14.Tag: Donnerstag, 28.08.97, 08:00 Uhr UTC
"Seehund" hatte am Vorabend angekündigt, nicht vor 11:00 Uhr "QRV" zu sein, bevor auch er nach Norden aufbrechen will, aber wir starten schon wesentlich früher zu unserer nächsten Etappe, die uns bis zur Nordspitze der Insel führen soll.
Wir fahren die Straße 85 Richtung Norden, zu unserer Linken haben wir die Küste, hier sind die Ausläufer des Öxarfjördur, letztlich das entgegengesetzte Ende unserer Jökulsá á Fjöllum.
Das Wetter hat umgeschlagen im Vergleich zum Vortag, ein echtes Sauwetter ist aufgezogen mit Nebel und Nieselregen. Neben der Straße sind Tintlinge und jede Menge großer Pilzkolonien zu sehen, bald darauf wandelt sich die "Mainroad" 85 in ein Lehm- und Schlaglochparadies. Die alte Piste verläuft in langen Strecken oft neben der "Hauptstraße", man kann sich leicht vorstellen, wie es um die damalige Befahrbarkeit stand ...
Die zeitweise vorhandene Lehmstrecke führt weiter, bis wir vor einem Baufahrzeug halten müssen. Dessen Fahrer scheint nach wilden Rangiermanövern dankbar zu sein, dass wir hundert Meter rückwärts fahren, Touristen sind hier keine mehr auf der Strecke.
Entlang der Nordküste fahren wir immer wieder im Niesel und Nebel an angeschwemmtem Treibgut vorbei, nur all zu oft würde man gern anhalten, wären da nicht die nächsten Ziele - Islands nördlichster Punkt wartet. Der Nebel wird immer dichter und der Blick aufs GPS wird entsprechend häufiger, je näher wir dem Abzweig zum Leuchtturm Hraunhafnartangi kommen.
Lautes Piepsen schreckt aus den Gedanken, denen man zwangsläufig beim "Suppenfahren" nachhängt - "Approaching Hafnartangi"! Tatsächlich folgt nach wenigen Metern eine Schotterpiste, die von der Straße 85 abgeht und im Nebel verschwindet (N 66°31,45854´ W016°01,99745´). Nach wenigen Metern ist jedoch Schluss: Durchfahrt zum Leuchtturm verboten!
Wir lassen den Explorer stehen und folgen einer "Insider-Piste" zu Fuß, die mit Fischernetzen ausgelegt ist, um einen Mindestkomfort für leidgeprüfte 4Wheeler zu bieten. Nach einer halben Stunde zu Fuß erreichen wir im Nebel auf unserer "Spezialpiste" die schemenhaften Umrisse des nördlichsten Leuchtturms Islands (N 66°32,18333´ W016°01,6´).
Wir gehen zu Fuß zu einem uralten Shelter in der Nähe des Leuchtturms, wer weiß, wann dieser errichtet wurde und welcher gestrandete Seemann im Laufe der letzten Jahrhunderte hier schon Zuflucht fand ...?
Die Gegend hier wirkt im Nebel gespenstisch und trostlos zugleich, wir sind froh, als nach einiger Zeit wieder der Explorer im Nebel sichtbar wird, die Weiterfahrt ist gesichert. Schnell befinden wir uns wieder auf südöstlichem Kurs, immer noch am Meer entlang, der nächste Ort, der uns erwartet, ist Raufarfjördur.
Wenn die Welt irgendwo zu Ende sein sollte, dann hier - der neblig verhangene Industriestandort (Fischindustrie, was sonst?), lädt in keiner Weise zum Verweilen ein. Wir denken nicht einmal daran, den hier wohl vorhandenen Campingplatz anzusteuern, der noch 3 Tage geöffnet haben soll in diesem Jahr. Ohne Aufenthalt folgen wir weiter der Straße 85, trotz Nebel fällt immer wieder der Blick auf landschaftlich beeindruckende Gebilde am Straßenrand, denen man sich nie entziehen kann ...
Wir geben einen früheren Plan auf, die Halbinsel Langanes anzusteuern und auf übler Piste den im äußersten Osten gelegenen Leuchtturm Fontur anzufahren - zu bescheiden ist aus diversen Gründen an diesem Tag die Stimmung an Bord. Es erscheint besser, die "Zivilisation" anzusteuern, als erneut die Wildnis. Doch welche Zivilisation? Auch Bakkafjördur erweist sich als ungastlich, der bescheidene Campingplatz könnte uns heute niemals genügen.
Auch wildes Campen entfällt, merkwürdige "Hütten" am Ortsrand lassen die Weiterfahrt nicht angeraten erscheinen. Liegt es nur an der zunehmenden Erschöpfung, dass die Einwohner hier bedrohlicher wirken, die Ortschaften trostloser, fast schon elend, die Landschaft ungastlicher und nicht zuletzt die Autofahrer unfreundlicher, die mit einem Bigfoot ungebremst über die Gravelpiste in geringstem Abstand an uns vorbeirasen?
Obwohl wir ihn häufig genug rufen, kommt auch keine Antwort vom "Seehund" aus dem Äther, die CB-Funkstille ist so umfassend wie in den Vortagen - reicht seine "Masse" tatsächlich nicht aus oder wo mag er jetzt stecken ..?
Getrieben von Hunger, Erschöpfung und dem Willen, jetzt endlich einen mehr oder minder gastlichen Ort zum Verweilen zu finden, fahren wir weiter nach Süden - Vopnafjördur ist unser nächstes Ziel. Im Ort angekommen macht sich zuerst die extrem stinkende Fischfabrik (wie sagt man später irgendwo: es stinkt nicht nach Fisch, sondern es riecht nach Geld!) bemerkbar, es verschlägt einem fast den Atem, als wir auf der Infotafel die Lage des örtlichen Campingplatz studieren ...
Der erweist sich als gebührenfrei und wir stellen uns mit dem Explorer vorsichtig auf den Rasen, auf dem schon lange kein Zelt mehr gestanden zu haben scheint (N 65°45,48108´ W014°49,74195´). Später finden wir einen Hinweis, auf dem darum gebeten wird, mit Campingfahrzeugen nicht auf dem Rasen zu stehen, aber der spärliche Kiesweg vor dem Rasen ist schon mit zwei Fahrzeugen zugestellt.
In unserer Nähe scheinen sich echte isländische Camper aufzuhalten, denn die Truppe, die dort mit Kindern stahlhart im Wind und mit Regenumhang unter der aufgeklappten Hecktür ihres Fahrzeuges grillt, kann nur von der Insel sein - in Deutschland wäre bei diesem Wetter wohl jedes Grillfest abgesagt worden. Ebenfalls unter Regenumhängen toben die Kinder am Explorer vorbei und bestaunen das lehmverkrustete Fahrzeug ...
Endlich gibt es auch bei uns was zu essen, es tut gut, nicht mehr zu fahren und den Abend im Explorer zu genießen. Eigentlich sind wir aufgrund unserer heutigen "Verzweiflungsfahrt" schon viel zu weit - zwei Tage mehr in Asbyrgi wären mehr als angebracht gewesen, aber inzwischen wird sich das heutige Wetter auch dort breitgemacht haben ...
Die Deutsche Welle, die heute abend wieder auf 6075 SW eingeschaltet wird, berichtet von bis zu 32°C in Bayern morgen. Wir haben knappe 8°C bei Wind und Regen, Windchill nicht eingerechnet, unsere Heizung läuft und begleitet uns in den Abend vor der Lichterkette des Hafens von Vopnafjördur, den man aus den Fenstern des Explorers von der Höhe unseres Übernachtungsplatzes weit unten leuchten sehen kann ...
© Text/Bilder 1997 J. de Haas