9.Tag: Samstag, 23.08.97, 08:00 Uhr UTC

Auf unserer Höhe von ca. 800 m herrschen an diesem Morgen nach dem Aufstehen knapp 3°C, ich erinnere mich, wie ich vor kurzem jede Form von Wintercamping abgelehnt habe - aber das machen wir ja schließlich auch nicht an diesem Spätsommertag!

Karte: Vom Campingplatz zur Eishöhle

Wir haben beschlossen, heute einen Ruhetag einzulegen und damit keinen Meter mehr zu fahren. Wir wollen statt dessen zur Eishöhle Ishellir am nahen Gletscher wandern, und zwar nicht vom dortigen nahen Parkplatz, sondern direkt vom Camp aus.

Auf dem Gletscher am Kverkfjöll ...Die Karte zeigt, dass wir mit einem "Direct" von 209° mit GPS-Unterstützung und einem voraussichtlichen Zeitbedarf von ca. 2 Stunden auch von hier aus zu unserem Ziel kommen werden ...

Wir erreichen den Parkplatz auf dem vorgesehenen Kurs problemlos. Es folgt ein Fußweg durch "dramatisches" Gelände parallel zum Fluss, der vom Gletscher kommt: Es ist die Jökulsá á Fjöllum, ein wilder Gletscherfluss, den wir von nun an noch häufiger auf unserem Weg in den Norden kreuzen werden. 

Kurz vor der sich bedrohlich auftürmenden Gletscherzunge kommt uns das Scamper-Paar entgegen. Sie erzählen, dass sie (wie auch die meisten anderen) kurz hinter dem Einstieg in den Gletscher, von wo aus sich jeder seinen Weg herüber zur Eishöhle selber suchen muss, umgekehrt seien und wohl nur einer mit Steigeisen und Helm hier durchkäme.

So einen hätten sie vor kurzem gesehen - und selbst der sei nur mit Problemen weitergekommen, wie man von unten aus hätte verfolgen können. Sie wollen jetzt das Hochland verlassen, da man nicht wisse, ob der Sprit bis zur Askja reicht. Sie wollen alles im nächsten Jahr nachholen - glückliche Leute, die zwar heute aufgeben, aber dafür genau wissen, was sie im nächsten Jahr machen!

Wir lassen uns nicht entmutigen, hatte doch die Hüttenwirtin ausdrücklich bestätigt, dass der Übergang zur Zeit möglich ist. Wir beginnen am Rand der Gletscherzunge hochzusteigen und beeinflussen dadurch auch ein weiteres deutsches Paar, den Versuch noch nicht abzubrechen - unsere Mitteilung von der Aussage der Hüttenwirtin gibt ihnen neuen Mut ...

Weiter oben scheint die Überquerung möglich. Der Aufgang dauert länger als erwartet, bis wir uns entscheiden, nun über den Gletscher quer bis zum Abstieg zur Höhle zu laufen - nachdem wir uns auf dem Eis befinden, werden wir durch bizarre Eindrücke mehr als entlohnt.

Quer über viele Eisformationen und kleine Wasserläufe, die ihren Weg zur Jökulsá suchen, finden wir unseren Weg über den Gletscher, bis wir wieder auf "festem" Boden sind und uns ein Schild (!) am erneut markierten Fußweg auf die Gefahren der nahen Eishöhle hinweist ...

Nach deutlichen Warnungen ... ... an der Eishöhle ...

In der Tat soll die Eishöhle Ishellir gefährlich sein (Anm. der Red.: Inzwischen ist sie eingestürzt und nicht mehr zugänglich!), fallende Eisbrocken sorgen dafür, dass nicht all zu viele Touristen sie mehr betreten werden. Auch ist sie wohl in den letzten Jahren deutlich kleiner geworden, als sie einmal war. Dennoch aber: Ein kurzer Spurt hinein an den Eingang, ein Blitzbild ist immer drin! Leider später aber nicht viel drauf. Doch der Weg zu diesem Platz (N 64°43,38976´ W016°39,37950´) lohnt sich allemal. Erinnerungen an den Schlund von Nigardsbreen Norwegen 96 werden hier wieder wach ...

... Redaktionsheld am Eisblock ...Der Weg zurück wird wieder sportlich mit GPS erledigt - vom Parkplatz aus ein "Direct". Im umgebenden Naturschutzgebiet ist wie bereits am Snaefell kein wildes Campen erlaubt und wir haben Hinweise gelesen, dass man nur "Fußsporen" zurücklassen möge, ohne Entfernen von Steinen oder anderem.

Nur eine Stunde später sind wir wieder zu Hause: der Explorer wartet. Die Solarzelle auf dem Dach ist ein echter Gewinn, der kurze Sonnenschein heute hat der Batterie wieder ordentlich "Saft" geliefert, so dass sich der Ruhetag stromtechnisch nicht negativ bemerkbar macht. Nur eine Aufregung folgt am Abend: zwar fiel starkes Augenbrennen bereits beim Kochen auf, jedoch wurde dem Sachverhalt nicht viel Bedeutung eingeräumt. 

Erst als die Gasflamme ausgeht und auch keine Kerze mehr zu betreiben ist, gehen alle Alarmglocken an: Offensichtlich ist der Explorer trotz geöffnetem Hubdach mit seinem Zeltbalg derart luftdicht, dass bei fehlender Belüftung der Sauerstoffgehalt extrem abfällt. Leicht in Panik werden die Fenster aufgerissen - schon wenige Minuten später lässt das Augenbrennen nach und auch die Gasflamme mag wieder. Von nun an gilt der Belüftung höchste Aufmerksamkeit (allerdings passiert das selbe noch einige Male auf der Tour, nur werden die Reaktionszeiten kürzer!).

Die zweite Nacht am Kverkfjoell wartet auf uns, doch bevor es wieder dunkel wird, erfolgt noch ein Gang zum nahen Bedarfsflugfeld - planiert und abgesteckt ist die Rollbahn, von der aus die Hütte und die paar verlorenen Fahrzeuge wie Spielzeuge in einer bizarren Umgebung wirken - sind wir wirklich hier in dieser Abgeschiedenheit oder ist das nur eine flüchtige Vision, die in Kürze wieder von der Realität verdrängt sein wird ..?


© Text/Bilder 1997 J. de Haas