1.Tag: Freitag, 15.08.97, 05:00 Uhr MESZ

In aller Herrgottsfrühe geht es auch diesmal wieder los: wir wollen heute zwar nicht direkt bis Esbjerg durchfahren nach unseren Erlebnissen mit der Anreise Kiel bei unserem Trip Norwegen 96, aber immerhin doch bis zur Lüneburger Heide. Hier haben wir uns das Südsee-Camp ausgesucht, ein mehrfach ausgezeichneter Campingplatz, auf dem wir uns vor Island noch einmal allen deutschen Camper-Luxus für eine Übernachtung gönnen und gleichzeitig die Anreise in verträgliche zwei Teile aufteilen wollen.

Wieder verläuft die "heißgeliebte" Anreise stundenlang durch mehr als die halbe Republik. Hunderte Autofahrer überholen uns mit Bündeln von Fahrrädern auf dem Dach und den Gepäckträgern - eine ganze Nation von Jan Ullrichs auf dem Weg nach Norden?

Explorer im Südsee-Camp ...Sehr oft fällt der Blick der Autoinsassen auf den Explorer: nach Sandblechen und Außenkanister rücken unsere Reifen in den Mittelpunkt des Interesses. Unter den Kotflügelverbreiterungen sind anstelle unserer üblichen breiteren Reifen die Originalräder montiert, welche die Verbreiterungen auch nicht annähernd ausfüllen können - ein merkwürdiger Anblick, der sicher ein starkes Ego des Fahrers verlangt!

Dennoch bin ich bereits jetzt froh, die Reifen gewechselt zu haben, da wir nur ein Ersatzrad im Format der Originalräder mitnehmen können. Die Beanspruchung wird in Island allerdings so erheblich sein, dass ein passendes Ersatzrad unabdingbar ist und auch kein Anlass besteht, die teuren Breitreifen anstelle der "kostenlosen" Originalräder zu verschleißen - auch wenn für deutsche und erst recht isländische Augen sicher ein gewöhnungsbedürftiger Anblick!

Am Nachmittag erreichen wir das Südsee-Camp (N 52°56,20712´ E009°58,03272´), eine "blitzblanke" deutsche Anlage, die offensichtlich viele Camper nicht nur wegen ihrer sichtbaren Kinderfreundlichkeit anzieht. Brötchenschlange und Bild-Zeitung sind hier genauso unvermeidlich wie ordentlich numerierte Stellplätze und Dauercamper mit Wohnwagen ...

Nur wenige Meter neben uns stehen Camper aus Hannover, die sich staunend den Explorer anschauen und nach wenigen Minuten ihre ersten Eindrücke wiedergeben: "Ein Fahrzeug aus einem Panzermuseum?" Der Abend wird recht gemütlich, da die Hannoveraner sehr kommunikativ sind und an der Erzählung vom bevorstehenden Island-Trip viel Anteil nehmen. Der Familienvater spendiert uns ein Bier und verrät zu vorgerückter Stunde ein Geheimnis: Er würde am liebsten mit uns kommen ...

2.Tag: Samstag, 16.08.97, 09:00 Uhr MESZ

Darauf, dass in wenigen Stunden der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder auf einem Fahrrad u.a. genau unseren Stellplatz auf dem Südsee-Camp besuchen wird, können wir heute morgen leider keine Rücksicht nehmen! Nachdem wir über zwanzig Dosen Bier im Alkoven versteckt haben (immer die gestrengen Zöllner auf den Faröer Inseln vor Augen, die keine Einweg-Blechdosen und erst recht nicht solche Litermengen leiden können), hinterlassen wir einen schönen Gruß an Schröder beim Hannoveraner Nachbarn und sind froh, endlich aufbrechen zu können - ohne hier drei Wochen Urlaub machen zu müssen ...

Die Anreise nach Esbjerg wird doch wieder viel länger als gedacht, trotz des ruhigen Verkehrs. Als wir die dänische Grenze passieren, sind schon wieder etliche Stunden vergangen. Entschädigt werden wir durch eine recht freundliche Landschaft, die bei schönstem Wetter doch inzwischen Urlaubsgefühle vermittelt. Von der Autobahnausfahrt Esbjerg sind es nochmal mehr als 60 km Landstraße bis zum Hafen - ein Umstand, den wir glatt übersehen hatten und auf den tatsächlich nur das gnadenlose GPS aufmerksam macht, dem wir anfangs nicht so recht Glauben schenken wollen. Doch es hat recht (wie fast immer) und weiter gehts über Landstraßen, Kreisverkehre und Autobahnabschnitte durch eine sehr ansprechende nachmittägliche Landschaft bei geringem Verkehr bis zu unserem Fährhafen: das "richtige" Esbjerg (N 55°27,68584´ E008°26,71252´).

Vielversprechende Wegweiser in Esbjerg ...

Eine beachtliche Warteschlange windet sich bereits mehrere Stunden vor Abfahrt der Fähre durch die Straßen rund um den Anleger. Die Erwartung, hier nur auf martialische Geländewagen zu treffen, trügt. Jede Menge VW-Busse und Pkw, darunter ein altersschwacher Wartburg aus Polen an der Spitze der Warteschlange. Dennoch sind aber auch einige der erwarteten Fahrzeuge zu sehen: Jeeps, Landys, zünftig ausgerüstet insbesondere das Fahrzeug eines spanischen Professors: Mit T-Shirt Islandia 96, Kanistern, Seilen und jeder Menge Ausrüstung wollen hier Glaceologen von Madrid zum Vatnajökull, offensichtlich um dort zu arbeiten.

Auf der Straße am Anleger herrscht bald das Chaos: Neben Reisebussen versucht selbst ein Gespannfahrer, der offensichtlich gar nicht auf unsere Fähre will, eine abenteuerlich enge Kurve zu fahren und wird mehr durch Zufall daran gehindert, alles mögliche an anderen Fahrzeugen "abzurasieren".

Das Anlegemanöver der Norröna am Abend ist ein beeindruckender Vorgang. Das gewaltige Schiff wendet nahezu auf der Stelle im engen Hafenbecken mit Hilfe seiner vorderen Schrauben und entlässt bereits kurz darauf eine ganze Karawane von Fahrzeugen: vom sauber gewaschenen Womo bis zum kaum noch erkennbaren Geländewagen mit Originallehm aus Island (den der Fahrer sicherlich bewusst dran gelassen hat) rollt eine beeindruckende Parade von Normal- und Spezialfahrzeugen von Bord ...

Unter Deck an Bord der Norröna ...Früher als erwartet beginnt schon bald der Beladevorgang. Nur ein Fahrer darf an Bord eines jeden Fahrzeugs bleiben - warum, wird schon bald klar, nachdem man an Bord gerollt ist.

Die Packungsdichte unter Deck der Norröna ist enorm: Rechts ranfahren bis zur Außenspiegelkante (dank der schmalen Reifen trotz Randbegrenzer kein Problem!) und bis auf 5 cm zum Vordermann ist nicht jedermanns Sache.

Der Einweiser schaut genervt, als sich der Explorer-Fahrer zu weigern scheint, auf Handzeichen noch 2 Zentimeter näher ranzufahren. Aus dem Cockpit erscheint der Aufprall unvermeidbar, aber der Mann an Deck weiß es wohl besser - 2 Zentimeter gehen tatsächlich noch, bis er endlich zufrieden ist und abwinkt.

Die Handbreit über dem Explorer-Dach bis zur nächsten Stahlkante und die kontrollierenden Blicke der Einweiser zur Decke machen mehr als deutlich, warum man die gebuchten 2,40 m Höhe sehr ernst nehmen sollte an Bord der Norröna: die vielen abgeknickten Antennen der Ankommenden in Esbjerg waren uns bereits aufgefallen, aber wir wussten nicht warum das so war - jetzt schon!

Die Abfahrt gegen 22:00 Uhr Ortszeit erfolgt pünktlich, Esbjerg verschwindet in der fortschreitenden Dämmerung. In der Cafeteria der Norröna stellen wir uns zum ersten Mal an: es gibt ein Abendessen mit Spagetti und einem BIER (die Preise von DM xx werden wir erst nach Einlösung der Unzahl von Kreditkartenbelegen an der Cafeteria-Kasse voll überblicken).

Endlich wieder an Bord einer Fähre! Wie ich an mir selbst feststelle, hat die Vorjahresfahrt mit der "Prinsesse Ragnhild" nach Norwegen doch Lust auf mehr gemacht und nun ist es soweit! Die Motoren dröhnen und die Kabine ist sehr annehmbar - die Sicht auf das Meer kann in der Dunkelheit jedoch nicht mehr genossen werden ...

Wieder dröhnen uns die Motoren in den Schlaf und wieder ist es für Landratten ein merkwürdiges Gefühl beim Einschlafen, auf einem Schiff in die nächtliche See auszulaufen: Nordatlantik, wir kommen!


© Text/Bilder 1997 J. de Haas