7. Tag (Sa, 26.08.95)
Der nächste Tag wird bestimmt durch unsere ausführliche Expedition in eine der jüngsten Kraterlandschaften Islands: Nach Besuch des nahen Geothermalgebiets von Námarskarđ mit seinen Solfataren, Fulmarolen und sonstigen Schlamm- und Wasser-"Blubberern" fahren wir noch eine kurze Strecke weiter ...
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Nach Durchquerung des Werksgeländes des dortigen Kraftwerks kommen wir im Gebiet der Krafla an.
Es ist unglaublich, wie farbenprächtig und zugleich zerbrechlich diese allerjüngste Lava im Bereich des erst in den frühen Achtzigern und nochmals Anfang der neunziger Jahre kurz ausgebrochenen Vulkangebiets ist. Erst viel später werden wir in der Vulkanshow von Villi Knudsen in Reykjavik erfahren, dass hier täglich mit einer neuen Eruption gerechnet werden kann und es wohl auf ein paar Touristen mehr oder weniger in der Geschichte Islands letztlich nicht ankommt.
Die Erkältung rafft nun doch fast die gesamte Besatzung des Scampers dahin. Man schleppt sich zurück nach Reykjahlið am Myvatn. Aufgrund unserer Exkursion und dem Gesamtzustand der Besatzung wollen wir heute erstmals am gleichen Ort bleiben, doch möchten wir wenigstens den Campingplatz wechseln.
Ein zweiter und angenehm leerer, doch trotzdem schöner Platz findet sich am Fuße des Flugplatzes von Reykjahlið. Dieses Flugvollür wird ausgiebig erkundet; die Sommerausstattung des Campingplatzes mit Grillplatz ist noch voll erkennbar - doch wer wollte hier Ende August noch sitzen? Die Grill- und Sommerzeit scheint bereits lange zurückzuliegen.
Nach ausgiebiger Wassernahme wird der Abend im Scamper verbracht. Es fällt auf, dass Samstags anstelle des endlosen Redens im Radio tatsächlich Musik gespielt wird - zwar auch häufig isländische Fassungen bekannter Songs, aber immerhin Musik. Und die ist hier auch zu hören, die Herrschaft des Hochlands ist tatsächlich vorbei.
8. Tag (So, 27.08.95)
Mit weiter zunehmender Erkältung geht es nun über die Ringstraße 1 in westlicher Richtung. Bei Annäherung an Eyjafjödur verläuft die Straße abschüssig in nahezu südlicher Richtung, wobei sich ein großartiger Anblick auf das in der Ferne liegende Akureyri bietet, die sogenannte Hauptstadt des Nordens ...
Auch in dieser Stadt findet sich ein Campingplatz in ausreichend zentraler Lage. Der Plan mit Informationen zum Campingplatz verrät, dass der Platz hier schon seit Dekaden besteht, allerdings am Anfang noch am Stadtrand lag, der mittlerweile nahezu Stadtmitte wurde. Als Pickup-Camper werden wir wieder auf einen Randbereich des Areals verwiesen.
Davon, dass Akureyri angeblich ein südliches Flair mit seiner beheizten (?) Fußgängerzone verbreitet, bemerken wir bei einem Rundgang in Anbetracht der herrschenden Witterung mit steifem Wind recht wenig. Der Spaziergang (stadtfein ohne schwere Bergschuhe und mit Isländer-Pullover) durch diese Fußgängerzone und den nahen Hafen wird fröstelnd abgebrochen, um hier (erstmalig) auf der Tour ein Restaurant aufzusuchen. Wen wundert es, dass wir zufällig im "Bautinn" landen, dem Lokal, wo offensichtlich jeder Akureyri-Besucher mal hingeht und wo es angeblich den besten Fisch der Stadt gibt.
Am Sonntag abend hat die Apotheke Notdienst und deshalb breche ich erneut auf vom Campingplatz um Medikamente einzukaufen, während der nun bettlägerige Teil der Besatzung zurückbleibt. Die Medikamentenauswahl ist gering, aber immerhin gibt es Aspirin, das hier Magnýl heißt.
Der Zeltplatz ist gut besucht, eine englische Reisegruppe lagert in unserer Nähe. Dass heute wieder Bier übrig bleibt und stattdessen Tee mit Rum bevorzugt wird, muss kaum noch erwähnt werden. Am Abend bei üblichem Kerzenschein, mit Notmedikamenten und Musik (!) im Radio wird es trotz allem wieder richtig gemütlich.
9. Tag (Mo, 28.08.95)
Raus aus der "Großstadt", die Wildnis ruft wieder unüberhörbar. Wir wollen nach Möglichkeit heute noch zum Kjölur vordringen, der Piste F37, die neben dem von uns bereits in Süd-Nord-Richtung befahrenen Sprengisandur die zweite Nord-Süd-Verbindung der Insel quer durchs Hochland darstellt. Im Gegensatz zum Sprengisandur sind hier jedoch bereits alle Furten beseitigt bzw. überbrückt, so dass auch weniger geländegängige Fahrzeuge auf dieser Piste ihre Chance erhalten, die ebenfalls von Allrad-Bussen befahren wird.
Doch bevor es soweit ist, geht es zunächst weiter in westlicher Richtung die hier ebenfalls sehr schöne Ringstraße 1 lang, zunächst durch gebirgiges Hochland, später durch das sehenswerte Tal des Heradsvötn. Bevor wir die 1 über die Straße 731 / 732 schließlich verlassen, tanken wir noch einmal, denn der Kjölur soll wieder recht einsam werden ...
Die verlassen wirkende Tankstelle wird erreicht, ein Tankwart kommt allerdings erst aus einem nahegelegenen Wohnhaus, als wir intensiv an einer Klingel herumexperimentieren, die wir nach einigem Suchen entdecken.
Hinter der Straße 732 in südlicher Richtung hat uns die Einsamkeit wieder, wir sind allein auf dem Kjölur. Da hier offensichtlich ausgiebig mit Wasser sprich künstlichen Seen experimentiert wird, wirken die Seen anders als auf unserer Karte eingezeichnet. Wir erkennen jedoch die Seen Mióvatn und Pristikla wieder und erreichen schließlich den Blönðulón, einen recht ausgedehnten See, an dem wir irgendwo die Nacht wild campend verbringen wollen. Die Seen haben es uns angetan!
Wir verlassen den Kjölur an einem Abzweig und passieren eine der vielen Landepisten, bis wir schließlich am östlichen Ufer einer nach Süden ragenden Ausbuchtung des Blönðulón Halt machen.
Der Unterschied zum Sprengisandur wird deutlich, als im Laufe des Abends zwei Fischer mit einem Schlauch-Motorboot in einiger Entfernung vorbeifahren - keine vollständige Einsamkeit! Wir halten es trotzdem aus und umrunden zu Fuß das recht unwegsame, aber eindrucksvolle Gelände um unseren Camper.
Später, als die Fischer weg sind und es langsam dunkel wird, verbringen wir wieder unseren obligatorisch-idyllischen Abend unter dem Hubdach.
Nachts werden wir wach, als draußen der Sturm tost und uns unsanft schaukelt. Und das obwohl ich den Camper täglich nach dem Wind ausrichte! Die beim Hubdach übliche Seitenplane knattert. Wie üblich kommen die Gedanken an den äußerst nahen Rand des Sees, an dem wir uns wieder einmal eingeparkt haben. Ich stelle fest, dass der Wind inzwischen gedreht hat und überlege nicht zum ersten Mal auf der Tour, ob ich den Camper umstelle.
Doch die Müdigkeit gewinnt, ich lasse es schaukeln und schlafe schließlich wieder ein ...
10. Tag (Di, 29.08.95)
Das Outdoor-Erlebnis mit der Campingtoilette wird an diesem Morgen im Gegensatz zum Sprengisandur getrübt. Es ist nicht nur nasskalt - das allein würde das Vergnügen am See kaum trüben - nur diesmal kommen die Fischer mit ihrem Schlauchboot wieder herangedröhnt. Der Aufenthalt "im Freien" wird abgebrochen, doch die Fischer ziehen in einigem Abstand vorbei.
Am Flugfeld vorbei stoßen wir wieder auf den Kjölur. Bei "bescheidenem" Wetter fahren wir weiter südlich, wir wollen unbedingt die heißen Quellen bei Hveravellir erreichen.
Nach einem kurzen Spaziergang in der Umgebung der Quellen und des dortigen Hochthermalgebiets mit wieder einmal sprudelnden Wasserlöchern und heißen Dampfschleuderern ziehen wir uns in der Kabine erneut um für den Besuch des hiesigen "Hotpots".
Bei kaum 6 Grad Celsius und scharfem Wind sind wir die einzigen, die sich in dem kleinen Becken einfinden - wenige warm verhüllte Touristen gehen an uns vorbei und staunen über die (nahezu unbekleideten) Badenden im schneidenden Wind.
Aufgrund des insgesamt doch wenig zur Übernachtung einladenden Areals beschließen wir hier nicht zu bleiben, sondern weiterzufahren. Weiter hoch in die umliegenden Berge wollen wir auch nicht, wissen wir doch inzwischen, was es bedeutet, bei dem herrschenden Wetter über Höhen von 1.000 Meter zu gelangen - draußen wird es dann viel zu ungemütlich, um noch herumzulaufen.
Wir folgen dem Kjölur weiter in südlicher Richtung und stellen fest, dass er tatsächlich stärker befahren ist als der einsamere Sprengisandur. Die Übernachtung soll wieder abseits der Piste erfolgen, trotz der nicht gerade einladenden, aufliegenden Nieselbewölkung, die bei der Durchfahrt zwischen Langjökull und Hofsjökull jeden Blick auf die Gletscher unmöglich macht.
Als wir den Hvitárvatn erreichen, schlägt uns bereits aus der Ferne eine Gletscherzunge in ihren Bann, deren abgebrochene Blaueiskante bis an das nordwestliche Ufer dieses Sees heranreicht und dort auch bereits von hier aus sichtbar gekalbt hat.
Wie magnetisch angezogen von diesem Anblick nähern wir uns weiter auf dem Kjölur, verlassen diesen dann und stehen kurz darauf nochmals vor einer Furt über die Svartá. Gekonnt und dankbar für endlich mal wieder eine Furt passieren wir das Hindernis und folgen weiter dem Abzweig von der Piste bis zu einem verlassenen Platz mit einer Hütte. An dieser Stelle, nur wenige Kilometer vor dem östlichen Ufer des Hvitarvátn beschließen wir zu bleiben, die Gletscherzunge vor Augen in scheinbar greifbarer Nähe ...
Wie sich kurz darauf herausstellt, hat sich in der Hütte doch ein Mensch für eine Übernachtung eingefunden. Ein einsamer Israeli, der seit mehreren Wochen zu Fuß (teilweise barfuß!) in dieser Gegend unterwegs ist, stellt gemeinsam mit uns Überlegungen an, wie man wohl bis zum Gletscher vordringen kann, warnt uns aber vor dem Sumpfgelände vor dem See.
Trotzdem, der Gletscher mit seinen Kälbern zieht mich magisch an und schon steige ich in meine Gummistiefel und stapfe in Richtung See davon, während hinter mir der Scamper langsam kleiner wird. Bereits nach wenigen hundert Metern bestätigen sich die Befürchtungen des Israeli. Ich sinke mit meinen Gummistiefeln bereits ständig über die Knöchel ein und habe alle Mühe, in dem gluckernden Untergrund wassergefüllte Löcher zu vermeiden. Angetrieben von dem majestätischen Anblick gehe ich weiter, die Kurven werden immer größer, bis es passiert. Mit einem Rutsch bin ich mit dem rechten Bein weit über das Knie im Sumpf verschwunden und spüre das Wasser am Oberschenkel. Auf den Händen im Matsch liegend, versuche ich erschrocken mein Bein herauszuziehen, wobei es mir fast den Gummistiefel auszieht. Ich habe genug - so werde ich den See mit seinem verlockend schönen Gletscher nie erreichen ...
Von Gedanken an spurloses Verschwinden in einsamen Sümpfen getrieben, mache ich mich so schnell und so nass wie möglich auf den Rückweg zum Scamper. Ich muss noch manch einen Umweg laufen, bis ich hier wieder ankomme und bin im Grunde genommen froh, daß es mich noch früh genug erwischt hat und nicht erst am Seeufer.
Nach Wechseln der "Sumpfkleidung" muß ich erst einmal trocknen. Erst später am Abend steige ich nochmals mit dem Fernglas aus der Kabine und sehe noch lange zu dem Gletscherrand herüber, der sich immer wieder hinter sein eigenes (Langjökull-) Wetter zurückzieht. Im Anblick dieses grandiosen Szenarios beschließe ich einmal mehr, eines Tages auf diesen Gletscher zu gelangen, vielleicht dann mit einem Schneemobil oder anders ...
Die Einsamkeit mit Tee und Rum greift um sich und der Gletscherrand verschwindet im Dunkel der einbrechenden Nacht ...
© Text/Bilder 1996, 1997 J. de Haas