicher als jetzt, aber man muss sich nur Weniges wegdenken, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie es vielleicht gewesen sein könnte ...
Heute ist es bei 14°C und leichtem Wind leider immer noch sehr dunstig und meine Foto-Ausbeute ist eher mager. Das Museum und das kleine Cafe sind geschlossen und so fahre ich bald wieder los. Direkt unterhalb der Burg biege ich in einen Feldweg ein, um eine kleine Runde zu fahren und die Umgebung zu erkunden. Bald merke ich, dass es nicht der in der Karte eingezeichnete Weg ist: Die Fahrspur wird immer abenteuerlicher und als dann ein quer liegender Baumstamm die Weiterfahrt versperrt, ist mir endgültig klar, dass ich hier falsch bin. Leider habe ich kein besseres Kartenmaterial zur Verfügung, um einen anderen Weg zu suchen und so drehe ich um und fahre zurück zur Teerstraße.
Über viele Hügel und kurvige Straßen geht es nun weiter in Richtung Castelnovo ne´ Monti. Einige Tunnels auf der Hauptstraße sind gesperrt und so dauert die Fahrt länger als ich dachte. Plötzlich habe ich dann doch den ersten Blick auf den einzigartigen Tafelberg "Pietra di Bismantova". Das Wahrzeichen dieser Region bestimmt mit seiner bizarren Form das Landschaftsbild und macht mir nun endgültig klar, dass ich die wenig reizvolle Poebene weit hinter mir gelassen habe.
In Castelnovo gönne ich mir dann auch endlich einen Cappuccino. So wie es aussieht, bin ich der einzige Fremde in der Bar: Um mich herum sind lauter Arbeiter und Rentner, die sich ebenfalls einen Cafe oder ein Glas Wein bestellen und dazu Tramezzini essen. Ich genieße es, die Einheimischen zu beobachten und schnappe mir eine Zeitung, um den Wetterbericht zu lesen. Nach einer Weile fahre ich dann weiter Richtung Cervarezza, wo mein heutiges Tagesziel, der Camping le Fonti liegt.
Am Campingplatz angekommen muss ich zuerst eine ganze Weile warten, bis sich jemand an der Rezeption blicken lässt. Quasi als Entschädigung bekomme ich dann einen Stellplatz mit einer gigantischen Panoramasicht auf die Pietra di Bismantova.
Leider ist es nach wie vor sehr dunstig, aber es bleibt ja die Hoffnung, dass schon morgen zum Frühstück die Sicht klarer ist. Ich baue jedenfalls mein Zelt auf und genieße bei einer Tasse Tee die Aussicht ...
Die Nacht auf 1.040 m Höhe
Nach dem Abendessen, es gab frisch gekochte Tortellini mit Tomatensauce, sitze ich in meinem kleinen Vorzelt und lasse mich von der Wärme meines Blackcat-Heizgerätes bestrahlen. Immerhin ist es seit 18:30 Uhr stockdunkel und die Temperatur ist von 14°C auf 8°C gefallen. Innerlich wärmt mich ein schottischer Whisky und meine Geniol Petroleumlampe erhellt leise rauschend die Seiten der Broschüren über die Emilia Romagna, die ich mir von der "Caravan und Boot" im Februar mitgenommen habe.
Erst jetzt begreife ich so richtig, dass ich nicht nur in einer besonderen Landschaft unterwegs bin, sondern dass es hier auch kulturell und geschichtlich richtig zur Sache geht. Am südlichen Rand der Poebene reiht sich eine Sehenswürdigkeit an die andere und die Via Francegana, die im Mittelalter als Pilgerstraße Canterbury mit Rom verband, geht hier mittendurch. Ich muss morgen unbedingt noch ein paar Flusstäler weiter westlich kommen, denn da gibt es Burgen wie aus dem Bilderbuch ...
Nach soviel Lektüre verziehe ich mich bald in mein Schlafzimmer im ersten Stock und mache es mir gemütlich. Heute sollte es ja wohl eine ruhige Nacht geben, fernab von Verkehrslärm und unruhigen Campinggästen. Draußen ist es nun fast windstill und über die Täler hört man, wie sich die Hofhunde über mehrere Kilometer gegenseitig anbellen. Naja, die sind weit weg denke ich und kann dann trotzdem schlecht einschlafen.
Nach einiger Zeit dringt im Halbschlaf ein lästiges Schnarchen an meine Ohren: Das gibt es doch nicht, meine einzigen Nachbarn schlafen im Wohnmobil gut 15 Meter von mir entfernt. Es dauert nicht lange und ich bin wach. Jetzt höre ich genauer hin und da mischt sich ein Quieken dazu. Als es dann auch noch 10 Meter neben meinem Auto im Laub raschelt, ist mir klar: Eine ganze Rotte Wildschweine schmatzt und grunzt sich mitten auf dem Campingplatz durch die herunter gefallenen Maroni. Kein Wunder, ist doch fast jeder zweite Baum hier eine Esskastanie.
Schnell überlege ich, was ich alles im Vorzelt stehen habe und ob irgendetwas Essbares dabei ist. Die geschlossene Kühlbox werden die Wildschweine wohl kaum auf ihrem Speisplan haben und sonst habe ich nichts liegen gelassen. Ich bin im Dachzelt zwar sicher, aber mir fallen die Schauergeschichten eines bayerischen Jägers ein, der mich eindringlich vor den "Schwarzkitteln" gewarnt hatte: So gibt es doch in Bayern immer häufiger Begegnungen zwischen "Schwammerlsuchern" und Wildschweinen, die nicht immer harmlos enden. An ruhigen Schlaf ist jetzt nicht mehr zu denken. Mit der Fernbedienung schließe ich das Auto ein paar Mal auf und zu, doch das Klacken der Schlösser und das Aufleuchten der Blinker bewirkt bei den Wildschweinen rein gar nichts. Das Gegrunze und Geschmatze geht noch eine ganze Weile weiter und schließlich dämmere ich doch wieder ein ...
Als ich am nächsten Morgen meinem italienischen Nachbarn mit Händen und Füßen von den nächtlichen Umtrieben erzähle, lacht dieser und meint, dass die Wildschweine (ital. Cingale) hier harmlos sind und schnell das Weite suchen, wenn man sich nähert. Auch die Dame an der Rezeption sagt mir, dass man nur mit der Taschenlampe bewaffnet die Cingale in die Flucht schlagen kann. Sehr witzig, das hätte man mir ja auch gestern Abend erzählen können. Dann hätte ich sicher ruhiger geschlafen!
© 2008 Text / Bilder Matthias Bernhard, Bilder mit Heinrich IV.: Wikipedia