Anfahrt: Zum Lago di Mergozzo (Dienstag, 19. September 2017)
Der Himmel schwelgt in diversen Grautönen und wir fahren morgens bei 7°C ziemlich schweigsam in Richtung Lindau. Bis zum Bodensee erwischen uns einige heftige Regenschauer und gegen die Alpen sieht es nicht besonders erfreulich aus. Nachdem ich uns bereits gestern die volle Vignettendröhnung (zweimal Schweizer Vignette für Auto und Wohnwagen zu je 38,50 Euro (sic!) und eine Zehntages-Vignette für Österreich zu 8,90 Euro) besorgt hatte, fahren wir ohne Halt durch den Pfändertunnel.
Ein paar Kilometer weiter sind wir schon an der Schweizer Grenze. Brav halten wir dem Zöllner unsere Ausweise vor die Nase und ich werde prompt gefragt, ob ich etwas zu verzollen habe: Fleischwaren oder Alkohol!? Äh, auf diese Frage war ich nicht vorbereitet und ich antworte mit fester Stimme: Nein, haben wir nicht. Wir werden daraufhin anstandslos durchgelassen. Ein paar Kilometer später fällt mir ein, dass hinter meinem Sitz diesmal ein halber Kasten Bier mitgereist ist und ich frage mich laut, ob der Zöllner etwa sowas mit der Frage nach dem Alkohol gemeint haben könnte ..?
Meine Beifahrerin verneint jedoch, Bier sei schließlich flüssiges Brot und somit nicht als Alkohol zu behandeln. Kurz vor Chur machen wir die erste Rast. (Auf der "preiswerten" Schweizer Autobahn muss man für den Toilettengang einen ganzen Franken berappen, um durch ein streng vergittertes Tor in die WC-Anlage zu kommen. Da sind die 50 Cent, die man auf deutschen Autobahnen los wird, ja direkt ein Schnäppchen ..?)
Frisch gestärkt rollen wir vom Rastplatz und fahren wieder auf die Autobahn: Auf dem Beschleunigungsstreifen merke ich, dass etwas nicht stimmt und das Land Rover-Display meldet einen Warnhinweis: Motorleistung reduziert! Na toll, ich werde noch beim Einfädeln von einem betagten VW-Bus überholt und steuere mit knapp 60 km/h die nächste Ausfahrt an.
In einem Industriegebiet ohne anständige Parkmöglichkeit ist dann großes Rätselraten angesagt: Das Handbuch führt die Fehlermeldung natürlich nicht auf und diverse Neustarts führen zu keiner Veränderung. Ich grabe aus dem Kofferraum mein für den Vorgänger Discovery III gekauftes OBD-Diagnosegerät aus und versuche herauszufinden, was los ist. Auch hier kein Ergebnis. Nach ratlosem Hin- und Hergeklicke entscheide ich mich für die pauschale Löschung von Fehlercodes, obwohl ich zuvor keine angezeigt bekam: Zweimal Motor aus, Motor an sowie den Hinweis "Heckklappe offen" durch deren Schließen beseitigen und schon habe ich ein jungfräuliches Display vor Augen. Was war das nun? Fahren wir einfach weiter? Wird das gut gehen ..??
Wir fahren weiter und ich lasse einige Zeit den Motor manuell in einem niedrigen Gang bei ca. 3.000 Touren und 80 km/h drehen, um ggf. den DPF frei zu brennen. Derweil bohrt sich eine gewisse Unsicherheit in unsere Köpfe. Passend zu unserer Stimmung fahren wir nun auf der "Via Mala" in Richtung San-Bernardino-Tunnel: Endloses Gekurve mit langen Tunneln und ein fast 7 Kilometer langer Haupttunnel am San Bernardino tragen nicht gerade zur Entspannung bei.
Aber alles geht gut, keine Fehlermeldung erscheint mehr. Die Straße vom Pass hinab ins Tal ist gigantisch: Die großen Serpentinen mit ca. 10% Gefälle auf 15 Kilometer Länge beeindrucken uns sehr. Auch das Wetter ändert sich: Es ist zwar immer noch grau und ab und an regnet es, aber die Temperaturen steigen kontinuierlich und nähern sich zielstrebig der 20°C Marke.
Das Stop-and-Go durch Bellinzona und Locarno ist anstrengend und die berüchtigte Straße am Westufer des Lago Maggiore bis Verbania ist für unser Gespann teilweise extrem schmal und kurvig. Schnell kommt man nicht voran und so fahren wir die ganze Strecke hinter einem Schweizer Reisebus her, der uns den Weg frei räumt wie ein russischer Eisbrecher die Fahrrinne auf dem Nordmeer.
Nach gut 8 Stunden Fahrt rollen wir am Lago di Mergozzo auf den Campingplatz La Quiete. Mäßige Sanitäranlagen werden durch einen schönen Stellplatz und lediglich 17 Euro pro Nacht dank ACSI-Card aufgewertet. Abends gibt es Pizza im "Raggio di Luna" gleich beim Camping. Nichts kulinarisch Bedeutungsvolles, aber für den Abschluss unserer Anreise absolut in Ordnung ...
Oberes Piemont (20.09. - 24.09.17)
Für die nächsten Tage erweist sich der Lago di Mergozzo als idealer Ausgangspunkt für diverse Ausflüge und Aktivitäten: Nur ein Steinwurf vom Lago Maggiore entfernt ist hier alles etwas gemütlicher, zumal rundherum die großen Campingplätze schließen und die Saison eigentlich beendet ist. Am nächsten Vormittag, bei stahlblauem Himmel und lauen 20°C, fällt unser Blick auf den kleinen Ort Mergozzo am gegenüber liegenden Ende des Sees.
Wir wollen unsere Vorräte etwas aufstocken und fahren mit Ziel Bäcker und Supermarkt entlang der Uferstraße nach Mergozzo: Durch den Ort geht es nur mittels einer Ampelschaltung, denn die Hauptstraße ist so schmal, dass noch nicht einmal ein Gehsteig Platz hat. Am anderen Ende finden wir einen Parkplatz ohne Gebühr und wir gehen zielstrebig zum alten Bäcker, den uns der Reiseführer "Reise Know-How Piemont" empfohlen hat.
Wir kaufen Brot und eine Spezialität des Ortes: Die mit viel Butter knusprig gebackenen Fugascina-Plätzchen bekommen wir gleich zum Probieren. Wir nehmen 10 Stück und zahlen ca. 3 Euro - die kleinen Vierecke sind es wirklich wert! Brot und Biscotti landen gleich wieder im Auto und wir machen uns auf Erkundungstour. Eine nette Kirche, ein kleiner Hafen und verwinkelte Gassen mit zwei kleinen Kapellen machen den Reiz des Ortes aus. Auf dem Rückweg zum Parkplatz kaufen wir noch ein paar Kleinigkeiten im Tante-Emma-Conad gleich neben der Kirche.
Nach dem Mittagessen fackeln wir nicht lange und fahren bei 24°C und wolkenlosem Himmel wieder los: Unser Ziel ist nun das Valle Anzasca mit der Gemeinde Macugnaga am Talschluss. Interessant ist, dass das Tal von Schweizer Bergbauern aus dem Wallis besiedelt wurde und man die besondere Kultur bereits an den ersten Dörfern im Tal erkennt. Abenteuerlich an den Hang geklebte Häuser und Kirchen mit steingedeckten Dächern wetteifern mit den ebenso beeindruckenden Bergen rundherum.
Nach einer guten Stunde anstrengender Fahrt auf einer teilweise abenteuerlich geführten Bergstraße und einigen Ahs und Ohs sind wir im Talschluss auf ca. 1.500 Meter angelangt: Vor uns erheben sich die mit Schnee und kleinen Gletschern garnierten Bergspitzen auf weit über 4.000 Meter und wir sehen, wie der Schnee vom Wind über die Kanten des Monte-Rosa-Massivs geblasen wird ...
Wir machen einen kleinen Spaziergang weiter ins Tal und nehmen auf dem Rückweg noch drei "Schwammerl" mit, die sich uns mehr oder weniger aufgedrängt haben. Auf dem Rückweg besichtigen wir den mit alten Walserhäusern bestandenen Ortskern von Staffa und fahren zurück nach Mergozzo.
Am nächsten Morgen hat es nur 9°C, aber die Sonne und der blaue Himmel verheißen wieder einen schönen Tag. Am späten Vormittag nehmen wir unsere nächste Tour in Angriff: Heute lockt uns ein weiteres Walsertal auf der anderen Seite des Monte Rosa. Aber zuerst wollen wir uns das "Andechs des Piemont" ansehen: In Varallo gibt es einen "heiligen Berg", also einen Sacro Monte, der wirklich einen Besuch wert ist. In dieser Gegend gibt es mehrere solche Anlagen, also einen Wallfahrtsort auf dem Berg mit mehreren Kapellen, die aus der Christlichen Geschichte erzählen. Allerdings ist der Sacro Monte di Varallo in seiner Größe und barocken Pracht die bedeutendste Anlage dieser Art im Piemont.
Wir fahren nicht mit der Seilbahn, sondern auf der Straße hoch zum Sacro Monte: Die irreführende Beschilderung am leeren Parkplatz führt uns dann allerdings zuerst ca. 600 Meter zu Fuß den Berg hinunter zu einer kleinen Kapelle. Macht nichts, sind wir halt etwas gewandert ... also wieder den Berg hinauf!
Die Kapellen mit den lebensgroßen Gipsfiguren darin sind zum Teil in schlechtem Zustand und einige Figuren (mit echtem Menschenhaar geschmückt ...) sehen aus, als wären sie einem schlechten Zombiefilm entsprungen. Die Anlage selbst ist allerdings sehr beeindruckend und fast menschenleer. Allerdings ist gerade Mittag und uns wird die Tür zur Kirche quasi vor der Nase zugesperrt.
Nach einer kleinen Stärkung fahren wir weiter ins "Val Grande" bis zum Talschluss nach Alagna. Das Tal ist sehr viel touristischer als das "Valle Anzasca" und wir sind fast etwas enttäuscht. Das Bergsträßchen am Talschluss empfängt uns mit einem Verbotsschild und wir beschließen kurzerhand, ein bisschen zu wandern. Wir laufen an einem Bergsturz vorbei eine gute halbe Stunde bergauf und werden mit einem spektakulären Blick auf die Ostflanke des 4.559 Meter hohen Monte Rosa belohnt. Sogar die höchste Berghütte Europas, die Capanna Margherita, können wir auf dem Gipfelgrat mit bloßem Auge erkennen - leichter zu sehen ist sie allerdings auf dem Plakat direkt neben dem Wanderweg ...
Zurück geht es über einen kleinen Steig und wir fahren noch auf einen Caffè und ein Cornetto nach Alagna hinunter: Das Dorf ist um diese Jahreszeit dermaßen tot, dass es fast schon gespenstisch auf uns wirkt. Zurück am Auto frage ich unser Navi, wann wir denn am Camping zurück sein werden: Nach 18 Uhr! Der Tag war viel zu schnell vorbei und wir beschließen, nicht noch einen Halt in Varallo oder Omegna einzulegen, obwohl es beide Orte Wert gewesen wären. Die Kurverei über den Passo Colma zum Ortasee verlangt erneut einiges an Konzentration und ich bin wirklich froh, um 18:15 Uhr schließlich wieder am Platz zu sein. Wir kochen frisch gekaufte und sehr gute Ravioli mit Käse und ich bekomme vorneweg ein Gläschen Amaro, den wir uns aus Alagna mitgebracht haben ...
Einen Ruhetag sollte es heute schon geben, nachdem wir 3 Tage am Stück mehrere Stunden im Auto verbracht haben. Dementsprechend langsam lassen wir es heute angehen. Nach dem Frühstück gibt es Lektüre in der Vormittagssonne, wobei es mit der Ruhe nicht weit her ist: Der Platzwart hat sich natürlich genau unsere Ecke für sein morgendliches Rasenmähermassaker ausgesucht. Egal, ich weiche trotzdem nicht aus der Sonne und lese etwas im Piemontkrimi mit Aurelio Zen ...
Bald schon ist es Mittag und wir machen eine kleine Brotzeit. Ich erfahre von einem Camper, der schon öfter hier war, dass es einen Wanderweg nach Mergozzo gibt, der oberhalb der Straße verläuft und recht nett zu gehen wäre. Nachdem ich eh Cappuccino und Kuchen als Nachtisch haben wollte, machen wir uns dann doch auf den Weg. Gleich hinter dem Camping zweigt ein kleiner Weg von der Straße ab und wir gewinnen schnell an Höhe, bis wir den Hauptweg kreuzen: Der Weg ist gut beschildert und wohl bereits viel früher als Saumpfad angelegt worden.
Immer wieder queren wir kleine Bäche und laufen zwischen alten Steinmauern und zerfallenen Steinhäuschen einen urtümlich anmutenden Pfad entlang. Oft bleiben wir stehen und sammeln heruntergefallene Esskastanien (Maroni) auf, obwohl wir nicht nicht wirklich wissen, wie wir sie dann braten werden.
Ein gutes Pfund davon tragen wir nach Mergozzo. Eine Stunde später stehen wir in der Bucht des Ortes und gehen zielstrebig in die Caffetteria, die zur alten Bäckerei gehört, die wir ja bereits am ersten Tag besucht hatten: Es gibt Cappucino und einen hervorragenden Birnen-Schoko-Kuchen ...
Derart gestärkt und nach einem kleinen Einkauf fürs Abendessen beschließen wir, nicht den schnellen Weg an der Straße, sondern den selben Wanderweg zurück zu gehen. Diesmal kommt es uns kürzer vor, aber wir sind wieder eine knappe Stunde unterwegs. So ist aus dem Ruhetag doch noch ein Wandertag geworden. Abends gibt es frische Bandnudeln mit Artischokken, Anchovis und Kapern ... mehr braucht es nicht, um gut zu essen!
Samstag ist Markttag in Domodossola, dem Hauptort des Toce-Tals. Wir sind bereits um 10 Uhr dort und finden wie von Zauberhand geführt einen Tiefgaragenplatz nur zwei Minuten vom Markt entfernt. Kaum haben wir die ersten Blumenstände erreicht, geht der Trubel auch schon los: Ganze Heerscharen von Schweizern bevölkern den Markt, der sich über mehrere Straßen und Plätze rund um die Piazza Mercato erstreckt.
Interessant ist, dass der Markt in verschiedene Bereiche aufgeteilt ist: Gleich im Anschluss an die Blumenstände wetteifern die Marktleute mit Salami, Käse und Stockfisch um die Kundschaft. Man wird quasi von Bergen von Salami und diversen Käselaibern bedrängt und muss sich an den vielen Probiertellern vorbei manövrieren. Es riecht intensiv würzig nach den verschiedenen Produkten, wobei der in großen Mengen angebotene Stockfisch nicht so ganz unserem Geschmack entspricht.
Schließlich wird es etwas ruhiger: Auf der Piazza Mercato sind eher die Kleiderhändler unter sich und so manche Afrikaner und Chinesen sind auch mit dem typischen Ramsch vertreten, den es auf allen italienischen Wochenmärkten gibt. Eine kleine Aufregung am Rande: Eine geschminkte Luftballonverkäuferin beschimpft eine alte Bettlerin - die hat ihr wohl den angestammten Platz weggenommen und hält nun hartnäckig ihren Plastikbecher in die vorbeiströmenden Marktbesucher.
Mir ist es fast zu viel Trubel und so schlagen wir einen Haken außerhalb des Marktes durch die fast menschenleeren Straßen und Gassen des sehenswerten Altstadtkerns. Doch wir haben ja noch die Mission "Wochenendeinkauf" vor uns, also zurück in den Trubel! Los geht es mit Brot und Keksen in einer netten Bäckerei, wo wir erst einmal im Kreis anstehen müssen. Dann geht es weiter auf den Obst- und Gemüsemarkt: Ich bekomme endlich meine frischen italienischen Feigen und grüne, süße Pflaumen. Auf der Suche nach Ecken in denen wir noch nicht waren, stoßen wir nach einem Espresso in einer Bar auf einen Marktteil, wo es etwas beschaulicher zugeht. Hier haben sich die Biobauern versammelt: Es gibt wenig Auswahl, aber überaus interessante Produkte. Wir nehmen dankbar ein Kilo Kastanienhonig für 11 Euro mit und kaufen diverse Käse bei "Kilometer Null", also direkt beim Erzeuger. In einem Buchladen sehe ich Wanderkarten für die Westalpen. Bei genauer Betrachtung entdecke ich hoch erfreut einige Ziele aus unserem Denzel und kaufe in Vorfreude auf unsere nächsten Stationen die passenden Kartenblätter. Als wir dann zum Auto zurücklaufen, sind zwei Stunden um - die Zeit ist enorm schnell vergangen ...
Von Domodossola zweigt im rechten Winkel ein Tal nach Osten ab. Die Straße führt mit vielen Kurven entweder nach Locarno, wo ein kleines Bähnchen nach Domodossola pendelt, oder auch nach Canobbio am Lago Maggiore. Wir lassen es etwas gemütlicher angehen und machen auf einem großen Parkplatz in Santa Maria Maggiore erst einmal ausgiebig Brotzeit: Feigen, Käse, Brot mit eingebackenem Gemüse, köstliche Oliven, Salame di Testa (würzige Schweinskopfsülze), diverse Käse und dazu Sonnenschein und frische Luft. Was will man mehr ..?
Wir wollen noch auf den nahegelegenen Pass ins Valle Canobbina: Dort ist alles ruhiger und auf der Passhöhe gibt es sogar ein kleines WWF-Reservat (Pian dei Sali). Nach einem Espresso in Finero treten wir den Rückzug an und machen in Domodossola einen erneuten Halt, um diverse Vorräte im großen Carrefour aufzufüllen. Gegen 17:30 Uhr sind wir wieder am Platz und ich brate Maroni über dem Bundeswehrkocher - in einer Schaumkelle, Not macht erfinderisch! Die Wolken verziehen sich im Lauf des Abends und um 21 Uhr hat es immer noch 17°C. Der wärmste Abend seit wir unterwegs sind ..!
© 2018 Matthias Bernhard