Vorspiel in Tirol: Zu Besuch bei Swarovski ...
Unser kürzlich erworbener Jeep Wrangler mit der neuen 2,4 Liter-Maschine soll zum ersten Mal auf die Piste: Ende September folgen wir der klassischen Urlauberroute über die Inntalautobahn und den Brenner in Richtung Gardasee. Ein idealer Rastplatz auf dieser Strecke ist das von André Heller gestaltete Kristallmuseum des Tiroler Unternehmens Swarovski mit seiner fast schon surrealen Traumwelt aus Kristall und Klängen.
Wir nutzen während der letzten Tagen vor dem Umbau der Anlage noch schnell die Gelegenheit: Räume von Licht und Klang lassen einen die Welt außerhalb der in einem künstlichen Hügel gelegenen "Kristallwelt" vergessen. Auf diesem Hügel befindet sich ein kleiner botanischer Garten mit den Besonderheiten der alpinen Flora. Ein nach der Handfläche von André Heller gestaltetes Labyrinth neben dem Hügel vervollständigt die Anlage und wird von uns wegen des eiskalten Windes und des einsetzenden Nieselregens dann doch recht eilig durchschritten ...
Der Eintritt von 5,45 EUR für das Kristallmuseum mit einem enthaltenen kleinen Einkaufsgutschein erscheint für die tollen, fast schon psychodelischen Eindrücke angemessen. Nur der Besuch im Shop selbst holt einen dann wieder recht schnell auf den Boden der finanziellen Möglichkeiten zurück.
Ins Trentino: Zum Lago di Ledro
Hinter dem Brenner bessert sich das Wetter schnell: Den Gardasee lassen wir links liegen, entfliehen dem Trubel des Tourismus deutscher Prägung in das Tal des Ledro. In der Mitte dieses Gebirgstals befindet sich der Ledro-See, der weder zugebaut noch überlaufen ist. Ganz im Gegenteil: Die wenigen Wanderer verteilen sich unauffällig entlang der Straßen um den See oder in den angrenzenden Bergen. Wer Ruhe sucht, der wird sie hier finden - zumindest außerhalb der Hauptsaison.
Unser Domizil im Trentino finden wir im Hotel Sport in Pieve di Ledro. Mit 32,- EUR pro Person für Halbpension sind wir dabei, was in Anbetracht des reichlichen und guten italienischen Essens, des hervorragenden Weins der Region sowie einer Deutsch sprechenden, sehr netten Wirtin nicht zuviel erscheint. Pieve di Ledro ist eine ideale Ausgangsbasis zur Erkundung der Passstrecken in der näheren Umgebung. Der Wanderer findet hier ein gut ausgebautes Wegenetz in allen Schwierigkeitsgraden. Ein reicher Fischbestand dürfte auch für Angler sehr interessant sein, denn dicke Forellen tummeln sich in Scharen bis ans Ufer ...
Am Ostufer des Sees, in Molina di Ledro, liegt ein vorgeschichtliches Museum, das die Reste einer Pfahlbausiedlung und die begehbare Rekonstruktion eines Gebäudes aus der Jungsteinzeit bzw. der frühen Bronzezeit zeigt. Umfangreiche Funde werden im Museumsgebäude mit modernen Medien anschaulich erklärt.
Im direkten Uferbereich sind noch viele der bereits in den 30er Jahren ergrabenen Pfahlbausiedlungen zu sehen: Häuser in Pfahlbauweise scheinen in vorgeschichtlicher Zeit in diesem Teil Italiens sehr häufig gewesen zu sein. Die Leute ernährten sich teilweise von den Ressourcen des Sees, wobei die Fischerei wohl eine untergeordnete Rolle spielte. Vielmehr waren Muscheln des Sees häufig im Speiseplan der Menschen der Vorgeschichte zu finden.
Nur ein paar Kilometer von Pieve di Ledro in Richtung des Lago d´Idro befindet sich einer der beiden Einstiege zu einem Klassiker der Schotterpässe, dem Passo Tremalzo. Zwar besteht auch die Möglichkeit, von der Gardaseeseite über Vésio zwischen Tignale und Limone den Passo anzufahren, jedoch bringt der Weg über den Gipfel außer einer asphaltierten Anfahrtsstraße den fahrerischen Übungseffekt, die schwierigere Abfahrt gleich zu Beginn anzupacken ...
Kurz hinter dem letzten Rasthaus verweigert ein Schild Motorradfahrern die Weiterfahrt. Nach ca. 1,5 km Bergauffahrt passiert man den 200 m langen Gipfeltunnel (N45°50´20´´ E010°42´23´´ - Einfahrt Nordseite), der oftmals bis in den Frühsommer durch Eis und Schneewehen versperrt ist. Danach beginnt eine bis 14% steile Abfahrt mit vielen engen Kehren über steilen Grund und einigen Passagen, auf denen die Untersetzung ihre Berechtigung findet.
Wir fahren die ca. 8 km bergabwärts des Passo Tremalzo am Vormittag: Zwar beeinträchtigt Nebel die herrlichen Aussichtspunkte, jedoch befinden sich keine Mountainbiker auf der Strecke. Nach einer Pause an der bewirtschafteten Berghütte, die hinter einer linkerhand führenden Abzweigung am Beginn der Teerstrecke liegt, machen wir uns auf den Weg zurück.
Mittlerweile - es ist früher Nachmittag geworden - bevölkern Scharen von Mountainbikern die Schotterkehren. Das Verhältnis zu diesen sportlich versierten Leuten ist leider - wie im "richtigen Leben" - nicht immer frei von Spannungen, denn einige Mitmenschen sind immer der Ansicht, dass ihre eigenen Interessen von höherer Priorität als die anderer seien. Mit den meisten Mountainbikern kann man sich ohne Probleme die Strecke teilen, man gewährt dem anderen die Passage und versucht sich gegenseitig möglichst wenig Unannehmlichkeiten zu bereiten. Doch einige wenige Mountainbiker sehen dies leider anders: Sie lassen den Offroader schon mal ein paar hundert Meter bergaufwärts das radelnde Hinterteil bewundern - ohne Chance auf ein Überholmanöver. Bezeichnenderweise sind diese rücksichtlosen Zeitgenossen hauptsächlich Deutsche ...
In den engen Kehren des Passo Tremalzo empfiehlt sich, bergaufwärts nur mit Hinterradantrieb zu fahren - es reduziert die Anzahl der Rangiervorgänge spürbar. Die Auswaschungen an einigen Stellen fordern Bodenabstand, ein Allradantrieb mit Reduzierung gibt Sicherheit. Ein Fahrfehler auf der sehr schmalen Schotterstraße kann fatale Folgen haben, denn mehrere hundert Meter steiler Hang bieten keine Möglichkeit eines Halts für ein havariertes Fahrzeug. Übrigens: Ein entgegen kommendes Fahrzeug würde bereits wegen der wenigen Ausweichstellen zum echten Problem werden ...
Der fahrerische Aufwand lohnt allerdings schon aufgrund des weiten Blicks in die angrenzenden Täler und auf den Gardasee: Wer sein Fahrzeug in einem Seitenweg abstellt und zu Fuß weiter geht, wird viel Ruhe und Natur finden. Die Wälder abseits der Straßen sind weitgehend frei von Touristen.
Auf der gesamten Strecke des Passo Tremalzo finden sich Erinnerungen an die Baumeister dieser und vieler anderer Passstrecken im gesamten norditalienischen Raum: Fast in jeder Kurve sind Felsnischen vergrößert und mit einer Betonwand mit Schießscharte verbarrikadiert worden. An strategisch günstigen Stellen erinnern Geschützstellungen an einen verbissen geführten, sinnlosen Krieg, in dem die Schönheit der Berge zu einer Hölle des Überlebens für fragwürdige Ideale wurde.
So mutet es schon fast wieder versöhnlich an, wenn sich nun die Natur dieser unwürdigen Hinterlassenschaften wieder bemächtigt hat und auf dem Dach eines Bunkers Bergprimel und Enzian friedlich nebeneinander wachsen. Auch auf oben erwähnter Berghütte wurde von den Eigentümern die Auffahrt mit Granaten "verschönert" und ein Geschütz steht in ausgezeichnet gepflegtem Zustand vor dem Hause ...
In den Ortschaften des Ledrotals finden sich ebenfalls viele Hinterlassenschaften des Krieges: Ein Berg neben der Ortschaft Bezzecca ist gänzlich ausgehöhlt und mit vielen Laufgängen, Gefechtsständen und Bunkeranlagen versehen. Ein Soldatenfriedhof und viele Gedenktafeln erinnern daran, dass dieser Ort bereits im preußisch-österreichischen Krieg von 1866 heftig umkämpft wurde, als sich Italien mit Preußen verbündete. Garibaldi, der Nationalheld Italiens, war hier selbst als Kommandant am Werk. Im Wahnsinn des Ersten Weltkriegs wurde um den strategisch wichtigen Ort verzweifelt gerungen.
1915 wurde das gesamte Ledrotal evakuiert und in Folge des Kriegs gänzlich verwüstet. Beim Betrachten der Verteidigungsanlagen dieses Berges lässt es sich subjektiv nicht klären, ob die Anlage in der heutigen Zeit eher als Kriegswarnung oder als Verherrlichung zweifelhaften Heldentums wirkt. Die vielen, namentlich erwähnten Gefallenen sprechen jedenfalls eine eigene Sprache ...
Ein Gedenkstein erinnert ausgerechnet hier an einen Gefallenen aus dem Afrika-Feldzug im Zweiten Weltkrieg: Der arme Kerl musste sein Leben in Tobruk lassen. Die Einnahme der Festung Tobruk war einer der letzten Erfolge von Feldmarschall Rommel. Rommels Afrika-Korps wurde jedoch bereits kurze Zeit später von einer britischen Einheit, die mit leichten, auf Jeeps montierten Waffen den Spritnachschub in die Luft jagte, die erforderliche Beweglichkeit der Panzertruppen vor El Alamein genommen - die Folgen sind allgemein bekannt.
Eben jener Jeep war der Ur-Vater des Wranglers, mit dem wir nun selbst an die hiesigen Orte des Schreckens fahren. Nur - nach mittlerweile fast sechs Jahrzehnten des Friedens werden hoffentlich weder wir als Deutsche noch unser Fahrzeug mit irgend einem militärischen Gedanken in Verbindung gebracht. Welch ein Fortschritt, jedoch für die armen Kerle von damals kommt er wohl zu spät ...
© 2003 Text / Bilder Jens Plackner, Bild oben: Explorer Magazin, Besuchsbericht Feuerberge Tirol ´99