Mit dieser Reise begann der zweite Blick auf Sizilien ...
Der Weg nach Genua in den Hafen zur Fähre nach Palermo war einfach und gewohnt. Es dauerte nicht lange, da stellte sich ein anderer Land Rover in die Wartelinie neben uns, um auch auf die Fähre zu warten. Wir kamen ins Gespräch und hatten eine nette Zeit mit diesem Paar. Wir erzählten von unseren Plänen in Sizilien und weil ich länger bleiben wollte als meine Freunde, luden sie mich nach Trapani in ihr Hotel ein: "You will get a special price" machte Riccardo mir den Mund wässrig und er schenkte uns noch zum Abschied eine Flasche Rotwein von seinen eigenen Reben. Sehr nette und sympathische Zeitgenossen, dachte ich mir!
Nach der Ankunft in Palermo ging es gleich mal an der Nordküste entlang in Richtung Ätna, also nach Osten. Der Ätna erschien mir immer als der wichtigste Punkt in Sizilien. Hier und von Messina aus ein Stück nach Süden, befindet sich die einzige mautpflichtige Autobahn Siziliens. Das ist verständlich, denn durch dieses Mittelgebirge hier im Norden mussten unzählige Tunnel gebaut werden. Die Küstenstraße entlang der Autobahn ist jedoch um Klassen schöner, wenn man Zeit hat. An der Nordküste Siziliens zieht sich das wunderschöne Mittelgebirge Monti Nebrodi und damit eine Traumgegend für Motorradfahrer entlang, mit jederzeit möglichen Abstechern nach Süden in die Berge.
Ab Cefalù beginnt das nach Osten gestreckte Mittelgebirge: Die Stadt Cefalù am Fuße des Felsens am Kap sollte man übrigens auf keinen Fall auslassen (siehe Bilder unten ...)
Sizilianische Küche
Überhaupt das Essen in Sizilien! Hier erst mal zuzunehmen ist nicht verwunderlich bei all den Leckereien, die auf dieser Insel völlig normal sind. Das ist aber kein Endzustand, sondern es drängt sich für unsereinen förmlich auf, da ja ganz Mitteleuropa (mit Ausnahme von Frankreich) mit Italien bei der Ernährung nicht wirklich mithalten kann. Hat man sich erst mal daran gewöhnt, verbessert sich alles. Italien ist nicht nur Pizza und Spaghetti! Unsere Ungezügeltheit und die Gewichtszunahme kommt also eher vom Mangel und der schlechten Qualität bei uns zuhause, als vom Überangebot dort. Auffällig ist es, dass in ganz Italien deutlich weniger adipöse Menschen herum laufen. Herzinfarkt ist hier auch kein so großes Problem wie in Deutschland. Die mediterrane Ernährung kann man aus diesem Grund allgemein als deutlich gesünder ansehen.
Caponata und Arancine dürfen natürlich nicht unerwähnt bleiben, wenn es um Essen geht: Die Arancine (frittierte Reisbälle, Bild oben rechts) sind in Sizilien Streetfood, das die Leute mal eben schnell in vielen verschiedenen Geschmacksrichtungen zum Mittagessen aus der Hand mitnehmen.
Caponata ist ein süßsaures Auberginen Ratatouille zum "Hineinlegen". Oft mit Mandeln oder Fischeinlage. Auch ein hier zu erwähnendes Getränk wie frisch gepressten "Spremuta di Melagrana", also Granatapfelsaft, fand ich zuhause noch nirgendwo.
Ein kleiner Tipp am Rande, den man von Anfang an beherzigen sollte beim "Gegenteil" von Essen (), den Toiletten (Gabinetti): Dort gilt häufig, erst nach Papier gucken, dann fällige Geschäfte tätigen. Die Gabinetti sind meiner Meinung nach nicht mehr so vernachlässigt, wie sie früher in Italien waren (sie heißen jetzt oft etwas gehobener "Bagno"), aber der prüfende Blick rettet vor Peinlichkeiten. Doch nun weiter zum Ätna: Das erste Ziel ...
Der Berg der Berge ist ein Vulkan
Der Ätna bestimmt in Sizilien das Landschaftsbild in weiten Teilen des Landes. Sizilien = Ätna. Auf über 100 km Entfernung ist er mit 3.300 m Höhe bei klarem Wetter zu sehen. Er trägt eine weiße Kappe aus Schnee und raucht immer an der Spitze. Ein Vulkan wie aus dem Bilderbuch für Kinder. Jedoch finden große vulkanisch kritische Aktivitäten selten im Hauptkrater am Gipfel statt, wo es trotzdem immer raucht, sondern an den rund 400 Nebenkratern, die rundum an den Flanken verteilt sind. Sie stellen im Gegensatz zum Gipfelkrater auch die größere Bedrohung für die Bevölkerung dar, die vom Ätna ausgeht. Bei meinem ersten Besuch beeindruckte mich die Situation am Piano Provenzana sehr, wo es 2002 bei einem Ausbruch zu einer großen Lavaüberflutung kam und sogar die Stadt Linguaglossa am Fuß des Ätna bedroht war. Zum Glück stoppte der Lavastrom kurz vor der Stadt ...
Am Piano Provenzana kann man eine wunderbare Wanderung zur Ausbruchstelle machen: 2,5 Stunden muss man einplanen und sollte nicht vergessen, dass man sich in 1.800 m Höhe befindet. Das wird leicht falsch eingeschätzt, denn man befindet sich doch im Mittelmeer! Aber es kann nicht nur kalt werden, sondern auch die Luft ist schon spürbar dünner. Außerdem fährt man ja hier fast von Meereshöhe hoch und startet nicht schon in größerer Höhe, wie z.B. in den Alpen.
Auf dem Weg zum Piano Provenzana kommt man an weißen Birken vorbei, die ich so weiß nicht einmal im Norden irgendwo gesehen habe. Dabei kann man wohl sagen, dass Birken eher im Norden zuhause sind. 2021 beim zweiten Besuch gab es nur einen kleinen Ausbruch einige Monate zuvor, der von einem Nebenkrater bei den Crateri Silvestri in das menschenleere Valle del Bove abfloss, aber große Mengen an Asche durch die Luft in die Städte des Nordostens verfrachtete. Man stellt sich unter dem Begriff "Asche" gerne das vor, was man aus dem Kamin kennt. Etwas ähnliches konnte ich 2010 am Eyjafjallajökull sehen, obwohl sie eher wie Zement war, aber hier in Sizilien muss man den Begriff weiter spannen.
An der Ausbruchstelle nördlich der Crateri Silvestri war ja kein Wasser beteiligt, weshalb es auch keine Dampfexplosionen gab, die die Lava in kleinste Partikel zerreißen. Darum trieben alleine die thermischen Vorgänge in der Lavafontäne und die heißen Gase Tonnen von schwarzem Sand nach oben in große Höhen, den der Wind verteilte und der dann in bis zu 50 km Entfernung der Schwerkraft folgte und wieder in der ganzen Gegend und den Ortschaften herunter kam. In großen Bergen lagen Säcke voller schwarzem Sand und zusammengeschwemmten Sandflächen in den Ortschaften.
Sogar auf Straßen am Berg waren durch Schwemmsand aus den schwarzen Bröseln immer wieder offroad Eigenschaften gefragt, weil der Sand da 20 cm dick lag - Monate nach dem Ausbruch. Hier bekommt man einen Eindruck davon, dass es sich um viele Tausend Tonnen gehandelt haben muss, von denen sicher einige den Weg in die Kanalisationen fanden und dort zu weiteren Problemen führten. Monate nach dem Ausbruch waren vielerorts Säcke immer noch nicht abgeholt und so gesellten sich die zerfallenden Plastiksäcke zum sowieso schon gravierenden Müllproblem der Insel ...
Allein in der Gegend rund um den Ätna lassen sich viele Wochen verbringen. Und das nicht nur mit Vulkanthemen: Von Taormina bis über Catania und Messina strotzt die gesamte Gegend (wie ganz Sizilien) vor Sehenswürdigkeiten, Geschichte und ihren Hinterlassenschaften, die viel zu viele sind, um sie alle aufzuzählen. Auch ein Schiffsausflug zu den Äolischen Inseln (oder "Liparische Inseln") und dem Stromboli, dem Leuchtfeuer des Mittelmeeres, ist jederzeit machbar. Zum Stromboli später noch, denn das ließ ich mir (wenn auch unter widrigen Umständen) nicht nehmen.
Griechen, Römer, Karthager, Phönizier bis sogar zu den Normannen haben hier ihre Fußabdrücke hinterlassen: Die Normannen eroberten Sizilien und Süditalien ab ca. dem Jahr 1000 für einige Jahrhunderte. Entsprechend viel Kultur, Gebäude und Hinterlassenschaften von ihnen gibt es. Es bestehen tatsächlich gewisse Ähnlichkeiten zwischen den Italienern und den Isländern: Stoisch erträgt man die permanenten Gefahren des Vulkanismus und nimmt die großen Vorteile dankbar in Anspruch. Hier ist es der fruchtbare Boden, der die ganze Region um den Ätna zur Fruchtbarkeitsoase macht, dort in Island ist es die fast kostenlose Energie für das Leben. Deutlich unterscheidet sich jedoch der Katastrophenschutz: Während in Island jeder genau weiß, wo er im Katastrophenfall hin muss und wer dann auch noch da sein muss, herrscht hier das blanke italienische Chaos. Immer wieder kommt man sogar an Verkehrsschildern vorbei, deren Ursache längst beseitigt ist und die offensichtlich einfach stehen blieben. Vermutlich hält sich deshalb kein Mensch daran, wenn mitten auf freier Straße plötzlich ein 30 km/h Schild steht ...
Unsere Erkundungen am Vulkan nahmen wir von Adrano aus vor. Auch hier gibt es natürlich an zentraler Stelle ein normannisches Castello. Bisher konnte ich zwei bemerkenswerte Feste hier erleben, bei denen die ganze Stadt auf den Beinen war. An Ostern gibt es eine zentrale Prozession, bei der die ganze Piazza vor dem Castello mit Menschen für eine Theateraufführung gefüllt ist. Anschließend wird ein Feuerwerk am Tage geschossen und jeder beteiligt sich mit Böllern, wobei ich den Eindruck hatte, dass es da eigentlich mehr um die Knallerei, als um Ostern geht ...
Zu Weihnachten werden große Zelte aufgestellt, in denen die Leute sitzen und essen, nachdem das längste "was-weiß-ich" der Welt gebacken wurde. Beides ist ein regelrechtes Volksfest. So kann auch ich Spaß an religiösen Festen empfinden, wenn das Religiöse in den Hintergrund tritt! Der Ätna ist jedoch für mich das bestimmende Thema in Sizilien: Er ist ein völlig umwerfender Berg aus jeder Blickrichtung. Kaum sieht man ihn aus einer neuen Perspektive, schon MUSS man ihn fast zwanghaft fotografieren, auch wenn man schon dutzende Bilder von ihm hat. Dieser Berg hat etwas enorm majestätisches und ist die Bilderbuchverkörperung eines Vulkans. Dutzende von tollen Bildern aus meinem schier unerschöpflichen Fundus würden den Rahmen hier sprengen, aber eine kleine Auswahl muss einfach sein ...
Am Vulkan selbst kann man die Crateri Silvestri bei Nicolosi Nord, das Piano Provenzana (Ausbruch von 2002) und die Alcantara Schlucht neben vielen anderen Dingen als Hauptsehenswürdigkeiten bezeichnen, die mit dem Fahrzeug erreichbar sind. Aber es gibt gerade für Wanderer vieles mehr.
Crateri Silvestri und Alcantara Schlucht
Die Bilder sind mal mit Schnee, mal ohne Schnee, weil man sich hier immerhin auf 2.000 Meter Höhe befindet. Da kann es auch im Sommer mal schneien. Silvestri heißen die Krater nicht wegen einer bekannten Festivität, sondern es ist der Name des Vulkanologen, der die Krater erforschte. Sogar festgefahrene Schneedecke kommt vor ...
Winter?
Ein tolles Erlebnis für alle Sinne ist der Beginn der Regenzeit im Spätherbst: Das vom Sommer ausgedörrte und vertrocknete Land explodiert förmlich und grünt und blüht überall. Der Übergang verläuft rasend schnell und verändert das ganze Land. Reife Orangen- und Zitronenhaine tun das ihrige zu dieser Farbenpracht. Innerhalb weniger Tage verändert Sizilien sein Gesicht. Vorher war alles trocken im trostlosen beige und mit einem Schlag ist alles anders. Ein richtiges Fest für das Gemüt. Die Wintermitteltemperatur liegt um die 16°C. Es kann zwar passieren, dass man zweimal am Tag nass wird, aber das Meeresklima und der Wind sorgen dafür, dass es sich kaum mal einregnet. Wie im skandinavischen Sommer also ...
Winter in Sizilien und Sommer in Skandinavien ist klimatisch eine perfekte Paarung, wenn man keine Hitze mag. Der Winter in Sizilien ist also kein Winter im klassischen Sinne, sondern mehr eine Art Regenzeit. In diesem Winter hatten wir jedoch ab Weihnachten zwei Wochen lang strahlenden Sonnenschein bei 20°C ...
© 2023 Sigi Heider